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E-Book

Übermacht im Netz

Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen

AutorMag. Ingrid Brodnig
VerlagChristian Brandstätter Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783710604102
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Im Internet geben große Plattformen den Ton an. Rasant steuern wir auf eine Zukunft zu, in der die Bürger ohnmächtig sind. Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon häufen enormen Reichtum an - und zahlen so gut wie keine Steuern. Im Eiltempo arbeiten diese digitalen Riesen an einem Umbau der Gesellschaft: Ganze Branchen werden 'disruptiert' und durch billigere Arbeitskräfte, Software und Roboter ersetzt. Der Mensch wird zur gewinnbringenden Datenquelle reduziert. Doch wir können uns wehren! Ingrid Brodnig hat Schauplätze des digitalen Wandels - von Amazons Lagerhallen bis zum Silicon Valley - besucht und liefert einen flammenden Appell für einen Neustart im Netz. Ihr Buch hilft jedem einzelnen, unfaire Mechanismen des Digitalzeitalters zu durchschauen. Und es liefert konkrete Empfehlungen, wie wir auch online Bürgerrechte verteidigen können. Höchste Zeit, ein gerechtes Internet einzufordern!

Ingrid Brodnig ist freie Publizistin mit Fokus auf die digitale Debattenkultur. 2017 wurde sie zum 'Digital Champion' Österreichs für die Europäische Kommission ernannt, als solche treibt sie die Digitalisierung Europas mit voran. Für ihr Buch 'Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können' 2017 wurde sie mit dem Bruno-Kreisky- Sonderpreis für das politische Buch ausgezeichnet. Mehr Infos unter brodnig.org.

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Leseprobe

Einleitung


EINE PERSÖNLICHE GESCHICHTE


Die ersten Jahrzehnte meines Lebens waren von der Zuversicht geprägt, dass die Digitalisierung ein zusätzlicher Motor hin zu einer gerechteren, aufgeklärteren Gesellschaft sein würde. Diesen Optimismus habe ich verloren. Ich erkenne: Es ist auch eine andere, eine düstere Variante des Internets möglich. Wir stehen derzeit an einem Scheideweg.

Ich bin im Jahr 1984 geboren – das ist jenes Jahr, in dem Apple seinen legendären Macintosh auf den Markt brachte. Dieser Computer war der erste, der erfolgreich auf die breite Masse der Konsumenten abzielte. Er hatte eine visuelle Oberfläche und eine simple Bedienung – und läutete einen Wandel ein: Zunehmend wurde es üblich, dass Menschen in ihren eigenen vier Wänden einen Computer stehen haben.

Zugegeben: Als neugeborenes Baby bekam ich wenig von dieser technologischen Zeitenwende mit. Aber wenn ich an meine Kindheit und Jugend zurückdenke, fällt mir auf, wie viel Optimismus gegenüber neuer Technik in dieser Zeit vorherrschte. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind zum ersten Mal eine Computermaus mit der Hand steuerte und staunte, wie der Zeiger am Bildschirm exakt meinen Handbewegungen folgte. Die ersten 25 Jahre meines Lebens waren geprägt vom Staunen und von Begeisterung über neue Technologie. Hermann Hesse schrieb einst: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Und genau so fühlte sich die Digitalisierung für mich an: zauberhaft. Ich war lange vor allem hoffnungsvoll, dass die Vernetzung zu einer aufgeklärteren, wohlhabenderen, gerechteren Gesellschaft beitragen würde. Ich war überzeugt, dass wir Menschen das Internet auf eine Weise nutzen werden, die uns alle bereichert.

Nun ja. Ich schreibe dieses Buch, weil ich mir da nicht mehr so sicher bin. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Warnsignale verstärkt, dass das Internet auch auf eine Weise eingesetzt wird, die für unsere Demokratie und für unsere Gesellschaft Gefahren birgt. In diesem Buch werde ich beschreiben, dass wir Bürger oft nicht genug Wahlmöglichkeit im Netz bekommen – dass uns Geräte oder Onlinedienste ausspionieren, ob wir dies wollen oder nicht. Ich werde kritisieren, dass der immense Reichtum, der im Netz angehäuft wird, vor allem an einzelne Großkonzerne fließt – die noch dazu wenig Steuern zahlen. Und ich werde die Fragen beantworten: In welchen Bereichen lassen sich problematische Facetten der Digitalisierung beobachten – und auch: Was können wir dagegen tun? Denn wir können sehr wohl etwas machen.

Für mich ist dieses Buch auch eine persönliche Geschichte. Denn es reflektiert meine eigene Ernüchterung. Es gab in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Situationen, in denen ich dachte: Moment, so hatten wir uns das mit dem Internet doch nicht vorgestellt!

Ein Beispiel: Ich berichte seit etlichen Jahren als Journalistin über Digitales und das Wirken großer Internetkonzerne. Im Jahr 2009 fiel mir auf, wie unkontrolliert Facebooks Einfluss geworden ist. Die Plattform, die Mark Zuckerberg gemeinsam mit Kommilitonen gegründet hatte, konnte man schon damals eine Weltmacht nennen. Sie hatte (für damalige Verhältnisse unglaubliche) 350 Millionen Nutzer und war das global erfolgreichste soziale Medium. 350 Millionen, das sind ungefähr so viele Menschen, wie in Brasilien, Deutschland und Italien leben. Und wir wissen heute, dass Facebook noch um ein Vielfaches wachsen sollte.

Ende 2009 entschied sich Facebook überraschend, die Privatsphäre-Einstellungen für seine Nutzer zu ändern. Der Standardmodus war nun so eingestellt, dass man alle Beiträge öffentlich für alle sichtbar postete – zuvor hatten die User standardmäßig privat gepostet. Es gab heftigen Protest. Die Electronic Frontier Foundation, eine wichtige digitale Bürgerrechtsorganisation, schrieb: „Wir sind besorgt, dass die heutigen Änderungen dazu führen werden, dass Nutzer der Welt mehr von sich mitteilen, als sie das jemals beabsichtigt hatten.“1 Doch Mark Zuckerberg stand zu seinem Schritt. Auf einem Event in San Francisco erklärte er: „Menschen haben sich daran gewöhnt, nicht nur mehr Information auf unterschiedliche Weise zu teilen, sondern das auch offener zu tun und mit mehr Menschen. Diese gesellschaftliche Norm ist einfach etwas, das sich mit der Zeit herausgebildet hat. (…) Und wir haben uns entschieden, dass das jetzt die gesellschaftlichen Normen sind, und haben das umgesetzt.“2

Ich würde behaupten, dass dieses Zitat nicht gut alterte. Mittlerweile erklärt Mark Zuckerberg ja ständig, wie wichtig ihm Privatsphäre sei. Aber dieser Vorfall zeigt: Im Jahr 2009 war es Zuckerberg selbst, der es als neue „gesellschaftliche Norm“ definierte, öffentlich und nicht privat zu posten.

Was mir daran ganz besonders missfiel: Mit nur einem Eingriff in seine Software konnte Mark Zuckerberg für Hunderte Millionen Menschen entscheiden, was ab nun der Standardmodus der Kommunikation war. Zuckerberg musste dafür niemanden um Erlaubnis fragen, er musste keine Abstimmung abhalten, ob er die Standards für alle User ändern dürfe. Er entschied dies einfach. In diesem Moment wurde für mich deutlich, was für eine ungeheure Macht in den Händen einer einzelnen Person und eines einzelnen Unternehmens liegt.

Es gibt ein noch extremeres Beispiel, das dies verdeutlicht: Als 2018 gewaltvolle Übergriffe auf die muslimische Minderheit in Burma stattfanden, war Facebook eine zentrale Plattform, über die Desinformation über Muslime und Gewaltaufrufe verbreitet wurden. Mark Zuckerberg erzählte in einem Interview mit dem Onlinemedium Vox Folgendes: Er sei eines Samstags angerufen und darüber informiert worden, dass über den Facebook-Messenger zu Gewalt in Burma aufgerufen werde. Und dann gab es folgende Regelung: „Wir verhindern, dass diese Meldungen ankommen“, sagte Zuckerberg.3 Das klingt sinnvoll und ehrenwert, dass Facebook Gewaltaufrufe unterband. Aber bedenken Sie, was das heißt: Nicht Staaten, Expertengremien oder Richter entschieden in diesem Fall, welche privaten Nachrichten blockiert werden – diese Entscheidung traf allein Facebook, allen voran Mark Zuckerberg.4 Zur Verdeutlichung: Was Facebook tut, liegt wirklich in der Hand Zuckerbergs. Denn er kontrolliert rund 60 Prozent der Stimmrechte im börsennotierten Konzern.5 Ihn kann niemand feuern.

In diesem Buch wird es um solche Machtfragen gehen. Die Hoffnung in der Anfangsphase des Internets war ja, dass es ein demokratisches Instrument sein wird, von dem möglichst viele profitieren. Nun ist es offensichtlich, dass dieser Anspruch gleich auf mehreren Ebenen nicht erfüllt wurde. Wir leben in einer Zeit, in der der digitale Wohlstand sehr ungleich verteilt ist – das reicht von miserabel bezahlten Jobs, die über Plattformen vermittelt werden, bis hin zur Steuerfrage. Wir leben in einer Zeit, in der Milliardenbeträge mit dem Sammeln und Auswerten von Daten umgesetzt werden, und wir Kunden oftmals nur erahnen können, welche Daten über uns gesammelt werden und was genau mit dieser Information passiert. Für uns als Konsumenten, als Steuerzahler, als Wähler, als arbeitende Bevölkerung gibt es einige unbehagliche Facetten der Digitalisierung. Digitale Konzerne sind besonders geschickt darin, vergleichsweise wenig Steuern in Europa zu zahlen. Steuervermeidung wird zu einem immer größeren Problem: So berechneten Ökonomen, dass der EU jedes Jahr 36 Milliarden Euro an Steuergeldern entgehen – das ist Geld, das wir in Schulen, in das Sozialsystem, in Kinderbetreuung, in Forschungsförderung stecken könnten.6

Wir müssen uns die Frage stellen, ob das Internet in seiner jetzigen Form und mit den aktuell vorherrschenden Geschäftsmodellen genügend für uns alle abwirft. Lassen wir uns bitte nicht von der glänzenden Oberfläche der Geräte und den cool klingenden Wörtern wie „Disruption“, „Gig Economy“ oder „Internet der Dinge“ blenden: Smartphones, Laptops, Apps, Onlineplattformen – all das sind nett wirkende technische Neuerungen, die den Alltag bequemer machen und beeindruckende Funktionen bieten. Nur: Welche gesellschaftlichen Nebeneffekte haben diese Geräte und welche Schattenseiten hat das Geschäftsmodell des Datensammelns? Und: Welche Auswirkungen hat die jetzige Form der Digitalisierung für unser Arbeitsleben, für unser Steuersystem, für unsere Auswahl als Konsument und unsere Autonomie als Bürger?

Ich habe Orte aufgesucht, wo ich nachdenklich gestimmt wurde. Ich bin in einer großen Lagerhalle Amazons gestanden – dort, wo Mitarbeiter im Eiltempo Waren einsortieren und daneben Roboter bereits einen Teil der Jobs übernehmen. Ich habe mit Juristen, Technikern, Forschern, Konsumentenschützern, Bürgerrechtlern und Internetnutzern gesprochen, die das sehr beunruhigt – und die Änderungen für dringend notwendig halten.

Es ist Zeit, kritischer hinter die schöne...

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