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E-Book

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben

Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen

AutorUlrich Kienzle
Verlagsagas Edition
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783981251036
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Ulrich Kienzle hat sich auf eine Reise begeben. Nach Berlin und Baiersbronn, nach Stuttgart, Schwäbisch Hall, München und London. 17 außergewöhnlichen Schwaben ist er dabei begegnet - klugen und erfolgreichen Menschen. Mit ihnen hat er sich unterhalten - über die grundsätzlichen Fragen dieser grenzenlosen Welt, über Orientierung und Identität, über Heimat und Sprache. Und immer kommen dabei, auf ganz persönliche Weise, hochaktuelle politische Themen auf den Tisch - der Euro und Europa, die Moral in der Politik. Und der 'Wutbürger'. Siebzehn Gespräche von unglaublicher Tiefe und Leichtigkeit. Gedanken, Reflektionen, Haltungen. Auf einer Reise durch die schwäbische Seele.

Noch Fragen, Kienzle? Diese Frage seines Partners Bodo Hauser im ZDF-Magazin 'Frontal' machte aus dem Top-Journalisten eine Medienlegende. Ulrich Kienzle begann seine TV-Karriere in Stuttgart. Er war Leiter der SDR-'Abendschau', später des 'Weltspiegel'. Er berichtete für die ARD aus dem Nahen Osten und war von 1980 bis 1990 Fernsehchefredakteur bei Radio Bremen. Bis 1993 leitete er die ZDF-Hauptredaktion Außenpolitik und moderierte das ZDF-'auslandsjournal'. Als einer der ersten westlichen Journalisten interviewte er Anfang der 1970er Jahre den damals jungen Rebellen Muammar al-Gaddafi und als letzter westlicher Journalist den irakischen Diktator Saddam Hussein. Nach seinem Bestseller 'Abschied von 1001 Nacht' widmet sich die Journalisten-Legende Ulrich Kienzle nun wieder seinen eigenen Landsleuten - den Schwaben. 'Mich faszinieren diese beiden Völker - die Schwaben und die Araber. Sehr rätselhaft beide. Die Schwaben haben eines mit den Arabern gemeinsam: beide haben kein politisches Zentrum.'

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Leseprobe

Ulrich Kienzle
Politischer Urknall
am Sackbahnhof


Eine kurze Zeitreise
in die Welt
der Wutbürger


Eigentlich war es nur vordergründig um den Bahnhof gegangen, dieses hässliche, leicht vergammelte Muschelkalkmonster aus den Zwanzigerjahren, das eher an eine Feldherrnhalle erinnert als an einen Bahnhof. Groß und martialisch wirkt das verwitterte Gemäuer und widerspricht damit allen schwäbischen Bescheidenheitsvorstellungen. Der Sackbahnhof ist ein Stück Angeber- und Protzarchitektur. Ein imperialer Klotz mitten in die Stadt geknallt. Ein Monument, das immer mehr sein wollte als ein profaner Bahnhof. Sein Schöpfer, Paul Bonatz, hat ihn nicht ganz zufällig »umbilicus sueviae« genannt – den »Nabel Schwabens«. Nun hätte man erwarten können, dass die Stuttgarter Bürger nichts sehnlichster wünschten, als von dieser monströsen Architektur befreit zu werden, einem städtebaulichen Fossil der ganz besonders hässlichen Art. Aber weit gefehlt. Eigensinnig, wie sie nun mal sind, wollten viele Stuttgarter das Monster behalten. Vielleicht war es Trotz. Vielleicht war es auch der Stolz auf die ungewöhnliche Leistungsfähigkeit des alten Sackbahnhofs. Vielleicht wollten sie aber einfach nicht, dass Stuttgart das Herz Europas wird, wie dies eine durchgeknallte Werbung und die regierende Polit-Elite des Landes versprochen hatten. Und weil viele Stuttgarter so trotzig reagierten, wurde der riesige, vergammelte Muschelkalkkoloss doch noch zum Nabel Schwabens.

Der Streit um Stuttgart 21 endete nämlich in einem politischen Urknall am Sackbahnhof. Natürlich ging es auch ums »Obenbleiben« oder »Tieferlegen«, um die Zahl der Gleise und Verkehrstakte und um Milliarden Euro. Aber im politischen Untergrund hatte schon länger eine politische Veränderung Platz gegriffen, die nicht nur ich für unmöglich gehalten hatte. Der politisierte Bahnhof wurde zu einer Art Geburtshelfer, der die ganze Region in ein neues Zeitalter katapultieren und den Rest der Republik in Erstaunen versetzen sollte.

Dies ist verwunderlich, weil die Demonstrationslust sich im reichen »Musterländle« immer in Grenzen gehalten hat. Der Schwabe demonstrierte lange am liebsten in Festumzügen – und aus gegebenem Anlass. Als Narr der schwäbisch-alemannischen Fasnachtszünfte zum Beispiel. Da ist alles geregelt.

Lange muss man in den Geschichtsbüchern blättern, bis man auf die letzte Rebellion in der Region stößt. 1514 hatte der »Geißpeter« aus Beutelsbach, ein pfiffiger und aufmüpfiger Tagelöhner, die Bauern zum Aufstand gegen Herzog Ulrich aufgestachelt. Schorndorf war damals wochenlang »befreites« Gebiet und wurde vom »Armen Konrad«1 beherrscht. Die Rache des Herzogs war fürchterlich. Er ließ alle seine Gegner gnadenlos köpfen. Das hat bleibenden Eindruck gemacht. Danach herrschte Ruhe im Land.

Selbst die 68er-Revolte war im Schwäbischen schnell verpufft. 2000 Aufgeregte, die meisten Studenten aus Heidelberg und Tübingen, hatten zwar an Ostern 1968 gegen den Bechtle-Verlag in Esslingen demonstriert, weil der die »Bildzeitung« druckte. Aber schon ihr Slogan hatte nicht unbedingt revolutionäre Wallungen entfacht: »Bechtle! Bechtle, Springer-Knechtle!« Die Verkleinerungsform hatte etwas Verniedlichendes, Verharmlosendes. Wie häufig, wenn Schwaben rebellieren.

In schöner Erinnerung ist auch die Aussage des schwäbischen Revolutionärs und Spartakisten Seebacher, der dem zurückgetretenen, eher leutseligen König Wilhelm II. einst am 4. November 1918 bestätigte, dass er sich korrekt verhalten habe. Der König müsse aber trotzdem zurücktreten: »S’ischt wega dem Sischtem!«2

Lange demonstrierte nur einer. Sozusagen im Alleingang. Der sattsam bekannte Remstal-Rebell Helmut Palmer. Er sägte Bäume um und schüttete Bürokraten, die zu lange Mittag machten, Mist in die Dienstzimmer. Dafür landete er immer wieder im Knast. Aber man erlaubte sich, den Mann nicht ganz ernst zu nehmen. Einer, der dauernd demonstrierte und 250-mal als Bürgermeister kandidierte, musste einen an der Waffel haben. Erst sein Sohn Boris Palmer hat es schließlich zum »Schultes« gebracht – in Tübingen. Opposition wurde damals auf dem flachen Land noch als etwas Subversives, im besten Fall als eine Art gefährliche Krankheit, betrachtet. Alles ging, trotz Palmer, seinen gewohnten Gang. Alles ging gut. Die Regierung in Stuttgart regierte und die Regierten waren mehrheitlich zufrieden. »Dia Herra en d’r Regierong werdet’s scho recht macha.«3 Hieß es. Eine Art Urvertrauen in die Obrigkeit. Die Opposition war harmlos. Und die CDU-Regenten machten alles recht. 58 Jahre lang.

Dann, wegen eines Tiefbahnhofs, platzte vielen eingefleischten Schwaben auf einmal der Kragen. Der reine Wahnsinn! Im Volksmund klang das so: »Fenfhondert Johr lang hend se d’Gosch ghalda ond jedzd kriaget se da Rappel – wega ma Sackbahof.«4

Mit Stuttgart 21 hatte es die Obrigkeit wohl übertrieben. Jetzt rumorte es plötzlich. Das Projekt fanden viele größenwahnsinnig, zu abgehoben, zu teuer. Und doch dauerte es lange, bis der Widerstand Wirkung zeigte. Die Entscheidung für Stuttgart 21 war demokratisch zustande gekommen, zweifellos. Aber irgendwie an den Stuttgartern vorbei. Sicher – der Plan hatte jahrelang alle Gremien, Instanzen und Hinterzimmer durchlaufen. Der Grundverdacht ist aber nie ausgeräumt worden, dass sich die Begehrlichkeiten auf etwas ganz anderes richteten als den Bahnhof: die frei werdende Baufläche. Oettinger5 und Schuster,6 die politischen Protagonisten, hatten es jedenfalls nicht verstanden, die Bürger von den Vorzügen ihres Wunderbahnhofs zu überzeugen. Jetzt bekamen sie die Quittung.

Das war umso verwunderlicher – weil Schwaben lieber bruddeln als auf die Straße gehen. Das Bruddeln ist eine Leidenschaft, die Nicht-Schwaben nur schwer zu erklären ist. Der Bruddler ist jemand, dem alles gegen den Strich geht. Er bruddelt aber am liebsten allein, er braucht keinen Beifall vom Stammtisch wie der Bayer. Der eigene reicht. Der Bruddler hat nämlich immer recht. Der Bruddler ist selbstgerecht und Individualist. Deshalb lähmt das Bruddeln und macht einsam. Auf diese verquere Weise hat der Schwabe über Jahrhunderte gelernt allein zu sein. Einsamen Wölfen gleich, bruddeln Hunderttausende einfach so vor sich hin und spülen ihren Ärger mit Trollinger weg. Der kürzeste Weg in die innere Emigration. Statt sich mit anderen zusammenzutun, um ein Übel abzuschaffen, schimpfen sie lieber allein. Niemand kommt dabei gut weg. Gott nicht und die Regierenden nicht. Aber das Bruddeln ist halt ein ziemlich einsames und folgenloses Geschäft. Alles bleibt beim Alten.

Umso erstaunlicher waren deshalb die plötzlichen Riesendemos in Stuttgart. Mit der gleichen Inbrunst, mit der sie bisher bruddelnd Ruhe und Ordnung gehalten hatten, gingen die Stuttgarter jetzt auf die Straße. Etwas im angeblich schwäbischen Wesen musste sich verändert haben. Es brodelte tatsächlich und überraschend waren viele Bruddler plötzlich gemeinsam auf der Straße. Am Ende wurde es eine Art kollektives Massenbruddeln in Bahnhofsnähe. Mit atemberaubendem Fleiß und typisch schwäbischer Zähigkeit versuchten sie, die Obrigkeitshörigkeit aus ihren Köpfen zu demonstrieren. Woche für Woche. Aus dem Bruddler wurde der Wutbürger. Ein ganz neuer Schwabentyp. Aufmüpfig und politisch.

Die Politstrategen in der Villa Reitzenstein7 hatten die Veränderungen der letzten Jahrzehnte verschlafen, sie glaubten lieber an ein altes Klischee von der schwäbischen Politik. Und das lautete: Die Schwaben sind konservativ, die reden viel, wenn der Tag lang ist, aber am Ende wählen sie doch wieder CDU. Für sie war das »Ländle« ein »g’mähtes Wiesle«, also eine todsichere Sache. Aber das stimmte nur noch bedingt. Die Schwaben waren zwar noch konservativ, aber immer mehr fanden Teufel, den frömmelnden Erzkatholiken, und seinen Zögling Mappus einfach außerirdisch. Besonders die Jüngeren, die neuen Konservativen, suchten nach einem Ersatz und fanden ihn schließlich bei den Grünen. Deren Erfolge in der Stuttgarter Kommunalpolitik hätten die CDU-Strategen eigentlich nachdenklich machen müssen. Rezzo Schlauch wäre um ein Haar OB geworden, wenn, ja wenn die SPD im entscheidenden Augenblick über ihren Schatten gesprungen wäre.8 Und Mappus hätte sich in einer Koalition mit den Grünen die Macht sichern können – aber Mappus hatte mit den Grünen nichts am Hut. Er spielte lieber den Grünenfresser und Polit-Rambo und glaubte mit dieser Strategie wieder eine Mehrheit gewinnen zu können. Mappus und seine Berater merkten gar nicht, wie sehr der Kandidat zum Auslaufmodell geworden war. Ein Mann der 60er-Jahre. Kommt noch hinzu, dass er aus Hessen den Medienberater von Roland Koch holte, einen wilden Haudrauf: Dirk Metz. Was der bei Roland Koch nicht ganz geschafft hatte, den Machtverlust – bei Mappus sollte es ihm gelingen. Unter seiner tätigen Mithilfe beging...

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