1. Ziele setzen: Probleme in konkrete Herausforderungen umwandeln

Sophie war nervös. Ihre erste Präsentation vor dem französischen Führungsteam von Mindpal Inc., einer internationalen Social-Networking-Website, stand bevor. Sie hatte einen Plan für ein Gemeinschaftsprojekt ausgearbeitet, eine Partnerschaft mit einer regionalen Stellenbörse, die Stellenanzeigen an Mindpal weiterleiten sollte. Sie hielt es für eine geniale Idee, den hauseigenen Internetauftritt um ein Online-Jobportal zu erweitern, um die Erfahrungen der Nutzer zu bereichern. Mindpal würde darüber hinaus für jedes Posting 1,50 Euro erhalten – ein willkommener Ausgleich für andere Einkommensquellen im Anzeigengeschäft, die zu versiegen drohten.

Sophie war aufgefallen, dass Mindpal im Vergleich zu seinen größten Konkurrenten nur wenige berufsbezogene Beiträge verbuchen konnte. Um sich einen besseren Überblick über die Situation zu verschaffen, hatte sie die Dynamik des Arbeitsmarktes, die Entwicklungstendenzen in der Werbung, die wichtigsten Spieler in der On- und Offline-Szene und die Stellenanzeigen in den einschlägigen Medien unter die Lupe genommen. Zur Vertiefung ihrer Nachforschungen hatte sie Gespräche mit zwanzig Branchenexperten geführt, um ihre Meinung über den Wettbewerb im Stellenanzeigenmarkt und die potenzielle Rolle der sozialen Netzwerke zu erörtern. Da eine Freundin von ihr in einer Stellenvermittlungsagentur arbeitete, war die Partnerschaft für sie eine naheliegende Lösung.

Nach der Präsentation vor der Führungsriege hielt Sophie nach möglichen Mitstreitern für ihre Idee Ausschau. Der kaufmännische Leiter, Sophies direkter Vorgesetzter, unterstützte offensichtlich das Projekt. Er erklärte, man müsse nur noch den Vertrag unterzeichnen, und fügte hinzu: »Ein Anruf genügt und die Presseverlautbarung geht raus.« Alles schien rundzulaufen, doch Sophie hatte sich zu früh gefreut.

Der Finanzvorstand bemängelte, dass die Größenordnung des Projekts niemals dazu angetan sei, die Einkommenseinbußen wettzumachen, und schlug stattdessen eine radikale Reorganisation der Vertriebsabteilung vor. Der Marketingmanager meldete ebenfalls Bedenken an, vor allem wegen der Auswirkung auf die Erfahrungen der Nutzer und die Marke. Der Chefentwickler beanstandete, dass ein solches Projekt, wie geringfügig es auch scheinen möge, seine Mannschaft mehrere Wochen lang beanspruchen würde. Nach langen Diskussionen dankte der Geschäftsführer Sophie für ihr Engagement, befand jedoch abschließend, es sei »zu früh für eine endgültige Entscheidung hinsichtlich dieses Projekts.«

Sophie kehrte zutiefst enttäuscht an ihren Schreibtisch zurück. Was war schiefgelaufen?

Wandeln Sie Probleme in konkrete Herausforderungen um

Es ist verblüffend zu beobachten, wie viele Projekte, Verbesserungsvorschläge oder Veränderungsprogramme ohne konkrete Zielsetzungen oder Herausforderungen auf den Weg gebracht werden. Wie können Sie sich für eine bestimmte Lösung entscheiden, wenn Sie keine genaue Vorstellung haben, was Sie erreichen möchten? Und wie wollen Sie nach der Umsetzung Ihrer Ideen die Ergebnisse auswerten? Was strebt Mindpal eigentlich an: Will das Unternehmen Geld verdienen? Die Benutzerfreundlichkeit verbessern? Den Wert seiner Marke erhöhen? Sich im Online-Stellenanzeigenbereich als Marktführer profilieren? Wie es scheint, hat Sophie eine spezifische unternehmerische Chance erforscht, allerdings ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben.

Es kommt häufig vor, dass Projekte ohne eine Reihe von Zielen, auf die man sich geeinigt hat, an die Startlinie gehen. Wenn dann endlich der Augenblick der Entscheidungsfindung naht, sollte man sich nicht wundern, wenn der kaufmännische Leiter dafür stimmt, während der Rest (aus verschiedenen Gründen) dagegen ist.

Wie in allen anderen Lebensbereichen gibt es auch hier gute und schlechte Ziele. Schlechte Ziele wären beispielsweise die Einführung eines neuen IT-Systems oder die Auslagerung der Logistik. Sie sind schlecht gewählt, weil IT-Systeme und Auslagerungsvorhaben keine echten Ziele, sondern Mittel zum Zweck sind. Es gibt IT-Investitionen, die sich auf 100 Millionen Euro belaufen, jedoch in keinerlei (oder in einem unglaublich vagen) Bezug zu den Unternehmenszielsetzungen stehen und kein anderes Geschäftsszenario verfolgen als das Bestreben, Geld in Umlauf zu bringen.

Ein weiteres Problem mit den Zielen ist, dass sie oft ziemlich schwammig sind, sofern sie überhaupt existieren. Das bedeutet, dass konkrete oder messbare Etappenziele fehlen und das übergeordnete Ziel mit Schlagwörtern wie optimieren, verbessern, weiterentwickeln und wachsen beschrieben wird.

Was uns zu der Frage bringt, warum sich Organisationen ohne konkrete Ziele auf risikoreiche Projekte einlassen. Wir haben beobachtet, dass viele Unternehmen (und, nebenbei bemerkt, Menschen) nicht genau wissen, was sie wirklich wollen. Sie haben keine klaren oder nur verschwommene Vorstellungen von den Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert werden. Andere scheinen Gefallen an Projekten zu finden, die ein gutes Gefühl hervorrufen; Herausforderungen in großem Stil erzeugen eine positive Stimmungslage, ebenso wie Veränderungen in kleinem Maßstab, solange niemandem Opfer abverlangt werden. Leider werden Goldmedaillen nicht im Schlaf gewonnen.

Ein tief verwurzelter Grund für das Fehlen konkreter gemeinsamer Ziele könnte sein, dass wir darauf programmiert wurden, unser Augenmerk auf Probleme zu richten. Fakt ist, dass wir es in dieser Disziplin zu wahren Meistern gebracht haben. Wir lernen schon in der Schule, dass der erste Schritt im Problemlösungsprozess darin bestehen sollte, das Problem zu definieren (anstatt des Ziels), es danach unerbittlich zu diagnostizieren (statt Lösungsmöglichkeiten zu überprüfen) und erst dann, in der Schlussphase, Empfehlungen zu entwickeln.

Das ist eine bedauerliche Vorgehensweise, die uns eingeimpft wurde, denn die Konzentration auf ein Ziel, das eine Herausforderung darstellt, ist wesentlich inspirierender als endlose Diskussionen über ein Problem. Die Realisierung eines Ziels in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen, bringt die menschliche Energie in Fluss, fördert eine positive Grundstimmung, setzt kreative Potenziale frei und schafft sowohl leidenschaftliches Engagement als auch allgemeines Wohlbefinden. Das sind genau die Eigenschaften, die wir bei namhaften Führungspersönlichkeiten in der Politik, im Sport, in der Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft bewundern.

Wie viel müssen Sie also über das Problem wissen, um potenzielle Lösungen aufzulisten? Das ist keine Fangfrage, sondern ein wichtiger Aspekt in diesem Buch. Eines unserer Hauptargumente lautet nämlich: Verwenden Sie weniger Zeit darauf, Rückschau zu halten, um den Ursachen des Problems auf den Grund zu gehen, sondern richten Sie Ihren Blick vielmehr nach vorne. Im Fall Mindpal wäre es beispielsweise interessant, die treibende Kraft hinter dem Rückgang der Werbeeinnahmen zu erforschen oder die Dynamik des Arbeitsmarktes zu ergründen. Solche Analysen sind jedoch nur dann relevant, wenn sie eine konkrete Lösung unterstützen.

Kapitulieren Sie nie vor einem Problem

Die Suche nach Lösungen für Unternehmensprobleme ist eine Übung, die oft damit beginnt, Ursachenforschung zu betreiben. Im zuvor geschilderten Mindpal-Beispiel ist der Rückgang der Werbeeinnahmen das Hauptthema. Üblicherweise werden Fragen wie die folgenden gestellt, um dem Problem auf den Grund zu gehen: Schwächelt der Markt oder verlieren wir Marktanteile? Welche Marktkräfte sind da am Werk? Wie hoch ist der Verlust von Marktanteilen? Haben wir auf ganzer Linie Einbußen erlitten oder nur in bestimmten Marktsegmenten? Lässt sich der Rückgang unseres Marktanteils auf das Produkt, die Preisstellung oder die Verkaufsförderung (eine bestimmte Aktion oder verschiedene Maßnahmen) zurückführen? Solche Fragen von allen Seiten zu beleuchten, erfordert ein hartes Stück Arbeit Ihrerseits. Das Problem ist nur, dass die Fragen unter Umständen irrelevant sind, weil die größten Chancen, aus der Verlustzone herauszukommen, anderswo liegen könnten. Dieser sequenzielle Ansatz konzentriert sich auf das Problem statt auf Lösungsmöglichkeiten. Und welche Vorteile hat er zu bieten? Er sorgt für zahlreiche Arbeitsstunden, die sich in Rechnung stellen lassen, und wird daher, wen wundert es, von vielen professionellen Problemlösern bevorzugt.

In der Praxis gibt es viele (erfahrene) Leute, die bei jedem neuen Problem damit beginnen, den Markt auf seine Größe abzuklopfen, ein Profil der Wettbewerber anzufertigen und SWOT-Analysen zu erstellen (Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken). Solche Bemühungen tragen gleichwohl nur vereinzelt zur endgültigen Lösung bei.

Wir schlagen einen strukturierten Ansatz vor, der ein radikales Umdenken erfordert. Statt Wochen oder Monate in die Problemdiagnose zu investieren, sollten Sie unverzüglich konkrete Verbesserungsziele festlegen und Ihre...