Der gegenüberstellende Vergleich veranschaulicht, wie und an welcher Stelle geflüchtete Schülerinnen und Schüler im deutschen und schwedischen Schulsystem integriert werden. Der Integrationsprozess von geflüchteten Schülerinnen und Schülern wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Deshalb werden für den Vergleich sowohl die rechtlichen Bestimmungen zur Integration, als auch deren Umsetzung in der realen Schulpraxis in die Betrachtung miteinbezogen. Nur so kann im Abschluss auch angemessen beurteilt werden, wie erfolgreich der Integrationsprozess von geflüchteten Schülerinnen und Schülern im jeweiligen Schulsystem tatsächlich stattfindet.
Die vier Integrationsebenen nach Esser (2000) dienen als formale Haupteinteilung für den Vergleich. Bezüglich jeder Integrationsebene erfolgt eine detaillierte Darstellung der inhaltlich zuzuordnenden Vergleichspunkte. Der Vergleich erfolgt stets schwerpunktorientiert. Die Inhalte eines Schwerpunktes werden methodisch und quantitativ zusammengefasst, jedoch länderspezifisch und separat dargestellt. Falls erforderlich, werden vor einem größeren Vergleichsschwerpunkt thematisch passende Aspekte aus der Theorie dargelegt. Somit können die Umsetzungen zur Integration im Anschluss fundierter beurteilt werden. Nachdem alle Vergleichspunkte einer Integrationsebene dargestellt wurden, werden die Erkenntnisse in einer Zusammenfassung festgehalten.
Abbildung 4: Darstellung zum gewählten methodischen Aufbau des Vergleichs
Quelle: Eigene Darstellung
Als Vertragsstaaten der Vereinten Nationen haben Deutschland und Schweden die völkerrechtlichen Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 sowie die internationalen Kinderrechte der UN-Kinderechtskonvention (KRK) von 1990 unterzeichnet und rechtmäßig anerkannt. Damit verpflichteten sich die beiden Vertragsstaaten vor der internationalen Völkergemeinschaft dazu, allen im Land lebenden Kindern das gleiche Recht auf Bildung zu gewähren und ihnen einen ebenso gleichen Zugang zum nationalen Bildungssystem zu ermöglichen (BFSFJ, 2010; UNHCR, 1951). Neben diesen rechtsbindenden Bestimmungen der GFK und der KRK bestehen für das deutsche und schwedische Schulsystem jedoch auch weitere nationale Bildungsgesetze, die den Schulbesuch von geflüchteten Kindern im Land unterschiedlich reglementieren.
Deutschland:
Die Ratifizierung beider Konventionen erfolgte durch die deutsche Bundesregierung. Das darin festgehaltene Recht auf Bildung für alle Kinder muss somit auch von den sechzehn Bundesländern anerkannt und gewährleistet werden. Jedoch wird jenes allgemeine Recht für geflüchtete Kinder auf der Schulebene höchst unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt:
Sachsen und Sachsen-Anhalt gewähren lediglich allen asylberechtigten Kindern das allgemeine Recht des Schulbesuchs. Für sie besteht keine allgemeine Schulpflicht, wie es sonst in allen anderen 14 Bundesländern die geltende Regel ist. Doch auch hierbei bestehen erhebliche Unterschiede. In Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen gilt für asylsuchende sowie asylberechtigte Kinder eine obligatorische Warteregelung bis zum Schulzugang (drei bzw. sechs Monate nach Zuzug). Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NRW und Rheinland-Pfalz verfügen über eine De-facto-Warteregelung. Hier setzt die Schulpflicht erst ein, wenn die asylsuchenden bzw. asylberechtigten Kinder einer Gemeinde zugewiesen worden sind. Eine Schulpflicht, die sofort nach der Registrierung der geflüchteten Kinder einsetzt, gibt es nur in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie im Saarland und in Schleswig-Holstein (Massumi & von Dewitz, 2015).
Neben diesen gesetzlichen Unterschieden bei der Schulpflicht bestehen weitere Hindernisse, die den Schulzugang eines geflüchteten Kindes in Deutschland erschweren. Eine 2015 durchgeführte Studie der Universität Bremen zeigte, dass die Mehrheit aller deutschen Grundschulen geflüchteten Kindern den Schulzugang verweigerten, sobald diese über keine Ausweispapiere verfügten (Funck, Karakaşoğlu, & Vogel, 2015). Auch jene geflüchteten Kinder ohne Melde- bzw. Ausweispapiere haben in Deutschland das Recht des Schulbesuches. Seit 2011 sind Schulen von der amtlichen Meldepflicht zum Aufenthalt von ungemeldeten Einwanderern ausgenommen. Häufig sind es jedoch die unklaren Organisationsstrukturen zwischen den zuständigen Behörden, welche den Schulzugang von geflüchteten Kindern maßgeblich erschweren (Funck, Karakaşoğlu, & Vogel, 2015).
Schweden:
Der Zugang zum nationalen Bildungsangebot wird im achten Artikel des schwedischen Schulgesetzes -skollag- definiert. Dieser Artikel besagt, dass alle Personen, ungeachtet der geographischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, Zugang zum Bildungswesen haben müssen. Erweitert wird die Zugangsregelung durch das hinzugefügte Anti-Diskriminierungsgesetz in der Schule (Utbildningsdepartementet, 2010). Seit 1985 ist auch der Schulzugang und -besuch von geflüchteten Kindern im skollag rechtlich verankert. Demnach haben asylsuchende sowie asylberechtigte Kinder das gleiche Recht, Schulbildung wie alle anderen Kinder im Land zu erhalten. Jedoch sind sie von der allgemeinen Schulpflicht ausgenommen (Bourgonje, 2010). Diese umstrittene Ausnahmeregelung wird auf bildungspolitischer Ebene unterschiedlich begründet. So wird einerseits angeführt, dass sich eine allgemeine Schulpflicht über das Kindeswohl hinwegsetzen würde, da die psychische Situation eines Kindes mit Fluchterfahrungen ungeachtet bliebe. Andererseits würde eine Schulpflicht für geflüchtete Kinder ebenfalls einen zusätzlichen Organisationsdruck auf die verantwortlichen Behörden und Gemeinden während des Asylverfahrens ausüben. Ein Rechtsanspruch auf einen Schulbesuch ohne Obligation liege damit im gegenseitigen Interesse von Behörden und Geflüchteten (Bunar, 2017). Allerdings sieht die Regierung vor, dass asylsuchenden und -berechtigten Kindern das Recht des Schulbesuchs bereits einen Monat nach der Einreise ins Land gewährt werden soll. In diesem Zeitraum soll die Verteilung auf eine verantwortliche Gemeinde durch die Ausländerbehörde -Migrationsverket- bereits erfolgreich abgeschlossen und eine Schule vor Ort dem geflüchteten Kind zugewiesen worden sein (Nonchev & Tagarov, 2012).
Als schwierig gestaltet sich derzeit immer noch die Beschulung von so genannten „versteckten Kindern“, die aufgrund von fehlenden Ausweispapieren oder eines nicht gestellten Asylantrags, bis zum 1. Juli 2013 keinen Rechtsanspruch auf einen offiziellen Schulbesuch in Schweden stellen konnten. Die vorgenommene Gesetzesänderung gewährt jenen Kindern nun das gleiche Bildungsrecht. Das schwedische Bildungsministerium und das Migrationsverket überlassen es jedoch der einzelnen Schule, eine Entscheidung darüber zu treffen, jene Kinder auf eigene Kosten zu beschulen (Bunar, 2017).
Der Schulbesuch von geflüchteten Schülerinnen und Schülern wird von den bestehenden Schulsystemstrukturen maßgeblich bestimmt. In den folgenden zwei Abschnitten wird dargestellt, wie der Aufbau des nationalen Schulsystems Einfluss auf den Bildungsweg von geflüchteten Schülerinnen und Schülern nimmt. Gleichzeitig wird aufgezeigt, welche individuellen Entscheidungsfreiheiten dabei gewährt werden und wie die geflüchteten Schülerinnen und Schüler beim Schuleinstieg gezielt Unterstützung erhalten.
Deutschland:
Wie bereits im Kapitel 2.3 dargestellt wurde, indiziert der Aufbau des deutschen Schulsystems einen starken Selektionsprozess der Schülerschaft. Die unterschiedlichen Schulformen bieten den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Lernbedingungen und Abschlussmöglichkeiten (Döbert, 2010).
Die föderale Struktur des deutschen Bildungswesens sowie die unzureichende Datenerhebung zum Schulbesuch von Geflüchteten erschweren es, fundierte und allgemeingeltende Aussagen über die Schulsituation und den Bildungsverlauf von geflüchteten Schülerinnen und Schülern zu formulieren (vgl. Kemper, 2016). Studnitz (2011) führt an, dass in amtlichen (Schul-)Statistiken Geflüchtete häufig nicht separat ausgewiesen, sondern unter der Gruppe „Schüler mit Migrationshintergrund“ zusammengefasst werden. Lediglich die brandenburgische Schulstatistik differenziert diese heterogene Gruppe und weist Asylbewerber, Flüchtlinge (asylberechtig) und Ausländer (Migranten) als separate Gruppen aus (Kemper, 2016). Anhand der Operationalisierung verschiedener Faktoren konnte Kemper feststellen, dass geflüchtete Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich an brandenburgischen Gymnasien deutlich unterrepräsentiert sind. Nur 2% aller Asylbewerber und 11% aller asylberechtigten Schülerinnen und Schüler besuchen ein Gymnasium. Dem gegenüber stehen 37% der ausländischen Schüler und 44% aller Schüler ohne Migrationshintergrund. Dieses Verteilungsverhältnis auf...