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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Spannungsverhältnis zwischen Migrationsrecht und Kinder- und Jugendhilferecht. Eine Herausforderung für die Soziale Arbeit

AutorYvonne Brückner
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783668451261
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Im Jahr 2015 kamen schätzungsweise eine Million Flüchtlinge nach Deutschland, von denen über 300.000 Kinder und Jugendliche waren. Ein nicht unerheblicher Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland Schutz suchten, waren ohne Begleitung ihrer Eltern. Sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge die auf der Flucht von ihren Eltern getrennt wurden. Sie werden als besonders schutzbedürftig angesehen, da sie unter dem Verlust familiärer Bindungen leiden und in besonderem Maße gefährdet sind, Opfer von Gewalterfahrung, Ausbeutung und Konflikten zu werden. In Deutschland greifen für diese Kinder nun zwei Gesetzformen: Zum einen das Migrationsrecht für asyl- und aufenthaltsrechliche Regelungen und zum anderen die Jugenhilfe mit dem Kinder- und Jugendhilferecht. Das Leben von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist in Deutschland von nun an durch die praktische Ausgestaltung dieser zwei Rechte geprägt. Dieses Buch behandelt die Spannungen welche sich durch diese zwei Gesetzesfelder ergeben können. Speziell beantwortet es die Fragen: Welches Spannungsfeld ergibt sich zwischen dem Migrationsrecht und dem Kinder- und Jugendhilferecht hinsichtlich unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge? Welche Herausforderungen resultieren daraus für die Soziale Arbeit und welche Handlungsempfehlungen lassen sich folglich für Sozialarbeiter/innen ableiten? Aus dem Inhalt: - unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; - Migrationsrecht; - Kinder- und Jugendhilferecht; - Soziale Arbeit

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Leseprobe

3 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge


 

Um ein Verständnis davon zu bekommen, wer ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ist, wird zunächst der Begriff näher erläutert. Der Kürze halber wird im Folgenden die Abkürzung umF für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verwendet.

 

3.1 Begriffsbestimmungen


 

In der Fachöffentlichkeit wird der Begriff unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oft verwendet. Welche Personen aber genau unter der Begrifflichkeit unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verstanden werden, bleibt oftmals unscharf. Eine präzise Begriffsbestimmung ist deshalb für die folgende Thematik unerlässlich.

 

Nach der sogenannten Qualifikationsrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates gelten als „unbegleitet“ Minderjährige, die ohne Eltern in das Gebiet der Bundesrepublik einreisen oder nach der Einreise von ihnen getrennt werden (vgl. Schmeglitz 2014, S. 14). Diese Qualifikationsrichtlinie definiert in Artikel 21 einen unbegleiteten Minderjährigen als

 

[...] einen Minderjährigen, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Gesetz oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaates verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates dort ohne Begleitung zurückgelassen werden (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011).

 

Als „minderjährig“ gilt gemäß den zivilrechtlichen Vorgaben des deutschen Rechts jede Person unter 18 Jahren, denn nach § 2 BGB tritt die Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Die Altersgrenze der Volljährigkeit in Deutschland korrespondiert auf internationaler Ebene mit der Altersgrenze der UN-Kinderrechtskonvention (vgl. Jordan 2000, S. 59). Nach der Definition der UN-Kinderrechtskonvention[1] ist ein Kind jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt (Art. 1 UN-KRK).

 

Der Begriff des „Flüchtlings“ ist durch das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, die sogenannte Genfer Flüchtlingskonvention[2] (GFK), determiniert. Nach Art. 1A Nr. 2 GFK ist ein Flüchtling eine Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen ihrer Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will. Allerdings ist bei der Einreise oft nicht erwiesen, ob es sich um einen anerkannten Flüchtling im Sinne der GFK handelt oder nicht. Daher wird im Bundesfamilienministerium seit kurzem nicht mehr von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gesprochen, sondern von unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen (umA) (vgl. Espenhorst 2016, S. 28). Der Begriff Ausländer/innen unterschlägt jedoch die tatsächlichen Bedrohungen im Herkunftsland und die Fluchterfahrungen (vgl. ebd.). Daher wird im Folgenden nicht von Ausländer/innen, sondern von Flüchtlingen gesprochen. Dabei ist die Verwendung des Begriffs „Flüchtling“ in der folgenden Arbeit nicht im engeren rechtlichen Sinne zu verstehen, wonach ein Flüchtling diesen Status nach dem erfolgreichen Durchlaufen eines Anerkennungsverfahrens gemäß der GFK erhalten hat. In diesem Kontext soll als „Flüchtling“ auch jede minderjährige Person angesehen werden, die den Status eines anerkennenden Flüchtlings oder eine andere Form des humanitären Aufenthalts in Deutschland bisher lediglich anstrebt[3]. Der Begriff „Flüchtling“ bezieht sich im folgenden Kontext von umF daher in erster Linie auf unbegleitete Minderjährige, die in Deutschland Schutz suchen. Gleichzeitig schließt er aber auch jene mit ein, die nach dem Durchlaufen des Asylverfahrens in Deutschland den Status eines anerkannten Flüchtlings erhalten haben (vgl. Schmeglitz 2014, S. 17 f.).

 

Generell bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Kategorie „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ an sich. Wichtig ist es, dabei zu erkennen, dass die Schaffung und Nutzung einer Kategorie bestimmte Folgen für das Leben derer hat, die durch den Begriff zu einer Gruppe werden (vgl. Noske 2012, S. 31).

 

3.2 Aktuelle Zahlen


 

In den letzten Jahren ist die Zahl der umF in Deutschland in der Kinder- und Jugendhilfe stark angestiegen. Während sich 2014 ca. 18.000 umF und junge Heranwachsende in den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe befanden, waren es 2015 insgesamt 65.000 umF. Davon sind allerdings nicht alle im Jahr 2015 eingereist, sondern auch in den Jahren davor (vgl. BT-Dr 18/7470, S. 27). Im Jahr 2009 nahmen die Jugendämter 1.949 umF in Obhut, während es 2014 bereits 11.642 umF waren (vgl. BAMF 2016, S. 1). Ungefähr 86 Prozent der umF sind männlich, wobei der weibliche Anteil bei einigen Herkunftsländern, wie zum Beispiel Äthiopien (über 40 Prozent) oder Nigeria (ca. 35 Prozent) signifikant höher ist (vgl. Trenczek/Behlert 2016, S. 53).

 

 

Abbildung 1: Entwicklung der Asylanträge und Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen von 2009-2016[4]

 

Quelle: BAMF 2016, S. 1

 

In der Übersicht wird deutlich, dass die Anzahl der minderjährigen Asylantragsteller/innen in Deutschland ebenfalls angestiegen ist. Im Jahr 2009 beantragten 1.304 umF Asyl in Deutschland, 2014 waren es bereits 4.398 umF und 2015 waren es sogar 14.439 umF (vgl. BAMF 2016, S. 1) Bis zum 31.10.2016 beantragten 32.464 umF Asyl in Deutschland (vgl. ebd.). Werden die Zahlen der Inobhutnahme mit der Anzahl der gestellten Asylanträge von umF verglichen, wird deutlich, dass ein relevanter Anteil auf einen Asylantrag verzichtet und einen anderen aufenthaltsrechtlichen Weg[5] in Anspruch nimmt (vgl. ebd.).

 

 

Abbildung 2: Asylanträge unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge im ersten Halbjahr 2016

 

Quelle: BT-Dr 18/9136, S. 4

 

Die meisten umF, die einen Asylantrag im ersten Halbjahr 2016 gestellt haben, kamen aus Afghanistan (7.509), Syrien (6.144) und dem Irak (1.415) (vgl. BT-Dr 18/9136, S. 4).

 

3.3 Fluchtmotive


 

Um die Fluchtmotive zu beschreiben, die Menschen dazu veranlassen ihre Heimat zu verlassen, wird in den Migrationstheorien zwischen sogenannten Push- und Pullfaktoren (vgl. Jordan 2000, S. 15) oder auch Schub- und Sogfaktoren (vgl. Ehring 2011, S. 8) unterschieden. Während zu den Schubfaktoren Umstände wie Krieg, Armut und politische Verfolgung zählen, werden unter Sogfaktoren die Wünsche und Hoffnungen von Wohlstand verstanden, die mit der Migration in ein anderes Land verbunden sind (vgl. ebd.). Migrationsforscher/innen gehen aber davon aus, dass mehrheitlich Schubfaktoren zu den Fluchtmotiven zählen. In der Regel verstärken sich diese aber gegenseitig und sind nicht monokausal (vgl. ebd.). Das heißt, dass bei einer Flucht meist mehrere zusammen auftretende Faktoren und Motive wirken. Im Folgenden werden einige dieser Fluchtmotive näher erläutert, dabei wird vor allem auf die kinderspezifischen Fluchtursachen eingegangen.

 

Viele Fluchtmotive von Erwachsenen treffen auch auf Kinder und Jugendliche zu. Jordan (2000, S. 22f.) beschreibt aber auch eine Reihe von kinderspezifischen Fluchtursachen. Hierzu zählt die Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg, insbesondere die Zwangsrekrutierung als Kindersoldat. In vielen Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten stellt der Militärdienst für viele Kinder und Jugendliche ein großes Problem dar. Entweder werden sie regulär eingezogen oder zum Kriegsdienst gezwungen (vgl. ebd.).

 

Kinder und Jugendliche fliehen vor politischer, ethnischer, rassistischer und religiöser Verfolgung. Die politische Verfolgung der Eltern kann dabei auch zur Verfolgung der Kinder führen. Für die Kinder besteht dann eine große Gefahr, selbst als Geiseln festgehalten oder gefoltert zu werden (vgl. ebd.).

 

Mangelnde Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten können ebenfalls eine Fluchtursache Minderjähriger sein. Vor allem Jugendliche treffen manchmal bewusst die Entscheidung, ohne ihre Verwandten aus dem Heimatland zu fliehen. Da viele Minderjährige erleben mussten, wie ihre Familie durch wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit zerbrochen ist, suchen sie nach einer besseren Zukunftsperspektive in einem anderen Land (vgl. ebd.).

 

Ein weiteres Motiv, das zunehmend Bedeutung findet, ist die Flucht aus geschlechtsspezifischen Aspekten, so Angenendt (2000, S. 32f.). Sie betreffen vor allem Mädchen und Frauen, aber auch männliche Heranwachsende können davon betroffen sein. Darunter zählt die Furcht vor sexueller Gewalt und geschlechtsspezifischer Verfolgung. Zu nennen sind hier vor allem soziale und kulturelle Praktiken, wie zum Beispiel die Genitalverstümmelung. Die...

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