Bei uns zu Hause
Es war heiß und mein Bruder beschloss: „Heute fahren wir zum Baden." Elisabeth, die älteste von uns Kindern, wir nannten sie Lilibeth, wollte auch mit an den Baggersee. Lena war noch zu klein, sie blieb also bei Mama.
Mein Bruder Heinz und Lilibeth holten ihre Fahrräder aus dem hintersten Winkel der Tenne. Im gleichen Haus wohnte noch eine Familie. Die beiden Kinder, ein Mädchen, so groß wie Lilibeth, und ein Jungen, ungefähr so alt wie mein Bruder, gesellten sich zu uns und wir fuhren alle zusammen los. Ich musste bei meinem Bruder auf dem Schutzblech sitzen - einen Gepäckträger hatte sein Fahrrad nicht.
Mama rief uns nach: „Wenn es Fliegeralarm gibt, kommt bitte sofort heim.“ Alarm gab es nicht und wir haben herrlich gespielt. Genau genommen habe ich allein gespielt, die anderen konnten ja schwimmen. Ich planschte am Rande des Baggersees und manchmal kamen die Großen, um mich nass zu spritzen.
„Clärchen, das nächste Mal zeige ich dir wie man schwimmt", versprach mein Bruder. Damit meinte er mich. Aber es gab kein nächstes Mal.
Auf der Heimfahrt musste ich wieder aufs Schutzblech, ob es mir gefiel oder nicht. Heinz drohte: „Wenn du nicht aufsteigst, dann musst du ganz allein heim laufen." Also stieg ich auf und wir kamen alle unversehrt zu Hause an.
Mama hatte das Abendessen fertig. Danach durften wir auf die Dehle zum Spielen. Wir nannten die Tenne „Dehle" und es ließ sich dort toll spielen. Hier spielten wir immer abends oder bei schlechtem Wetter.
Bevor wir ins Bett gingen musste mein Bruder noch alle Fenster verdunkeln, wegen der Tiefflieger, die oft bei Nacht über die Häuser jagten.
Mama war Schneiderin. Wenn sie Aufträge hatte dann nähte sie manchmal die ganze Nacht.
Papa war im Krieg und Mama erzählte uns: „Er liegt im Lazarett, aber Weihnachten kommt er ganz bestimmt."
Ich freute mich schon auf Weihnachten, hatte aber keine Ahnung, wann und was das war.
Die Großen gingen in die Schule und die Kleine spielte bei Mama in der Küche und weil es in meinem Alter kein weiteres Kind in der Nähe gab, spielte ich meistens allein. Mama legte großen Wert darauf, dass ich viel draußen spielte, so störte ich sie nicht laufend beim Nähen. Dort spielte ich für mein Leben gern im Hühnerhof. Ich jagte die Hühner durch den Stall und freute mich, dass sie Angst vor mir hatten.
Im Hühnerhof entdeckte ich dann ein Fenster. Leise schlich ich mich an die Fensterscheibe und schaute direkt in unsere Küche. Ich traute meinen Augen nicht: Mama holte gerade aus dem Backofen einen Kuchen und stellte ihn auf den Tisch.
Nach einer Weile wollte ich noch einen Blick auf den Kuchen werfen, aber er war nicht mehr da. Heinz kam aus der Schule und ich erzählte ihm was ich entdeckt hatte.
„Wenn das wahr ist, dann kommt Papa", behauptete er und nahm mich mit ins Haus. In der Küche angekommen fragte ich sofort: „Mama ist morgen Weihnachten?" „Im Winter ist Weihnachten", antwortete Mama, "jetzt geht hinaus zum Spielen, ich habe noch viel Arbeit." Mit Lena gingen wir hinaus und spielten im Sand.
Als wir morgens aufstanden richtete Papa unser Frühstück. Das war eine Überraschung! Er freute sich als er uns sah und nahm uns alle in den Arm. An der rechten Hand hatte er einen Verband. Ich fragte: "Was ist das?" Er sagte nur: „Da bin ich angeschossen worden, aber es ist bald wieder gut." „Tut das denn weh?" fragte ich schüchtern. Mein Vater schüttelte verneinend den Kopf.
Papa war da, und Heinz und Elisabeth hatten Ferien. Ach war das ein schöner Sommer, jetzt hatte immer einer für mich Zeit. Papa war immer ansprechbar. Wenn ich zwischen durch mal Hunger hatte, machte er mir ein Brot und er schnitt es einmal durch, ich sagte dann zu ihm: „Ich will aber srei." Drei konnte ich noch nicht sagen, aber Papa verstand mich. Er schnitt eine Hälfte noch einmal durch, da waren es drei und ich war zufrieden.
Papa besserte den Zaun vom Hühnerhof aus, und ich sah ihm dabei zu. Ich fing an, Fragen zu stellen. Er wurde nicht müde zu antworten. „Warum kriegen unsere Hühner keine Kinder?" fing ich meine Fragestunde an. „Weil wir keinen Hahn haben." kam die Antwort. „Alle Kinder haben einen Vater, und die Küken brauchen auch einen Vater - und das ist der Hahn."
„Warum haben wir keinen Hahn?" war meine nächste Frage. Mein Vater wurde nachdenklich und sagte zu mir: „Ach Clärchen, du kannst ´ner Kuh ein Kalb abfragen." Das verstand ich nicht. Ich sah, wie er in den Stall ging und mit einigen Eiern zurückkam. Es waren mehr als fünf, denn bis fünf konnte ich schon zählen.
Nun sollte Heinz mit einem kleinen Korb und den Eiern zum Bauern gehen, um die Eier umzutauschen. Der Bauer hatte nämlich einen Hahn. Papa hatte gesehen, dass eines unserer Hühner ständig im Nest saß. Das wäre jetzt ein günstiger Augenblick, um dem Huhn die befruchteten Eier unter zu legen. Dann würden wir auch Küken bekommen. "Ich habe aber keine Lust", nörgelte Heinz. Weil Papa jedoch darauf bestand, ging er knurrend die Straße hinauf. Mein Vater schaute ihm nach, bis die Straße eine Biegung machte und er ihn nicht mehr sehen konnte.
Er ging dann wieder an den Zaun und ich stellte weiterhin Fragen was das Zeug hielt. Nun musste er sich wohl von mir erholen und ging die Böschung hinauf an die Straße, um nach Heinz Ausschau zu halten. „Was macht er denn da?" hörte ich Papa entsetzt rufen und eilte zu ihm an die Straße. Er hielt sich die Hand über die Augen, um besser gegen die Sonne schauen zu können. Ich machte es ihm nach. Heinz lief auf der Straße hin und her und spielte Ball mit den Eiern. Er warf die Eier in die Luft und versuchte sie zu fangen. Aber dies gelang ihm nicht, sie fielen immer auf die Straße. Dann kickte er mit dem Fuß die Eierschalen in den Graben.
Als er endlich zu Hause ankam, war kein einziges Ei mehr im Korb. Unser Vater kochte vor Wut und deshalb kassierte Heinz eine schallende Ohrfeige. Dieser log: „Der Bauer hat mir keine Eier gegeben." Wir wussten jedoch was passiert war, und fürs Lügen gab's auf die andere Seite auch noch eine Ohrfeige. Ich lachte schadenfroh und Heinz drohte, nie wieder mit mir zu spielen. Mir verging das Lachen und Papa dachte nach.
Er ging in die Küche und holte bei Mama ein Ei. Als er wieder im Hof war nahm er das Ei, warf es in die Luft und fing es auf. Dann sollte Heinz das Ei hochwerfen und auffangen. Er sagte: „Und dann kriege ich wieder eine Backpfeife?" „Nein“, antwortete Papa "ich will einen Test machen." Heinz warf das Ei in die Luft und griff wieder daneben.
Mama kam dazu und schimpfte: „Wir haben so schlechte Zeiten und ihr spielt mit Eiern! Mit Lebensmitteln spielt man nicht!" Wir Kinder schämten uns, aber Papa besänftigte Mama und erklärte: „Heinz sieht ganz schlecht, du solltest unbedingt mit ihm zum Augenarzt gehen." Sie stimmte zu und verschwand wieder in die Küche. Wir gaben jetzt unseren Wunsch auf kleine Küken auf.
Plötzlich war die schöne Zeit vorbei. Genauso wie Papa gekommen war, verschwand er auch wieder. Morgens stand nicht Papa in der Küche, sondern Mama, die Frühstück machte. Lilibeth weinte. „Ist Papa wieder in den Krieg?" Mama nickte.
Der Sommer ging vorbei, und Mama arbeite unentwegt. Das Gemüse im Garten musste geerntet werden, und dann stand Mama am Herd in der Dehle und kochte ein. Ich spielte mit Lena wenn die Großen in der Schule waren.
An dem großen Herd in der Dehle wurde auch gewaschen. Mama hatte immer viel Wäsche von uns Kindern, besonders von mir. Ich vergaß beim Spielen immer aufs Klo zugehen. Mama hatte aufgehört mich zu schimpfen. Sie war inzwischen schon froh, wenn ich das Bett nicht nass machte. Immer wieder versprach ich Mama nicht mehr in die Hose zu pinkeln, aber das fiel mir immer erst dann ein, wenn die Hose schon nass war.
Heinz und Lilibeth, pflückten nach der Schule Äpfel und Birnen. Heinz stieg dazu auf die Leiter, und Lilibeth hatte einen Apfelpflücker. Die guten Äpfel kamen in ein großes Regal und die nicht so schönen wurde Apfelmus eingekocht. Mama und Lilibeth schälten jeden Nachmittag Äpfel, dann spielten wir mit Heinz.
Es wurde zunehmend kälter und bald fing es an zu schneien. Wir spielten jetzt oft im Haus und Heinz versuchte mit mir Karten zu spielen, das war mir zu kompliziert, also spielten wir mit Knöpfen, wovon Mama ja genügend hatte.
In unserem Herd in der Küche brannte jetzt immer ein Feuer und wir hatten es schön warm. Als der erste Schnee fiel, erzählte mir Lilibeth Geschichten vom Christkind und vom Nikolaus. Mama mischte sich ein und sagte: „Das Christkind kommt nur zu braven Kindern!"
Viel sprach Mama ja nicht, aber wir umso mehr. Heinz wusste, dass Mama aus Holland kam und der Opa jedes Jahr einmal aus Holland anreiste, wenn Mama Geburtstag hatte.
Neugierig wie ich war, erkundigte ich mich: "Wann kommt Opa, gibt es dann Kuchen? „Er kommt, wenn ich Geburtstag habe“, sagte Mama“, und vorher kommt der Klapperstorch und bringt uns ein Baby." Heinz und Lilibeth freuten sich darüber.
Wir machten eine Schneeballschlacht. Mit...