Neue Väter hat das Land
Warum ich dieses Buch geschrieben habe
Natürlich bin auch ich eine Betroffene. Vielleicht sollte ich besser Nutzniesserin sagen. Ganz sicher aber bin ich Anhängerin einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung zwischen den beiden Menschen, die miteinander ein Kind auf die Welt stellen. Meinem Mann (siehe Seite 189) und mir war klar, dass wir halbe-halbe machen würden. 1990, als unser Sohn zur Welt kam, waren wir 36 beziehungsweise 37 Jahre alt. Es war einer der besten Entscheide in meinem Leben, ein Kind zu bekommen, und es war grossartig, beides zu haben: eine Familie, aber auch meinen Beruf. Es fühlte sich gut an, auf zwei Hochzeiten zu tanzen, Erfahrungen in zwei Welten zu machen, die nicht unterschiedlicher sein können. Ich genoss die Abwechslung und holte mir am einen Ort Inspirationen für den anderen.
Ein einziges Mal nur zweifelte ich an unserem Modell. Unser Sohn Yannick (siehe Seite 206) ging in die dritte Primarklasse und schlug sich ständig mit einem Klassenkameraden. Ich war sehr besorgt und fragte mich, woran ich – nicht der Vater, der leistete ja weit mehr als das Soll – es in der Betreuung wohl hatte fehlen lassen. War ich eine Rabenmutter? Hatte ich ein kleines Monster herangezogen, das mangels mütterlicher Präsenz aus dem Ruder lief? Ein Gespräch mit der Lehrerin brachte Entwarnung. Sie habe volles Verständnis für Yannick. Er wehre sich bloss gegen den Kollegen, ja er lasse dessen Provokationen sogar erstaunlich lange über sich ergehen, bis er reagiere. Uff!
Über meine persönlichen Erfahrungen hinaus gewann ich in all diesen Jahren auch auf beruflichem Weg Erkenntnisse, die mich prägten. Seit dem Jahr 2000 leiten mein Mann und ich ein Seminar für kantonale und städtische Angestellte: »Väter im Spannungsfeld von Beruf und Familie«. Dort haben wir mehr als 150 Männer kennen gelernt, Polizisten, Hauswarte, Bezirksanwälte, Controller und Gärtner, die mit verblüffender Offenheit über ihre private und berufliche Situation geredet und uns Einblick in die Wünsche und Nöte von Männern gewährt haben, die sich ernsthaft mit ihrer Vaterschaft auseinandersetzen. Unvergesslich ist mir jener Kadermann, der mit gnadenloser Brutalität das Verhältnis zu seinem Sohn beschrieb, um den er sich fünfzehn Jahre lang kaum gekümmert hatte. Das Einzige, was er höre, sei: »Vater, Geld!« Gott sei Dank habe er in einer zweiten Ehe eine zweite Chance bekommen und versuche nun, seiner kleinen Tochter mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Im Seminarraum war es totenstill.
Den Ausschlag, dieses Buch zu schreiben, gab letztlich die anhaltende Debatte über die Gleichstellung von Frau und Mann, die mir je länger, je unergiebiger vorkommt. Dürfen Frauen nicht an Firmenspitzen, weil sich die Männer querstellen? Wollen Frauen womöglich gar nicht die Hälfte des Kuchens, oder liegt die Lösung in der Quote? Zwingt die Biologie das weibliche Geschlecht an den Herd? Sind Väter für die Kinderbetreuung überhaupt geeignet? Braucht es mehr Krippenplätze, oder würde eine »richtige Mutter« ihr Kind niemals einem Hort ausliefern, den »Weltwoche«-Chefredaktor Roger Köppel in seiner Kindheit als »Lagerhaft, Verbannung, Exil« wahrgenommen hat, wie er in einem Editorial schreibt? Sind Väter und Mütter nicht sowieso selber schuld, dass sie Kinder auf die Welt gestellt haben, und sollen mit den Problemen, die sich daraus ergeben, nun auch selber fertigwerden? Oder ist ihre Forderung nach staatlicher Unterstützung von Krippenplätzen berechtigt?
Im Vorfeld zur Abstimmung über den Familienartikel, der dank knappem Ständemehr verworfen wurde, bildeten sich unheilige Allianzen. Ideologische Grabenkämpfe beherrschten die Szene. Dabei ist unbestritten, dass es Krippenplätze braucht, dass viele nicht gut genug sind und vor allem zu teuer. So teuer nämlich, dass sie das Teilzeit-Einkommen einer erwerbswilligen Mutter wegfressen und sich die Frage stellt, ob sich die Berufstätigkeit der Frau unter diesen Umständen lohnt.
Die Debatte läuft heiss, und es braucht oft nur einen Funken, um einen Brand zu entfachen. Als die Managerin Jasmin Staiblin 2009 bei ABB Schweiz und 2013 beim Energiekonzern Alpiq den ihr zustehenden Mutterschaftsurlaub beanspruchte, wurde ihr Verantwortungsgefühl für die Firma infrage gestellt. Als im umgekehrten Fall die erste »Blick«-Chefredaktorin Andrea Bleicher sagte, ihre Karriere gehe der Betreuung ihrer beiden Kinder vor, die beim Vater leben, wurde ihr Verantwortungsgefühl als Mutter angezweifelt. Frauen stehen so oder so vor einem Dilemma.
Väter hingegen geniessen Artenschutz. Im Vorfeld zu den Regierungsratswahlen in Basel erklärte der FDP-Kandidat Baschi Dürr, er gedenke, auch im Fall seiner Wahl einen halben Tag pro Woche seine Pflichten als Hausmann und Vater wahrzunehmen. »Beeindruckend! Ein neuer Mann!«, lautete der Tenor. Die Aussage sicherte ihm die Aufmerksamkeit der Medien, aber auch den Ärger von Eva Herzog, der langjährigen Finanzdirektorin der SP und selber auch Mutter, die zu Recht erklärte, hätte sie als Frau eine solche Ankündigung gemacht, hätte es geheissen: »Ein solches Amt und kleine Kinder – es geht eben doch nicht!«
Die Rollenkonfusion ist nach wie vor gross. Kürzlich landete ein Dossier zu Mobilität in meinem Briefkasten, in dem Männer über den öffentlichen Verkehr, Elektrofahrzeuge und Mobilitätskonzepte referieren. Die einzige Frau im Blatt rückte in einem Artikel das Velo ins rechte Licht. Andererseits hatten bis vor kurzem die Frauen im Bundesrat die Mehrheit. Im Kontrast dazu laufen junge Frauen am Samstagabend im »Nutten-Look« auf Stöckelschuhen herum und halten das für ein Zeichen ihrer Emanzipiertheit. Bei der Recherche zu diesem Buch sind mir junge, gut qualifizierte Frauen begegnet, die sich ein Gewissen machen, wenn sie ihren Mann darum bitten, nachts auch einmal das weinende Baby aufzunehmen. Andere bekommen Zustände bei der Frage, ob sie sich vorübergehend auch einen Hausmann an ihrer Seite vorstellen könnten. Ein Mann ohne eigenes Einkommen? No way, den könnten sie nicht respektieren! Und eine Frau? Das sei etwas anderes.
Vielen Frauen wird nach wie vor die alleinige Verantwortung für die Kinder zugemutet. Das ist kein Adelsprädikat, sondern das Abschieben von Arbeit, die fast alle Menschen eines Tages an den Rand bringt, weil sie einen körperlich auslaugt und intellektuell unbefriedigt lässt. Dass Männer für diesen Dienst immer noch nicht vorgesehen sind, zeigt sich auch bei der heftig umstrittenen Frage, ob es männliche Kita-Mitarbeiter geben soll. Die Befürchtung, dass sich für solche Stellen sowieso keine normalen Männer, sondern nur Pädophile melden, deutet auf ein Denkmuster hin, das wenig mit der Realität, aber viel mit einem überkommenen Rollenverständnis zu tun hat.
Dabei wäre es höchste Zeit, dass sich die Männer ihrer Verantwortung innerhalb der Familie bewusst werden und mitziehen. Das würde der Gleichstellung endlich Schub verleihen, Frauen die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern ermöglichen oder mindestens erleichtern, aber auch Männerund Kinderleben um viele Farbtöne reicher machen. Das Resultat wären neue, anregende Männer- und Väterbilder.
Für diese Porträtsammlung habe ich Männer getroffen, die ihre Väterrolle auf überraschende und erfinderische, zum Teil auch bestechend pragmatische und vernünftige, vielfach ganz unspektakuläre Art ausfüllen. Die meisten arbeiten Teilzeit, einige sind vorübergehend als Hausmann tätig, auch Freiberufler mit schwer zu beziffernden Pensen sind darunter. Sie stammen aus Dörfern und Städten, arbeiten als Bäcker, Landwirt, Chauffeur, Journalist, Psychoanalytiker, Unternehmensberater, Jurist, Flight-Attendant und vieles mehr. Die Gespräche mit ihnen, ihren Frauen und Kindern waren sehr persönlich und haben mir Einblick in Welten eröffnet, die ich nicht kannte.
Der Landwirt und Güggeli-Pilot Urs Wenger hat mich beeindruckt mit seinem Pragmatismus, der ihn frei von ideologischen Schranken im Familienalltag handeln lässt. Der Lehrer und Diplomatinnengatte Alexander Weber und seine Frau zogen mit ihren drei Töchtern gerade von Skopje nach New York um; ich traf die Familie in ihrem alten Haus im winterlichen, sturmgepeitschten Biel. Der Zürcher Satiriker und Psychoanalytiker Peter Schneider hat mein Büro mit seinen Zigarren und Zigarillos verpestet, mir aus Freude über die Erlaubnis zum Rauchen aber auch einen halben Tag Interview-Zeit eingeräumt. Der Luzerner Bildungsberater Hans-Kaspar von Matt hatte Lust, seinen Text selber zu schreiben, und ergänzt das Buch damit um eine zusätzliche Facette. Ebenso wie René Staubli, mein Mann, der seine »Reise durchs Vaterland« beschreibt.
Lasse ich die dreizehn Kapitel Revue passieren, fällt mir neben der Vielfalt eine Gemeinsamkeit auf, die ich so nicht erwartet und an die ich im Vorfeld gar nicht gedacht hatte: Fast alle Porträtierten leben in...