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E-Book

Und führe uns in der Versuchung

Vom Umgang mit den eigenen Abgründen

AutorFranz-Josef Bode
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783451339288
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die sieben großen Versuchungen, denen jeder Mensch früher oder später begegnet, zeigen Beharrungsvermögen, auch wenn die Erscheinungsformen sich mit der Zeit geändert haben. Der innere Schweinehund ist heute nicht weniger träge als früher. Ihn zu überwinden, macht das Leben menschlicher - für einen selbst und für die - Zeitgenossen. Franz-Josef Bode nimmt die Leser mit auf eine nachdenkliche Tour mit geistlichen Impulsen für ein befreiteres Leben.

Dr. Franz-Josef Bodeist seit 1995 Bischof von Osnabrück, Er ist Mitglied des ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz und u. a. Vorsitzender der Pastoralkommission in der Deutschen Bischofskonferenz. Er nahm 2015 an der Ordentlichen Bischofssynode in Rom teil.

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Leseprobe

1. Kapitel

Superbia: Überheblichkeit und Stolz


»WER SICH ALSO RÜHMEN WILL, DER RÜHME SICH DES HERRN«

 

Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn; so heißt es schon in der Schrift.

1 Kor 1,27  31

 

Größer, weiter, schneller: Alle und alles streben heute nach Überbietungen des Alten und nach Superlativen, die noch nie da waren. Das führt zu einem Zwang, ständig im Vergleich mit anderen zu leben. Kann ich selbst wohl immer noch ein bisschen besser, ein bisschen stärker, ein bisschen weiter und höher sein? Wachstum ist auch das zentrale Stichwort der Wirtschaft. Wo ich es nicht erreiche, gedeihen Neid und Missgunst. Wo ich meine, es erreicht zu haben, führt das oft zu Hochmut und Stolz. Schließlich bin, kann und habe ich mehr als andere und kann auf sie herabschauen. Nicht von ungefähr sind die Tiere, die das Mittelalter mit dieser Eigenschaft verbindet, der Löwe, der immer der Stärkere sein will, der Adler, der immer höher hinaus will, oder der Pfau in seiner Eitelkeit.

Dabei geht es gar nicht so sehr um die äußere, auffällige Prahlerei oder das Protzgehabe, sondern um die tausend verborgenen und feinen Formen, den anderen spüren zu lassen, dass ich besser bin; ihn spüren zu lassen, dass er kleiner ist, dass er auf mich angewiesen ist, dass er mir doch dankbar sein muss, dass letztlich ohne mich nichts geht.

Diese Haltung steht an der ersten Stelle unserer Siebenerreihe, denn sie kommt der ersten, der Ur-Versuchung des Menschen am nächsten: sein zu wollen wie Gott. Nicht nur Abbild oder Ebenbild von ihm, sondern selbst der zu sein, der Gott und das Geschaffensein nicht mehr nötig hat, die Abhängigkeit vom Größeren. Ihm ist Gott eher eine Last, ein Konkurrent, ein Missgönner als der Halt, Freund und Orientierer des Lebens. Deshalb erscheinen ihm auch die anderen Menschen eher als Last, als Konkurrenten, als Störenfriede der eigenen Freiheit.

Dem entspricht der Wille, über andere verfügen zu wollen, sie kleinzuhalten und ihre Leistungen kleinzureden, ihre Fehler herauszustellen, um selbst umso besser dazustehen; die Schwächen der anderen auszunutzen, um selbst stärker zu sein oder zu erscheinen. Gerade Menschen mit hoher innerer Unsicherheit und mangelnder Identität brauchen oft die Superbia, das Super-sein-Wollen und Sich-super-Geben, um vor sich und anderen bestehen zu können.

Der Mensch, der die ›Religio‹, die Rück-bindung, verloren hat, verliert die Fähigkeit, sich selbst zu relativieren, sich zurückzunehmen, und macht letztlich sein eigenes Selbst, sein Ich zum Götzen. Auch der Humor, mit dem man sich selbst nicht so wichtig nimmt oder sich selbst auf die Schippe nehmen kann, ist ihm fremd, ja unerträglich.

Wer Gott nicht immer größer sein lassen kann, ihn nicht an der ersten Stelle ertragen kann, hält sich schnell selbst für den Größten – die Tyrannen der Weltgeschichte ebenso wie die kleinen Tyrannen des Alltags, die sich über andere erheben, weil sie ihre eigenen Grenzen nicht annehmen können. Dafür gibt es sehr verborgene, sehr subtile Formen. Selbst die Wohltätigkeit kann dazu gehören, die den anderen gefügig oder dankbar machen will, die ihn zu binden sucht für eigene Zwecke.

Freilich soll der Mensch darauf aus sein, aus seinen Talenten und Gaben möglichst viel zu machen (vgl. Mt 25,14  30) und nie mit sich und anderen, mit der Welt und erst recht nicht mit Gott einfach ›fertig‹ zu sein. Ein Mensch, der keine Ziele, kein ›weiter‹, kein ›höher‹, kein ›besser‹ in diesem Sinn mehr für sich kennt, ist nicht mehr wirklich lebendig. Aber bei der Superbia geht es um ein ›weiter‹, ›höher‹ und ›besser‹ auf Kosten anderer und nicht für andere. Letztlich geht es um ein ›weiter‹, ›höher‹ und ›besser‹ auf Kosten Gottes.

Die Urgeschichte dieser Überheblichkeit spielt in Babel. Die Menschen wollen in ihrer Vermessenheit einen Turm bauen, dessen Spitze den Himmel erreicht (Gen 11,1  9). Wenn Gott diesem Stolz durch die Sprachverwirrung ein Ende setzt, so mag das auf den ersten Blick wie ein Willkürakt anmuten, um die Menschen klein zu halten. Doch darum geht es nicht. Vielmehr bewahrt Gott die Menschheit durch sein Eingreifen davor, ihre eigenen Möglichkeiten, ihre Freiheit einzusetzen zur eigenen Selbstzerstörung und zur Zerstörung der Welt.

Unsere heutige Diskussion um bioethische Fragen, um Fragen um den Anfang und das Ende des Lebens oder um den Einsatz der technischen Möglichkeiten etwa in der Energiegewinnung zeigt, wie positive Forschung durch Vermessenheit und Überheblichkeit, durch ein Machen ohne Religio, ohne Rück-bindung, die Zukunft des Menschen und der Welt zerstören kann, statt sie aufzubauen. Sie zeigt, wie Lebenswissenschaften, wenn sie sich nicht selbst begrenzen und ihr Maß finden, sich am Ende mehr gegen das Leben wenden können, als es zu erhalten.

In einem ganz anderen Zusammenhang – und dafür gibt es auch in der Geschichte des Christentums Beispiele – ist der Missbrauch von Religion, der Missbrauch des Namens Gottes zur terroristischen Bekämpfung der »Feinde des Höchsten« eine Art von Superbia. Sie setzt sich selbst an die Stelle Gottes, indem sie den eigenen Willen zur Macht als Gottes Willen ausgibt. Dann wird es immer gefährlich.

Jesus macht uns darauf aufmerksam, dass diese Grundhaltungen dem Herzen des Menschen entspringen, dass sie im Kleinen beginnen und aus kleiner Saat große Wirkung zeitigen (vgl. Mk 7). Nicht nur das Reich Gottes wächst wie aus dem Senfkorn zu einem Baum (Mk 30 ff.), auch das Reich des Bösen kennt einen Ursprung in den Gedanken der Menschen. Die ganze Bergpredigt zeugt davon, wie sehr Jesus nicht nur die großen sündigen Handlungen des Menschen anspricht, sondern noch mehr dessen Gesinnungen, dessen Haltungen im Innersten. Wenn man nur auf die Handlung schaut, kann man oft schnell mit dem Finger auf andere zeigen: Was die alle tun, das tu ich ja nicht. Aber im Kleinen, in meiner Seele, in meinem Herzen, wie sieht es da aus?

Ein Sprichwort sagt: »Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.« Damit ist nichts anderes gemeint, als dass die völlig falsche Selbsteinschätzung, die völlig falsche Wahrnehmung der eigenen Begrenztheit die eigentliche Torheit des Menschen ist, die sich in der Überheblichkeit, der Superbia, ausdrückt (vgl. u. a. das Gleichnis vom reichen Kornbauern in Lk 18,16  21).

Auch in unseren Gemeinden und in unserer Kirche gibt es verschiedene Formen dieses Hochmuts, dessen Gegenstück die Demut ist: ob im gegenseitigen Ausspielen von Gemeinden in pastoralen Verbünden; ob im Kräftemessen der einzelnen Dienste in einer Gemeinde zwischen Priestern und pastoralen Mitarbeitern, Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen; ob im Zusammenleben geistlicher Gemeinschaften und Orden, in denen die Ausübung von Macht in ihren verschiedenen Formen eine große Rolle spielt – zuweilen auch unter dem Deckmantel der Demut –; ob im klerikalen Gehabe besserwisserischer Religionsdiener oder in engstirnigen Moral- und Liturgievorschriften, bei denen der Sabbat nicht mehr für den Menschen da ist, sondern der Mensch für den Sabbat (vgl. Mk 2,27); ob im Gespräch mit anderen christlichen Konfessionen in der Ökumene oder im Umgang und Dialog mit anderen Religionen, wo es an der nötigen Demut fehlt im Hören aufeinander, in der Wertschätzung des anderen, in der Hochachtung vor dessen Suche nach Gott und dessen Leben mit Gott.

Das bedeutet nicht, dass wir von unserem Glauben und unserer katholischen Kirche nicht selbstbewusst überzeugt sein dürften und sollten und dass die Freude an unserem Glauben nicht durch alle Knopflöcher wahrnehmbar sein dürfte. Aber es muss auch die Aufmerksamkeit und die Freude am Reichtum des Christlichen und am Reichtum der Religionen deutlich werden, die uns in der Haltung echt suchender Menschen entgegenkommt.

Jesus hat gegen den Hochmut auf vielfältige Weise tiefe Zeichen gesetzt in einer eindringlichen Grundhaltung der Demut, des Mutes zum Dienen: »Ihr wisst …, dass die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, sei der Diener aller« (vgl. Mk 10,42 f.). In der Fußwaschung und besonders in seiner Hingabe in Brot und Wein hat Jesus die größten Zeichen dieses Lebensstils gesetzt und damit die tiefste Form der Demut, die Erniedrigung am Kreuz, gedeutet: nicht als Scheitern, nicht als Aufgeben, nicht als Verzweiflung, sondern als selbst angenommenen Weg der Erlösung der Welt. Gott wollte die Welt nicht von oben herab durch die Abschaffung des Leides erlösen, sondern von unten, indem er mit-geht und mit-leidet mit den Menschen bis in die tiefsten Abgründe, damit der Mensch auch dort nicht alleingelassen sei. – Das ist sicherlich das tiefste, undurchdringlichste und trotzdem letztlich tröstlichste Geheimnis unseres Glaubens.

Deshalb kommt Paulus sofort zu Beginn seines Ersten Briefes an die Korinther auf die Wirklichkeit des Kreuzes zu sprechen, die jegliche Versuchung zum Hochmut...

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