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E-Book

Und morgen die Welt

Wie ich einen Schicksalsschlag in das größte Abenteuer meines Lebens verwandelte

AutorSamira Mousa
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783959102247
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Einmal rund um den Globus - Mit Multipler Sklerose auf Weltreise Samira Mousa erhält mit Anfang zwanzig die Diagnose Multiple Sklerose. Als Reaktion darauf beschließt sie, ihren Job bei einer Berliner Musikagentur zu kündigen, startet einen erfolgreichen MS-Blog und wandert nach Santiago de Compostela. Berlin, Deutschland, ihr »altes« Leben reichen ihr schon bald nicht mehr. Sie sehnt sich nach Freiheit und Abenteuern, sie möchte leben, und zwar jetzt. Die MS ist ihr Warnschuss und so verabschiedet sie sich vom ewigen »Irgendwann mache ich das noch«, sagt ihrer Heimat Berlin Lebewohl und macht sich trotz aller Warnungen auf zu ihrem bisher größten Abenteuer: eine Reise um die Welt. Doch wird das hart erarbeitete Geld reichen? Was, wenn sich die Krankheit verschlechtert? Was, wenn sie Sicherheit und Festanstellung aufgibt, ihr Leben hinschmeißt, nur um in ein paar Monaten später pleite, gescheitert und krank zurückzukehren? Samira Mousa reist durch Europa, Asien, Amerika und wieder zurück nach Deutschland und lässt ihre Leser teilhaben an ihren Herausforderungen, Freundschaften und ihrem Weg zu sich selbst.

Als bei Samira Mousa vor sechs Jahren Multiple Sklerose diagnostiziert wird, bricht für sie die Welt zusammen. Doch eines wird schnell klar: »Ich will so frei, erfüllt und glücklich leben wie nur möglich - auch mit MS«. Mit dieser Idee im Herzen macht sie sich auf zu einer Reise um die Welt. Sie betreibt nun von überall auf dem Globus ihren Blog »chronisch fabelhaft«, der zu den erfolgreichsten deutschen MS-Blogs gehört.

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Leseprobe

Anjas Anruf


Als ich Stunden später völlig orientierungslos und verwirrt aufwache, habe ich einen Riesenhunger. Ein Blick nach draußen verrät mir, dass der Regen sich mittlerweile gelegt hat. Nun ist der Weg gesprenkelt von großen Pfützen, in denen sich immer wieder für Sekundenbruchteile das Licht der vorbeifahrenden Motorroller und Tuk-Tuks spiegelt. Ich fühle mich klebrig und matt. Auch ein bisschen allein. Aber gut. So, so gut. Da draußen liegt es, das Abenteuer, für das ich so lange gekämpft habe. Für das ich nach der Arbeit noch unzählige Stunden zu Hause am Laptop gesessen, Bücher durchgewälzt, Webseiten durchforstet und mir einen massiven Druck gemacht habe. Dieser löst sich nun – zumindest für einen kleinen Moment. Denn die wahren Herausforderungen, die stehen mir noch bevor. Das weiß ich.

Vorsichtig, um auf den glatten Stufen nicht auszurutschen, schleiche ich ins Bad. Immer noch bin ich komplett allein. Durch das fehlende Internet fühle ich mich wie abgeschottet von der Welt, die da draußen vor den Holzmauern doch so laut und einladend tobt. Ja, ich komme, denke ich und stelle mich unter die Dusche. Der Wasserstrahl, der sich aus ihr ergießt, ist eiskalt wie ein Bergbach. Er küsst meine Haut, meinen Kopf und meinen Geist wach. Hurtig springe ich aus der Dusche und rubbele mich trocken. Ich habe eine Gänsehaut. Ein Blick in den Spiegel. Eine klein gewachsene junge Frau mit einem runden Gesicht sehe ich da. Etwas blass ist sie. Die braunen Haare hängen ihr nass in die Stirn und wirken fast schwarz in dem schummrigen Licht. Die Augen, meine Augen, schauen mich an. Erwartungsvoll. Gespannt. Bereit, sich diese ganze verdammte Stadt, ja dieses ganze verdammte Leben endlich selbst unter den Nagel zu reißen.

Während ich mich anziehe, klopft es unten an der Tür. Ich schlüpfe schnell in das lange, leichte Kleid mit dem schwarz-weißen Muster, das mir für meinen ersten Abend angemessen erscheint, und laufe hinunter, um zu öffnen. Die kleine Rosinendame steht wieder da. Wieder breit lächelnd hält sie mir einen Zettel hin, auf den eine Nachricht gekritzelt wurde. Ich nehme ihn entgegen, und die Frau legt ihre Hände vor der Nase zu einem wai zusammen. Diese typische thailändische Geste wird mir noch oft begegnen. Sie kann vieles bedeuten: einen Gruß, eine Entschuldigung, ein Dankeschön. Je nach Höhe der aneinandergelegten Hände gibt sie auch Auskunft über den sozialen Status der begrüßten Person. Ein wai auf Brusthöhe wird meist verwendet, wenn zwei Menschen sich noch nicht kennen oder wenn das Gegenüber den gleichen sozialen Status innehat wie man selbst. Den wai auf Gesichtshöhe bekommen farangs, wie Ausländer hier genannt werden, oft zu sehen – er wird angewendet, wenn man etwas an einem Marktstand kauft, wenn man Fotos macht, wenn man einfach freundlich und offen ist. Der wai über der Stirn ist Mönchen und Buddhastatuen sowie dem Inneren von Tempeln vorbehalten. Beim Beten lehnen sich die Gläubigen dreimal nach vorn, mit den zusammengelegten Händen über dem Kopf. Die Handflächen werden in der Vorbeuge geöffnet und berühren den Boden. Natürlich weiß ich all das in diesem Moment noch nicht, und so lächle ich die Frau einfach nur vergnügt an und bedanke mich für die Nachricht. Während die Rosinendame zwischen den immer wieder aufblitzenden Pfützen davontrippelt, setze ich mich mit dem Stück Papier an den Tisch in der kleinen Küche im Erdgeschoss. Die Tür lasse ich offen, um den Abendwind, der hier leise weht, und mit ihm die Gerüche und Geräusche von draußen endlich hereinzulassen. Ich lade sie ein, mich abzuholen.

Ich falte den feucht gewordenen Brief auf. Er stammt von Sun, meinem Vermieter, mit dem ich vor meiner Anreise auch schon lockeren Kontakt gepflegt habe. Er scheint sehr nett zu sein und spricht passables Englisch. »Sorry Samira, dass ich hier nicht so sein konnte als du angekommen«, steht da. »Ich arbeiten. Morgen wenn willst du ich kommen und ich zeigen dir alles. Mit Internet gerade kaputt aber ich machen gut. Morgen. Dein Sun.«

Nachdem ich die Nachricht gelesen habe, hole ich meinen kleinen Rucksack und trete damit hinaus. Ich habe seit Stunden nichts gegessen und spüre neben dem Drang nach Nahrung auch das Verlangen, endlich zu sehen, wo ich hier gelandet bin. Die viel befahrene Straße vor dem Haus führt mich in Richtung Altstadt. Ich selbst wohne am Rand dieses Bereiches, der wohl der touristischste und am besten erschlossene ist. Immer wieder laufen Menschen an mir vorbei, die Karren ziehen oder schieben, von denen köstliche Gerüche aufsteigen: Ingwer, Zitronengras, brennender Chili, der mich husten lässt, sobald ich sein Aroma einatme. Die Menschen starren auf den Boden, sind angespannt unter der Last ihrer Wagen. Doch manchmal hebt sich hier und da ein Blick, der mich neugierig mustert. Chiang Mai ist zwar eine recht touristische Stadt, aber auf meinem Weg ins Zentrum ist mir noch kein anderer Reisender begegnet. »Sawatdee kha«, sage ich und lächle die mir entgegenkommenden Händler an. Manch ein Mund öffnet sich, den Gruß erwidernd, zu einem zahnlosen Grinsen.

Am Ende der Straße explodieren das Licht und die Gerüche zu einem wahren Feuerwerk: der Nachtmarkt am Southgate. Hier reihen sich Stände jeder Farbe und Größe aneinander. Daneben schlängelt sich der träge, die Altstadt umgebende Fluss, Mae Nam Ping, aus einem Tunnel heraus. Das metallene Geräusch der Kellen in den Woks der Garküchen, das klingt, als schlüge man mit einem Ast gegen eine Regenrinne, lockt mich genauso wie die Aromen, die hier in der Luft liegen. Mir bekannte und mir völlig fremde Zutaten werden über Gasfeuern erhitzt, blitzschnell von Köchinnen umgerührt und dann mit einer routinierten Bewegung auf einen Plastikteller manövriert. Zu hungrig, um lange über meine Wahl nachzudenken, entscheide ich mich für den erstbesten Stand. Neugierig blicke ich auf die Teller der Menschen, die um mich herum ihr Essen herunterschlingen: Gemüse, Reis, Chilis. »Ich hätte gern das Gleiche!«, sage ich zu der Frau hinter dem Wok und deute verstohlen auf den Teller meines Nachbarn. Sie nickt abgeklärt. »Sitzen!«, sagt sie. Ich bestelle noch eine eiskalte Kokosnuss und setze mich dann auf einen der kleinen Plastikhocker, die hier um die Tische herumstehen. Es dauert nicht lange, bis ein großer dampfender Berg mit Essen vor mir steht. Ich mache kurzen Prozess – der Wasserspinat, der hier morning glory heißt, schwimmt in einer dunklen Soße aus Soja, Essig und Zucker. Das Essen ist himmlisch, salzig, süß, wärmend. Die Chilis treiben mir die Tränen in die Augen. Es könnte auch die Freude über diesen Ort, über Asien, über Thailand sein. Ich bin angekommen.

Nach meinem Mahl trete ich den Heimweg an. Mein Kopf fühlt sich an wie ein Koffer, in den man unendlich viele Dinge hineingepresst hat und auf den man sich nun draufsetzen muss, damit er überhaupt zugeht. Überall quellen Gedanken heraus. Meine Nase brennt von all den feurigen Gerüchen, die über dem Nachtmarkt liegen. Sie dringen in meine Kleidung, in meine Haare und klammern sich an meine Haut. Als ich in meinem neuen Zuhause ankomme, rieche ich noch immer wie ein frisch frittiertes Hähnchen in Currysoße. Ich fühle mich, als beträte ich ein Tonstudio, so geräuscharm ist es hier drin im Gegensatz zu draußen. Augenblicklich entspannen sich meine Schultern. Ich bin nach wie vor allein, und so ziehe ich direkt im Erdgeschoss meine Hose und das durchgeschwitzte Curryshirt aus und mache es mir in Unterwäsche auf dem Sofa bequem. Ich lege meine Füße hoch, umfasse meine Beine. Meinen Körper so zu spüren, fiel mir noch lange Zeit nach der MS-Diagnose schwer. Mein Körper, dieses Stück Fleisch, das meine Seele umgibt und ihre Befehle auszuführen hat, richtete sich plötzlich gegen mich – so schien es mir. Mein Körper, den ich bis dahin nicht groß beachtet hatte – außer wenn es darum ging, dass er möglichst dünn und schön zu sein hatte –, muckte plötzlich auf. Manchmal wundert es mich nicht, dass er anfing, sich zu beschweren, nach all dem, was ich ihm über die Jahre angetan hatte. Aus Nachlässigkeit. Aus jugendlichem Leichtsinn. Aus Ignoranz. Aus Hochmut. Alle anderen würde es treffen, aber mich nicht. Dachte ich. Bis sich alles änderte und ich zum ersten Mal zu spüren bekam, dass ich nicht unabhängig von, sondern nur in und mit meinem Körper lebe. Die Diagnose MS, die mir im Jahr 2012 in Aussicht gestellt wurde und sich im Jahr 2013 durch einen erneuten Schub bestätigte, riss mich aus meiner naiven Blase. Völlig allein stand ich da mit dieser Nachricht. Und obwohl ich damals wie heute nur wenige Beeinträchtigungen hatte und habe – wofür ich endlos dankbar bin –, fühlte und fühlt es sich dennoch immer wieder so an, als sei ein Teil von mir mit der Diagnose verschwunden. Ein Teil, der »Ach, irgendwann mal …« sagen konnte, ohne dabei zu denken: Aber wer weiß, wann es zu spät sein wird? Mir wurde ein Stück meiner Leichtigkeit genommen. Dieses Stück werde ich nie zurückbekommen. Mir wurde ein Stück meiner Selbstbestimmtheit genommen. Auch dieser Teil – verloren. Und erst dachte ich, dass mir auch ein Teil meiner Identität genommen worden war. Doch heute, viele Jahre später, kann ich sagen: Durch die Diagnose sind auch andere, neue Dinge in mir gewachsen. Andere Gedanken, andere Verhaltensweisen und Charakterzüge sind an die Leerstellen getreten, die die Diagnose MS wie Sprenglöcher hinterlassen hat. Ich kann diese neuen Eigenschaften noch immer nicht zu jeder Zeit einordnen oder gar nutzen. Dann stehe ich ihnen gegenüber wie eine Erstklässlerin, der man Dezimalbrüche erklären will. Dann igele ich mich ein, laufe weg, betäube die Ängste und diese...

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