Sie sind hier
E-Book

Und was sagen die Kinder dazu? - Zehn Jahre später!

Neue Gespräche mit Töchtern und Söhnen lesbischer, schwuler und trans* Eltern

AutorStephanie Gerlach, Uli Streib
VerlagQuerverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl Seiten
ISBN9783896565853
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Nach zehn Jahren und drei Auflagen kommen die Kinder noch einmal zu Wort. Ein zweites Mal kommen Töchter und Söhne lesbischer Mütter, schwuler Väter und - neu - von Eltern, die sich als transgender identifizieren, zu Wort. Zehn Jahre nach den ersten Interviews wurden die 34 Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen ein weiteres Mal zu ihrer Sicht auf ihre Familie befragt - Familien, die immer noch als 'besonders' oder auch 'erklärungsbedürftig' wahrgenommen werden. Was finden die Kinder an ihrer Familie großartig? Was mögen sie an ihren Eltern, was kritisieren sie? Welche Wünsche und Träume haben sie für ihr Leben? Mit welchen Befürchtungen oder Reaktionen setzen sie sich auseinander? Was erleben sie als unterstützend? All das vermitteln die Texte authentisch und anschaulich. Die Kinder erzählen ganz offen auch von Krisen und Trennungen und darüber, wie ihre Eltern für sie da sind. Und sie geben uns einen Einblick in ihre Familien, die 'ganz normal' und manchmal so ganz anders sind. In dieser Jubiläumsausgabe werden jeweils die 'alten' Textporträts von Teilnehmer_innen des ersten Bandes Und was sagen die Kinder dazu? ihren aktuellen Statements vorangestellt. Hinzu kommen Gespräche mit Töchtern und Söhnen der neuen Regenbogenfamiliengeneration sowie ein Talk zwischen den Töchtern der Autorinnen. Mit einem Vorwort von Patrick Lindner und einem Nachwort von Susy Signer-Fischer, Kinder- und Jugendtherapeutin.

Uli Streib-Brzic, Dipl.-Soziologin, Systemische Therapeutin und Beraterin (SG), Berlin. Stephanie Gerlach ist Sozialpädagogin und lebt mit Frau und Tochter in München. Sie arbeitet als freiberufliche Referentin zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und bietet seit 1998 ein von ihr entwickeltes Anti-Homophobie-Training an. Veröffentlichte diverse wissenschaftliche Beiträge zu lesbisch-schwuler Elternschaft.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Felix & Antonia


„Ich hab es den Erzieherinnen erzählt, noch bevor Mama das denen gesagt hat.“

12 Jahre & 10 Jahre

„Also anders, als wie es jetzt ist, könnte ich es mir gar nicht mehr vorstellen“ und dass es jetzt besser ist als vorher, da sind sich Antonia und Felix beide ganz sicher. „Eigentlich ist es ja so, als ob Sabine der Papa wär, nur dass es halt so geworden ist, dass wir jetzt zwei Mütter haben.“ Antonia ist jetzt zehn Jahre alt, Felix zwölf.

Seit fünf Jahren leben sie hier in dem kleinen Städtchen Betzdorf, in dem Haus am Hang mit einem weiten Blick ins Tal, wo sich die Sieg entlang schlängelt, zusammen mit ihren beiden Müttern Anne und Sabine, dem Hund Tilly, der schreckliche Angst vor Silvesterraketen hat, der kleinen verspielten Katze Emma und Helmut, dem Kater.

Eingezogen in dieses Haus sind sie kurz nach Antonias viertem Geburtstag zusammen mit ihrem Papa und ihrer Mama Anne, aber da gab es zuletzt hauptsächlich Streit.

Dann ist Papa ausgezogen. Wenn sie jetzt zum Papa gehen, so berichten die beiden, „dann finden wir das toll, weil wir dann immer etwas unternehmen. Gestern zum Beispiel haben wir eine Radtour gemacht“, erzählt Antonia. „Und“, ergänzt Felix und grinst verschmitzt, „ich bin dann den beiden immer davon gerast, weil ich es toll finde, so schnell zu fahren, wie ich kann, und war genervt, dass ich immer wieder ewig auf Antonia und Papa warten musste.“ Er verdreht die Augen. „Wieso musst du denn auch immer so weit voraus fahren“, ärgert sich Antonia. Über so was, so erklären die beiden, bekämen sie immer wieder aufs neue Streit. Und die Fernbedienung, die sei auch jeden Tag ein Thema. Die Einigung, die sie getroffen haben, klappt nämlich meistens, aber nicht immer, denn zwar haben sie vereinbart, dass Antonia sie bekommt, wenn sie zu Hause, und Felix, wenn sie beim Papa sind, aber an den Tagen, an denen sie morgens in dem einen Zuhause und nachmittags in dem anderen sind, gerät die Regel jedes Mal aus den Fugen.

„Aber meistens verstehen wir uns ganz gut“, sagt Felix. „Ja, oft ist er eigentlich ganz nett“, ergänzt Antonia.

Für Antonia und Felix ist ganz klar, dass sie was besonderes sind, hier in der Kleinstadt. Die meisten Kinder leben mit Vater und Mutter zusammen, sie aber haben nicht nur zwei Eltern, sondern drei, und zwar zwei Mütter und einen Vater. Eigentlich klar, dass sich die anderen wundern, wenn sie das erste Mal hören, dass Felix und Antonia zwei Mütter haben. „Manche glauben das erst mal nicht und sagen: ‚Echt, das glaub ich nicht‘“, erzählt Felix. „Doch“, antwortet Felix dann, „das stimmt und wenn dann mein Freund, der Robert, dazu kommt, sagt der dann auch: ‚Doch es stimmt schon.‘“ Nach diesen klaren Ansagen wissen die anderen Bescheid und die meisten nehmen es „so wie es ist“, berichtet Felix.

Antonia hat bisher auch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ihre Mama eine Frau liebt und nun mit einer Frau verheiratet ist. „Schon im Kindergarten war ich so ein Plappermäulchen“, lacht sie, „da hab ich das den Erzieherinnen erzählt, noch bevor Mama das denen gesagt hat.“ Anne ging dann kurz darauf persönlich zu den Erzieherinnen, mit einer Flasche Sekt, denn die freudige Nachricht, dass sie sich neu verliebt hatte, war ja durchaus was zum Feiern.

„Seitdem sind sie Freundinnen“, erzählen Felix und Antonia, „sie waren dann auch bei der Hochzeit dabei.“ Auch dieses Ereignis war etwas Außergewöhnliches. Denn als Anne und Sabine heiraten, sind sie das erste Frauenpaar im Landkreis, das im Rathaus in einer feierlichen Zeremonie eine Lebenspartnerschaft begründete. Und natürlich war das eine Sensation im Ort. „Das war sogar in der Zeitung“, erzählt Felix und holt das Album mit den Fotos aus dem Schrank, „obwohl die Mama und die Sabine das gar nicht wollten.“ Und Felix und Antonia wissen auch, „dass die in der Zeitung Sachen geschrieben haben, die gar nicht stimmen.“ Antonia liest vor: „Also hier steht, ‚die beiden Frauen, die sich offiziell zum Paar erklären‘ – also das stimmt jetzt schon mal“ sagt Antonia und lacht. „Jedenfalls hat meine Lehrerin den Artikel ausgeschnitten und überall im Lehrerzimmer rumgezeigt, für die war das schon was Besonderes, weil sie uns ja kannte.“

Sie sind also eine Familie, die anders ist als die meisten Familien in der Kleinstadt, und für viele ist das kein Grund zum Komisch-Gucken oder Komisch-darüber-Reden, für einige wenige aber doch. Und Felix und Antonia finden, dass die ganz schön nerven.

„Ein Junge aus meiner Schule zum Beispiel“, erzählt Felix „den haben wir getroffen, das war im Winter, als ich mit Anne und Sabine an der Schlittenbahn vorbeigelaufen bin, und wir haben ihn gegrüßt und dann hat er uns hinterhergerufen: ‚Lesben, Lesben!‘. Also eigentlich finde ich den auch ziemlich doof und Mama und Sabine haben auch nichts zurückgesagt.“

„Na ja“, mischt sich Antonia ein, „außerdem stimmt es ja, was er gesagt hat, oder etwa nicht?“

Sie hat festgestellt, dass die, die blöde Sachen sagen, irgendwann damit aufhören, wenn man sich nicht darüber ärgert oder zumindest nicht zeigt, dass man sich ärgert. In ihrer Grundschulklasse da war anfangs ein Junge, der über Antonia und ihre Mütter gelacht und gelästert hat. „Ich hab dann mit meiner Freundin darüber geredet und die hat dann gesagt: ‚Hör nicht darauf, lass ihn doch einfach dumm stehen und dumm schwätzen‘, ja, und dann hab ich das gemacht und dann hat es aufgehört. Aber es ist natürlich kein so tolles Gefühl, wenn einer über deine Eltern lästert.“ Und wirkungsvoll war auch, als sie auf einen der Jungs, den vorlautesten ihrer Realschulklasse, zugeht und ihn an der Jacke festhält: „Da hab ich ihn gefragt, ob er eigentlich weiß, was er da redet, ob er denn weiß, was das ist, schwul, oder ob er das nur so als Ausdruck nimmt. Ja, und dann hat er gesagt: ‚Ej, lass mich los, lass mich in Ruhe!‘, der wollte gar nicht darüber sprechen, ich glaube, der wusste gar nicht, was er sagen sollte.“

Felix ärgert sich über einen Jungen, der, wenn sie so im Spaß miteinander kabbeln, kämpfen oder boxen, oder wenn aus Spaß schon ein bisschen Ernst wird und sie sich kneifen oder schubsen: „Ej, du Schwuli!“ ruft. „Manchmal sag ich das dann auch zurück, obwohl ich das gar nicht so meine“, erzählt Felix und schüttelt den Kopf. Dann sagt er nach kurzem Nachdenken: „Aber eigentlich finde ich, der ist viel mehr schwul als ich, weil der mich ja viel mehr kratzt.“ Aber nicht nur Felix ist von diesem Jungen genervt, auch seine Freunde finden, dass man diesem Jungen eigentlich mal grundsätzlich die Meinung sagen müsste.

Und, ergänzt Antonia, denen, die dicke Kinder hänseln oder blöde Kommentare zu den türkischen Mädchen sagen, ebenfalls.

Antonia und Felix sind schon länger aktiv beim Kinderzirkus im Ort, fahren im Sommer regelmäßig zu einem Zirkuscamp für Kinder und sind auch schon mehrmals mit Zirkusnummern aufgetreten. Jong­lieren, Trampolinspringen, Tellerdrehen, Devilsticks oder Diabolos blitzschnell hin- und her balancieren lassen, Akrobatik auf dem Einrad – eigentlich finden Felix und Antonia alles toll, vielleicht am allerbesten aber gefällt ihnen das Jonglieren und sie zeigen mir auch, wie gut sie das schon beherrschen. Hochkonzentriert die Blicke, die Wangen gerötet sehen sie schon ziemlich professionell aus, wie sie die bunten Bälle in ihren Lieblingsfarben – orange und hellgrün, gelb und blau – elegant auffangen, energisch wieder hochwerfen, sie erwischen, und schon wirbeln die Bälle wieder bunt durch die Luft. Bis einer fällt und das ganze Spiel von Neuem beginnt.

Felix ist sich sicher, dass das einmal sein Beruf wird. Er möchte gern Artist werden und Akrobatik studieren, am liebsten irgendwo im Ausland, in Straßburg vielleicht, wie Sabine, die ebenfalls dort studiert hat. Antonia dagegen hat vor – wie ihre Mütter, die Ärztin und Hebamme sind – heilend tätig zu sein, sie möchte Medizin studieren und Tierärztin werden. Ihr Traum ist es, auf dem Land zu leben, in einem richtigen Bauernhaus, die Felder und Wiesen direkt vor der Tür, dort, so träumt sie, wohnt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Vielleicht will sie auch mal nur ein Kind, „weil ich will ihm das nicht antun mit einem Geschwister, mit dem es sich andauernd zankt“, sagt sie mit einem Seitenblick auf Felix, „oder eben Zwillinge.“

Die kleine Katze Emma ist übrigens auch schon in die Kunst der Akrobatik einbezogen und balanciert Felix galant und erhaben über Schultern und Nacken die Arme entlang.

Dann springt sie auf den Boden und miaut.

„In der Grundschule wollte ich auf keinen Fall was Besonderes sein.“

22 Jahre & 20 Jahre

Wir treffen uns tatsächlich an demselben Ort wie damals – in Betzdorf. Antonia ist gestern aus Münster angereist; vor zwei Tagen hat sie ihre letzte Klausur geschrieben und damit das erste Semester in „Public Governance across Borders“ abgeschlossen. Nun genießt sie ihre ersten Semesterferien. Felix überbrückt die Zeit, bis er sein Medizinstudium fortsetzen kann, mit Aufträgen als Ton- und Lichttechniker. Und wohnt so lange wieder in Betzdorf. „Irgendwie ist es toll, immer wieder zurückkommen zu können. Ich komme gern nach Hause“, sagt Antonia, „es ist schon gut zu wissen, hier gibt es dieses Häuschen und meine Eltern. Das ist schon so etwas wie ein Anker für mich.“ „Aber irgendwann reicht es auch“, meint Felix, „dann würde ich meine Kisten schon gern wieder auspacken.“ Die stehen nämlich im Keller und warten auf den Umzug in die Stadt, in der er...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Eltern - Kinder - Familie

Lernen mit Sunflower

E-Book Lernen mit Sunflower
Format: PDF

Kinder mit Lern- und Teilleistungsstörungen zeigen sehr spezifische Beinträchtigungen ihrer physischen, psychischen, geistigen und emotionalen Leistungsfähigkeit, die sich zu einem individuellen…

Lernen mit Sunflower

E-Book Lernen mit Sunflower
Format: PDF

Kinder mit Lern- und Teilleistungsstörungen zeigen sehr spezifische Beinträchtigungen ihrer physischen, psychischen, geistigen und emotionalen Leistungsfähigkeit, die sich zu einem individuellen…

Lernen mit Sunflower

E-Book Lernen mit Sunflower
Format: PDF

Kinder mit Lern- und Teilleistungsstörungen zeigen sehr spezifische Beinträchtigungen ihrer physischen, psychischen, geistigen und emotionalen Leistungsfähigkeit, die sich zu einem individuellen…

Lernen mit Sunflower

E-Book Lernen mit Sunflower
Format: PDF

Kinder mit Lern- und Teilleistungsstörungen zeigen sehr spezifische Beinträchtigungen ihrer physischen, psychischen, geistigen und emotionalen Leistungsfähigkeit, die sich zu einem individuellen…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

arznei-telegramm

arznei-telegramm

Das arznei-telegramm® informiert bereits im 53. Jahrgang Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Das arznei-telegramm®  ist neutral und ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

Deutsche Tennis Zeitung

Deutsche Tennis Zeitung

Die DTZ – Deutsche Tennis Zeitung bietet Informationen aus allen Bereichen der deutschen Tennisszene –sie präsentiert sportliche Highlights, analysiert Entwicklungen und erläutert ...

EineWelt

EineWelt

Lebendige Reportagen, spannende Interviews, interessante Meldungen, informative Hintergrundberichte. Lesen Sie in der Zeitschrift „EineWelt“, was Menschen in Mission und Kirche bewegt Man kann ...