Die rechtliche Grundlage für Auftragsfertigungen bilden grundsätzlich Werkverträge gemäß § 631 BGB und Werklieferungsverträge gemäß § 651 BGB.[17] Auf diese Weise wird der Auftragnehmer verpflichtet, eine bestimmte Leistung vertragsgemäß zu erbringen, und der Auftraggeber, diese Leistung abzunehmen.[18] Gemäß § 644 BGB ist das Gesamtfunktionsrisiko für den Auftrag grundsätzlich dem Auftragnehmer zuzurechnen. Demzufolge hat der Auftragnehmer das wirtschaftliche Eigentum und die damit in Verbindung stehende Bilanzierungspflicht an dem entsprechenden Vermögensgegenstand zu tragen.[19] Der Auftraggeber übernimmt alle Rechte und Pflichten durch die explizite Abnahme des Auftragsergebnisses.[20]
Die im Kapitel 2 dargestellten Merkmale der langfristigen Fertigungsaufträge deuten bereits auf die bestehende Problematiken bei ihrer Bilanzierung hin. Die Fertigstellung eines langfristigen Auftrags dauert in der Regel mehrere Geschäftsjahre. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage nach der periodengerechten Verteilung des Auftragsgewinns über die Projektlaufzeit.[21] Eine für Lagerfertigung übliche Verbuchung eines Verkaufsgeschäfts kann im Fall einer langfristigen Auftragsfertigung zu Informationsverzerrungen führen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch zu welchem Zeitpunkt ein eventuell zu erfassender Auftragsverlust bilanziell zu berücksichtigen ist.[22]
Ein Auftragserfolg gilt spätestens in der letzten Periode, also bei der Erfüllung dieses Auftrags seitens des Auftragnehmers und mit der Übertragung aller Auftragsrisiken auf den Auftraggeber als realisiert und wird dementsprechend bilanziell abgebildet. Problematisch ist die Erfassung der mit dem Auftrag in Verbindung stehenden
Geschäftsvorfälle vor diesem Zeitpunkt. Nachfolgend werden unterschiedliche Konzepte für die Bilanzierung solcher Aufträge vorgestellt.
Als Erstes ist hier die Completed-Contract-Methode (CC-Methode) anzuführen, die sich durch eine strenge Beachtung des Realisationsprinzips auszeichnet.[23] Unter Anwendung des Realisationsprinzips gilt der Gewinn erst zum Zeitpunkt der Abrechnung der erbrachten Leistung - wenn also Lieferungs- und Leistungsrisiken nicht mehr bestehen - als tatsächlich realisiert und wird erst dann erfolgswirksam in der Gewinn- und Verlustrechnung des Auftragnehmers erfasst.[24] Bezogen auf die langfristige Fertigung ist der Vertrag aus der Sicht des Auftragnehmers dann erfüllt, wenn die vertragliche Leistung vollständig erbracht bzw. „completed contract" vorliegt und ein Anspruch auf eine Gegenleistung entstanden ist.[25] Bei dieser Art der Bilanzierung kommt es zu einer Totalgewinnrealisation am Ende des Projekts[26], so dass ein kumulierter Gewinn in der letzten Periode vollständig ausgewiesen wird.[27]
Der Grundgedanke dieser Methode ist, dass der Gewinn sich als Residualgröße aus den gesamten Umsatzerlösen und den gesamten Kosten des Projekts ergibt.[28] Da sich diese Residualgröße aber erst zum Zeitpunkt der Abnahme der Leistung durch den Auftraggeber sicher ermitteln lässt, gilt dieser Moment als Gewinnrealisationszeitpunkt.[29] Bis zu diesem Zeitpunkt werden lediglich die zulässigen Herstellungskosten der zu erbringenden Leistung aktiviert und unter „unfertigen Erzeugnissen" in der Bilanz ausgewiesen.[30] Der Umfang der
Herstellungskosten wird in Abhängigkeit von dem jeweiligen Rechnungslegungssystem ermittelt.[31]
Beispiel 1:
Ein Unternehmen hat im Jahr t0 einen Vertrag über den Bau einer Brücke abgeschlossen. Die Fertigung der Brücke dauert 5 Jahre und fängt am 01.01.t1 an. Der Gesamterlös aus dem Auftrag beträgt 130 Mio. EUR[32], die jährlichen Kosten betragen jeweils 20 Mio. EUR, wobei 20% davon nach HGB nicht aktivierungsfähig sind und damit als Aufwand erfasst werden. Unter Anwendung der CC-Methode ergibt sich Folgendes:
Tabelle 1: Bilanzielle Behandlung langfristiger Fertigungsaufträge bei Anwendung der CC- Methode
Da sich langfristige Fertigungsaufträge durch eine inverse Absatzstruktur auszeichnen, gilt der Absatz im Normalfall als gesichert. Aus diesem Grund durchbricht die Percentage-of-Completion-Methode[33] (PoC-Methode) das Realisationsprinzip und orientiert sich, unter Beachtung des Grundsatzes der periodengerechten Erfolgsermittlung,[34] an der erfolgswirksamen anteiligen Gewinnrealisation auf Basis des Fertigstellungsgrades bzw. Leistungsfortschritts eines Projekts.[35]
Der Grundgedanke dieser Methode ist, dass der Erfolg aus dem Auftrag nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt als Wertsprung realisiert wird, sondern eine im Verlauf des Fertigungsprozesses stetig anwachsende Größe darstellt.[36] Es wird unterstellt, dass die Umsätze den entsprechenden Aufwendungen der einzelnen Perioden zuordenbar sind.[37] Demzufolge werden sowohl die angefallenen Herstellungskosten bzw. die Selbstkosten pro Periode als auch die darüber hinausgehenden Teile des voraussichtlichen Gesamtgewinns bilanziell erfasst.[38] Somit wird der Gewinn aus der langfristigen Aufträge nicht erst nach der Abnahme des Projekts durch den Besteller in der Bilanz ausgewiesen, vielmehr erfolgt eine stichtagsbezogene, anteilige Verteilung[39] des Gesamtgewinns auf die einzelnen Berichtsperioden, in denen die Leistung erbracht wurde.[40] Zur Erfassung des jeweiligen Teilgewinns ist die Ermittlung des Fertigstellungsgrades und des voraussichtlichen Gesamtgewinns Nötig[41]
. Beispiel 2:
Im folgenden Beispiel werden die Ausgangsdaten des Beispiels 1 unterstellt. Im Gegensatz zum Beispiel 1 kommt anstelle der CC-Methode die PoC-Methode zur Anwendung. Zur Ermittlung des Fertigstallungsgrades wird die Cost-to-Cost- Methode[42] gewählt, da diese die erbrachte Leistung am verlässlichsten bewerten kann. Damit ergibt sich Folgendes:
Tabelle 2: Bilanzielle Behandlung langfristiger Fertigungsaufträge bei Anwendung der PoC- Methode
Eine weitere Möglichkeit für die Bilanzierung von langfristigen Fertigungsaufträgen stellt die Zero-Profit-Methode dar. Entsprechend dieser Methode rechnet das bilanzierende Unternehmen so lange mit einem aus dem Auftrag resultierenden Gewinn von Null, bis die Unsicherheiten in Bezug auf das Auftragsergebnis nicht mehr vorhanden sind.[43] Demzufolge ist die Ertragsrealisation nur in Höhe der bereits angefallenen und durch entsprechende Erträge wahrscheinlich gedeckten Auftragskosten ergebniswirksam vorzunehmen, was im Endeffekt zu einer erfolgsneutralen Teilumsatzrealisation führt. Dagegen sind die Auftragskosten in voller Höhe in der Verursachungsperiode zu erfassen.[44]
Die Zero-Profit-Methode wird jedoch nicht als eine eigenständige Methode zur Bilanzierung von langfristigen Fertigungsaufträgen angesehen, vielmehr gilt sie als eine „Mischung" der CC-Methode und der PoC-Methode. Dieses Vorgehen wird in der Fachliteratur auch häufig als verkürzte PoC-Methode bzw. modifizierte CC- Methode bezeichnet, da hierbei bereits während der Fertigung analog zur PoC- Methode Erlöse auszuweisen sind.[45] Allerdings geschieht dies nur in Höhe der Auftragskosten, sodass es wie bei der Anwendung der CC-Methode, zu keiner Gewinnrealisierung kommt.[46] Im Vergleich zur CC-Methode liefert die Zero-Profit- Methode neutrale Ergebnisse und ermittelt in der letzten Auftragperiode einen tatsächlichen Gewinn, der nicht, wie bei der Anwendung der CC-Methode, durch Auftragszwischenverlusten der Vorperioden verzerrt ist.
Beispiel 3:
Auch in diesem Beispiel werden die Ausgangsdaten des Beispiels 1 unterstellt. Anstelle der CC-Methode kommt aber die Zero-Profit-Methode zur Anwendung. Damit ergibt sich Folgendes:
Tabelle 3: Bilanzielle Behandlung langfristiger Fertigungsaufträge bei Anwendung der Zero- Profit-Methode
Im deutschen Rechtsraum werden häufig noch drei weitere Alternativen zur Bilanzierung von langfristigen Fertigungsaufträgen vorgeschlagen. Der Ausgangspunkt ist hierbei die echte Teilergebnisrealisierung. Sie ist durch das Teilabnahmeprinzip charakterisiert und zielt auf die Vermeidung von unerwünschten Auswirkungen einer strengen Verfolgung des Realisationsprinzips bei langfristigen Aufträgen ab, und zwar durch eine „Modifizierung des Realisationsprinzips" ab.[47]Demzufolge wird der Gesamtauftrag in mehrere Teilleistungen („milestones") aufgespaltet, die jeweils einzeln nach der Fertigstellung vom Auftraggeber zu ihrem Realisationszeitpunkt abgenommen und wie ein eigenständiger Auftrag unter Anwendung von...