„The Stone Age did not end for lack of stone, and the Oil Age will end long before the world
runs out of oil."
Ahmed Zaki Yamani[1]
Das oben angeführte Zitat lässt sich auf zwei Arten lesen: Auf eine naive ebenso wie eine provokante. Wie man es auch verstehen mag, es zeigt anschaulich, dass es nicht nur eine Perspektive auf ein gemeinhin so „totgesagtes" Thema wie Erdöl gibt. Die Bedeutung von Erdöl als Energieträger stützt wie kaum eine andere Ressource die Grundstruktur unserer modernen Gesellschaft und doch - oder vielleicht gerade deshalb - wird die Zukunft des Systems der globalen Erdölversorgung stark diskutiert. Zu seiner möglichen Entwicklung gibt es viele, teils widersprüchliche Annahmen. Es wechseln sich optimistische wie pessimistische Prognosen, Menetekel und das Warten auf eine neue technische Revolution im Gleichtakt ab.
Bei aller Meinungsvielfalt bleibt den verschiedenen Positionen nur ein gemeinsamer Nenner: Die globalen Erdölreserven sind endlich. Hingegen wird die Frage nach dem Zeitpunkt des Erschöpfens der Erdölvorräte facettenreich diskutiert. Gegenwärtig stehen die sogenannten „unkonventionellen Erdöle"[2] im Vordergrund dieser Debatte. Dazu zählen Ölsande, Ölschiefer, Schwer(st)öle, Tiefsee-Öl und Öl aus arktischen Gebieten, die neue Horizonte der Erdölgewinnung oder sogenannte „new fossil fuel frontiers" (Macalister 2013: 1) eröffnen. Diese Kohlenstoffvorkommen sind laut Babies (2003: 1) zwar bereits seit langer Zeit bekannt, deren Förderung und Umwandlung zu Rohöl ist jedoch erst interessant geworden mit gestiegenem technologischen Fortschritt der Fördermethoden und anhaltend hohen Ölpreisen. Von ihrer Erschließung verspricht man sich die Etablierung neuer Lagerstätten. Sie werden daher als neue und systemverändernde Variablen in die Diskussion um die Zukunft der globalen Erdölversorgung eingebracht.
In der vorliegenden Arbeit wird eben jenes Potential der unkonventionellen Erdöle, das hier mit dem Ausdruck New Fossil Fuel Frontiers umfasst wird, für die zukünftige Entwicklung der Erdölversorgung hin kritisch untersucht [3]. Es scheint aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven keine Richtung erkennbar zu sein, die - trotz aller für sich reklamierter Deutungshoheit - eine Gewissheit im Sinne einer verlässlichen Prognose gibt. Hier besteht Forschungsbedarf.
Als Grundperspektive dient der Magisterarbeit die warnende wachstumskritische Position des Berichts des Club of Rome von 1972, welcher einen massiven inneren Systemkonflikt der Weltwirtschaft für den Verlauf des 21. Jahrhunderts prophezeite (vgl. Meadows et al. 1972). Der Bericht betrachtet die Interdependenzen unterschiedlicher sozioökonomischer Komponenten wie Bevölkerung, Kapital, Nahrungsmittel, Umweltverschmutzung und (nichtregenerative) Rohstoffe. Es wird angenommen, dass letztere, aufgrund ihrer bevorstehenden Erschöpfung, das weltweite ökonomische System auf Dauer gefährden könnten. Oder besser gesagt: Das gegenwärtige sozio-ökonomische System sei zukünftigen Entwicklungen nicht gewachsen.
Unter den Eindrücken dieses Forschungsberichts wird im Folgenden eine Analyse erstellt, die der Bedeutung der unkonventionellen Erdöle - als Ausdruck „technologischer Lösungen" - für die zukünftige globale Erdölversorgung auf den Grund geht. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Entwicklung der Konstellation der Verteilung neuer Erdöllagerstätten. Analog zu den vorangegangen Darlegungen soll als Leitfrage zur Behandlung dieses Themenkomplexes folgende Fragestellung dienen: Welche Rolle spielen unkonventionelle Erdöle bei der zukünftigen Erdölversorgung?
Durch eine kritische Auseinandersetzung mit unkonventionellen Erdölen soll ein möglichst ganzheitliches Bild unterschiedlicher Aspekte der globalen Auswirkungen dieser vermeintlichen „Hoffnungsträger" offen gelegt und die sich damit ergebenden strukturellen Veränderungen aufgezeigt werden.
Die Leitfragestellung enthält ein breites Spektrum von möglichen Ansatzpunkten: So ergibt sich die Frage, welche Veränderungen bei der Betrachtung einer zukünftigen Erdölversorgung als Ganzes wichtig sind, insbesondere die Verschiebung der Nachfrage durch Veränderungen der ökonomischen Gesamtzusammenhänge (bspw. durch das verstärkte Wirtschaftswachstum in Schwellenländern, etc.). Eine Zunahme der Nachfrage stellt unweigerlich Bezug zur Entwicklung des Angebots her. Wenn man davon ausgeht, dass unkonventionelle Erdöle in den Kanon der Förderquellen aufgenommen werden, ist es interessant zu eruieren, welche Konsequenzen sich aus einer stärkeren Fokussierung auf sie ergeben. Dazu zählen immanente Folgen, wie ökologische Aspekte, als auch geopolitische Auswirkungen und Veränderungen der Handelsströme von Erdöl. Interessant ist dabei auch die Frage nach einflussreichen Akteuren, der ebenfalls nachgegangen werden soll. Dabei wird stets eine räumliche Komponente im Auge behalten. So wird im Laufe der Magisterarbeit herausgearbeitet, welche Weltregionen zukünftig in den Vordergrund treten (bspw. durch die Verortung von Lagerstätten und ihre Korrelation zur Lage der Verbrauchszentren) und welche lokalen und überregionalen Entwicklungen den Ausbau der unkonventionellen Erdöle begünstigen.
Aus geographischer Sicht besteht ein großes Interesse an dem Themenkomplex Erdöl, da seine Gewinnung, Verarbeitung und Distribution stark standortabhängig ist. Erdöl ist eine wichtige Einflussvariable der globalen Ökonomien, was es aus wirtschaftsgeographischer Sicht besonders interessant macht. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema ist aus Sicht der Humangeographie somit durchaus gegeben, obwohl Gebhardt et al. (2013: 467) jüngst konstatieren: „Bis vor relativ kurzer Zeit war die Geographie der Rohstoffe und Ressourcen kein zentrales Thema der Humangeographie."
Auch wenn es bislang nicht das Hauptaugenmerk der geographischen Forschung ausmachte, hat sich mittlerweile eine Unterdisziplin „Energiegeographie"[4] etabliert, welche Energieträger - darunter auch Erdöl - in lokalen, regionalen und globalen Zusammenhängen betrachtet. Pasqualetti (2011: 972) schreibt: „When discussing the geography of energy, no resource attracts more attention than oil". Die aktuelle Diskussion um unkonventionelle Erdöle bietet sich somit als Forschungsgegenstand der Energiegeographie an.
Pasqualetti gibt einen kurzen Überblick der Veröffentlichungen zur Energiegeographie. Er siedelt die Anfänge in den 1950er Jahren an: „The earliest publications on energy geography focused on the location of resources" (PASQUALETTI 2011: 973). In den folgenden 30 Jahren diversifizierten sich dann die Betrachtungen: „[E]ach book stressed something different, such as transportation, location, logistics, modeling, supply, demand, markets, and policy" (Pasqualetti 2011: 973).
Erdmann und Zweifel (2008: 11-12) führen an, dass sich zeitgleich auch in anderen, für wirtschaftsgeographische Betrachtungen wichtigen Bereichen, ein ganzheitliches Interesse an Erdöl einstellte: So bildete sich in direkter Konsequenz der Veröffentlichung des Club of Rome und der ersten Erdölkrise von 1973 die „Energieökonomik" als eigene Fachdisziplin. Dort standen v.a. wirtschaftspolitische Betrachtungen[5] zur Minderung der Erdölabhängigkeit im Vordergrund, ebenso wie Forschungen zu institutionellen Strukturen[6] und Marktmacht im Erdölkontext (Erdmann und Zweifel 2008: 12).
Laut Pasqualetti (2011: 974) ließ in der Zeit seit den 80er Jahren bis zur Jahrtausendwende das Interesse der Geographie am Thema Energie spürbar nach und es wurde wenig zu diesem Feld veröffentlicht. Eine Ausnahme bildet hierbei VACLAV SMIL[7], der eher durch seine Publikationshäufigkeit heraussticht (PASQUALETTI 2011: 974). Auch die Energieökonomik wandelte sich Mitte der 1980er Jahre bei stark gefallenen Erdölpreisen und man widmete sich mehr Umweltproblemen, die natürlich in marktwirtschaftlichen Zusammenhängen diskutiert wurden (Erdmann und Zweifel 2008: 12).
Seit dem Jahr 2000 hingegen nahm die Relevanz von energiebezogenen Betrachtungen geographischer Arbeiten wieder stark zu. Trat die räumliche Lokalisierung zu Beginn in den Vordergrund, sind es in jüngeren Publikationen v.a. die Energiesicherheit sowie Klimaaspekte des Energieverbrauchs und erneuerbare Energien[8] (PASQUALETTI 2011: 974-977). Das erklärt laut Gebhardt et al. (2013: 466), warum zu Ressourcenfragen (insbesondere bei Erdöl) die politisch-geographischen Perspektiven vermehrt an Bedeutung gewinnen - v.a. durch ihre Betrachtung wirtschaftlicher und politischer Schlüsselakteure im Kontext einer globalen Ökonomie. Weltweit verortete Rohstoffbörsen, mediale Diskurse und die Korrelation von Finanzwirtschaft und physischen Rohstoffströmen rücken dabei ebenfalls ins Interessenfeld geographischer Analysen[9] (Gebhardt et al. 2013: 466). Jedoch bemängelt Bridge (2010: 524) gleichzeitig, dass sich Geographen bislang noch wenig mit Peak Oil und dessen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen auseinandergesetzt haben.
Unter dem Eindruck der von mir herangezogenen Literatur hat sich unmittelbar mit dem starken Ansteigen des Erdölpreises 2007/2008 und dem anschließenden Absturz 2009 eine große geographische Publikationsfreudigkeit zum Themenkomplex Erdöl...