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E-Book

Unsere Liebe soll nicht traurig sein

Ein Kriegskind auf Spurensuche.

AutorOliver Köhler
Verlagadeo
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783863347765
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Ein grauer Tag im Januar 1945, der alles verändert: Bei einem Luft angriff kommt ein Mann ums Leben. Sein Sohn, ein Flakhelfer in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, schaut hilflos zu, wie sein Vater stirbt. Wolf-Dieter Kohler tritt in die Fußstapfen seines gefallenen Vaters Walter und wird zu einem bekannten Künstler, der viele öffentliche Gebäude, vor allem Kirchen, gestaltet. Doch ihn treiben zeitlebens viele Fragen um: Wie kann man diesen Krieg jemals vergessen, ihn aus dem eigenen Leben verbannen und versöhnt weitergehen? Wie schafft man es, die Schatten der Katastrophe zu überwinden? Wie gelingt es, diese Gegensätze in der eigenen Biografie anzunehmen? Nur eines hält ihn am Leben, etwas, das die Grenzen des Todes überwindet: die Liebe zwischen Vater und Sohn. Eine berührende Geschichte über die Schatten des Krieges und ein Schicksal, das so viele Familien teilen. Mit Bildern der Künstler Wolf-Dieter und Walter Kohler.

Oliver Kohler, Dr. phil., 1958 in Stuttgart geboren. Studium der Geschichte und Germanistik in Tübingen, Wien und Jerusalem. 1991-1994 Lektor und Verlagsleiter. Seit 1994 freiberuflich tätig als Schriftsteller, Publizist und Herausgeber. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.

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Leseprobe

Eine Mutter und ihr Sohn berichten

Mitteltal, den 10. Februar 1945

Die Linien des Lebens sind verschieden,
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen,
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.

Friedrich Hölderlin

Allen Freunden und lieben Menschen, die meinem Mann, dem geliebten Vater seiner Kinder und treuen Bruder seiner Geschwister Leutnant Walter Kohler, Kunstmaler, nahestanden und besonders seine Kunst liebten und schätzten, möchte ich versuchen, einen kleinen Rückblick über die letzten Monate und Stunden seines Lebens zu geben.

Mitte Juli 44 kehrte mein Mann überraschend aus den schweren Kämpfen – Nettuno, Aprilia und den Rückzugsgefechten über Rom hinauf bis nach Perugia und Arezzo – zurück. Er wurde vor Nettuno durch einen Granatsplitter an der Schulter verwundet, konnte aber nicht aus den Kämpfen herausgezogen werden, da es an Offizieren sehr mangelte. Er führte einen Granatwerferzug noch acht Tage und war dann lange Zeit Adjutant seines Bataillonskommandeurs. In dieser Zeit wurde ihm auch das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen. Von seiner Division wurde er dann in die Heimat zu einem Fahnenjunker-Lehrgang befohlen. Bei seinem Ersatztruppenteil in Stuttgart musste er noch eine Fahrschule (14 Tage) mitmachen. Während dieser Zeit kamen die schweren Angriffe (Ende Juli) auf Stuttgart. Beim ersten dieser Angriffe wurde unser Heim total zerstört, beim zweiten sein Atelier.

Die Stunde ist mir unvergesslich, da mein Mann in den Trümmern seiner Arbeitsstätte stand und nichts mehr, wirklich nichts mehr, als nur zwei kleine Blättchen verkohlt aus einer uralten Bibel – die Heilung des Blinden und die schlafenden Jünger am Ölberg – fand. Kein Wort der Klage kam über seine Lippen.

Kurz darauf musste er zu dem Fahnenjunker-Lehrgang nach Berlin. Sein Dienst dort war sehr anstrengend – aber er traf auch dort, wie immer, wo er gewesen war, gute Kameraden. Mit Karl Storch, einem Studienrat der Neuphilologie, verstand er sich aus einer inneren Geistesverwandtschaft heraus besonders gut. Dies führte in den Monaten ihres Beisammenseins zu einer Freundschaft.

Aus den Briefen, die mir mein Mann in den letzten Monaten schrieb, leuchten eine große geistige Klarheit und tiefe innere Gläubigkeit, die wusste, dass das Licht in diesem Dunkel des großen Kriegsgeschehens siegen muss, und dass alles, was ist und sein wird – auch für sein Leben –, mit Gottes Willen geschieht.

Am Samstag vor dem Heiligen Abend kam er mit seinem Freund Storch überraschend für drei Tage in Urlaub. Dieser stammt aus Achern in Baden. Auch er ist durch die Luftangriffe total geschädigt. Seine Familie ist in unsere Gegend hier im Schwarzwald evakuiert.

Für uns waren diese drei Weihnachtstage unendlich schön. Die ganze Familie war beieinander, da auch Wolf-Dieter von der Flak Urlaub bekam. Diese Zeit war für uns wie ein Wundertraum.

Über Stuttgart fuhr mein Mann dann am 28. Dezember 44 mit seinem Kameraden Storch nach Liegnitz in Schlesien zu einem weiteren Lehrgang. Im Osten drohte damals schon die Gefahr, und als diese mit solch überraschender Wucht über Schlesien einbrach und die Post ausblieb, war in uns die bange Sorge und Frage, ob unser Vater schon dort eingesetzt war. Sein letzter Brief aus Liegnitz machte diese Sorge fast zur Gewissheit. Darin schrieb er: „… mache dir keinen Kummer und keine Sorgen, überall sind wir alle – du und die Kinder und ich – in Gottes Vaterhand, und es wird uns nichts geschehen, als was er über uns beschlossen hat und was uns nützlich ist. Es ist dies mein einziger Halt und mein fester Glaube und ich wünsche dir und den Kindern auch diesen Halt, aus dem eine ungeheure Kraft fließt. Es ist heute mehr denn je die Zeit unserer Bewährung, in der wir in der Welt zeugen sollen, ob wir an dem, was wir in guten Zeiten als die Wahrheit erkannten, auch jetzt festhalten und darnach leben. Es ist eigentlich so, dass wir gerade jetzt fröhliche Menschen sein sollten, denn die Freude und die Gewissheit von der göttlichen Gnade sollten alles irdische Geschehen überschatten, bei uns, den Wissenden von der frohen Botschaft des Engels von Bethlehem.“

In der Zeit vom 13. bis zum 27. Januar hatte Wolf-Dieter von der Flak seinen Jahres-Erholungsurlaub. In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar wurden wir angerufen. Wer war am Apparat? Zu unserem größten Erstaunen und zu unserer größten Freude unser Vater. Wie haben wir aufgeatmet, ihn im Lande und in der Nähe zu wissen. Der Einsatzbefehl an die Ostfront war schon gegeben und in letzter Minute wurden mein Mann, sein Freund Storch und noch acht andere Kameraden nach Stuttgart in die Flandernkaserne abkommandiert. Unbeschreibliches Leid, Not und Tod hatten sie noch unterwegs gesehen. … Sie mussten erst am anderen Morgen nach ihrer Ankunft in Stuttgart in ihrer Kaserne sein und so fuhr mein Mann mit seinem Freund nach Oberboihingen zu seiner Schwester Else und ihrem Mann Richard Widmann im dortigen Pfarrhaus. Über diese Stunden schrieb er mir: „Das war ein herrlicher Abend und eine schöne Nacht für uns. Wir hörten Bach, Händel, Mozart und Schubert. Es war wunderbar schön und wir Ausgehungerten lechzten nach diesen Klängen der schönen und großen Musik. Es war diese Nacht für uns ein großes Geschenk.“ Und unsere Geschwister erzählten, dass sie am Morgen gegen vier Uhr noch das Lied sangen:

Herzlich tut mich verlangen nach einem sel’gen End,

weil ich hier bin umfangen mit Trübsal und Elend.

Ich hab Lust abzuscheiden von dieser argen Welt,

sehn mich nach ew’gen Freuden; o Jesu, komm nur bald.

… und wären dann still auseinandergegangen.

Früh am andern Tag fuhren sie nach Stuttgart in die Kaserne. Jeder Urlaub war gesperrt, so konnten wir uns nicht mehr sehen, und wir wussten auch, dass es nur für kurze Zeit war, dieses Aufatmen, denn der Einsatzbefehl an die Front stand bevor.

Am Samstag, den 27. Januar, fuhr Wolf-Dieter in seine Flakstellung, die zwischen Zuffenhausen und Kornwestheim liegt, zurück.

Nun versucht mein ältester Sohn Wolf-Dieter von den letzten Stunden mit seinem Vater zu berichten:

Den Nachmittag desselben Tages verbrachte mein Vater bei mir in der Stellung. Die Freude bei Vater und Sohn war groß. Ich musste ihm viel von daheim erzählen und von den Tagen mit den Lieben zusammen, da er ja seit seinem letzten Scheiden an Weihnachten keine Post mehr von uns bekommen hatte. Auch zeigte ich ihm eine von den Arbeiten, die ich in meinen Ferien gemalt hatte. Es war eine Aquarell-Schneelandschaft. Eine Stunde saß mein Vater vor dem Bild und schaute mit seinen prüfenden Maleraugen, ehe er Kritik übte.

Dabei sagte er: Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch malen kann. Am Abend erzählte er mir und meinen Kameraden in trauter Runde über seine Erlebnisse in Italien und wie oft er dort dem Tode ins Auge geschaut. Sein Erzählen hinterließ bei uns allen einen starken Eindruck. Beim Abschied versprach er mir am nächsten Tag – Sonntag – mit unserem Freund Storch wiederzukommen.

Sonntag – am frühen Nachmittag –, ich war eben beim Geschirrabtrocknen, kam er. Mit dem Ruf „Au mein Vater“ stürmte ich ihm entgegen. Wir saßen dann Pfeife rauchend in unserer Bude und studierten miteinander Kunstzeitschriften. Vater sagte dabei, dass er heute einen kritischen Tag hätte, und so war sein Urteil scharf und interessant. Wir streiften die niederländische Malerei und da saßen wir lange vor einem Rembrandt, einem Porträt der Henrike Stoffels. Ich glaube, es waren alle Meister der vergangenen Jahrhunderte vertreten. Wir bewunderten sie und Vater gab seine technischen oder halb philosophischen Erklärungen dazu. Für mich waren diese Gespräche über die geschauten Bilder sehr lehrreich. Beim Kaffee gab es Mutters Gugelhupf, den ich aus Mitteltal mitgebracht hatte. Karl Storch kam nun auch dazu und so waren wir ein fröhliches Soldatenkleeblatt. Bei einem dreitägigen Aufenthalt in Berlin auf der Reise an die Ostsee an der dänischen Grenze zu einem Marinelehrgang hatte ich ja den Freund meines Vaters Karl Storch kennengelernt.

Für den Abend von acht bis neun Uhr hatte sich Karl Storch für einen Vortrag über englische Geschichte bei uns Luftwaffenhelfern verpflichtet. Vorher aber wollten wir uns noch stärken und gingen in der Dämmerung zu diesem Zweck nach Korntal. Auf dem Wege machten wir noch eine lustige Schneeballschlacht. Dort haben wir dann zu Nacht gegessen. Nach Tisch, unter dem Rauch unserer Pfeifen, führten wir sehr, sehr ernste Gespräche, die ich im Einzelnen in mich aufgenommen und verstanden habe, aber selbst noch nicht die Ausdruckskraft habe, dieselben Gedanken in Worte zu fassen. Diese Gespräche begleiteten uns auch ein großes Stück zurück in die Stellung. Ich habe noch einiges aus dem Urlaub und dem Schwarzwald erzählt, den diese beiden Männer so sehr liebten. Den Schluss des Weges hat uns eine große Stille erfüllt. Beim Betreten der Stellung wurden wir jäh aus der Stille durch das Heulen der Sirenen aufgeschreckt. Es war kurz vor acht Uhr.

Ich ging an mein Geschütz. Mein Vater und Karl Storch wärmten sich in meiner Bude und Storch bereitete sich auf seinen Vortrag vor, während Vater schweigend seine Pfeife rauchte. Kurz darauf erfolgte Entwarnung. Wie wir aber gerade auf dem Wege zur Baracke waren, in der der Vortrag stattfinden sollte, kam wieder Voralarm. Wir mussten wieder an die Geschütze und die beiden gingen zurück in meine Bude. Draußen war es still. Fliegeralarm! Die Flugzeuge waren schon da. Ich kam noch einmal in die Bude, um...

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