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E-Book

Unsere Zukunft

Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima

AutorKlaus Töpfer, Ranga Yogeshwar
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl234 Seiten
ISBN9783406629235
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR

Ranga Yogeshwar, Physiker und Fernsehmoderator, und Klaus Töpfer, ehemaliger Umweltminister, UN-Direktor und im Frühjahr 2011 Co-Vorsitzender der Ethikkommission, sind auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft. Der Leser nimmt teil an einer so lebendigen wie provozierenden Unterhaltung über die Existenzfragen unserer Epoche.
Werden in zwanzig Jahren unsere Kinder die Bilder von Fukushima betrachten so wie wir heute die Bilder von Tschernobyl – mit der gleichen Bestürzung und Ratlosigkeit? Oder werden sie sagen: Wir haben unsere Lektion gelernt, damals ist das Tor zu einem neuen Zeitalter aufgestoßen worden? Wie soll unsere Gesellschaft im Jahr 2030 aussehen? Wie wollen wir leben?
Ranga Yogeshwar und Klaus Töpfer sprechen über die gewaltigen Herausforderungen, vor die uns die Katastrophen der letzten Zeit stellen. Bis zu welchem Grad ist Technik noch beherrschbar? Wie viel CO2 brauche ich zum Glück? Wie weit tragen unsere Glaubenssätze von Wachstum, Fortschritt und Wettbewerb? Töpfer und Yogeshwar, die unterschiedlichen Generationen angehören, aber beide passionierte Familienväter sind, nehmen die Gelegenheit wahr, voneinander zu lernen – der Politiker vom Wissenschaftler und der forsche, mitreißende Fernsehaufklärer vom Altmeister in Nachhaltigkeitsfragen. Ihr Fazit: Die Energiewende lässt sich nicht isoliert betrachten, die Krisen der Energie-, Klima- und Sicherheitspolitik und die anhaltende "Kernschmelze" der Finanzsysteme hängen miteinander zusammen. Dennoch lautet ihr Plädoyer: Wir haben die einmalige Chance, die Welt und unser Verhalten zu verändern. Tun wir alles, um dem Diktat der Kurzfristigkeit zu entkommen!



Klaus Töpfer, geboren1938, ist verheiratet und Großvater von drei Enkeln. Er war von 1987 bis 1994 Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der von Bundeskanzler Helmut Kohl geführten Regierung, danach Minister für Bauwesen, Raumordnung und Städtebau. 1998 übernahm er für acht Jahre das Amt als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Nairobi. 2009 wurde Töpfer zum Gründungsdirektor des Instituts für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit (IASS) in Potsdam ernannt. Im März2011 übernahm er den Co-Vorsitz der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung, die als Folge der Nuklearkatastrophe von Fukushima von der Bundesregierung eingesetzt wurde. Ranga Yogeshwar, geboren1959, lebt mit seiner Frau, seinen vier Kindern, drei Katzen und einem Hund auf dem Land in der Nähe von Köln. Er studierte experimentelle Physik und arbeitete am Schweizer Institut für Nuklearforschung (SIN), am CERN sowie am Forschungszentrum Jülich. Von 1987 bis 2008 war er beim Westdeutschen Rundfunk, zuletzt als Leiter der Programmgruppe Wissenschaft Fernsehen. Seit 2008 ist er freiberuflich tätig. Yogeshwar hat zahlreiche Fernsehformate entwickelt und ist Autor der beiden Taschenbuchbestseller «Sonst noch Fragen?» (2009) und «Ach so!» (2010) sowie des elektronischen «Epedios Rangas Welt» (2011). Für seine Berichterstattung zum Reaktorunglück in Fukushima wurde er 2011 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

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Leseprobe

2 WIR SIND GEFANGEN


Warum Alternativlosigkeit so gefährlich ist


Yogeshwar   Als das Unglück in Fukushima schon einige Tage andauerte, waren plötzlich seltsame Stimmen zu hören: «Die Japaner haben die Situation nicht im Griff, warum nehmen die nicht fremde Hilfe an?» In einer deutschen Zeitung las man: «Eine deutsche Betonpumpe rettet die Japaner.» Da kam eine große Hochnäsigkeit auf, nahm man doch an, dass die Japaner – im Gegensatz zu uns – ihr Problem nicht unter Kontrolle hätten. Dahinter verbirgt sich allzu oft die Haltung: Bei uns würde das nicht passieren. Auch bei Tschernobyl hörte man schnell: Die deutschen Kraftwerke sind besser und sicherer. Gibt es Katastrophen, dann suchen wir Schuldige, und das passierte meines Erachtens auch in Japan. Bis hin zur Tatsache, dass wir massiv unterstellten, die Japaner würden uns bewusst nicht informieren. Hierzulande war man irritiert über die Rezeption der Katastrophe in Japan. Die Menschen dort schienen gefasst, blieben höflich. Es gab die täglichen Pressekonferenzen ohne laute Polemik, ohne große Massendemonstrationen.

Aus meiner Sicht ließ man aber erheblich mehr Informationen nach draußen gelangen als bei vielen anderen Katastrophen. Selbst in den entfernten Provinzen wurde die Radioaktivität gemessen – und die Daten waren anschließend im Netz abrufbar. Natürlich existierten auch Zonen, über die man nichts wusste. Der genaue Zustand in den Reaktorgebäuden war unklar, doch das lag vermutlich daran, dass selbst die Verantwortlichen keine zuverlässigen Daten besaßen. Sogar die Bevölkerung wurde systematisch auf Strahlung hin untersucht. Japan war also meines Erachtens durchaus aktiv. Es waren erheblich mehr Informationen verfügbar als bei Tschernobyl.

Töpfer   Nimmt man den damaligen sowjetischen Informationsstand als Kriterium, um von mehr Informationen nach Fukushima zu sprechen, so legt man die Messlatte in der Tat sehr niedrig. Es bedurfte nicht viel, sie zu überspringen. Aber letztlich heizte das Gefühl, dass man doch nicht so gut unterrichtet wurde, die ohnehin emotional aufgeladene Katastrophe noch weiter an. Da gab es dieses Misstrauen: Die wissen mehr, als sie sagen! Man zog Verbindungen zur damaligen sowjetischen Politik und letztlich auch zu unserer Politik in Deutschland.

Yogeshwar   Gab es denn dieses Misstrauen beim Unglück in Fukushima?

Töpfer   Aber sicher! Die Menschen konnten beobachten, dass der AKW-Betreiber Tepco, immerhin ein bekanntes japanisches Energieunternehmen, ein Verhalten an den Tag legte, das den Eindruck erwecken musste, man wolle die Öffentlichkeit bewusst täuschen und im Dunkeln lassen – gerade als es darum ging, ob es nun im Reaktor 1 zu einer Kernschmelze gekommen war oder nicht. Über Wochen blieb das wahre Ausmaß der Katastrophe unbekannt; erst Monate später teilte man mit, dass die Strahlungswerte höher seien als anfangs angenommen – und das entweder wider besseres Wissen oder, was wohl wahrscheinlicher ist, weil man selbst diese Informationen nicht exakter ermittelt hatte. Hinter diesem Verhalten werden dann bestimmte Interessen vermutet, etwa jene, dass man der Kernenergie in Japan weiter eine Zukunft geben will. Nur so lässt sich auch erklären, warum gerade in diesem Land, in dem allein durch die geografische Lage sehr viele Kenntnisse über Erdbeben und Tsunamis bestehen, keine Alternative zur Kernenergie entwickelt wurde. Dabei müsste man doch denken, dass es sich genau umgekehrt verhielte. Warum ist Japan nicht führend in der Erarbeitung der wissenschaftlichen und praktischen Perspektiven für Geothermie, für Windenergie, für Gezeitenkraftwerke?

Yogeshwar   Die Unternehmen spielen sicherlich eine Rolle, wenn es darum geht, die eine Energieform zu fördern und die andere nicht. Gerade in Japan unterschätzen wir die Macht der ganz großen Konzerne, übrigens nicht nur im Energiesektor. Aber ich möchte noch einmal auf die wichtige Frage zurückkommen, ob man in Japan mehr wusste, als man sagte. War es vielleicht nicht so, dass man möglicherweise schlichtweg selbst nicht einschätzen konnte, was gerade passierte? Wenn ich mir den Verlauf dieser Katastrophe anschaue und wenn ich an das denke, was mir alte Freunde aus der Kernphysik, darunter auch Japaner, erzählt haben, dann gewinne ich den Eindruck, dass die Ingenieure vor Ort überfordert waren.

Natürlich hatte man vorher versucht, alles Mögliche zu vertuschen – Tepco hat offensichtlich eine ganze Reihe von Fehlern gemacht und ist genauso ein gutes und schlechtes Unternehmen wie alle anderen, da unterscheidet es sich von keinem anderen Energiekonzern auf der Welt. Aber spätestens ab dem Moment, als das Dach von Block 1 wegflog, gab es nichts mehr zu verbergen. Von diesem Moment an blickten alle Augen auf das, was dort geschah. Spätestens da war es an der Zeit, ehrlich zu werden. Ab diesem Augenblick gab es nach meiner Wahrnehmung auch eine große Offenheit. Die Meldungen von Tepco wurden vom Rest der Welt mit sehr kritischen Augen betrachtet und analysiert. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Einstufung der Katastrophe auf der INES-Skala, der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse. Gerade in den ersten Tagen gab es in der Fachwelt heiße Diskussionen. In einer Brennpunkt-Sendung schätzten wir die Geschehnisse schon zu einem frühen Zeitpunkt kritischer ein, als es die japanischen Behörden taten. Bei der GRS, der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, gab es zum Beispiel große Expertenteams, die alle Meldungen aus Japan analysierten. Zum Teil versuchte man sogar, genau zu simulieren, was dort im Einzelnen geschah. Auch hier herrschte aus meiner Sicht eine große Offenheit. Ich glaube, man würde den Japanern Unrecht tun, ihnen generell zu unterstellen, dass danach immer noch etwas vertuscht wurde.

Töpfer   Aber das führt doch zurück zu der Überlegung, warum ein Hightechland wie Japan in der Analyse eines solchen Ablaufs offenbar überfordert war. Wieso verfestigte sich der Eindruck, dass man unzureichend auf eine massive Katastrophe in der Kernenergie vorbereitet war. Wenn auch höchst unwahrscheinlich, war sie denklogisch aber doch nicht ausgeschlossen. Man braucht sich nur das Tsunami-Warnsystem in Japan genauer anzusehen – es ist perfekt. Bis ins kleinste Detail ist alles durchorganisiert, selbst die Kinder in den Schulen wissen, wo sie hinlaufen sollen, wenn Tsunami-Alarm gegeben wird. Und dennoch hat diese gewaltige Flutwelle Tausende Menschenleben gekostet, hat ganze Landstriche verwüstet. Fukushima hat in Deutschland dieses menschliche Drama in den Hintergrund gerückt. Bei aller Diskussion über Kernenergie sollten wir den Japanern immer wieder unsere Anteilnahme an dem menschlichen Leid und unseren großen Respekt vor der Reaktion der Menschen auf die Naturkatastrophe bekunden.

In Fukushima, direkt am Meer, sind diese vier Kernkraftblöcke nebeneinandergebaut. Weltweit war man sicher davon überzeugt, dass in Japan für alle Katastrophenszenarien vorsorgend eine detaillierte Planung entwickelt wurde, die aufzeigt, wie man in einem solchen Fall zu reagieren hat. Diese Planung hätte auch die Frage zu umfassen, wo man das betreffende Equipment zur Katastrophenbewältigung gelagert hat, um nur ein konkretes Beispiel zu nennen. In Deutschland sind solche Einsatzpläne entwickelt, nicht weil wir glauben, dass bestimmte Katastrophen eintreffen werden, sondern weil sie gegen unsere Erwartungen eintreten können. In solchen Fällen müssen wir vorbereitet sein. Dass es in Japan nicht so zu sein schien, in einem Land, das auf Sicherheit und Vorsorge aufbaut, das einer großen Anzahl von Menschen auf kleinstem Raum in einer lebendigen Demokratie einen rechtlich verlässlichen Ordnungsrahmen gibt und das auch eine konsequente Staatsführung hat – das ist doch sehr erstaunlich.

Yogeshwar   Vielleicht liegt der Grund tiefer: Ein Unternehmen wie Tepco musste aus den Kategorien eines regulären Betriebs von einem Augenblick auf den anderen in die Kategorie Katastrophe springen, und das angesichts eines Ereignisses, das man so bestimmt nicht antizipiert hatte. Und ich denke, dass man in einer solchen Situation das eigene Handeln nicht sofort aufs richtige Gleis setzt und nach Plan gestaltet – und das ist nicht spezifisch für Tepco, auch nicht spezifisch für Japan, sondern gilt für uns alle, weltweit.

Um es noch mal zu konkretisieren: Sie haben eine Anlage, die läuft. Auf einmal taucht ein Problem auf, und der erste Gedanke ist, konform mit den Systemgrößen und den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu agieren. In Fukushima wurde das ständig versucht, jedenfalls konnte ich das deutlich erkennen. Das hatte jedoch einen Nachteil: Ich stelle die Behauptung auf, dass die Detonationen, die in Block 3 und in Block 4 passierten, vollkommen überflüssig waren. Dazu hätte es eines anderen Denkens bedurft. Die Japaner waren aber in ihrem eigenen System gefangen, was man daran beobachten konnte, dass sie nach Prozeduren suchten, nach Lösungsmöglichkeiten,...

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