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Unsicherheit

Das Gefühl unserer Zeit - Und was uns gegen Stress und gezielte Verunsicherung hilft

AutorAchim Peters
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783641224479
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Die Krankmacher unserer Zeit: Unsicherheit und Stress und wie wir uns dagegen schützen können.
Liebe, Freude, Wut, Angst, Neid und Traurigkeit sind Empfindungen, die so alt sind wie die Menschheit. Aber jede Zeit hat ihre eigenen Anforderungen und bringt eigene Emotionen hervor: Oft sind sie deutliche Anzeichen für neue - zeitspezifische - Herausforderungen und Belastungen. Der Internist und Hirnforscher Achim Peters hat nun das tiefgreifendste Gefühl unserer heutigen Zeit analysiert: Unsicherheit. Er erklärt aus medizinischer Sicht, was Unsicherheit in uns verändert, warum sie uns krank machen kann - und wie wir uns bewusst und ganzheitlich dagegen wappnen können.

Professor Dr. med. Achim Peters, geboren 1957, ist Hirnforscher, Endokrinologe und Diabetologe. Er leitet die interdisziplinäre Forschergruppe 'Selfish Brain' an der Universität Lübeck. 2011 erschien sein Bestseller 'Das egoistische Gehirn'.

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Leseprobe

1. Was ist Stress?

Der älteste Gefühlszustand der Welt • Die Entdeckung des Stressbegriffs • Wann ist Stress gut, wann tolerierbar und wann toxisch? • Lässt sich Unsicherheit berechnen? • Claude Shannon und die Suche nach der Formel für ein stressreduziertes Leben

Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir von Gefühlen sprechen? Von Liebe, Angst, Eifersucht, Ekel, Furcht, Geborgenheit, Hass, Hoffnung, Neid, Reue, Scham, Trauer, Wut oder Zuneigung? Gefühle, die wohl jeder Mensch schon erlebt hat. Ganz gleich, welcher Epoche oder Kultur er angehört. Diese Gefühle sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Es gibt für diese Gefühle Namen oder Bezeichnungen in beinahe jeder Sprache – von Albanisch bis Walisisch. Und auch die Begriffe für Liebe, Hoffnung oder Hass in den jeweiligen Sprachen sind so alt, dass ihr Ursprung kaum zu bestimmen ist.

Wenn also unser Gefühlsleben so vielfältig ist und schon vor so langer Zeit Eingang in alle Kulturen und Sprachen gefunden hat, wie kann es dann sein, dass ein bestimmter Gefühlszustand scheinbar erst in der Moderne »entdeckt« wurde? Und es geht hier nicht um irgendein abseitiges, selten auftretendes Phänomen, sondern um einen Zustand, den wir ebenfalls alle kennen: STRESS. Eingeführt (und wohl auch geprägt) wurde der Begriff nämlich erst 1936 – von dem Arzt und Chemiker Hans Selye.1 Er stellte als Erster den Stressbegriff auf eine biologisch-medizinische Grundlage. Ihm ging es dabei um die Frage, was im Körper passiert, wenn er starken negativen Reizen ausgesetzt ist – wie zum Beispiel Hitze, Hunger oder Durst. Selye setzte Versuchstiere unterschiedlichsten Belastungen aus und entdeckte, dass bei ihnen immer wieder die gleichen Symptom-Muster auftraten: Die Nebennieren wuchsen, der Thymus schrumpfte, und es entstanden Magen-Darm-Geschwüre. Er nannte dieses Phänomen Stress. Heute wissen wir, dass das Anwachsen der Nebenniere mit der vermehrten Ausschüttung von Cortisol (einem Stresshormon) zusammenhängt und dass der geschrumpfte Thymus Zeichen einer Schwächung des Immunsystems ist. Doch damals – vor weniger als hundert Jahren – war dieses Gebiet wissenschaftliches Neuland. Wir wissen mittlerweile auch, dass neben Hitze, Hunger und Durst eine ganze Reihe anderer Stressoren existiert.

Stress taucht als Begriff also zum ersten Mal vor über achtzig Jahren auf und markiert den Beginn der Stressforschung. Seitdem ist vieles passiert, und viele neue Erkenntnisse wurden gewonnen. Aber auch das Wort Stress hat ein Eigenleben außerhalb der Wissenschaft begonnen. Und da sind wir wieder bei den Gefühlen. Kritiker könnten jetzt einwenden, ob es sich bei Stress überhaupt um ein Gefühl handelt – und sie hätten recht. Stress nur als Gefühl zu beschreiben, würde seiner Komplexität kaum gerecht werden. Die subjektiven Gefühlszustände im Stress hängen eng mit der Wahrnehmung von den zahlreichen Veränderungen im gestressten Körper zusammen, wie »das Herz schlägt mir bis zum Hals«. Genauer gesagt ist das, was wir umgangssprachlich unter dem Begriff Stress verstehen, vor allem ein hochemotionaler Zustand. Wenn wir sagen, dass wir gestresst sind, dann meinen wir im Allgemeinen, angespannt, erschöpft, unruhig oder vielleicht auch nur genervt zu sein. Wenn wir allerdings erklären sollen, was Stress genau ist, denn fällt die Antwort nicht mehr so leicht. Im Grunde haben wir eine eher diffuse Vorstellung davon, was Stress ist und was ihn auslöst, wie wir ihm entgegenwirken können, welche Rolle dabei unser eigenes Verhalten spielt und was Stress in unserem Körper bewirkt.

Interessanterweise geht das nicht nur Laien so. Auch in der Forschung tun sich Wissenschaftler damit schwer, den Begriff klar zu definieren. Sicher ist, dass die Stressforschung noch immer eine vergleichsweise junge Wissenschaft ist und ziemlich am Anfang steht. Und obwohl der Begriff erst 1936 geprägt wurde, ist das Phänomen Stress selbst mindestens so alt wie jene tiefbewegenden Zustände, welche Liebe, Hass oder Hoffnung hervorbringen. Bestimmt ist Stress sogar noch älter. Womöglich ist Stress sogar der älteste Gefühlszustand der Welt. Oder anders gesagt: Stress ist ein Zustand, den jedes Lebewesen kennt. Selbst der primitivste Einzeller, der wohl kaum ein bewusstes Erleben, geschweige denn einen Begriff von der großen Liebe haben kann, zeigt unter kritischen Umständen genau das unruhige Suchverhalten, wie es typisch ist für Stress. Denn Stress entsteht überall dort, wo lebenswichtige Dinge fehlen oder wo das Überleben in Gefahr ist. Deswegen könnte man wohl behaupten: Stress ist so alt wie das Leben selbst. Und er ist – bis heute – eine der größten und mächtigsten Kräfte, die auf uns im täglichen Leben einwirken. Deshalb ist es so wichtig, ihn besser zu erforschen und zu verstehen.

Und dieser Weg des Verstehens fängt mit einer ganz einfachen, grundlegenden Frage an: Was ist Stress? Auf diese Frage würde jeder spontan und situativ wahrscheinlich ganz unterschiedlich antworten: der Stau, der einen daran hindert, pünktlich zur Arbeit zu kommen. Der Chef, der eine Leistung kritisiert. Das Baby, das nachts schreit anstatt zu schlafen. Oder die Angst, den Job zu verlieren. Doch das alles sind keine wissenschaftlich belastbaren Definitionen, sondern bestenfalls Auslöser dafür, dass unser Stresssystem hochfährt, also sogenannte Stressoren. Und was ist nun Stress, wissenschaftlich betrachtet?

Wenn wir von Stress sprechen, ist es zunächst wichtig, festzustellen, welche Stressstufe eigentlich gemeint ist. Denn Stress ist nicht gleich Stress. Grundsätzlich unterscheidet die Stressmedizin drei Stressebenen:

1. Guter Stress: Er ist in der Regel kurz. Stressforscher sprechen auch von einer Episode. Wir erleben zum Beispiel eine fordernde Situation, die schnelles und umsichtiges Handeln verlangt. Wir besorgen uns die nötigen Informationen, entscheiden und lösen das Problem. Der Druck lässt nach, die Anspannung auch, und das Stresssystem, das kurzfristig hochaktiv war, begibt sich wieder in die Ruheposition. Wir haben danach ein gutes Selbstwertgefühl und auch das Gefühl, die Sache wieder unter Kontrolle zu haben. Ein derartiges Stresserlebnis können wir durchaus als anstrengend empfinden, aber auch als erfolgreich und bereichernd.

2. Tolerierbarer Stress: Jetzt ist der Druck größer, und meine Möglichkeiten zu handeln sind eingeschränkt. Wir können das Problem und die bedrohliche Situation nicht auflösen. Aber wir selbst können uns vielleicht verändern. Ein Beispiel: Ein 52-jähriger Mann ist seit acht Jahren arbeitslos. In der ersten Zeit war er extrem verunsichert, angespannt, aufgeregt, erschöpft, schlaflos und hat oft nachts gegrübelt. Mit der Zeit hatte er sich aber an seine neue Lebenssituation gewöhnt. Mittlerweile lebt er äußerst bescheiden und hat eine gewisse Ruhe gefunden. Indem er sich mithilfe seiner Puffermechanismen sowie seiner sozialen Unterstützung in der Familie an die Lage angepasst hat, erlebt er seine schwierige Lebenssituation als tolerierbar. Könnte er dies nicht, liefe er Gefahr, sich mittelfristig toxischem Stress auszusetzen.

3. Toxischer Stress: Wir befinden uns in einer Situation, in der das Stresssystem immer wieder oder dauerhaft erregt ist. Ständig werden wir überrascht. Wir sehen oder finden keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Aber wir suchen und suchen weiter nach der Lösung, der richtigen Strategie. Oft verharren wir dann in der Unsicherheit, ohne etwas Konkretes zu unternehmen. Das kann zum Beispiel jemand sein, der sich von seinen Kollegen gemobbt fühlt und nicht weiß, ob er kündigen soll, oder jemand, der in einer Partnerschaft mit einer Person lebt, die aufgrund eines Alkoholproblems unberechenbar ist. Wie gesagt, das sind nur einige von vielen Möglichkeiten, in eine Lebenssituation zu geraten, die mit toxischem Stress einhergeht. Wir werden uns im Verlauf dieses Buchs besonders eingehend mit toxischem Stress befassen. Denn seine Auswirkungen können verheerend sein – nicht nur auf unsere Lebensqualität, sondern auch auf unsere Gesundheit.

Aber all das beantwortet natürlich noch nicht definitiv die Frage, was Stress genau ist. Gemeinsam mit dem amerikanischen Pionier der Stressforschung, Bruce McEwen, und dem britischen Psychiater Karl Friston habe ich folgende Frage formuliert, die sich auf jede Form von Stress anwenden lässt:2, 3

  • Welche meiner Strategiemöglichkeiten soll ich auswählen, um mein zukünftiges physisches, mentales und soziales Wohlbefinden sicherzustellen?

Wenn es gelingt, hier jeweils die richtige Antwort zu geben, sind alle möglichen schlimmen Überraschungen ausgeschaltet: Wir haben dann genug zu essen, ein gesichertes Einkommen. Nichts und niemand bedroht uns. Wir sind gesund, leben in einer intakten Beziehung, haben Freunde und Kollegen, mit denen wir uns verstehen, und arbeiten in einem Job, in dem wir uns wohlfühlen. Es sind auch keine Gefahren am Horizont zu erkennen – wie zum Beispiel schulische Probleme der Kinder, oder dass unser Arbeitgeber in einer wirtschaftlich schwierigen Phase ist und womöglich Stellen abbauen wird. Das sind natürlich nur Beispiele, aber ich denke, es wird deutlich, was gemeint ist: Wir sind in der Lage, unser Leben so zu gestalten, dass wir Überraschungen vermeiden können.

Und jetzt kommen wir zum zweiten und eigentlichen Teil der Stressdefinition nach Peters, McEwen und...

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