2.1. Historische Entwicklung
Die historische Entwicklung der Unternehmensbewertungstheorie kann im deutschen Sprachraum in drei maßgebliche Phasen unterteilt werden:
Phase 1: Objektive Unternehmensbewertung
Phase 2: Subjektive Unternehmensbewertung
Phase 3: Funktionale Unternehmensbewertung
Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts war die objektive Unternehmensbewertung die in der Literatur dominierende Theorie. Im Mittelpunkt dieser Betrachtungsweise stand die Ermittlung eines objektiven, für jedermann gültigen Unternehmenswerts. Dabei orientierte man sich primär an vergangenen und gegenwärtigen Verhältnissen. Zukünftige bzw. zu erwartende Entwicklungen wurden nicht berücksichtigt. Auf Grundlage dieser statischen Betrachtungsweise kam dem Substanzwert eines Unternehmens eine wesentliche Bedeutung zu. Kritik an dieser Werttheorie wurde vor allem hinsichtlich der Brauchbarkeit (z.B. als Verhandlungsgrundlage) sowie an der generellen Ermittlungsmöglichkeit eines objektiven allgemeingültigen Unternehmenswerts laut.[6]
Demgegenüber steht die Lehre der subjektiven Unternehmensbewertung. Diese wurde in Frontstellung zur objektiven Unternehmensbewertung entwickelt und verneint explizit die Existenz eines allgemeingültigen Unternehmenswerts. Vielmehr sollte der subjektive Unternehmenswert erfassen, was das zu bewertende Unternehmen dem konkreten Bewertungssubjekt (z.B. Käufer bzw. Verkäufer) unter Berücksichtigung dessen individueller Ziele, Möglichkeiten und Erwartungen wert sei.
Das Abstellen auf subjektive Erwartungen und Einschätzungen des Bewertungssubjekts erforderte jedoch eine zukunftsbezogene Unternehmensbewertung. Dies führte zu einer Abkehr von statischen und auf Einzelbewertung basierenden Substanzwertverfahren und zu einer Favorisierung von Ertragswertverfahren. Diese wiederum werden von den fundamentalen Prinzipen der Subjektivität, der Gesamtbewertung sowie der Zukunftsbezogenheit beherrscht. Ein wesentlicher Kritikpunkt an der subjektiven Unternehmensbewertungstheorie basiert auf deren Subjektbezug selbst.[7] Diese einseitige Betrachtung macht es unmöglich, das gesamte Aufgabenspektrum der Unternehmensbewertung auszufüllen.[8] Präskriptive Aussagen, Verhaltensempfehlungen und Entscheidungshilfen, wie sie von einer modernen Betriebswirtschaftlehre angestrebt werden, sind so vor dem Hintergrund der subjektiven Werttheorie unmöglich.[9]
Die Kontroversen zwischen objektiver und subjektiver Unternehmensbewertungstheorie konnten erst Mitte der 1970er Jahre durch die Entwicklung der funktionalen Unternehmensbewertung[10] überwunden werden. Die funktionale Bewertungstheorie basiert auf den Grundsätzen der subjektiven Unternehmensbewertung (Subjektivität, Zukunftsbezogenheit sowie Gesamtbewertung). Diese werden allerdings durch das Prinzip der Zweckgebundenheit ergänzt.[11] Demnach ist vor jeder Unternehmensbewertung der Zweck der Bewertung genau festzulegen, da unterschiedliche Bewertungszwecke in der Regel auch zu unterschiedlichen Unternehmenswerten führen. Die funktionale Unternehmensbewertung geht dabei von mehreren typischen Zielsetzungen aus, denen jeweils eine „Funktion“ der Unternehmensbewertung zugeordnet werden kann. Allgemein kann dabei zwischen Haupt- und Nebenfunktionen unterschieden werden.[12]
Eine der Entwicklung im deutschsprachigen Raum vergleichbare, explizite Ausformulierung der Funktionenlehre ist in den angelsächsischen Ländern nicht zu erkennen. Vielmehr scheint hier die Zweckabhängigkeit der Bewertung als Selbstverständlichkeit, welche keiner weiteren Erörterung bedarf. Desweiteren wurde, insbesondere in den USA, die Unternehmensbewertung bereits sehr früh als investitionstheoretisches Problem erkannt, auf das die Grundsätze der Finanzierungs- und Investitionstheorie anzuwenden sind. Dies hatte auch die Übernahme moderner Ansätze der Kapitalmarkttheorie zur Folge. Bewertungen auf Basis individueller Ertragswerte oder der Ansatz von Substanzwerten wurde nur in Ausnahmefällen in Anspruch genommen.[13]
2.2. Bewertungsanlässe
Unternehmensbewertungen dienen unterschiedlichen Zwecken. Nach heute unumstrittener Auffassung ist der Unternehmenswert vom Bewertungszweck abhängig. Dieser wiederum wird vom jeweiligen konkreten Bewertungsanlass determiniert.[14] Allerdings sind diese Anlässe auch zahlreich und vielfältig. Bewertungen können so beispielsweise im Zusammenhang mit dem Kauf bzw. Verkauf eines Unternehmens, dem Ausscheiden eines Gesellschafters, oder einer notwendigen Kreditwürdigkeitsprüfung erforderlich werden.[15] In der Literatur wird deshalb zumeist eine Unterteilung in transaktionsbezogene (mit einem geplanten Eigentumswechsel verbundene) sowie in nicht transaktionsbezogene (nicht mit einem geplanten Eigentumswechsel verbundene) Bewertungsanlässe vorgenommen.
Innerhalb der transaktionsbezogenen Anlässe kann wiederum in dominierte (die Änderung der Eigentumsverhältnisse kann von einer Partei ohne Zustimmung der anderen Parteien erzwungen werden) und in nicht dominierte (für die Änderung der Eigentumsverhältnisse ist eine Einigung erforderlich) Bewertungsanlässe unterteilt werden.[16] Folgende Abbildung 2 soll diese Systematisierung veranschaulichen.
Abbildung 2: Anlässe von Unternehmensbewertungen (Quelle: in Anlehnung an Künnemann, Unternehmensbewertung, 1985, S. 59)
2.3. Bewertungszwecke
Mit der Vielzahl und Heterogenität der Bewertungsanlässe sind unterschiedliche Zwecke der Unternehmensbewertung verbunden.
Die objektive, wie auch die subjektive Werttheorie können dieser Auffassung nicht folgen. In der funktionalen Unternehmensbewertung hingegen, werden aus der Gesamtheit der in der Realität vorkommenden Bewertungsanlässe praktisch bedeutsame Zwecksetzungen von Unternehmensbewertungen abgeleitet. Den einzelnen Zwecksetzungen wird dabei jeweils eine „Funktion“ der Unternehmensbewertung zugeordnet.[17]
Traditionell wird in der deutschsprachigen Literatur zwischen Haupt- und Nebenfunktionen unterschieden. Zu den Hauptfunktionen zählen dabei
die Beratungsfunktion,
die Vermittlungsfunktion sowie
die Argumentationsfunktion.
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) kennt noch die Funktion des neutralen Gutachters. Diese dient der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes. Im Gegenzug negiert das IDW allerdings die Argumentationsfunktion als weitere eigenständige Funktion der Bewertung durch den Wirtschaftsprüfer.[18]
Das Gemeinsame dieser Funktionen ist hierbei ihre Orientierung auf interpersonale Konfliktsituationen. Hauptfunktionen beziehen sich demnach auf jene Bewertungen, die auf eine Änderung der Eigentumsverhältnisse am zu bewertenden Unternehmen bzw. an den zu bewertenden abgrenzbaren Unternehmensteilen ausgerichtet sind.
Erfolgen Bewertungen nicht mit dem Ziel, Eigentumsverhältnisse zu verändern, liegen Nebenfunktionen vor. Diese können wiederum unterteilt werden in:[19]
Informationsfunktion,
Steuerbemessungsfunktion sowie in
Vertragsgestaltungsfunktion
2.4. Methodenüberblick
Theorie und Praxis der Unternehmensbewertung sind durch eine breite Methodenvielfalt gekennzeichnet. Grund für diese Entwicklung waren unter anderem der Erkenntnisfortschritt in der Betriebswirtschaftslehre[20] sowie die technische Entwicklung im Hinblick auf heute verfügbare Software-Unterstützungen, wie etwa Tabellenkalkulationsprogramme oder ähnliches. Auch wurde im deutschsprachigen Raum mit der Entwicklung hin zur funktionalen Unternehmensbewertung deutlich, dass verschiedene Bewertungszwecke häufig den Einsatz konzeptionell unterschiedlicher Verfahren erfordern.[21]
Abbildung 3 soll die in Deutschland gängigsten Bewertungsverfahren systematisch darstellen.
Abbildung 3: Methoden der Unternehmensbewertung (Quelle: in Anlehnung an Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997, S. 30)
Waren zu Beginn der Bewertungslehre insbesondere die substanzorientierten Einzelbewertungsverfahren dominierend, stehen heute vor allem die zukunftsorientierten Gesamtbewertungsverfahren im Mittelpunkt. Diese zielen auf das Unternehmen insgesamt als Bewertungsobjekt ab.[22] Dabei besteht der Unterschied zur Einzelbewertung in der Berücksichtigung von Kombinationseffekten, die aus dem Zusammenwirken verschiedener Einzelpositionen...