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E-Book

Unterwegs in Sein und Zeit

Einführung in das Leben und Denken von Martin Heidegger

AutorAlfred Denker
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl237 Seiten
ISBN9783608102437
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Immer, auch in seinen komplexesten Werken, stellt Heidegger in den Vordergrund, dass das Dasein unmittelbar, nicht auf den Menschen einzuengen und endlich sei. Heidegger hat mit 'Sein und Zeit' nicht nur den wohl bedeutendsten philosophischen Entwurf des 20. Jahrhunderts vorgelegt, sondern sich auf seinen Denkwegen immer 'unterwegs in Sein und Zeit' erkannt und gelebt. Mit zahlreichen bisher völlig unbekannten Details aus dem Leben Martin Heideggers.

Alfred Denker ist Philosoph und arbeitet seit 1997 an einer umfassenden Heidegger-Biographie. Er ist Mitherausgeber des Heidegger-Jahrbuches und hat neben einer Reihe von Aufsätzen zu Heidegger und seinem Denken und Leben ein 'Historical Dictionary of Heidegger´s Philosophy' veröffentlicht. Alfred Denker, geboren 1960 in den Niederlanden, studierte Philosophie. Er ist Mitherausgeber des Heidegger-Jahrbuches und hat neben zahlreichen Aufsätzen zu Heidegger ein 'Historical Dictionary of Heidegger's Philosophy' veröffentlicht. Alfred Denker arbeitet seit 1997 an einer umfassenden Heidegger-Biografie, die ab 2014 im Verlag Klett-Cotta erscheinen wird.

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Leseprobe

Warum Heidegger?


Warum Heidegger? Mit dieser Frage wird jeder Philosoph, der sich ernsthaft mit dem Leben und Werk Martin Heideggers auseinandersetzt, heute immer wieder konfrontiert. Warum gerade Heidegger und nicht Lévinas oder Gadamer? Heidegger ist doch der Nazi-Philosoph! Seine Schriften sollten Emmanuel Faye zufolge aus den philosophischen Bibliotheken entfernt und als Nazi-Literatur eingeordnet werden.1 War Heidegger nur ein philosophischer Zauberer und als Mensch unlauter und unredlich?2 In der Öffentlichkeit hat sich das Bild Heideggers in den letzten Jahrzehnten von einem großen Denker in eine unsympathische und fragwürdige Figur und einen philosophischen Scharlatan gewandelt. Die Metaphysik wird zusammen mit der langen Geschichte des abendländischen Denkens einfach als überholt und altmodisch – wenn nicht sogar als sinnlos – beiseite geschoben. Es ist meines Erachtens Zeit, endlich Widerspruch einzulegen.3 Zugegeben, Heideggers Denken ist anstößig. Aber weshalb eigentlich?

Martin Heidegger war zeitlebens und ist auch heute noch anstößig, denn sein Denken ist unzeitgemäß. Seit Sokrates ist es die Aufgabe der Philosophie, unzeitgemäß zu sein, also genau die Fragen zu stellen, die eine Gesellschaft lieber ungefragt lassen möchte. Der Philosoph stellt alles infrage. Und er weiß, dass er nichts weiß, jedenfalls zunächst. Aber diese Unwissenheit ist schwer auszuhalten und für die meisten Menschen unerträglich. Wer möchte nicht unangefochten sein Leben leben, in einer Familie ›zuhause‹ sein und mit ihr seine Tage verbringen? Wir denken, sprechen und leben, wie man das eben so tut und macht. Genau diese allgemeingültige, ja alltägliche Auffassung zu hinterfragen ist Aufgabe der Philosophie. Wir sehen die Welt, so wie man sie sehen soll. Wir denken nicht darüber nach, ob wir die Welt auch anders sehen und wahrnehmen könnten. Der Philosoph sucht die Grenzen dieser Selbstverständlichkeit auf und geht, wenn möglich, über sie hinaus. In dieser Grenzüberschreitung vollzieht er seine Existenz in und aus der Freiheit. Philosophieren heißt, zuerst fragen und dann sich in diesem Fragen frei machen, um schließlich in dieser unheimlichen Freiheit heimisch zu werden.

In diesem Buch werde ich versuchen, Martin Heidegger auf seinem Lebens- und Denkweg zu folgen. So werden wir nicht nur dem Menschen Heidegger näher kommen, sondern auch in sein philosophisches Denken eingeführt werden. Wie Bernhard Welte es so treffend formulierte, war Martin Heidegger der vielleicht größte Suchende des vergangenen Jahrhunderts.4 Fragen ist genau das, was wir am besten von Heidegger lernen können. Und wenn wir fragen lernen, können wir frei werden. Frei sein heißt, seine eigene Endlichkeit verstehen. Frei kann nur ein endliches Wesen sein. Und nur ein Wesen, das sich seiner Endlichkeit bewusst ist, hat die freie Wahl.

Die Einführung in das Denken eines Philosophen sollte aber auch immer eine Ausführung, ein Hinausführen aus seinem Denken sein. Durch das Mitvollziehen seiner Denkbewegung sollen und wollen wir selbst denken lernen. Indem wir aber selbst zu denken anfangen, lassen wir das Denken des Philosophen hinter uns und befreien uns. Ein grundsätzliches und schwer zu lösendes Problem, mit dem jede Einführung zu kämpfen hat, ist die Komplexität philosophischen Denkens. Wenn es zu sehr vereinfacht wird, verfehlt die Einführung ihr Ziel. Taucht die Einführung zu sehr in die philosophische Begrifflichkeit ein, verliert sie unterwegs ihre Leser.

Im Denken Martin Heideggers zeichnen sich ganz allgemein zwei Phasen ab; die erste reicht von 1909 bis 1945. In dieser Zeit führte er das Leben – seit 1915 – eines Philosophieprofessors und stützte sich in seiner Lehre weitgehend auf die philosophischen Fachtermini. In fast allen seinen Vorlesungen setzte er sich mit den großen Denkern der Philosophiegeschichte wie Platon, Aristoteles, Augustinus, Descartes, Leibniz, Kant und Hegel auseinander. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt er immer wieder Vorträge – meistens für ein nicht-akademisches Publikum – und griff dabei auf die deutsche Alltagssprache zurück. Deshalb ist der Zugang zum Spätwerk Heideggers in dieser Hinsicht wesentlich einfacher.

Martin Heidegger gab sich immer bescheiden, freundlich und einfach. Dennoch war sein Charakter kompliziert – eine Mischung aus Stolz, Eigensinn, Hinterlist und Bescheidenheit. Beziehungen knüpfte er nur mühsam. Im Gespräch war er gehemmt, und es fiel ihm schwer, einem anderen Menschen zu vertrauen oder sich ihm anzuvertrauen. Freilich übte er auf Frauen eine fast magische Anziehungskraft aus. Der Eros war in vielfacher Hinsicht bestimmend für sein Leben und Werk und funkelte aus seinen Augen. Martin Heidegger als Mensch – mit seinen Schwächen und Stärken, seiner Hellsichtigkeit und Blindheit, das Menschlich-Allzumenschliche an ihm – kann nur in einer umgreifenden Biographie dargestellt, erfasst, erkannt und verstanden werden.

»Wege, nicht Werke«, lautet das Motto seines Lebenswerks, das er der Gesamtausgabe seiner Schriften voranstellte. Er vermittelt seinen Lesern sehr klar, dass er seine Schriften als Wege im Denken, und nicht als Werke verstanden wissen möchte. Ähnliches sagen andere Titel wie etwa Holzwege, Wegmarken, Unterwegs zur Sprache und Zur Sache des Denkens aus. Aber wie können wir seine Bücher als Wege und nicht als Werke ›lesen‹?

Mit einer zweifachen Strategie finden wir, davon bin ich überzeugt, einen Weg, um uns Martin Heidegger zu nähern. Er hat erstens sein Denken aus seiner Lebenserfahrung heraus entfaltet. Deshalb werden wir ihm im 1. Kapitel, »Von seiner Herkunft in die Zukunft«, auf seinem Weg in die Philosophie folgen. Es geht dabei vor allem um die Fragen: Was bedeutet Philosophie für ihn? Was heißt es für ihn nun, sein Leben als Philosoph zu gestalten? Welche Perspektive eröffnet seine Auffassung von der Philosophie für uns heute? Diese Fragen tauchen, wie ich im Weiteren aufzeigen werde, auf Heideggers langem Denk- und Lebensweg immer wieder auf.

Zweitens werden wir uns von Heidegger in bestimmte Themenbereiche der Philosophie einführen lassen. Aber statt nur darzulegen, was Heidegger über bestimmte Themen wie Existenz, Tod, Sprache, Technik gesagt hat, folge ich dem Denkweg, den er geöffnet hat. So wird es möglich, mit Heidegger weiter- und – wenn nötig – auch gegen ihn zu denken.

Wer Heideggers langen Denk- und Lebensweg in einem schmalen Buch darstellt, muss sich beschränken. Eine Einführung in sein Denken soll gerade nicht die Ergebnisse seiner Denkwege in aller Ausführlichkeit wiedergeben, sondern uns in sein Denken einführen. Solange wir die Denkbewegung eines Denkers nicht selbst mitvollziehen, bleibt sein Denken für uns verschlossen. Durch diese Einführung sollen wir dafür in den richtigen Schwung kommen. Gerade weil eine Einführung sich immer auf das Wesentliche einer Philosophie beschränken muss und keine Vollständigkeit beanspruchen kann, ist sie zwangsläufig subjektiv. Ein anderer Interpret würde andere Akzente setzen und eine andere Auswahl treffen, als ich es tue. Ich habe mich entschieden, Martin Heideggers Denken fast ausschließlich auf Grundlage seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften zu erörtern, denn er hat seinen Denkweg mit der Publikation seiner Schriften wohlüberlegt dargestellt. Er hätte andere Schriften publizieren können, wie etwa seine Beiträge zur Philosophie. Vom Ereignis, die erst posthum 1989 erschienen sind. Auch bei seinen Aufsätzen und Vorträgen hätte er eine andere Auswahl treffen können. Den einen Vortrag hat er veröffentlicht, einen anderen für seinen Nachlass aufgespart. Durch die Auswahl und Reihefolge seiner Veröffentlichungen hat er selbst uns einen Kompass und eine ›Landkarte‹ an die Hand gegeben, damit wir ihm auf seinem Denkweg folgen können. Ab und zu werde ich, vor allem um biographische Hintergründe zu erläutern, auf besonders wichtige Passagen in seinen veröffentlichten Briefen eingehen.

Jeder Philosoph versucht seine eigene Zeit in Gedanken zu fassen. Aber nur wenigen Denkern gelingt es, das Wesen der menschlichen Existenz tief zu ergründen und zugleich zu erhellen. Die meisten Philosophen fallen vermutlich deshalb der Vergessenheit anheim, weil ihr Denken viel zu zeitgemäß oder sogar nur zeitgemäß ist. Sie vermögen es nicht, auch andere Zeiten anzusprechen. Ihre Gedanken sind heute nur noch für Philosophiehistoriker von Interesse. Als verhängnisvoll erwies es sich etwa für den Neukantianismus, dass er eine allzu zeitgemäße Philosophie war und deshalb auch nur zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg die philosophische Szene beherrschen konnte. Ein anderes bekanntes Beispiel ist Ernst Haeckel, dessen Hauptwerk, Die Welträtsel, zu den meist verkauften Bücher der Philosophiegeschichte gehört. Dennoch kennt man heute kaum noch seinen Namen. Die wenigen großen und maßgeblichen Denker wie Platon, Aristoteles, Descartes oder Kant sind vermutlich deshalb so bedeutend, weil ihr Denken unzeitgemäß ist, also über ihre eigene Zeit und vielleicht sogar jede Zeit hinausweist. Denn ihr Denken sagt allen Menschen zu allen Zeiten etwas. Entscheidend haben ihre Gedanken unsere Art und Weise zu denken und zu sprechen beeinflusst und geprägt. Große Denker haben die erstaunliche Fähigkeit, immer auch Anfänger zu bleiben. Was Philosophieren heißt, erfahren und lernen wir durch das Denken der überragenden Philosophen.

Was bedeutet dies alles für das Denken Martin...

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