Der Produktentwicklungs- bzw. -erstellungsprozess ist einer der ersten und wichtigsten Prozesse zur Implementierung der Kundenbedürfnisse in das Produkt. Darunter wird der gesamte Vorgang bei der Entwicklung eines neuen Produktes von der ersten Idee bis zur Lieferung des Produktes an den Kunden verstanden. Bei der Erstellung der Produkteigenschaften werden praktisch alle Abteilungen der Unternehmung beteiligt. Hierbei gilt zu beachten, dass die Eigenschaften des Produktes am gravierendsten durch die Entscheidungen zu Beginn des Produktlebenszyklus beeinflusst werden (vgl. Ehrlenspiel (2009), S. 157 f.).
Durch Abbildung 10 wird deutlich, dass eine erfolgreiche Produktentwicklung nur durch eine interdisziplinäre Arbeitsweise - über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg - möglich ist. Holst unterteilt den Entwicklungsprozess in die vier Phasen Produktplanung, Konstruktion und Entwicklung, Produktionsvorbereitung sowie Produktbetreuung (vgl. Holst (1995), S. 171 ff.).
Abbildung 10: Produkterstellungs- und -entwicklungsprozess in Anlehnung an HOLST und EHRLENSPIEL
In der Produktplanungsphase wird das Produktkonzept in Spezifikationen (Entwurf, Hauptkomponenten, Kosten, etc.) übertragen. Außerdem erfolgen die Festlegung des Ablaufs der Teilentwicklungen des Produktes in einem Gesamtplan und die Definition von Realisierungsbedingungen, um reproduzierbare Qualität im künftigen Produktionssystem zu gewährleisten. Anhand der Bewertung der Produktkomponenten bezüglichder Kundenerwartungen werden wichtige Komponenten stärker ausgeprägt und weniger wichtige kostengünstig entwickelt. In der Phase der Konstruktion und Entwicklung werden aus den Daten der Produktplanung detaillierte Produktkonstruktionen gebildet, wobei reale Bauteile und Komponenten bei den Entwurfsarbeiten berücksichtigt werden. Im Weiteren sind Rahmenbedingungen und Produktziele in einzelne Baugruppen zu zerlegen, entsprechende Entwürfe zu entwickeln und als Zeichnungen bzw. CAD- Daten zu dokumentieren. Anschließend sind insbesondere im Automotive-Bereich die Erstellung und der Test von Prototypen üblich. Somit soll der Erfüllungsgrad der Erwartungen geprüft und bei größeren Abweichungen über Korrekturen am Produktkonzept verbessert werden. Neben der Durchführung von Design-Reviews und der FMEA können auch diverse weitere Verfahren zur erfolgreichen Umsetzung der Konstruktionsphase zur Anwendung kommen. In der darauffolgenden Phase, der Produktionsvorbereitung, erfolgt die Überführung der Detail-Konstruktionen in Prozessentwürfe und anschließend die Entwicklung der gesamten Produktionsprozesse. Dies beinhaltet insbesondere
Den Gesamtentwurf von Produktionslinien,
Der Entwicklung des Materialflusses,
Die Hard- und Softwarekonfiguration inklusive Steuerungsanwendungen, und Den Entwurf des Arbeitsablaufs.
Beginnend mit dem Test der Einzelkomponenten wird schrittweise in mehreren Erprobungsläufen durch die Erweiterung um alle beteiligten Faktoren der Gesamtproduktionsprozess untersucht. Hierbei können auch Konstruktionsänderungen des Produktes und Anpassungen des Produktionsprozesses notwendig werden. Die erfolgreiche Beendigung der Produktionsvorbereitung ist Grundlage für den Beginn der Serienproduktion bzw. Start-of-Production (SOP). Nach dem Serienanlauf sind in der Phase der Produktbetreuung Erfahrungen in der laufenden Serienproduktion, interne und externe Verbesserungsvorschläge und Kunden-Feedbacks zu prüfen, um das Produkt und den Prozess zu optimieren. Aus potenziellen Beanstandungen und Reklamationen sind Funktionsverbesserungen zu generieren, wobei wiederum alle vier Phasen des Entwicklungsprozesses durchlaufen werden müssen (vgl. Holst (1995), S. 171 ff.).
Aufgrund des hohen Umfangs des Entwicklungsprozesses ist eine Strukturierung im Sinne eines Vorgehenszyklus notwendig. Für umfangreichere Aufgaben mit höherem Abgrenzungsgrad ist ein Vorgehensplan mit zeitlicher Strukturierung anzuwenden, mit dessen Hilfe gruppen- und abteilungsbezogene Abläufe definiert werden. Diese organisatorischen Leitfäden für das Vorgehen sind Hilfen zur Strukturierung und Bewältigung der Komplexität unklarer Abläufe. Neben der sequenziellen Arbeitsweise wird auch die Zwischenzielbildung zugrundegelegt (vgl. Ehrlenspiel (2009), S. 169 ff.). Der allgemeine Vorgehensplan zur Entwicklung und Konstruktion wird in VDI 2221 bzw. VDI 2222 abgebildet. Die grundlegenden Vorgehenspläne für Produktentwicklungen im Automotive-Bereich werden durch den Ablauf beim Advanced Product Quality Planning (APQP) und gemäß VDA Band 4, Teil 3 vorgegeben.
Der Konstruktionsprozess ist der Hauptbestandteil des gesamten Entwicklungsprozesses technischer Produkte. Vom VDI wird zur Standardisierung die Richtlinie VDI 2221 unter der Thematik Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte herausgegeben. „Die Richtlinie VDI 2221 behandelt allgemeingültige, branchenunabhängige Grundlagen methodischen Entwickelns und Konstruieren und definiert diejenigen Arbeitsabschnitte und Arbeitsergebnisse, die wegen ihrer generellen Logik und Zweckmäßigkeit Leitlinie für ein Vorgehen in der Praxis sein können.“ (VDI 2221 (1993), S. 2) Das Ziel von prinzipiell linearen Vorgehensplänen, wie dem Ablaufplan nach VDI 2221 ist es, „eine Ordnung in den sonst oft chaotisch anmutenden konstruktiven Ablauf‘ (Ehrlenspiel (2009), S. 318) zu bringen.
Generelle Vorgehensabläufe für Entwicklungs- und Konstruktionsprozesse sind aus den folgenden systemtechnischen bzw. psychologischen Annahmen abzuleiten:
1. Zweckmäßige Verbindung der sogenannten Lebensphasen eines systemtechnischen Vorgehensmodells (Problemanalyse, Problemformulierung, Systemsynthese, Systemanalyse, Beurteilung und Entscheidung) zu einem Vorgehensplan bzw. zu einer Vorgehensstrategie. Diese ist bei komplexen Problemstellungen in mehreren iterativen Wiederholzyklen zu durchlaufen.
2. Im Sinne der Aufgliederung des Problemlösungsprozesses in parallellaufende Lösungswege soll eine Aufspaltung des komplexen Gesamtproblems in abgrenzbare Teilprobleme und Einzelprobleme erfolgen. Dies ermöglicht die Erarbeitung von Einzel- bzw. Teillösungen, die dann zu einer Gesamtlösung des Gesamtproblems zusammenzuführen sind. Außerdem ermöglicht dies die Strukturierung eines Systems in Teilsysteme und Systemelemente. Durch die Erkennung von Teilproblemen, ganzheitliches Denken durch offenlegung von Strukturen und Zusammenhängen, die Übernahme bekannter und bewährter Teillösungen, das Erarbeiten von alternativen Lösungen und die Einführung rationeller organisatorischer Arbeitsteilungen wird die Wirkung der Systematik weiter erhöht.
3. Durchführung des Lösungsprozesses in Phasen zunehmender Konkretisierung. Dies kann beispielsweise mit der Strategie vom Abstrakten zum Allgemeinen erfolgen, wobei in einer prinzipiellen Lösung lediglich die grundlegenden Zusammenhänge und erst in einem umsetzbaren Entwurf die notwendigen Einzelheiten geregelt werden.
4. Beachtung der persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des Konstrukteurs beeinflussen maßgeblich den Lösungsprozess bzw. die Lösung (vgl. VDI 2221 (1993), S. 3 ff.).
Die Vielfalt der Entwicklungs- und Konstruktionsaufgaben wird charakterisiert durch:
Die Herkunft der Aufgabenstellung (z. B. externe oder interne Entwicklungsaufträge),
Die Fertigungsart der Produkte,
Der Neuheitsgrad (Neuentwicklung, Weiterentwicklung oder Anpassung),
Die Anforderungen an die Produkte unterschiedlicher Branchen,
Die Konstruktionsziele (z. B. Funktionsoptimierung oder Kostenminimierung),
Externe oder innerbetriebliche Notwendigkeiten (Wettbewerbssituation, Kostendruck, Termindruck, Sonderwünsche, Vorschriftenvielfalt, Fremdfertigung und gestiegene Anforderungen und Komplexität) (vgl. VDI 2221 (1993), S. 6 f.).
Im Folgenden wird ein allgemein anwendbares Vorgehensmodell beim Entwickeln und Konstruieren dargestellt. Abhängig von der Anzahl der herzustellenden Produkte sind der Planungs-, Entwicklungs-, Konstruktions-, Fertigungs- und Montagedurchlauf jeweils mehrfach durchzuführen. Zunächst erfolgt der Durchlauf bis zur Erstellung eines Funktions- bzw. Labormusters. Aus dessen Erprobung resultierende Verbesserungen gehen in den nächsten Durchlauf ein, um einen Prototyp bzw. die Nullserie zu fertigen. Iterativ können jedoch auch Produktverbesserungen zum wiederholten Durchlauf führen. Der Ablauf der Phasen ist gemäß Abbildung 11 durchzuführen (vgl. VDI 2221 (1993), S. 7 f.).
Abbildung 11: Phasen der Produktentstehung nach VDI 2221
Die Gliederung des Gesamtvorgehens erfolgt in sieben Arbeitsschritten, woraus jeweils Arbeitsergebnisse erzielt werden sollen (vgl. Abbildung 12). Für Ehrlenspiel ist „die VDI 2221 mit ihren 7 Arbeitsschritten (..) seither die Basis zur Strukturierung von Entwicklungsprozessen.“ (Ehrlenspiel (2009), S. 317) Dabei kann der...