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Verbraucherpolitik

Ein Lehrbuch mit Beispielen und Kontrollfragen

AutorMirjam Jaquemoth, Rainer Hufnagel
VerlagSchäffer-Poeschel Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783791041292
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Verbraucherpolitik ist durch die Globalisierung und Digitalisierung unserer Konsum- und Lebenswelt notwendiger denn je. Staatliche und nichtstaatliche Verbraucherarbeit suchen neue institutionelle Bahnen. In der Folge sind diverse Bachelor- und Masterstudienprogramme und Berufsfelder entstanden, die sich mit verbraucherpolitischen Fragestellungen befassen. Anhand von zahlreichen leicht verständlichen Fallstudien und Anwendungen gibt das Lehrbuch einen systematischen Überblick über Theorie und Praxis der Verbraucherpolitik. So können sich Studierende und Praktiker den gesamten Bereich der Verbraucherpolitik Stück für Stück anschaulich erarbeiten.

Mirjam Jaquemoth Prof. Dr. Mirjam Jaquemoth lehrt Haushaltsökonomie und Verbraucherpolitik an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Rainer Hufnagel PD Dr. Rainer Hufnagel lehrt Ökonomik an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

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Leseprobe

2.3.2 Rechtswissenschaften


In den Rechtswissenschaften hat in den letzten Jahrzehnten, zunehmend seit den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, eine umfangreiche Diskussion über den Verbraucher bzw. das Verbraucherrecht eingesetzt. Diese begann mit der Frage, ob es überhaupt Sonderregelungen braucht, die Verbraucher schützen. Im Weiteren standen insbesondere der Umfang und die systematische Einordnung entsprechender Vorschriften im Zentrum der Betrachtungen. Aus juristischer Sicht ist es keineswegs banal, ob Vorschriften für eine bestimmte Gruppe in einem oder mehreren Sondergesetzen stehen oder ob sie in der sonstigen Rechtsordnung eingearbeitet sind. Vielmehr können sich hieraus Anhaltspunkte für die Auslegung der Regeln im Einzelfall und die Weiterentwicklung eines Rechtsgebiets ergeben. Mit verbraucherschützenden Vorschriften (etwa zum sogenannten Time-Sharing) hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit oft auf Missstände reagiert, ohne dass eine umfassende rechtswissenschaftliche Begründung geliefert wurde. Erst in den letzten Jahren beschäftigen sich die Rechtswissenschaften vertieft mit den Fragen, warum, in welchen Situationen und in welchem Umfang der Verbraucher Gegenstand besonderer Regeln sein sollte (vgl. Tamm, M. 2011).

Im Verbraucherrecht geht es – vielleicht stärker noch als in anderen Rechtsgebieten – um einen angemessenen Ausgleich zwischen einer möglichst großen Freiheit für Alle und dem Schutz des Einzelnen. Das Verbot aller Rechtsgeschäfte, die einen Verbraucher finanziell, gesundheitlich oder in sonstiger Weise negativ beeinträchtigen können, wäre der umfassendste Verbraucherschutz. Aber losgelöst von dem Problem, diese Gefahren zu bestimmen, widerspricht ein solcher Ansatz unserer Verfassung (Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz), und vor allem unserem Bild des Menschen als selbstbestimmtes Wesen. Die Diskussion um einen verpflichtenden „veggieday“ in der Gemeinschaftsverpflegung zeigt, dass nicht alles was (vermutlich) vernünftig wäre, ohne Eingriff in die Rechte des Einzelnen rechtlich angeordnet werden kann. Andererseits ist es selbstverständlicher und fast unumstrittener Teil der Rechtsordnung, „schwächere“ Personen vor Gefahren zu schützen. Das Jugendschutzgesetz – mit dem Verbot des Verkaufs von Alkohol und Tabak an Minderjährige – ist dafür ein typisches Beispiel. Die minderjährigen Verbraucher werden durch spezielle Vorschriften geschützt. Die erwachsenen Verbraucher sollen über ihren Konsum selbst entscheiden können. Statt eines Verbotes sollen Steuern und Werbebeschränkungen, Aufklärungskampagnen u.v.m. den erwachsenen Verbraucher zum gewünschten Verhalten bringen.

Im Verbraucherrecht muss es folglich darum gehen, die Situationen, in denen der Verbraucher schutzbedürftig ist, rechtlich so zu regeln, dass eine angemessene Durchsetzung der Verbraucherinteressen möglich ist, ohne durch Gebote und Verbote stärker zu regulieren als notwendig.

Zivilrecht

Die spezielle Rolle als Verbraucher (siehe die Definition in Kap. 2.1.2) kommt im allgemeinen Zivilrecht am stärksten zum Ausdruck. Zivilrecht ist der Teil der Rechtsordnung, in dem sich zwei oder mehrere Vertragspartner grundsätzlich „auf Augenhöhe“ gegenüber stehen, z. B. Käufer und Verkäufer oder Dienstleister und Besteller. Deshalb sollen im Zivilrecht die Parteien grundsätzlich selbst dafür Sorge tragen, dass ein Rechtsgeschäft ihren Interessen gerecht wird. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Unternehmen den Verbrauchern regelmäßig strukturell überlegen sind. Die Verbraucher bedürfen eines besonderen Schutzes. Deshalb wenden wir das Augenmerk zunächst auf das allgemeine Privatrecht, das Zivilrecht.

Die Diskussion, welches Recht für den Verbraucher eine angemessene Wahrung der Interessen gewährleistet, kann nicht ohne Blick auf unsere sonstige Rechtsordnung und deren Prinzipien erfolgen.

Seit Jahrtausenden besteht das Bestreben, ausgehend von dem Begriff der „Gerechtigkeit“ zu definieren, was „Recht“ ist. Dieser Teil der Rechtswissenschaften wird häufig auch mit Rechtsphilosophie bezeichnet.

Eine noch heute grundlegende Aussage zu der Begründung, aber auch Auslegung der Rechtsordnung, findet sich bei Imanuel Kant:

Original
Immanuel Kant zur der Frage: Was ist Recht?

„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ (Kant, I. 1785/86: § B Schlusssatz)

Rechtsdogmatik mit dem Ziel der Rechtsanwendung

Dies führt zu dem Teil der Rechtswissenschaften, der hier von Bedeutung ist, nämlich der Rechtsdogmatik. Die Rechtsdogmatik zielt auf die systematische und begriffliche Durchdringung geltender Rechtsnormen. Ziel ist die „richtige“ Rechtsanwendung durch Interpretation und ggf. Lückenfüllung der vorhandenen Regeln. Die angewendeten Methoden hängen dabei von dem jeweiligen Rechtsgebiet ab.

Objektive Theorie begründet sich auf dem Willen des Gesetzgebers

In der Rechtsdogmatik des allgemeinen Zivilrechts wurde und wird vielfach auf den im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers abgestellt, die so genannte objektive Theorie (so auch BVerfG Band 1, 1952: S. 312, Band 10, 1960: S. 244 und Band 62, 1983: S. 1 u. 45).

Interessenjurisprudenz begründet sich auf Interessenkonflikte

In den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts ging man in der Rechtsdogmatik mit dem Ziel der Rechtsanwendung von einer sogenannten Interessenjurisprudenz aus. Jede Rechtsnorm sei eine Entscheidung des Gesetzgebers über widerstrebende Interessen, z. B. zwischen Unternehmen und Verbraucher. Bei der Anwendung des Rechts sei zu ermitteln, wer welche Interessen verfolgt und wie der Gesetzgeber diesen Interessenkonflikt entschieden habe. Fehlt eine solche Entscheidung des Gesetzgebers, so sei die Lücke durch Rückschluss auf Normen zu ähnlichen Fällen und den Interessenskonflikten zu schließen (vgl. Palandt, O. (Sprau, H.) 2011: BGB Einleitung, RN 35). So wurde beispielsweise die Frage, was bei Leasing-Verträgen erlaubt sein soll, häufig mit Blick auf die Vorschriften des Mietrechts entschieden. Für diesen Fall hatte der Gesetzgeber bereits festgelegt, wie die unterschiedlichen Interessen ausglichen werden. Die Übertragung der Art des Interessenausgleichs vom Mietrecht auf Leasing-Verträge war eine Interessenjurisprudenz.

Wertejurisprudenz trifft wertende Entscheidungen

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts wird insbesondere im Zivilrecht zunehmend davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber beim Erlass von Normen und der Rechtsanwender, z. B. der Richter, beim Erlass von Entscheidungen eine Wertejurisprudenz zugrunde legen. Dies bedeutet, dass bei der Interpretation eines jeden Rechtsbegriffs und der Schließung von Gesetzeslücken eine wertende Auslegung erfolgt (vgl. Palandt, O. (Sprau, H.) 2011: BGB Einleitung, RN 42f.). Beispielsweise konnte die Rechtsfrage, welche Qualität ein Computerprogramm haben muss und ob das Programm einen Vermögenswert darstellt nur durch Rückgriff auf die Bewertungen nicht digitaler Produkte beantwortet werden.

Insofern ist es weit verbreiteter, aber auch grundlegender Irrtum, zu unterstellen, Rechtsdogmatik oder auch nur die Rechtsanwendung durch die Rechtsprechung seien reine Subsumption, also die Zusammenfassung eines Sachverhalts unter den Tatbestand einer Rechtsnorm. Vielmehr müssen die verwendeten Rechtsbegriffe immer im Lichte der aktuellen Wissenschaften und der gesellschaftlichen Bedingungen interpretiert werden. Die Rechtsanwender, das heißt vornehmlich die Richter, aber auch die Rechtswissenschaft, müssen sich zu jedem Zeitpunkt fragen: Durch welches Verhalten wird ein Verbraucher „getäuscht“? Wann ist also eine Behauptung unwahr oder irreführend? Was ist „gesundheitsgefährdend“ oder was sind die geltenden „Verkehrssitten“, an denen sich der rechtliche Umgang mit Verbrauchern orientieren muss?

Eine wertende Auslegung und Anwendung von Recht beinhaltet immer die Gefahr einer reduzierten Voraussehbarkeit, eingeschränkten Rechtssicherheit und mangelnden Legitimation. Richter müssen vordringlich die vom Gesetzgeber erlassenen und damit demokratisch legitimierten Gesetze anwenden. Überschreiten sie dabei den Rahmen der zulässigen Auslegung und Anwendung und ersetzen die Anwendung von Vorschriften durch dasjenige, was ihnen im Einzelfall gerecht erscheint, so wird der für unsere Rechtsordnung elementare Grundsatz der Gewaltenteilung durchbrochen.

Selbst das Bundesverfassungsgericht kann bei einem Gesetz nur prüfen, ob dies mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist, und nicht, ob ein Gesetz sinnvoll oder gar gerecht ist. Keinesfalls ist es der Rechtsprechung erlaubt, eine Vorschrift des Gesetzgebers, die einen Fall regelt, aufgrund von Gerechtigkeitserwägungen durch eine andere Vorschrift zu ersetzen.

Gerade im Bereich des Verbraucherrechts ist diese Gefahr jedoch sehr hoch, da hier regelmäßig eine natürliche Person, der Schwächere, auf einen Unternehmer, den Stärkeren, trifft.

Unter der Lupe
Trennlinie zwischen Rechtsanwendung und Gesetzgebung

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