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E-Book

Verfolgung, Entrechtung, Tod

Studierende der Universität Innsbruck als Opfer des Nationalsozialismus

AutorGisela Hormayr
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783706559980
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Annähernd dreißig aktive und ehemalige STUDENTINNEN UND STUDENTEN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK wurden in der NS-ZEIT vom Regime verfolgt, viele ermordet. Bekannt ist das Schicksal von CHRISTOPH PROBST, Mitglied der 'WEISSEN ROSE', das in der Erinnerungskultur der Universität einen zentralen Platz einnimmt. Die meisten Opfer erfuhren jedoch bis heute kaum Aufmerksamkeit oder öffentliche Würdigung. Zu ihnen gehören aus rassischen Gründen Verfolgte und Ermordete, wie die Medizinstudentin MELANIE ADLER. Andere bezahlten ihren aktiven WIDERSTAND GEGEN DAS NS-REGIME mit dem Leben: HANNS-GEORG HEINTSCHEL-HEINEGG wurde als Mitglied einer konservativen Widerstandsgruppe hingerichtet, der Lehrer FRANZ MAIR starb in den letzten Kriegstagen in Innsbruck während eines Schusswechsels. Besonders viele Opfer waren ehemalige Angehörige der THEOLOGISCHEN FAKULTÄT, deren Ruf sie zu einem begehrten Studienort auch für Studenten aus dem Ausland gemacht hatte. Der spätere Berliner Dompropst BERNHARD LICHTENBERG, verhaftet, weil er in seinen Predigten an die Verfolgung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnerte, war einer von ihnen. Anhand von Biografien werden die Studierenden der Universität Innsbruck in diesem Buch erstmals als OPFERGRUPPE DES NATIONALSOZIALISMUS greifbar.

GISELA HORMAYR, Dr., ist Historikerin mit dem Forschungsschwerpunkt Nationalsozialismus. Zuletzt erschienen im Studienverlag zum Widerstand gegen den NS in Tirol: 'Wenn ich doch wenigstens von euch Abschied nehmen könnte.' Letzte Briefe und Aufzeichnungen von Tiroler NS-Opfern aus der Haft (2017), 'Die Zukunft wird unser Sterben einmal anders beleuchten'. Opfer des katholisch-konservativen Widerstands in Tirol 1938-1945 (2015) sowie 'Ich sterbe stolz und aufrecht'. Tiroler SozialistInnen und KommunistInnen im Widerstand gegen Hitler (2012). DER REIHENHERAUSGEBER HORST SCHREIBER, Mag. phil., Dr. phil., Univ.-Doz. am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; Lehrer für Geschichte und Französisch am Abendgymnasium Innsbruck für Berufstätige; Leiter des dezentralen Netzwerkes Tirol für das bm:ukk-Projekt 'Nationalsozialismus und Holocaust: Gedächtnis und Gegenwart'; Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus; Arbeitswelt; Bildungsgeschichte; Regionalgeschichte; Vorstandsmitglied der Michael-Gaismair-Gesellschaft.

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Leseprobe

Vorwort des Herausgebers


„Ich weiß nicht, was ich verbrochen habe, daß ich so schwer büßen muß. Es ist entsetzlich und furchtbar. An Dich und die Kinder darf ich gar nicht denken, da bricht mir das Herz entzwei. (…) Erst jetzt erkenne ich, wie schön es war, als ich in Eurem Kreis sein konnte. (…) Ich habe schon Schreckliches mitgemacht und kann Dir dies gar nicht mitteilen. (…) Ich habe mir jedenfalls nicht gedacht, daß ich Ostern 1945 im Gefängnis verbringen werde. Gott sei Dank ist das Verhör bei der Gestapo vorbei. Es ist nicht zu schildern, was man hier mitmacht. Man hat mir das linke Trommelfell eingeschlagen, so daß ich dermalen taub bin. Ich bitte Dich, sage es niemandem. Es ist einfach entsetzlich“, schrieb Ludwig Mooslechner an seine Frau, kurz bevor er erschossen wurde. Die überwiegende Mehrheit der in diesem Band versammelten Menschen leistete Widerstand gegen das NS-Regime und musste ihn mit dem Leben bezahlen.

Gisela Hormayr hat in ihrem Buch „Verfolgung, Entrechtung, Tod. Studierende der Universität Innsbruck als Opfer des Nationalsozialismus“, das in der von mir herausgegebenen Reihe „Studien zu Geschichte und Politik“ als Band 23 erschienen ist, 36 Biografien von Menschen aufgenommen, die an der Universität Innsbruck studierten und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aufgrund ihrer Verfolgung im Nationalsozialismus ums Leben kamen. Viele absolvierten nur einen Teil ihres Studiums in Innsbruck, nicht selten verbrachten sie hier nur kurze Zeit. Die Autorin berücksichtigte außerdem vier ukrainische Studenten der Theologischen Fakultät, die Opfer des Stalinismus wurden, und die biografischen Skizzen von zwei Geistlichen, die 1989 zur Zeit der Militärdiktatur wegen ihres sozialen Engagements in San Salvador ermordet wurden. Beide sind auf einer Gedenktafel am Ehrenmal der Universität Innsbruck verewigt.

Die Tatsache, dass nur ein Mann aus dem linken Lager und eine einzige Frau aufscheinen, ist auf die im Untersuchungszeitraum noch geringe Zahl an Studentinnen und Studierenden aus der Arbeiterschaft zurückzuführen. Die männliche und bürgerliche Dominanz an der Universität Innsbruck spiegelt sich auch im Umstand wider, dass in der vorliegenden Studie zehn Personen katholischen Studentenverbindungen angehörten.

Vor dem Anschluss 1938 rang die katholisch-konservative Studentenschaft mit dem deutschnationalen Lager um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck. Bis 1933 war fast die Hälfte der Mitglieder der akademischen Burschenschaften, Corps und Sängerschaften zu den Nationalsozialisten gewechselt. Sie bildeten das Rückgrat der illegalen NSDAP. Nach ihrer Machtübernahme trat auch ein beträchtlicher Teil der Mitglieder der katholischen Studentenverbindungen (Cartellverband), die bis 1938 dem Nationalsozialismus ablehnend gegenübergestanden waren, in die Partei ein. Umso bemerkenswerter sind die antinationalsozialistischen Aktivitäten der im vorliegenden Band versammelten Männer.

Die Formen des Widerstandes reichten von der Unterstützung von Partisanen und Deserteuren (Ludwig Mooslechner) über die Tätigkeit im Umkreis des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 (Max Ulrich Graf Drechsel) und die Unterstützung der französischen Résistance als Wehrmachtsangehöriger (Walter Krajnc) bis hin zur Mitgliedschaft in einer polnischen Widerstandsgruppe in Tirol (Stefan und Marian Kudera).

Die Gnadenlosigkeit der Wehrmachtsjustiz zeigt das Vorgehen gegen Heinrich Pühringer und Hermann Sinz. Das Gericht der 2. Gebirgsdivision in Norwegen fällte das Todesurteil über Pühringer, nur weil er sich zwei Tage lang unerlaubt von der Truppe entfernt hatte. „Schwächlichen Naturen“, so das Gericht, müsse zu ihrer Abschreckung gezeigt werden, was sie erwarte, wenn sie „die ehrliche Kugel im Kampf“ scheuten. Sinz, ausgezeichnet wegen Tapferkeit vor dem Feind, musste wegen des Vorwurfs der Wehrkraftzersetzung sterben. Er hatte während seines Einsatzes an der Ostfront unbedachterweise geäußert, dass der Krieg verloren sei und das Dritte Reich untergehen werde. Der stellvertretende Gauleiter von Tirol-Vorarlberg lehnte es ab, sich für Sinz einzusetzen. Das Vergehen des Verurteilten konnte wegen seines hochverräterischen Charakters, so Herbert Parson, „tatsächlich nur durch die Todesstrafe geahndet werden“.

Mit Christoph Probst und Franz Mair begegnen wir zwei Ikonen des Widerstandes. Den einen, Mitglied der „Weißen Rose“, ehrt die Universität Innsbruck mit einer Erinnerungstafel an ihrem Ehrenmal, einer Platzbenennung vor ihrem Hauptgebäude und regelmäßigen Gedenkveranstaltungen. Der andere diente dem Land Tirol viele Jahrzehnte als Symbol eines selbstbehaupteten „ununterbrochenen Widerstandskampfes“, der die Verstrickung vieler Tirolerinnen und Tiroler in den Nationalsozialismus vergessen machen sollte.

Unter den ehemaligen Studierenden der Theologischen Fakultät finden sich in erster Linie Geistliche, die engagierte Feinde des NS-Regimes waren und sich nicht nur gegen die Eingriffe der Diktatur in Glaubensbelange wehrten. Allzu oft erhielten sie keine Unterstützung der kirchlichen Obrigkeit oder ihrer Ordensleitung. Pater Josef (Edmund) Pontiller warfen die NS-Behörden vor, „sich in gemeinster Weise über den Führer und den Nationalsozialismus geäußert“ und sich „zum Propagandabüttel unserer Kriegsfeinde“ gemacht zu haben. Pontiller selbst wandte sich gegen Gläubige und Kleriker, die sich mit dem „Nero auf deutschem Thron“ arrangieren wollten. Pater Johann Steinmair gehörte einem Kreis entschiedener Gegner des NS-Regimes an, Pater Johann Schwingshackl lehnte jede Annäherung an den Nationalsozialismus ab, den er in seinen Predigten schonungslos angriff. Trotz Ermahnung seines Provinzials ließ er von seiner kritischen Haltung ebenso wenig ab wie von seiner Aufforderung an den Priesterstand, sich der Verantwortung in der Auseinandersetzung mit dem NS-Regime zu stellen. An Steinmair und Schwingshackl erinnern heute Gedenkzeichen in der Jesuitenkirche in Innsbruck und in der Basilika Stams. Auch Pater Franz Reinisch, dem viele Zeichensetzungen im öffentlichen Raum zugedacht sind, ist ein in Tirol überaus bekannter Geistlicher. Sein Seligsprechungsprozess ist im Gang. Er verweigerte den Kriegsdienst, weil im Nationalsozialismus Gewalt vor Recht gehe, die NSDAP das Heer missbrauche und er daher die NS-Diktatur bekämpfen müsse. Weder seine Ordensbrüder noch Bischof Paulus Rusch konnten Reinisch umstimmen. Die Argumentation seines Abtes, dass Hitler Vertreter der gottgewollten Ordnung wäre, wies er brüsk von sich.

Weniger bekannt sind hierzulande die Geistlichen Hanns-Georg Heintschel-Heinegg und Bernhard Lichtenberg. Heintschel-Heinegg entfaltete umfangreiche Aktivitäten in der „Österreichischen Freiheitsbewegung“ in Wien. Die Gründung eines Tiroler Standortes dieser Widerstandsgruppe mit Bekannten aus seiner Innsbrucker Studienzeit misslang. Wie sehr zahlreiche Geistliche, die politisch gegen das NS-Regime auftraten, auf sich allein gestellt waren, offenbart sich nicht nur in der Missbilligung ihrer Zivilcourage in der eigenen Glaubensgemeinschaft. Am Beispiel von Hanns-Georg Heintschel-Heinegg können wir nur erahnen, was es bedeutete, wenn Mitglieder der eigenen Familie sich distanzierten und mehr Sympathie für die Diktatur bekundeten als für ihn. Bernhard Lichtenberg, der in Innsbruck ein Dutzend Lehrveranstaltungen besucht hatte und Probst in Berlin war, legte sich mit der NSDAP bereits vor ihrer Machtübernahme in Deutschland an. Er organisierte die Vorführung des pazifistischen Filmes „Im Westen nichts Neues“, den die Nationalsozialisten abgrundtief verabscheuten. Als Lichtenberg schließlich die Haftbedingungen in einem KZ kritisierte und nach den blutigen Ereignissen des Novemberpogroms seine Predigten Tag für Tag mit einer Fürbitte für Juden, „nichtarische Christen“ und alle Häftlinge in Konzentrationslagern beendete, verhaftete ihn die Gestapo, um ihn ins KZ Dachau zu transportieren. „Er wußte wie jeder andere Volksgenosse, daß die Regelung der Judenfrage und die Einrichtung von Konzentrationslagern zu dem Aufgabenkreis des heutigen Staates gehört“, heißt es im Gerichtsurteil gegen Bernhard Lichtenberg.

Zu den einer größeren Öffentlichkeit völlig unbekannten Theologiestudenten der Universität Innsbruck zählen Kleriker, die in ihrem Heimatland Polen die deutschen Besatzer bekämpften. Die Kurzbiografien von Marceli Nowakowski, Jόzef Pawłowski und Lucjan Tokarski vermitteln einen Eindruck vom nationalen Widerstandskampf, an dem der polnische Klerus in hohem Maß beteiligt war. Sie verdeutlichen aber ebenso, dass die deutsche Wehrmacht in Polen einen Vernichtungskrieg führte, der in die systematische Ermordung von Priestern, Ordensmitgliedern, Ärzten, Lehrkräften und Angehörigen anderer Intelligenzberufe mündete. Eines dieser Opfer war Lucjan Tokarski. Marceli Nowakowski steht für jenen Teil der Geistlichen, die sich im Sinne eines politischen Katholizismus auf der Seite rechtsgerichteter Kreise für die Unabhängigkeit Polens einsetzten, antibolschewistisch ausgerichtet und antisemitisch eingestellt waren. Während Tokarski und Nowakowski einen gewaltsamen Tod in Polen fanden, wurde Jόzef...

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