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E-Book

Verhaltensaktivierung bei Depression

Eine Methode zur Behandlung von Depression

AutorChristopher R. Martell, Ruth Hermann-Dunn, Sona Dimidjian
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl202 Seiten
ISBN9783170251168
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Verhaltensaktivierung (Behavioral Activation, BA) ist eine innovative, der sogenannten 'Dritten Welle' der Verhaltenstherapie zugehörige Methode der Depressionsbehandlung. BA gründet in der Verstärkerverlusttheorie der Depression und geht davon aus, dass Depression aus belastenden Erfahrungen heraus entsteht und durch Vermeidungsverhalten aufrechterhalten wird. Die Behandlungstechniken beinhalten u. a. Validierungs- und Akzeptanzstrategien sowie den Einsatz von entgegengesetztem Handeln zur Überwindung von Verhaltensblockaden. Das Manual bildet einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung der Verhaltenstherapie. Verständlich und praxisnah geschrieben, beinhaltet es eine Vielzahl von Anwendungsbeispielen und zeigt deutlich die Weiterentwicklung der Methode seit dem von Lewinsohn vorgeschlagenen Aufbau angenehmer Aktivitäten.

Christopher R. Martell, Sona Dimidjian, und Ruth Herman-Dunn waren Mitglieder der Arbeitsgruppe von Neil Jacobson an der University of Washington in Seattle, USA. Aktuell arbeiten sie als Psychotherapeuten in Kliniken oder eigener Praxis und lehren an der University of Washington in Seattle bzw. der University of Colorado at Boulder. Lotta Winter und Kai G. Kahl arbeiten an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Valerija Sipos und Ulrich Schweiger sind in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Lübeck tätig.

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Leseprobe

2          Die grundlegenden Prinzipien von Behavioral Activation


 

 

 

Menschen erwerben eine bestimmte gute Eigenschaft, indem sie durchgehend in einer bestimmten Weise handeln. Man wird gerecht, indem man gerecht handelt, maßvoll durch maßvolles Handeln und tapfer durch tapferes Handeln.

Aristoteles (384–322 v.Chr.)

Alice hatte ihren Job als Softwareingenieurin verloren. Seitdem graute es ihr jeden Morgen vor dem Aufstehen. Sie wusste, dass bei dem Unternehmen, in dem sie gearbeitet hatte, Entlassungen häufig waren. Sie gab aber auch sich selbst die Schuld. Sie hatte sich kritisch gegenüber ihrem Chef geäußert und bei Sitzungen unpassende Bemerkungen gemacht. Es ist sehr schwer, mit dem Arbeitslosengeld als einzige Einnahmequelle auszukommen. Aufgrund ihrer Finanznot musste sie ihre Eigentumswohnung verkaufen und eine kleinere Wohnung mieten. Alice hoffte, mehr Energie und Hoffnung zu entwickeln, sobald sie den richtigen Job gefunden hätte. Eine ähnliche Arbeitsstelle war allerdings nicht verfügbar. Acht Monate lang suchte sie nach einer Stelle als Softwareingenieurin, dann nahm sie eine befristete Anstellung bei einer kleinen Firma an. Ihre Aufgabe war das Aktualisieren der Website. Die Stelle war nicht gut bezahlt und die Arbeit war langweilig. Alices Vorgesetzter zeigte wenig Interesse an ihrer Arbeit und ihren Projekten. Es wurde kaum bemerkt, wenn sie bis zu zwei Stunden zu spät zur Arbeit kam. Also blieb sie im Bett.

Der Verdruss mit der Arbeit war nicht das einzige Problem. Sie hatte auch ein hohes Maß an Sorgen und Ängsten. Diese Probleme hatte es schon vor ihrer Entlassung gegeben. Gelegentlich war sie auch schon vorher nach einer schlaflosen Nacht nicht zur Arbeit gegangen. Sie machte sich oft die ganze Nacht Sorgen. Ihre Sorgen fokussierten darauf, wie schlecht sie sich fühlte, ob sie genug Geld zum Leben hätte und ob sie im Leben erfolgreich sein würde. Am häufigsten sorgte sie sich jedoch darum, wie sehr ihre Stimmung ihre Beziehungen beeinträchtigte.

Leser, die selbst depressive Patienten behandeln, werden wahrscheinlich mit vielen Elementen der Geschichte von Alice vertraut sein. Wir werden die Geschichte im gesamten Buch verwenden, um die entscheidenden Aspekte von BA zu veranschaulichen und zu verdeutlichen, wie die Konzeptualisierungen und Interventionen von BA funktionieren. Anhand der Fallgeschichte von Alice können Sie den Verlauf einer Behandlung mit BA verfolgen.

Alice begann, sich von Personen und Aktivitäten zurückzuziehen, die bisher Freude und Anregung in ihr Leben gebracht hatten. Dadurch nahmen die Veränderungen in Alices Leben weiter zu und ihre Stimmung verschlechterte sich noch mehr. Seitdem sie in eine kleinere Wohnung gezogen war, hatte sie aufgehört, Freunde nach Hause einzuladen. Sie schämte sich wegen der Größe der Wohnung und der billigen Konstruktion des Gebäudes. Ihre Nachbarschaft war sicher. Die Wohnung lag aber in einer unbeliebten Gegend der Stadt, über die sie und ihre Freunde sich früher lustig gemacht und sie als »die Startbahn« bezeichnet hatten, weil sie in der Nähe des Flughafens lag. Sie hatte in diesem Viertel ein Jahr nach dem Ende ihres Studiums gelebt und hatte es sich nicht träumen lassen, noch einmal zu den kleinen, düsteren Behausungen zurückzukehren, die wie umgestaltete Motels aussahen. Also lud sie ihre Freunde nicht mehr ein und besuchte sie selten, weil ihr vor den unausweichlichen Gesprächen über ihre Arbeitssituation graute. Die Freunde wegen ihres besseren Schicksals zu beneiden, fühlte sich auch schlecht an. So war es für sie einfacher, den Kontakt ganz zu vermeiden. Unglücklicherweise fühlten sich auch einige Freunde durch die Distanzierung gekränkt. Nachdem Alice drei oder vier Einladungen abgesagt hatte, riefen sie nicht mehr an. Sie vermisste sie, konnte sich aber auch nicht dazu durchringen, anzurufen und ihr Verhalten zu erklären.

Alice fand die scheinbare Zurückweisung durch ihre Freunde schwer erträglich. Sie hatte eine lange Geschichte familiärer Probleme hinter sich. Ihre Mutter hatte sie zwei Monate nach ihrem 17. Geburtstag aus dem Haus geworfen. Sie hatte bei Freunden gelebt und mehr als drei Jahre lang nicht mit ihrer Mutter gesprochen. Sie beschrieb das als eine sehr traurige und psychisch belastende Zeit in ihrem Leben.

Es gibt viele Wege in die Depression. Trotzdem werden die Leser vermutlich bei ihren eigenen depressiven Patienten ähnliche Umstände und Ereignisse finden wie bei Alice. Sie erfüllte jetzt die Kriterien einer schweren depressiven Episode. Ihr Hausarzt schlug ihr die Einnahme eines Antidepressivums vor, um ihre Depression und Ängste zu behandeln. »Super, jetzt bin ich nicht nur pleite, sondern auch noch verrückt.«, dachte sie. Als sie sich vehement weigerte, »Psychopillen« zu nehmen, schlug ihr der Arzt vor, eine Psychotherapeutin aufzusuchen. Sie hatte dafür keine Krankenversicherung. Die Kosten einer Behandlung erschienen untragbar hoch. Dennoch stimmte Alice zu, für einige Therapiesitzungen eine Therapeutin aufzusuchen. Der Arzt verwies sie an eine Spezialistin für Kurzzeittherapien.

Alice war überrascht, wie die Therapeutin in der ersten Sitzung mit ihr umging. Sie hatte erwartet, dass sie sich zurücklehnen und ihr zunicken würde, während sie ihre Lebensgeschichte ausbreitete. Stattdessen fragte Beth, ihre Therapeutin, sie nach ihrem Schlaf, ihren Essgewohnheiten, ihrer Stimmungslage, Interesse und Freude an Aktivitäten, dem Konsum von Alkohol und Drogen und nach Kontakten mit Freunden. Beth erkundigte sich auch genau nach Alices Leben vor der jetzigen Krise durch den Arbeitsplatzverlust. Welche Pläne hatte Alice für ihr Leben? Wie hatte sie erwartet, dass sich die Dinge für sie entwickeln?

Diese Fragen zu beantworten, war schmerzlich. Alice hatte erwartet, ihre Eigentumswohnung zu verkaufen und ein Einfamilienhaus zu erwerben. Tatsächlich musste sie ihre Wohnung veräußern und eine lausig kleine Wohnung mieten. Alice hatte sich eine feste Beziehung gewünscht und nicht nur die kleine Zahl von Freunden, die fest zu ihr hielten. Als Beth darauf hinwies, wie sehr Belohnung in Alices Leben fehlte, stimmte sie voll und ganz zu. Beth erklärte ihr auch, dass Gefühle von Traurigkeit, Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit ganz natürlich sind und oft erlebt werden, wenn das Leben wenig Belohnung bereithält. Sie erklärte, dass diese Gefühle oft nach einer Periode von Angst und Sorgen entstehen und nach dem Verlust eines guten Arbeitsplatzes völlig normal sind. Beth sagte auch, dass es logisch sei, im Bett zu bleiben, wenn man diese Gefühle erlebt. Alice war neugierig. Sie hatte sich oft gesagt, dass ihr Verhalten überhaupt keinen Sinn ergibt. Dies hatten auch ihre Familienmitglieder bestätigt. Die Zeiten waren schwierig. Da fragte sie sich, warum sie es nicht schaffte, sich noch stärker anzustrengen, anstatt den ganzen Morgen im Bett zu bleiben. Eine neue Arbeit zu finden, kann doch nicht so schwierig sein, sagte sie zu sich selbst unzählige Male am Tag.

Beth schlug BA als Methode zur Behandlung vor. »Ihre Lebenssituation hat sich geändert. Das Ziel besteht dennoch darin, dass Sie wieder die Aktivitäten aufnehmen, die Ihnen einst Freude und Zufriedenheit gebracht haben.«, erklärte sie. »Dies könnte auch dabei helfen, Lösungen für die Probleme zu finden, die bei Ihnen zu schlaflosen Nächten führen.« Alice dachte: »Ich kann mir nicht vorstellen, Freude und Zufriedenheit bei irgendetwas zu empfinden. Auch kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, mir keine Sorgen über das Ganze zu machen.« Beth fragte Alice, ob sie bereit sei, sechs Therapiesitzungen zu nehmen, um herauszufinden, ob sich dieser Ansatz für sie als hilfreich erweist. Danach könnte man über die weitere Therapie entscheiden. Alice kam zu dem Schluss, dass es den Versuch wert sei.

Einführung


Beth gab Alice in dieser Therapiesitzung eine Einführung in die grundlegenden Konzepte der Verhaltenstherapie bei Depression. Die Interventionen der BA sind seit Jahrzehnten zentrale Bestandteile der Verhaltenstherapie und der Kognitiven Verhaltenstherapie bei Depression. In den letzten Jahren hat BA zunehmend Aufmerksamkeit als eigenständige Behandlungsmethode bei Depression erfahren. Womit ist das zunehmende Interesse an BA zu begründen? Wie in Kapitel 1 erörtert wurde, gibt es dafür zwei naheliegende Erklärungen. Erstens sind die der BA zugrundeliegenden Prinzipien einfach und die Vorgehensweisen unkompliziert. Zweitens zeigen die empirischen Studien, dass BA wirksam ist.

Das Buch möchte Ihnen die Informationen vermitteln, die Sie brauchen, um BA bei depressiven Patienten anzuwenden. Andere Manuale stellen den theoretischen Hintergrund und die Konzeption von BA dar (Martell et al. 2001). Dieses Buch konzentriert sich auf die grundlegenden Prinzipien und ihre Umsetzung in die Praxis. Zuerst wird besprochen, wie der Therapeut bei BA die...

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