Aus dem Vertriebsleben
Dieses Mal geht der Weg nach Süddeutschland, Ziel ist ein mittelständisches Unternehmen in Baden-Württemberg, das laut Website Mess- und Steuerkomponenten für Unternehmen im Bereich Kläranlagenbau und Pumptechnik entwickelt und herstellt. Der Inhaber und Geschäftsführer, den ich über XING kennengelernt habe, weil er dort in seinem Profil Unterstützung für die Neukundengewinnung und den Vertrieb gesucht hat, empfängt mich sehr freundlich in den ordentlich hergerichteten Büroräumen. „Am besten zeige ich Ihnen erstmal die Firma“, schlägt er vor und führt mich in eine saubere und ordentliche Fertigungshalle, die dank großzügiger Fensterfront durch viel Tageslicht erhellt wird. Darin stehen mehrere Werkbänke, an denen fast nur Damen sitzen, die Baugruppen und Geräte montieren.
Mit leuchtenden Augen und sichtlich begeistert erzählt der Geschäftsführer von seinen Produkten und obwohl ich aufgrund der vielen Fachbegriffe, die er verwendet, nicht alles verstehe, bekomme ich einen guten Überblick über die Merkmale der Produkte und kann auch Fragen zu Vorteilen und Einsatzzwecken stellen. Mein Gesprächspartner beantwortet mir meine Fragen bereitwillig, aber ich merke schon, dass ich ihn durch meine Zwischenfragen etwas aus dem Konzept bringe.
Nachdem wir gut und gerne 20 Minuten in der Fertigung zugebracht haben, in denen ich verschiedene Baugruppen, die für mich bis auf die unterschiedliche Größe alle gleich aussehen, mit den entsprechenden Erläuterungen nach und nach in die Hand gedrückt bekomme, führt der Weg weiter. Durch den Wareneingang, das Lager, die Qualitätskontrolle und den Versand werde ich relativ zügig durchgeleitet bis hin zu einem Raum, der nur durch Eingabe eines Zahlencodes betreten werden kann. Darin sitzt lediglich ein Mitarbeiter, der dem Klischee eines Tüftlers zu 100 Prozent entspricht. Hier ist der Geschäftsführer wieder spürbar in seinem Element, mir fliegen die Fachbegriffe nur so um die Ohren und ich verstehe eigentlich nur Bahnhof. Nach dem viertelstündigen Vortrag hat der Inhaber aber doch einen etwas kritischen Blick. Vermutlich hat ihn mein etwas ratloses Gesicht und die nicht überschwänglich gezeigte Hochachtung vor dem Gehörten irritiert. Möglicherweise beschäftigt ihn gerade die Frage, wie denn ein Mensch, der offenkundig nicht wirkliches Interesse für die technischen Details der Produkte entwickeln kann, ihm beim Vertrieb seiner Schmuckstücke helfen soll.
Zurück im Besprechungsraum beginne ich bei einem Kaffee, die mich brennend interessierenden Fragen hinsichtlich der Marktaktivitäten zu stellen: wie er denn den Vertrieb organisiert habe, wer welche Verantwortung übernimmt und welche Maßnahmen und Aktivitäten zum Verkauf seiner Produkte durchgeführt werden. Mein Gesprächspartner berichtet mir von Vorträgen, die er regelmäßig (einmal pro Jahr) in seinem Innungsverband hält, einer zweimal wiederholten Werbung in der IHK-Zeitung und von einem Artikel, den er vor zwei oder drei Jahren in einer Fachzeitschrift veröffentlicht hat, und ich spüre, wie er mehr und mehr ungehalten wird. Als ich ihm dann die Frage stelle, ob er denn schon einmal aktiv auf potenzielle neue Kunden zugegangen sei, wird er aufgebracht: ob ich denn nicht verstanden habe, was das Unternehmen macht, und ob ich die letzte Stunde mit den Gedanken nicht bei der Sache gewesen sei. Er hatte aufgrund meiner Website doch gehofft, dass ich etwas vom Vertrieb von technischen Produkten verstehe.
Trotz der überraschenden Heftigkeit der Reaktion wiederhole ich meine Frage hinsichtlich der bisherigen Vertriebsaktivitäten, da ich natürlich wissen muss, wo ich anzusetzen habe. „Wir entwickeln“, schallt es mir nur noch wutentbrannt entgegen und dann ist der Groschen sogar bei mir gefallen. Für den in seiner technischen Welt lebenden Inhaber und Geschäftsführer des Unternehmens ist die Entwicklung des Produkts gleichzeitig die für ihn einzig logisch nachvollziehbare Vertriebsmaßnahme. Er geht davon aus, dass man durch die Neu- und Weiterentwicklung der aus seiner Sicht genialen Produkte automatisch neue Kunden und Kundenkreise erreicht und dass man nur dafür sorgen muss, dass die bestehenden Kunden genügend Mund-zu-Mund-Propaganda betreiben.
Nun, Sie werden es erahnen, zwischen dem mit Sicherheit genialen Firmenlenker aus dem Schwäbischen und mir kam es nicht zu einer Zusammenarbeit und ich habe auch nie wieder etwas von dem Unternehmen gehört.
Dies ist sicherlich ein Extrembeispiel und eine derartige Situation ist mir in dieser Ausprägung in meiner bisherigen Laufbahn auch zum Glück nicht noch einmal passiert. Was ich aber häufig erleben konnte, war, dass gerade technisch orientierte Unternehmen oder auch stark spezialisierte Dienstleister davon ausgehen, dass ein aktiver Verkauf für ihre Leistungen nicht möglich und auch nicht nötig sei. Allein schon das Wort „Verkaufen“ ist in diesem Umfeld häufig absolut negativ besetzt. Deshalb findet man hier sehr oft den „technischen Vertrieb“, die „Abteilung Angebotskalkulation“ oder auch die „Kundenberatung“, aber fast nie den einfachen Verkauf oder Verkäufer.
Ich habe häufig mit mittelständischen Unternehmen mit einer sehr technischen Ausrichtung zu tun, die vermutlich gerade dadurch erfolgreich sind oder zumindest waren. Meistens betrifft das die Branchen Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik bzw. Mess-, Steuer- und Regeltechnik, Automobilzulieferindustrie, Chemie- und Kunststofftechnik, oder auch bei Engineering-Dienstleistern, IT-Dienstleistern oder Beratern. Hier ist der gesamte Vertriebsprozess oft rein auf die Entwicklung von technischen und fachlichen Individuallösungen für die Kunden ausgerichtet, was grundsätzlich nicht falsch ist. Die Firmen und Verkäufer profitieren hauptsächlich von den Bestandskunden und den sich ergebenden Empfehlungen.
Einen tatsächlich aktiven Vertrieb betreiben diese „Verkäufer“ meistens nicht. Ihre Hauptaufgabe besteht tatsächlich darin, die eingehenden Kundenanfragen zu bearbeiten. Auf Basis der Kundenangaben und den mitgelieferten Zeichnungen, Pflichtenheften oder Leistungsbeschreibungen wird, je nach Komplexität, gleich kalkuliert oder vorher noch eine Zeichnung, ein Schaltplan oder eine ausführliche Leistungsbeschreibung erstellt. Diese Unterlagen dienen dann als Vorlage für die Kalkulation und das daraus erstellte Angebot. Die Angebote werden meistens kommentarlos zu den Anfragenden gesendet und man wartet ab, was passiert. Systematisches Nachfassen – Fehlanzeige.
Hier werden Tätigkeitsfelder vermischt bzw. man drückt Menschen einen Stempel auf, den sie gar nicht verdient haben. Genau genommen sind diese meistens Ingenieure, Techniker oder fachspezifisch ausgebildete Mitarbeiter, vielmehr Projektleiter, Konstrukteure oder Kalkulatoren – aber auf keinen Fall Verkäufer. Deshalb findet man auf den Visitenkarten dieser Menschen auch nicht diese Berufsbezeichnung. Oft erlebe ich Situationen, in denen ein Geschäftsführer mir „seine“ Vertriebsabteilung vorstellt und die Leute an deren Arbeitsplatz über den grünen Klee lobt. Hier werden dann die langjährige Erfahrung, das enorme Know-how und die hohe Qualität der gelieferten Arbeit gepriesen. Zurück im Chefbüro dreht sich der Wind plötzlich gewaltig. Auf einmal schimpft der Geschäftsführer über seine Vertriebsleute wie ein Rohrspatz – aber warum?
Da ich für meine Person meistens bereits weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt, versuche ich, mit unangenehmen Fragen das Kernproblem offenzulegen. Fragen, die sich darum drehen, wie viele Kundenkontakte der Vertrieb denn pro Tag, in der Woche oder im Monat macht. Ich frage, wie viele Noch-Nicht-Kunden die Vertriebsmitarbeiter denn aktiv kontaktieren und ob die Potenziale in den bestehenden Zielgruppen ausgeschöpft werden. Ich versuche zu ergründen, ob man sich schon überlegt hat, welche zusätzlichen Zielmärkte man mit den bestehenden Produkten bedienen könnte und so weiter und so fort. Kurz und gut, ich nerve gehörig und lege den Finger gnadenlos in die Wunde.
Hier verstärkt sich dann meistens noch das Gezeter der Geschäftsführer: „Unsere Vertriebler reagieren nur“; „Keine Eigeninitiative und keine eigenen Ideen.“; „Warten alle nur ab, dass das Telefon klingelt“ – solche und ähnliche Aussagen höre ich dann und finde es mehr als ungerecht. Was ich nämlich genau weiß, ist, dass ein Unternehmen, dessen Vertrieb mehr oder weniger ausschließlich aus Technikern und Ingenieuren besteht, nahezu überhaupt keine aktiven und schon gar keine geplanten Vertriebsaktivitäten zur Neukundengewinnung betreibt. Das Gemeine daran ist, dass der Geschäftsführer eigentlich genau weiß, dass die Leute überhaupt keine Zeit hätten, um dies zu tun. Und noch schlimmer: Diese Leute wären die völlig Falschen, um das, was getan werden muss, überhaupt zu machen. Das wäre, als ob man den ersten Geiger eines Symphonieorchesters mit dem Verteilen von Flyern für das nächste Konzert beauftragen würde.
Diese Leute sind für die notwendige Arbeit in der Presales-Phase schlicht und ergreifend überqualifiziert und letztendlich auch viel zu teuer. Also tut man – bzw. der Geschäftsführer oder Vertriebsleiter, der mich hilfesuchend in das Unternehmen holt – diesen Vertriebsmitarbeitern tiefes Unrecht und sollte sich stattdessen schämen, dass man nicht die Strukturen und Prozesse geschaffen hat, um diese Leute besser – sprich effektiver nach ihren Fähigkeiten – in einen zielführenden Vertriebsprozess zu integrieren.