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Versuch über die wahre Art Violine zu spielen

Die Sonaten und Partiten für Violine solo BWV 1001-1006 von Johann Sebastian Bach als ein Lehrbuch der Violintechnik

AutorAdela Misonova
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl103 Seiten
ISBN9783640789986
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 1,0, Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, Sprache: Deutsch, Abstract: Seit der Komposition der Sonaten und Partiten für Violine solo lassen sich beinahe 300 Jahre zählen. Das Werk weist außer den hohen künstlerischen Qualitäten auch praktischmethodische Inhalte vor. Als solches brachte es in der Geschichte einige Kontroversen hervor und wurde zum Thema in mehreren theoretischen und wissenschaftlichen Analysen und Diskussionen. Heutzutage ist das Werk aus dem Konzertleben nicht mehr wegzudenken. Wegen seiner hohen geigerischen Ansprüche wird es aber auch als Bestandteil verschiedener Prüfungen, Probespiele und Violin-Wettbewerbe genutzt. Leider setzen sich viele Studenten mit der Komposition nur in diesem Zusammenhang auseinander. Es ist nicht direkt nachzuweisen, warum Johann Sebastian seinen großen Violinzyklus schrieb. Es wurde von ihm kein Vorwort, keine 'Gebrauchsanweisung' hinterlassen. Wenn man Bachs Persönlichkeit so betrachtet, wie sie viele seiner Zeitgenossen beschrieben, erscheint die Theorie einer autodidaktischen Schaffensarbeit als sehr wahrscheinlich. In den ersten Kapiteln meiner Arbeit versuche ich Bachs Leben bis hin zur Köthener Zeit zu schildern. Daraus ergibt sich, dass Bach in den Lehrjahren ein scharfsinniger Schüler und später ein fleißiger Autodidakt war. Es ist also denkbar, dass Bach seine Sonaten und Partiten schrieb, um damit die geschmackvolle Umsetzung des Kontrapunkts auf einem Melodieinstrument auszuloten. Was ist das Besondere an diesem Werk? Warum sind die Violinisten der vielen zurück greifenden Generationen begierig das Werk immer wieder zur Aufführung zu bringen? Mit den Sonaten und Partiten übergibt Bach jedem Geiger ein Werk von überzeugender Geschlossenheit, dessen Aufführung eine technische Voraussetzung auf professionellem Niveau erfordert. Ebenso wichtig ist aber auch eine gründliche musiktheoretische und musikgeschichtliche Grundlage zu besitzen, die das Werk im Kontext der Entstehungszeit zeigt. Nach dem Vorbild von Carl Philipp Emanuel Bach fasse ich in der vorliegenden Diplomarbeit diese erforderliche Zusammenwirkung vom geigerischen Können auf möglicht höchstem Niveau mit theoretischen und geschichtlichen Kenntnissen unter dem Begriff 'die wahre Art Violine zu spielen' zusammen.

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Leseprobe

Teil II. AUFFÜHRUNGSPRAKTISCHE GESICHTSPUNKTE EINER INTERPRETATION


 

3 Glaubwürdige Quellen als Grundlage zur verständnisvollen Wiedergabe


 

3.1 Was ist Aufführungspraxis?


 

Die Entstehung der Sonaten und Partiten für Violine, liegt nun mehr als 290 Jahre zurück. Selbstverständlich wurden uns keine klanglichen Aufnahmen aus dem 18. Jahrhundert überliefert. Es wurde auch keine schriftliche Anweisung oder ein kritisches Vorwort Johann Sebastian Bachs gefunden, die uns über sein Anliegen eine Nachricht geben würden. Es sind nur die dicht mit Hand beschriebenen Notenblätter, die das Bachsche Meisterwerk der Willkür nachfolgender Generationen preisgeben.

 

Die Musik der barocken Epoche wird häufig wegen ihrer wohlklingenden Harmonien für einfach und oft sogar einfältig gehalten, was jedoch bedeutet, dass sie heute missverstanden und deswegen auch unterschätzt wird. Um solche Musik der früheren Datierungen verständnisvoll zu interpretieren, ist es unentbehrlich ihr gerecht vorzugehen und ihren Inhalt nach den Prinzipien der „Werktreue“ zu entdecken. Das bedeutet, wie Nikolaus Harnoncourt sagt, die historische Musik nicht in unsere Zeit hereinzuholen, sondern sich selbst in die Vergangenheit, in die Zeit ihres Entstehens, zu versetzen[84].

 

Ähnliche Aufforderung zu einer möglichst bedachtsamen Widergabe der Musik lesen wir schon bei Johann Mattheson. Für die Praxis eines Musikers sei notwendig:

 

„(...) Daß man (...) einen vorgängigen Unterricht von dem Wesen der Ton Lehre haben, und: Daß der Klang, nach seiner Natur untersuchet werden müsse.

 

Daß es dabey nöthig sey, die Geschichte der Music einzusehen;

 

Ihren Gebrauch und Nutzen im gemeinen Wesen,

 

Die dazu erforderlich Leibes-Stellungen,

 

Die Intervalle, nach ihrer Maasse oder Gestalt,

 

Die Zeichen der Klänge,

 

Die Ton- und

 

Die Schreib-Arten der Setz-Kunst wol zu verstehen.“[85]

 

Nicht nur im Matthesons Buch finden wir erstaunlich weitreichende Hinweise und detaillierte Anweisungen zur Spieltechnik auf den jeweiligen Instrumenten: Körperstellung,

 

Fingersätze, Grundsätze des Umgangs mit dem Instrument. In vielen weiteren theoretischen Schriften werden Tempobezeichnungen, Dynamik und Problematik der Artikulation, die Aufstellung eines Ensembles und Berücksichtigung der Akustik im Raum ausführlich erörtert.

 

Auch die „Gründliche Violinschule“ von Leopold Mozart[86] gibt viele wichtige und gut definierte Ratschläge zur Interpretation der Musik des 18. Jahrhunderts und seine lehrenden Worte kommen dem pädagogischen Zweck meiner Arbeit sehr zur Hilfe. Die Violinschule schrieb er als ein gelehrter Mann und erfahrener Lehrer. In den folgenden 20 Jahren nach ihrer Erscheinung wurden noch weitere zwei Auflagen vorgenommen. Außerdem wurde das Buch noch zu Autors Lebzeiten ins Französische und Holländische übersetzt. Es erfuhr also einen großen Erfolg.[87] Viele Jahre sind es schon, daß ich für jene, die sich von mir in der Violin unterweisen ließen, gegenwärtige Regen niedergeschrieben habe.“[88]

 

Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts kennt im deutschsprachigen Raum kein ähnliches, in diesem Umfang methodisch ausgearbeitetes Lehrbuch für Violine. Der Satz im Vorwort mag diese Tatsache nur bestätigen. „Es wunderte mich oft recht sehr, daß zu der Erlernung eines so gewöhnlichen, und bey den meisten Musiken fast unentbehrliches Instruments, als die Violin ist, keine Anweisung zum Vorscheine kommen wollte: da man doch gute Anfangsgründe, und absonderlich einiger Regeln über die besondere Strichart nach dem guten Geschmacke schon längst wäre benötiget gewesen“[89]

 

Obwohl die Veröffentlichung dieser Schrift erst in die Jahre unmittelbar nach Bachs Tod fällt, entnahm ich aus diesem Lehrbuch einige zutreffend formulierte Aufsätze, um zumindest in groben Zügen die Klangvorstellungen des 18. Jahrhunderts darzustellen. Da Mozarts Buch viele Ähnlichkeiten mit dem „Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen“ von Johann Joachim Quantz aufweist, nutzte ich einige Formulierungen aus diesem Buch als Bekräftigung der Mozartschen Aussagen.

 

Als Oberbegriff dieser beiden Schriften gilt die Lebendigkeit des musikalischen Vortrages, gute Beurteilungskraft und guter Geschmack. Wenn die Musik in ihrer wahren Art vorgetragen werden soll, werden außerdem von beiden Lehrmeistern noch eine gründliche

 

Kenntnis der Geschichte und ein allumfassendes Wissen gefordert. Demnach gehört es zur Aufgabe der Interpreten ein Bild über den Zeitgeist und Zeitgeschmack der jeweiligen Epoche zu verschaffen und danach die Richtung seiner Interpretation zu entscheiden. Aus diesem Grund versuchte ich im vorhergehenden Abschnitt meiner Arbeit einen Grundriss der wichtigsten Ereignisse des Lebens Johann Sebastian Bachs und gleichzeitig die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu schildern.

 

Zu Bachs Lebzeit hatte Musik eine unterschiedliche Stellung und Bedeutung, als ihr heutzutage beigemessen wird. Heutiges Musikleben ist in der Musikgeschichte ein völlig neues Phänomen. Bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von Zuhörern nur die gegenwärtige Musik gefragt; die noch nie Gehörte, Aktuelle und Neueste. Dazu steht der jetzige Konzertbetrieb im gänzlichen Gegensatz, denn die gegenwärtige Musik wird seitens des Publikums oft missverstanden und abgelehnt. Diese Leere wird infolgedessen durch die so genannte „alte Musik“ ersetzt.

 

Jede musikalische Aufführung stellt den Interpret vor eine verantwortungsvolle Aufgabe. Je nach der Aussagekraft seiner Aufführung wird möglicherweise der Zuhörer sein Urteil über das Werk bilden. „Wenn der Musiker wirklich die Aufgabe hat, das gesamte musikalische Erbe - soweit es für uns interessant ist - darzustellen, und zwar nicht nur in seinen ästhetischen und technischen Aspekten, dann muss er das dafür notwendige Wissen erwerben. Die Musik der Vergangenheit ist durch den Lauf der Geschichte (...) zu einer Fremdsprache geworden. “[90] Einen Weg diese Fremdsprache der Musik zu erlernen bieten die zahlreichen Traktate und musiktheoretischen Abhandlungen, die uns Komponisten, Lehrmeister und Theoretiker der Geschichte hinterließen. Leider ist es nicht unkompliziert diese Schriften sinngemäß zu deuten. Es beansprucht vielseitige Kenntnisse und gewisse Geschicklichkeit die scheinbaren Widersprüche, Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten verständnisvoll und für die eigene Musizierpraxis sinnvoll interpretieren zu können[91].

 

Es ist also jedem Interpret überlassen, ob für ihn „das gesamte musikalische Erbe“ wichtig ist, oder ob er seine Aufführungen „nur in seinen ästhetischen und technischen Aspekten“ darbietet. Wenn die Musik vergangener Epochen überhaupt noch in einem tieferen und weitergehenden Sinn für die Gegenwart aktuell ist, (...) muss das Verständnis dieser

 

Musik von ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit her wieder erlernt werden. Wir müssen wissen, was die Musik sagen will, um zu erkennen, was wir mit ihr sagen wollen. Also muss jetzt zum rein Gefühlsmäßigen, zur Intuition, das Wissen kommen.“[92]

 

3.2 Probleme der Notation


 

Unsere heutige Musizierpraxis und die Gewohnheiten den Notentext zu lesen gehen aus der Tradition des 19. Jahrhunderts heraus. „Das ,moderne’ Instrumentarium, die Instrumentalschulen und damit die Spieltechnik, sowie die Organisationsformen des Musiklebens stammen aus dieser Zeit.“[93] Auch Nikolaus Harnoncourt bestätigt diese These, wenn er behauptet: „Die Musik des Barocks und der Klassik wird auch heute noch immer normalerweise durch die Brille des späten 19. Jahrhunderts gesehen und auch so musiziert.“[94]

 

Dieses Zeitalter wird durch den neu entstandenen Kult des Musikgenies gekennzeichnet. Als das allmählich selbständig werdende Bürgertum öffentliche Konzerte einrichtete, gerieten auch die Virtuosen in die Öffentlichkeit. Deren Spiel weckte ein großes Erstaunen und Bewunderung. Sie interpretierten eigene Werke und für solche setzten sie auch eigene Maßstäbe der Widergabe. Die Notation dieser „autobiographischen Kompositionsweise“[95] fixierte...

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