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E-Book

Vertrauen

Eine Ressource im politischen System der römischen Republik

AutorJan Timmer
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl317 Seiten
ISBN9783593436470
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis59,99 EUR
Das politische System der römischen Republik war durch zwei Spannungsfelder gekennzeichnet: Da es keinen Geburtsadel gab, sondern gesellschaftlicher Rang durch politische Betätigung erst erworben werden musste, bestand ein Konkurrenzkampf unter den Mitgliedern senatorischer Familien. Diesem stand die Herstellung von Entscheidungen durch Konsens gegenüber, d.h. durch Verhandlungen, die mit weitgehender Einmütigkeit enden mussten. Vertrauen in das Gegenüber wie in die Leistungsfähigkeit des politischen Systems war eine wesentliche Bedingung für die Gleichzeitigkeit von Konkurrenz und Konsens.

Jan Timmer, PD Dr. phil., ist Akademischer Rat auf Zeit an der Universität Bonn.

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Leseprobe
Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2015 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen wurde. Gedankt sei an dieser Stelle den Gutachtern Peter Geiss, Karl-Joachim Hölkeskamp, Winfried Schmitz, Rudolf Stichweh und Konrad Vössing für ihre Mühe und viele weiterführende Hinweise, den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe 'Historische Studien', schließlich allen Freunden und Kollegen, die in den letzten Jahren in ganz verschiedener Weise die Entstehung der Arbeit begleitet haben. Bonn, im August 2016 Jan Timmer 1.Einleitung Am Vorabend des Bürgerkrieges, im Dezember des Jahres 50 v.Chr. und ein weiteres Mal am 1. Januar 49 v.Chr., tagte in Rom der Senat, um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Der Konflikt zwischen Caesar und Teilen der Senatorenschaft, insbesondere derjenige mit Pompeius, stellte für alle offensichtlich eine ernsthafte Bedrohung für den Frieden dar. Die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts war ebenso greifbar wie von weiten Teilen des Senats und der Bürgerschaft gefürchtet. Den Bürgerkrieg, auf den es hinauslief, wollte niemand. Gefunden werden musste also ein Kompromiss, der den Interessen der Konfliktparteien so weit wie möglich entsprach, sie gleichzeitig wieder in die Bahnen senatorischer Politik, also der Herstellung von Entscheidungen durch Verhandlungen, die mit Einmütigkeit endeten, zurückholte und beiden schließlich die Möglichkeit bot, bei dem Verzicht, der mit jedem Kompromissvorschlag einhergehen musste, ihr Gesicht zu wahren. Chancen für einen solchen Kompromiss wurden durchaus gesehen. So schrieb Cicero am 17. Dezember an seinen Freund Atticus: 'Über die res publica bin ich in großer Besorgnis, habe bisher auch kaum jemanden gefunden, der nicht der Meinung gewesen wäre, man solle lieber Caesar gewähren, was er fordere, als es zu einem Kampf auf Leben und Tod kommen zu lassen.' Und an anderer Stelle heißt es: 'Mich tröstet nur das eine, dass ich ihn, dem sogar seine persönlichen Feinde ein zweites Konsulat und das Glück eine solche Machtstellung gewährt haben, nicht für so verrückt halte, dass er all das aufs Spiel setzt.' Eine mögliche Chance auf Einigung lag vor allem darin, dass die beiden Kontrahenten auf ihre Zugriffsmöglichkeiten auf Truppen verzichteten. Diese Lösung schien plausibel, und beide Konfliktparteien formulierten entsprechende Angebote. In einem Brief an den Senat, in dem Pompeius die Leistungen Caesars lobte, erklärte er sich bereit, die Macht, die er ohnehin nur widerstrebend angenommen habe, an den Senat zurückzugeben. Auch auf der Seite Caesars wurde die Option, auf die Legionen zu verzichten, um den Frieden zu wahren, diskutiert. Curio forderte den Truppenverzicht von beiden Protagonisten und setzte zu diesem Thema sogar eine Abstimmung in der oben erwähnten Senatssitzung im Dezember durch. Das Ergebnis war eindeutig. Der Senat, der hierin eine Chance auf Frieden sah, stimmte dem Vorschlag zu. 370 Senatoren votierten für den gleichzeitigen Rücktritt von Pompeius und Caesar, nur 22 stimmten dagegen. Implementiert werden konnte die Entscheidung aber nicht. Einen letzten Versuch unternahm Caesar in der Sitzung vom 1. Januar. Er ließ Curio dem Senat in einem Brief noch einmal sein Angebot überbringen. Nach einer Aufzählung aller seiner Verdienste forderte er, entweder bis zur Wahl seine Provinzen behalten zu können, oder die gleichzeitige Niederlegung des Heeresbefehls durch alle Kommandoinhaber. Ähnlich klingende Kompromissangebote der Protagonisten von Kon-fliktparteien und die Zustimmung weiterer Beteiligter sind grundsätzlich eine gute Ausgangsposition, um am Ende von Verhandlungen auch zu einer Einigung zu gelangen. Zu dieser kam es bekanntlich aber nicht. Am 10. Januar 49 v.Chr. überschritt Caesar den Rubicon und eröffnete damit den Bürgerkrieg. Alle Vorschläge, auf den Zugriff auf Militär zu verzichten, hatten nicht gefruchtet. Es begann ein Krieg, den niemand wollte, aber viele beförderten, den viele erwarteten und der doch alle überraschte, ein Krieg, der schließlich eine Alternative zu einer alternativlos erscheinenden Ordnung bringen sollte. Das letzte Kapitel der Geschichte der römischen Republik hatte begonnen. Die Frage, warum zwischen den Streitparteien kein Kompromiss mehr möglich war und warum sich die Geschichte der Republik auf ihr Ende hin bewegte, lässt sich bekanntlich auf ganz unterschiedliche Art und Weise beantworten. Beginnt man bei den Quellen, so ist zu fragen, ob die Bereitschaft zum Kompromiss überhaupt gegeben war, ob die Akteure also tatsächlich ins Auge fassten, ihre Zugriffschancen auf das Militär in welchem Maß auch immer aufzugeben und sich wieder in die Gemeinschaft des Senats einzuordnen, um den drohenden Bürgerkrieg zu vermeiden, oder ob es sich lediglich um Ablenkungsmanöver handelte, die die Schuld an dem Ausbruch des Konflikts dem jeweiligen Gegner zuschieben sollten. Ebenso ließe sich - für den Historiker selbstverständlich wenig befriedigend - behaupten, dass das Scheitern der Suche nach einer Einigung weitgehend Zufall war, durchaus Einigungsmöglichkeiten vorhanden waren, die durch kontingente Ereignisse - zu denken wäre etwa an die schwere Krankheit des Pompeius im Sommer / Herbst 50 v.Chr., die zum einen Verhandlungen mit Caesar erschwerte, zum anderen durch die Dankfeste, die seine Gesundung begleiteten, diesem einen unzutreffenden Eindruck vom Rückhalt, den er in Italien genoss, vermittelten - nicht wahrgenommen werden konnten. In der Per-spektive der klassischen Politikgeschichte müsste mit dem Wirken großer Männer - im vorliegenden Fall also vor allem mit den langfristigen Plänen des Pompeius und Caesars - argumentiert werden. Aus strukturgeschichtlicher Perspektive kann man sicher zu recht argumentieren, dass die Republik ohnehin ohne Zukunft gewesen sei: Langfristige Prozesse wie die Extensivierung der res publica hätten keinen Raum für Alternativen gelassen, das politische System selbst und die in ihm zur Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen genutzten Verfahren hätten dazu geführt, dass gesellschaftlich knappe Ressourcen in den Händen immer weniger Akteure akkumuliert wurden, was mit der auf Egalität hin ausgerichteten Aristokratie schlichtweg unvereinbar gewesen sei. Der Bürgerkrieg sei ledig der letzte Schritt in einem Prozess der Machtmonopolisierung gewesen. Die Frage, warum nun genau 50/49 v.Chr. keine Übereinkunft mehr gelang, wird aus dieser Perspektive letztlich irrelevant. Die skizzierten Antwortmöglichkeiten besitzen ihre Berechtigung, schließen sich zum Teil noch nicht einmal grundsätzlich aus. Es sind aber nicht die einzigen Antworten, um die Ereignisse, die zum Bürgerkrieg führten, zu erklären. Hinzufügen ließe sich beispielsweise eine weitere, die im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen soll: Das, was den Akteuren am Vorabend des Bürgerkrieges fehlte, war Vertrauen, und zwar auf drei Ebenen: Zunächst einmal vertrauten die entscheidenden Akteure einander nicht: Caesar misstraute den Beweggründen des Pompeius, Pompeius misstraute denjenigen Caesars. Die Senatoren misstrauten eigentlich beiden, hatten aber Verpflichtungen. Die Vertrauenskrise ging aber über dieses Misstrauen zwischen einzelnen Akteuren weit hinaus. Wenn es zu dem beschriebenen Kompromiss hätte kommen sollen, so hätte es eines Garanten bedurft, der die vereinbarungsgemäße Implementierung überwacht und sichergestellt hätte, der die partikularen Interessen der Konfliktparteien wieder eingebunden, sie in die auf Egalität hin ausgerichtete Gemeinschaft der römischen Meritokratie zurückgeholt und der als Hüter des Gemeinwohls fungiert hätte. In der Logik des politischen Systems der römischen Republik wäre diese Rolle wohl dem Senat zugefallen, aber das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Institution war seit langem erschüttert. Bereits 91 v.Chr. hatte der Konsul Philippus erklärt, mit dem Senat könne man keine Politik machen, und die Ereignisse der folgenden 40 Jahre - und insbesondere der letzten davon - waren wohl wenig geeignet, diesen Eindruck rückgängig zu machen. Schließlich mangelte es auch ganz grundsätzlich an Systemvertrauen, also Vertrauen darauf, dass das politische System überhaupt noch in der Lage sei, gesellschaftlich knappe Güter entsprechend der erbrachten Leistung (also fair) zu verteilen, ein Fehlen von Vertrauen, das in Caesars Begründung für den Ausbruch des Bürgerkriegs zum Ausdruck kommt und das - völlig parallel - bei Cassius Dio auch für Pompeius überliefert ist. Wenn sich aber das Ende der Republik als Folge der Erosion des benötigten Vertrauens konzeptionalisieren lässt, dann folgt daraus im Umkehrschluss zwangsläufig die Frage, welche Rolle Vertrauen für das Funktionieren des politischen Systems der römischen Republik spielte: Warum war das politische System der römischen Republik auf Vertrauen angewiesen? Wie wurde das benötigte Vertrauen erzeugt und stabilisiert, und was geschah dort, wo Vertrauen erodierte? Dies sind die Leitfragen, denen im Folgenden nachgegangen werden soll. Vertrauen als Ansatz zur Erklärung von Phänomenen besitzt Konjunktur. Die Zeiten sind sicherlich vorbei, in denen Niklas Luhmann feststellen musste: 'Vertrauen ist nie ein Thema des soziologischen Mainstream gewesen. Weder die klassischen Autoren noch moderne Soziologen verwenden den Terminus in einem theoretischen Zusammenhang.' Zunehmende Unsicherheit, ein wachsendes Bewusstsein für die Risikohaftigkeit menschlichen Handelns und die Komplexität moderner Gesellschaften, die zumindest partiell gewonnene Einsicht, dass sich das Verhalten von Systemen - insbesondere auch von Märkten - nicht als Ergebnis des nutzenmaximierenden Handelns informierter Akteure allein konzeptionalisieren lässt, die Beobachtung der Erosion der Grundlagen sozialer Kooperation und schließlich wohl auch die grundsätzliche Hinwendung zu 'weichen Faktoren' im Zuge der kulturalistischen Wende haben seit dem Beginn der 90er Jahre ein breites Interesse an 'Vertrauen' geweckt. Weitgehend gemein ist allen Ansätzen, dass mit Vertrauen die Annahme bezeichnet wird, dass das Verhalten des jeweils Anderen in einer bestimmten Situation und in Bezug auf einen bestimmbaren Sachverhalt das eigene Interesse mitberücksichtigen wird, und dies, obwohl die Information, um zu dieser Erwartung zu gelangen, nicht hinreichend und das Vertrauen mit erheblichem Risiko behaftet ist. Vertrauen reduziert damit, wie Niklas Luhmann formuliert hat, soziale Komplexität. Allgemein formuliert, 'schafft [sc. Vertrauen] stabile Rahmenbedingungen für Handlungs- und Interak-tionsprozesse (sozial) und dient als zentraler Mechanismus der Kontinuierung sozialer Ordnung und des Aufbaus sowie der Aufrechterhaltung stabiler sozialer Beziehungen (zeitlich).' Daneben bestehen z.T. erhebliche Differenzen, wie dies in Hinblick auf die sehr unterschiedlichen Theoriekontexte, innerhalb derer Vertrauen thematisiert wurde, auch zu erwarten ist. Zu verweisen wäre hierbei etwa auf die Theorien rationalen Handelns, die Strukturationstheorie, systemtheoretische oder neo-institutionalistische Ansätze. Umstritten ist dabei das Ausmaß der Reflexion bzw. umgekehrt der Grad der Habitualisierung, die Frage, ob Vertrauen nur anderen Menschen oder auch Institutionen oder ganzen Systemen entgegengebracht werden kann, die Rolle objektivierbarer Interessen für das Schenken von Vertrauen, oder schließlich die Bedeutung, die der Risikohaftigkeit des Vertrauenshandelns zugeschrieben wird. Mit Blick auf diese Differenzen ist es notwendig, zunächst einige Vorbemerkungen zur Theoriebildung und der Verwendung des Begriffs zu formulieren. Die folgenden Ausführungen lehnen sich dabei weitgehend an Überlegungen von Guido Möllering an, der das Phänomen aus neo-institutionalistischer Perspektive untersucht hat. Was also ist eigentlich Vertrauen bzw. soll im Folgenden unter Vertrauen verstanden werden? Grundsätzlich gehört Vertrauen in den Kontext der Interaktion mindestens zweier Akteure, einem, der Vertrauen schenkt, und einem, dem vertraut wird (selbstverständlich können diese Rollen auch wechselseitig eingenommen werden). Der, dem Vertrauen geschenkt wird, muss dabei die Möglichkeit besitzen, durch sein Handeln entweder zu nutzen oder zu schaden. Zudem muss der zu befürchtende Schaden größer sein als der zu erhoffende Nutzen, denn sonst braucht es kein Vertrauen, sondern es reicht Berechnung. Schließlich dürfen die Informationen, um über Vertrauen oder Misstrauen zu entscheiden, nicht hinreichend sein, vielmehr gilt, dass die vorhandenen Informationen überzogen werden müssen. In dieser Situation soll Vertrauen ein Verhalten bezeichnen, das so tut, als ob die Wahlmöglichkeit des Vertrauensnehmers nicht existiere, sondern sich dieser bereits zur Kooperation entschieden habe. Dabei lassen sich verschiedene Grundlagen identifizieren, die den Vertrauensgeber zu dem Verhalten bewegen können. Zunächst einmal kann Vertrauen rational sein. Wenn ego vermuten kann, dass sein Gegenüber dieselben Interessen hat wie er selbst, ist es durchaus plausibel, zu vertrauen. Das daraus folgende Problem besteht dann lediglich darin, woran jemand erkennen kann, dass sein Gegenüber tatsächlich dieselben Interessen verfolgt und damit vertrauenswürdig ist, und nicht allein vorgibt, solches zu sein. Vor allem Russel Hardin hat das Problem des Vertrauens auf die Existenz von encapsulated interests und die Zeichen, die auf diese verweisen, reduziert. Dabei besteht allerdings das Problem, dass das Phänomen des Vertrauens selbst damit letztlich eliminiert wird. Sobald jemand nämlich aufgrund der Eindeutigkeit der Zeichen, über die Vertrauenswürdigkeit vermittelt wird, weiß, dass sein Gegenüber schon aus Eigennutz kooperieren wird, braucht es kein Vertrauen mehr. Zum zweiten kann Vertrauen auf dem ruhen, was Guido Möllering aus neo-institutionalistischer Perspektive Routine nennt: Vertrauen wird häufig nicht berechnet, ja nicht einmal reflektiert. Vielmehr vertraut man, weil eine entsprechende Disposition im Verlauf des Sozialisationsprozesses internalisiert worden ist, oder ganz schlicht, weil es in der Gesellschaft üblich ist zu vertrauen, weil es eben alle so machen. Zum dritten kann Reflexivität Vertrauen begründen: Ego vertraut, weil im Verlauf einer Interaktionsgeschichte deutlich geworden ist, dass alter zu vertrauen ist. Dies verbindet sich dann damit, dass versucht werden kann, Vertrauen auch aktiv zu erzeugen, indem man etwa zunächst in kleineren Zusammenhängen vertraut, in Bereichen also, wo sich der Schaden bei Defektion in Grenzen hält, um so zunächst Vertrauenswürdigkeit zu prüfen, und dann - so sich alter als vertrauenswürdig erweist - Vertrauen auch in größeren und wichtigeren Bereichen zu schenken. Ebenso gehört in diesen Bereich die aktive Selbstdarstellung eines Akteurs als vertrauenswürdig. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass diese drei Faktoren zwar die Grundlage von Vertrauen bilden können, sich Vertrauen aber nicht notwendig aus ihnen ableiten lässt. Hinzutreten muss stets noch ein weiterer Akt, nämlich die Aufhebung von Ungewissheit, der eigentliche Moment des Vertrauens. Diese Grundlagen sind nun nicht unter allen strukturellen Bedingungen bzw. in allen historischen Gesellschaften in gleicher Weise gegeben. Vielmehr lassen sich eine Reihe von Faktoren identifizieren, die dafür verantwortlich zu machen sind, ob sich in einer Gesellschaft eine Vertrauenskultur etablieren kann oder sie - strukturell durchaus äquivalent - von Misstrauen geprägt wird. Zentral ist zunächst einmal die Ausprägung eines gemeinsamen Werte- und Normensystems. Damit ist noch nicht verbunden, dass Vertrauen Teil desselben ist, auch wenn das selbstverständlich nicht schadet. Vielmehr geht es darum, dass gemeinsam geteilte Werte innerhalb einer Gruppe für ein Gefühl der Sicherheit sorgen, das für die Entstehung von Vertrauen von Vorteil ist. Wer sicher ist, kann es sich leisten zu vertrauen und reflektiert sein Tun zugleich in geringerem Ausmaß. In die gleiche Richtung weist auch die Stabilität sozialer Ordnung, die nicht nur Ergebnis, sondern eben auch Voraussetzung von Vertrauen ist. Auch hier gilt: Stabilität schafft Sicherheit, und das Gefühl der Sicherheit erleichtert es, Risiken wie das Schenken von Vertrauen einzugehen. Gesellschaften, die von beschleunigtem Wandel geprägt sind, bieten für die Ausbildung von Vertrauen hingegen wenig Grundlagen: Wandel erschwert die Identifikation gleicher Interessen ebenso, wie es die Eindeutigkeit der Zeichensysteme tangiert, über die Vertrauenswürdigkeit vermittelt wird. Zudem führt beschleunigter Wandel dazu, dass Akteure ihr Verhalten in der sich ständig verändernden Umwelt reflektieren, was die Selbstverständlichkeit von Vertrauensroutinen unterbricht. Schließlich führt die ständige Veränderung dazu, dass der Aufbau von Vertrauensbeziehungen durch kleinschrittige Angebote und ständiges Überprüfen von Kooperation bzw. Defektion, also das, was Anthony Giddens active trust genannt hat, erschwert wird. Auch das Ausmaß an Transparenz nimmt auf die Ausbildung von Vertrauensbeziehungen Einfluss: Besitzt ego Informationen zu Aufbau, Programmen, Zielen von Organisationen oder Personengruppen, so führt dies dazu, dass deren Verhalten für ihn vorhersagbar wird, womit wiederum Sicherheit einhergeht. So verstandene Transparenz ermöglicht den Aufbau von Vertrauensbeziehungen selbst dort, wo die Interessen der beteiligten Akteure auseinandergehen. Ganz anders verhält es sich dort, wo der Informationsfluss niedrig, Geheimniskrämerei an der Tagesordnung ist und lediglich vage Gerüchte als Ausgangpunkt für eigenes Handeln zur Verfügung stehen. Unter solchen Bedingungen scheint ein 'gesundes' Misstrauen bei der Wahl riskanter Handlungsoptionen die plausiblere Wahl. In dieselbe Richtung weisen die beiden letzten Faktoren: Vertrautheit und Zuverlässigkeit. In der Welt, die man kennt, bewegt man sich sicherer und ist eher bereit, Vertrauen zu schenken. Zuverlässigkeit ist schließlich ein wesentlicher Faktor, wenn es um die Wahrnehmung von Vertrauenswürdigkeit geht. Sind damit die Grundlagen und die Bedingungen für die Ausbildung von Vertrauen beschrieben, so ist im Weiteren auf die Funktion von Vertrauen einzugehen. Niklas Luhmann hat in seiner grundlegenden Arbeit über das Phänomen 'Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität', die 1968 erstmals erschien, zwei Perspektiven betont: Dabei geht er davon aus, dass sich Gesellschaften - bei ihm insbesondere moderne Gesellschaften - durch einen Überschuss an Möglichkeiten auszeichnen. Die Gesellschaften sind hyperkomplex. Vertrauen reduziert nun, wie bereits der Untertitel seiner Arbeit deutlich macht, Komplexität und macht damit zugleich wiederum komplexere Gesellschaften möglich. Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Zunächst die Komplexität in zeitlicher Hinsicht: Es ist die Zukunft, die stets unsicher ist. Vertrauen ermöglicht in dieser Perspektive Handlungen, deren Ergebnisse keinen unmittelbaren Nutzen zeitigen oder, wie Luhmann selbst formulierte: 'Die Befriedigung von Bedürfnissen kann vertagt und doch sichergestellt werden. Instrumentelles, an Fernwirkungen orientiertes Handeln kann institutionalisiert werden, wenn der Zeithorizont eines Systems durch Vertrauen entsprechend ausgedehnt wird. Verfügung über liquide Geldmittel, Macht und Wahrheit, alles vertrauensabhängige Mechanismen, ermöglicht eine Indifferenz des Systems gegenüber zahllosen Umweltereignissen und damit Gewinn an Reaktionszeit.' Neben die Zeit-Perspektive tritt die Stabilisierung von Rahmenbedingungen für Handlungs- und Interaktionsprozesse, die durch die soziale Komplexität der Gegenwart bedroht werden. Genauso wenig wie ego vorhersagen kann, was morgen geschieht, kann er wissen, wie sich sein Gegenüber verhalten wird. Diese Reduktion von Komplexität in sozialer Hinsicht ermöglicht es nun, auf die Kontrolle des Handelns des jeweils anderen zu verzichten bzw. diese zumindest einzuschränken. Dieser Verzicht wiederum macht Ressourcen frei, die ansonsten für genau diese Kontrolle benötigt würden, ermöglicht spontaneres Handeln und schafft die Grundlage für eine höhere Dichte von Interaktionsbeziehungen. Auch die Qualität dieser Interaktionen verändert sich: Vertrauen geht nicht allein von der Kooperation des Vertrauensnehmers aus, vielmehr führt erwidertes Vertrauen, also eine bestehende Vertrauenskultur, zu einer Ausweitung kooperativen Verhaltens mit den damit verbundenen Möglichkeiten, Kooperationsgewinne zu generieren. Unterschieden werden muss das Vertrauen dabei nach dem Gegenstand, auf den es sich richtet: Vertrauen ist zunächst selbstverständlich eine Angelegenheit einzelner Akteure, bei denen das Vertrauen darauf aufbaut, dass sie sich kennen. In eine ähnliche Richtung weist das Vertrauen über Dritte: Zwar kennt ego alter nicht persönlich, aber zumindest gibt es eine dritte Person, die in Nahbeziehung zu alter steht, der ego vertraut, und dieses Vertrauen kann dann wiederum übertragen werden. Netzwerke funktionieren häufig über diese Übertragung von Vertrauen. In komplexeren Gesellschaften - und dazu zählen ohne Zweifel bereits die Gesellschaften des klassischen Griechenlands, der römischen Republik und der römischen Kaiserzeit - reichen diese Formen von Vertrauen nicht mehr aus. Es tritt System-vertrauen hinzu. Damit ist sowohl das Vertrauen in unterschiedliche generalisierte Medien - wie etwa Geld, Macht oder Wahrheit - gemeint als auch das Vertrauen in Personen, das nicht aus dem Kennen resultiert, sondern aus strukturellen Faktoren abgeleitet wird. Man vertraut einem Arzt, wenn man ihn das erste Mal aufsucht, weil man auf die Qualität seiner Ausbildung und seiner damit einhergehenden Professionalität vertraut. Dieses abgeleitete Vertrauen lässt sich auch noch weiter fassen: Grundsätzlich lassen sich Gruppen definieren, deren Mitgliedern per se Vertrauenswürdigkeit zugeschrieben wird. Dies kann neben den erwähnten Berufsgruppen auch für die Mitglieder bestimmter Organisationen oder bestimmter sozialer Gruppen oder in noch weiter generalisierter Form für den Mitbürger an sich gelten. Problematisch ist in all diesen Fällen wiederum die Erkennbarkeit der Vertrauenswürdigkeit. Vorteilhaft sind dabei solche Zeichen der Grup-penzugehörigkeit, die sich nicht oder nur mit erheblichem Aufwand imitieren lassen. Besonders geeignet sind daher Alter, Geschlecht oder Ethnizität. Kleidung, Haarschnitt, Körperhaltung, Geschmack, Sprache oder vergleichbare Faktoren treten hinzu. Ist nun Vertrauen auf der Grundlage von Vernunft, Routine oder Re-flexivität, sei es in Personen, in Institutionen oder in Systeme, entstanden, unter Rahmenbedingungen, die regelmäßige Interaktion der Akteure befördern und gleichzeitig das Gefühl von Sicherheit vermitteln, und werden durch das bestehende Vertrauen dann die Leistungsfähigkeit und mögliche Komplexität von Strukturen erhöht und gegebenenfalls Kooperationsgewinne generiert, so bleibt ein Problem bestehen: Vertrauen ist fragil, und es ist leichter zerstört als aufgebaut. Es muss also stets darum gehen, Rahmenbedingungen für Vertrauen zu stabilisieren und einmal gewonnenes Vertrauen zu bewahren.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort7
1. Einleitung9
2. Vertrauen im politischen Systemder römischen Republik31
2.1 Das politische System der römischen Republik33
2.1.1 Forschungsüberblick33
2.1.2 Das Funktionieren des politischen Systems35
2.1.3 Wahrnehmungs- und Handlungsdispositionenvon Akteuren in Verhandlungssystemen57
2.1.4 Stärken und Schwächen vonnicht-formalisierten Verhandlungssystemen73
2.2 Vertrauen im politischen System81
2.2.1 Vertrauen und die primären Handlungsdispositionen83
2.2.2 Vertrauen und die Senkung von Transaktionskosten85
2.2.3 Vertrauen als Teil gesellschaftlicher Selbstbeschreibung87
2.2.4 Vertrauen als Grundlage von Macht89
2.2.6 Zusammenfassung: Vertrauen und politisches System103
3. Grundlagen von Vertrauen105
3.1 Vertrautheit und die Disposition zu Vertrauen107
3.1.1 Vertrautheit107
3.1.2 Die Disposition zu Vertrauen und der Sozialisationsprozess119
3.2 Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit133
3.2.1 Vertrauen, Vertrauenswürdigkeit und die Darstellung deseigenen Selbst135
3.3 Vertrauen in der Gruppe169
3.3.1 Bezugsgruppen171
3.3.2 Die Konstitution der Gruppe185
3.3.3 Die Interaktion in der Gruppe203
3.4 Institutionalisierung von Misstrauen219
3.5 Aktives Vertrauen245
3.5.1 Vertrauenswürdigkeit testen247
3.5.2 In Vorleistung treten249
3.5.3 Durch Vertrauen binden253
3.5.4 Grenzen des Vertrauens255
4 Vertrauenserosion und dieEntstehung von Misstrauen257
4.1 Misstrauen259
4.1.1 Grundlagen von Misstrauen261
4.1.2 Misstrauen beschränken267
4.2 Das Ende der Republik und das Misstrauen279
5 Zuviel Vertrauen? –Abschließende Überlegungen285
6 Quellen und Literatur289
6.1 Quellen289
6.2 Literaturverzeichnis291

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