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Vielen Dank für alles

Trennung - glücklich überlebt

AutorUlrike Stöhring
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783843717687
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Schlimmer hätte es kaum kommen können: An einem idyllischen Augustabend eröffnet ihr Mann ihr bei einem Glas Wein, dass er sie wegen einer anderen verlassen wird. Ulrike Stöhring, Anfang fünfzig, steht unter Schock. Einer Generation zugehörig, in der zwischen Versorgungsehe und feministischer Guerilla alles möglich schien, fehlt ihr zunächst jede Idee, wie es weitergehen könnte. Radikale Selbstfürsorge hilft ihr aus der Opferrolle: Sie geht zur Tantra-Massage, nimmt sich einen französischen Liebhaber, spricht mit glücklichen Frauen und mit Männern, die verlassen haben. Silvester verbringt sie in einem buddhistischen Schweigekloster. Dem klassischen Trauerjahr, das auch ein Wutjahr ist, folgt ein Jahr voller Wandlungen und Perspektiven. Und am Ende wird sie, was sie vor der Trennung nicht war: eine glückliche Frau.

Ulrike Stöhring, geboren 1962, studierte Kultur- und Kunstwissenschaften, ist Mutter eines Sohnes und einer Tochter und Großmutter zweier Enkelkinder. Sie arbeitet als Hypnose- und Kunsttherapeutin und leitet heute ein kunsttherapeutisches Kinderatelier in Berlin-Mitte. Sie ist Kolumnistin u.a. auf der Wahrheitsseite der taz.

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Leseprobe

1. Der Crash. Plötzlich verlassen


»Bang bang, he shot me down. Bang bang, I hit the ground.« Nancy Sinatra

Mein Mann verschwand an einem sonnigen Augustabend, der idyllischer nicht hätte sein können. Mit einem Glas Riesling in der Hand saßen wir auf dem von ihm liebevoll bepflanzten Balkon und überlegten, welchen Kinofilm wir uns später anschauen wollten.

»Worauf hast du Lust?«, fragte ich. Keine Antwort. Da ahnte ich noch nicht, dass wenige Minuten später unsere eigene Geschichte eine Wendung nehmen würde, die ich nie für möglich gehalten hätte: von romantischer Komödie zum Splattermovie.

Ich hielt sein Schweigen zunächst für ein Nachdenken über die Kinofrage. Nach einem tiefen Atemzug, den Blick auf die eigenen Hände geheftet, brachte er es schließlich heraus: »Natalie und ich haben uns verliebt. Ich verlasse dich. Heute … jetzt.«

Für einen Moment wurde es dunkel um mich. Als ich wieder einigermaßen sehen konnte, verließ ich den Balkon. Bloß weg von der Brüstung. Im Wohnzimmer ließ ich mich in einen Sessel fallen. Wer schon mal einen Unfall hatte, kennt das vielleicht: Das Bein ist Matsch, die Nase blutig, aber man schüttelt sich, spürt keine Schmerzen, klopft den Rettungskräften ermutigend auf die Schulter und schickt sich an davonzuhüpfen. Das funktioniert dann zwar doch nicht, aber der Körper schaltet in den Überlebensmodus, und die Psyche scheint absonderlich zu reagieren. Das ganze Ausmaß der Katastrophe kommt nicht sofort in Schmerzzentrum und Bewusstsein an. Notfalls soll noch lebensrettende Flucht vor anhaltender Gefahr möglich sein.

Der Volksmund spricht dann von einem Schock und meint damit das Aus-der-Bahn-geworfen-Sein durch ein schlimmes Ereignis. Eines von vielen körperlichen Anzeichen ist eine Kreislaufstörung, die lebensbedrohlich werden kann. Und tatsächlich: Bei mir drehte sich alles. Mein Herz raste, und mir wurde übel.

In der Psyche löst das Desaster eine sogenannte »akute Belastungsreaktion« aus. (Was für eine verharmlosende Bezeichnung für das Erdbeben im Kopf!) Bei mir machte diese sich als innere Stimme bemerkbar: Ach Quatsch, das passiert jetzt nicht wirklich uns. Das hier ist ein Film, ein Alptraum! Gleich, bitte!, bitte!, werde ich wach, und alles ist gut!

Man nennt das Dissoziation. Das Geschehen ist so schockierend und unbegreiflich, dass man sich automatisch davon entfernt, regelrecht abspaltet. Unter Hypnose wird ein solcher Blickwinkel mit der Absicht herbeigeführt, eine gewisse Distanz zum akuten Vorfall zu schaffen und einen Überblick zu gewinnen. Genau das passierte jetzt. Buchstäblich von der Zimmerdecke aus schaute ich also als eine Art Teilpersönlichkeit auf uns, wie eine Kriegsberichterstatterin auf das Schlachtfeld, und hatte stante pede das Gefühl, verrückt zu werden.

Der Schock, den es erzeugt, völlig unerwartet verlassen zu werden, hat so viele Erscheinungsformen, wie es Menschen gibt. In manchem ähneln sich unsere Reaktionen aber in jedem Lebensalter. Realisiert eine Dreijährige, dass sie beim Waldspaziergang mit der Familie verlorengegangen und plötzlich allein ist, wird sie adäquat brüllend auf diese Situation reagieren, die für sie tatsächlich lebensbedrohlich werden kann. Sieht sie sich fünfzig Jahre später wieder unerwartet verlassen, ist sie zwar nicht in Lebensgefahr, fühlt sich aber so. Nachdem also die erste gnädige Dissoziation vorbei war, wurde die Dreijährige in mir wach. Ich reagierte als erwachsene Frau so irrational verzweifelt und in heller Panik wie ein kleines Kind. An einem Schock, ausgelöst durch schwere Verletzung, kann man sterben. Oder besser gesagt durch ihn. Wenn der Kreislauf versagt und die Organe nicht mehr versorgt werden. Die vielbesungene Lebensader wird durchtrennt.

Die Eröffnung meines Mannes, seine neuen Lebenspläne betreffend, kam derart überraschend für mich, dass ich das Gefühl hatte, aus meinem Körper zu fallen. Gleichzeitig brannte mein Brustraum so sehr, dass für mich klar war: That’s it. Der Infarkt, der Herzbruch ist da.

Ich schien mich auf der Stelle in drei Personen zu spalten. Eine, die sich, wie oben beschrieben, dissoziiert. Eine, die von wuchtigen Schmerzen in die Tiefe des Sessels gedrückt wird, und eine, die flüchten will und es dann auch tut, als würde der Ortswechsel ins Badezimmer ungeschehen machen, was da gerade ausgesprochen wurde.

Es folgte ein fulminanter Ausnahmezustand. Eine Gefühlsmischung, auf die ich, sonst oft fröhlich auf der Suche nach Grenzerfahrungen, gerne verzichtet hätte. Ich habe keine Erinnerung an den Weg vom Wohnzimmer ins Bad, erst wieder an den Moment, als ich auf dem Fußboden zu mir kam, irgendwo zwischen Badewanne und Katzenklo, unfähig, eine wie auch immer geartete Restwürde zu bewahren. Einzelheiten überlasse ich der Phantasie der Leserin. Nur so viel: Erstaunlich schnell und umstandslos war mir jegliche Selbstkontrolle abhandengekommen.

Dennoch muss es, rückblickend betrachtet, einen kleinen Raum in mir gegeben haben, der unversehrt blieb wie die Blackbox des Flugzeugs, das hier gerade abgestürzt war. Mir war das in dem Moment keineswegs bewusst. Wie auch? Ich kämpfte mit Übelkeit, und das Einzige, woran ich mich leider gut erinnere, ist ein für einige Stunden sehr intensives Bedürfnis, lieber tot zu sein.

Irgendwann an diesem Abend fiel mir ein, was Max Frisch nach der Trennung von seiner Schriftstellerkollegin Ingeborg Bachmann geschrieben hat: »Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.«

Sie hingegen kommentierte in ihrem autobiographischen Roman Malina trocken: »Es war Mord.«

Bis zu jenem Abend hatte ich diesen Satz immer als etwas theatralisch empfunden, musste mich nun allerdings posthum bei Ingeborg Bachmann entschuldigen.

Ja, verlassen zu werden kann sich anfühlen wie ein Mordversuch. Die gute Nachricht ist, dass die allermeisten Menschen ihn überleben.

Anzeichen für eine Entfremdung zwischen meinem Mann und mir hatte es durchaus gegeben. Darauf angesprochen, hatte er gern beruhigend abgewunken. Allerdings sind mir auch sonst noch nicht viele Männer begegnet, die begeistert das konfliktreiche Beziehungsgespräch gesucht hätten. Ein Exfreund von mir sprach einmal von seiner eigenen »geradezu katholischen Lügefähigkeit«, die ihm in Zeiten erlahmender Liebe schon sehr gute Dienste geleistet habe.

Irgendwann aber kommt immer der Moment, da man nicht mehr lügen will und kann oder die Wahrheit eher zufällig entdeckt wird. Der berühmte Point of no Return.

Der Mann verließ an diesem Abend mit einem kleinen Koffer die Wohnung. Meine achtzehnjährige Tochter, nach Mitternacht fröhlich von einer Party heimkehrend, fand ihren Stiefvater nicht mehr und mich komplett aufgelöst vor.

Die folgenden drei Tage sind gnädigem Vergessen anheimgefallen. Ich habe, was sie betrifft, einen klassischen Filmriss. Wie wenn nach einer Bodenwelle die CD im Auto kurz hängen bleibt. Eine Art Schockstarre, die ziemlich nahtlos in Stufe zwei des Schreckens, die Einwirkungsphase des Trennungstraumas, überging.

Wellenartig wiederkehrende Schmerzen in Bauch und Brust erinnerten mich von nun an penetrant an meinen Verlust. Meist wurde ich nachts davon wach, oder sie überfielen mich im Morgengrauen. Auch meine Konzentrationsfähigkeit war komplett perdu. Es ist eine recht bizarre Erfahrung, mit der Haarbürste in der Hand dazustehen und nicht ganz sicher zu sein, wozu dieser Gegenstand eigentlich da ist. Die Frage, ob ich mir inzwischen jeglichen Verstand aus dem Kopf geheult hatte, wurde dringlicher. Kummer schien die grauen Zellen zu verkleben und am Rest des Körpers wie eine Bleischürze zu hängen. Mein Herz raste, die Brust schmerzte, der Kreislauf schien weiter außer Rand und Band. Innerhalb von zwei Wochen nahm ich fünf Kilo ab.

Ich beschloss, zum Arzt zu gehen.

An einem Montagmorgen stelle ich mich der Sprechstundenhilfe in der gutgefüllten Praxis sehr eindrücklich als der Notfall dar, der ich bin. Dr. P., Internist, Naturheilkundler und Hypnotherapeut – er hatte mir schon früher durch manche gesundheitliche Untiefe geholfen –, bittet mich in den in besänftigendem Blau gestrichenen Behandlungsraum.

Die Routiniertheit und Sorgfalt, mit der er mich zunächst untersucht, um Bluthochdruck, eine Herzkrankheit oder auch eine Überfunktion der Schilddrüse auszuschließen, beruhigen mich ein wenig. Nachdem glücklicherweise der organische Befund besser nicht sein könnte, blickt Dr. P. mir tief in die Augen und will wissen, was in meinem Leben denn sonst noch los sei.

Nach ein paar meinerseits eher gestammelten Eckdaten ist er im Bilde und erklärt mir sehr ernsthaft, dass eine so heftige Trennungskrise, wie ich sie erlebte, ein ausgewachsenes Gesundheitsrisiko darstelle. Meine Symptome seien typische Alarmreaktionen, ausgelöst durch den Schock. Ich würde geradezu in Stresshormonen schwimmen.

Sofort schwimme ich auch in Tränen und Selbstmitleid.

Der Doc nimmt sich die Zeit für einen kleinen Vortrag über Hormone: »In der Evolution war es die meiste Zeit von Nutzen, in einem Bedrohungsmoment möglichst viel Adrenalin und Noradrenalin auszuschütten, um je nach Lage der Dinge flüchten oder angreifen zu können. Beide Reaktionen sind aber einer Situation, in der eine europäische Mittelschichtsehe zerbricht, nicht wirklich angemessen. Meist verprügelt man sich nicht, und man versucht auch nicht, im Dauerlauf das Land zu verlassen.«

Ich gestehe ihm, momentan auf beides große Lust zu verspüren, was Dr. P. freundlicherweise gut nachvollziehen kann. Er fährt begütigend fort:...

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