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vielmehr - Ich

Leben mit dem Asperger Syndrom, Teil 2

AutorSvetlana Arlt - Rohrbacher
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783743155657
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Der zweite Teil eines Lebensberichtes zum Thema Asperger Autismus bei Mädchen und Frauen.

Ehefrau, Mutter zweier autistischer Kinder, Krankenschwester, Asperger Autistin

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Leseprobe

1. Meine Diagnose


Ich bekam meine Diagnose des Asperger-Autismus sowie die der ADHS zu Beginn des Jahres 2014.

Seit meiner späteren Kindheit und Jugendzeit war mir bewusst, dass ich völlig anders bin als die Kinder und Jugendlichen um mich herum. Allerdings fehlten mir die Begrifflichkeiten und Erklärungen für dieses „anders sein“. Das Asperger Syndrom war in den siebziger Jahren noch so gut wie gar nicht bekannt. In den achtziger Jahren erhielten immerhin manche Kinder eine solche Diagnose.

Der Großteil von uns blieb jedoch undiagnostiziert oder erhielt irgendwelche andere Diagnosen, die heute eher als Komorbidität angesehen werden.

Als das Thema Asperger-Autismus sich durch unsere ältere Tochter langsam und vorsichtig in unser Leben schlich, begann ich mit meinen Recherchen dazu im Internet.

Alles, was ich darüber finden konnte, las ich. Sämtliche Videos, die ich entdeckte, schaute ich mir an. Ich entwickelte ein regelrechtes Spezialinteresse an dem Thema, das sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Allerdings empfand ich dieses extreme Forschen als unwahrscheinliche Befreiung und weinte sehr häufig, wenn ich wieder eine deutliche Parallele zu mir selber erkannte.

Ich fand identische und/oder ähnliche Situationen wieder, Begründungen dafür und Menschen, denen es ebenso erging wie mir. Bis dahin hatte ich stets geglaubt, ich sei ein wenig rückständig, naiv und einfach nur zu seltsam für diese Welt.

Nachdem die Diagnose meiner Tochter feststand, dachte ich über eine eigene Diagnostik nach. Mein Mann behauptete oft, dass ich in vielen Dingen viel eher autistisch reagieren würde als sie.

Es dauerte dennoch fast zwei Jahre, ehe ich den Mut fand, eine Diagnose anzustreben.

Viele Informationen verschaffte ich mir über Kontakte im Internet und ließ mich auf sämtliche Wartelisten größerer Autismus-Diagnostikstellen setzen. Die Wartezeiten betrugen überall mehr als ein Jahr. Durch Zufall fand ich die Adresse eines niedergelassenen Psychiaters in meiner Nähe, der auf die Diagnostik von ADS/ADHS sowie die der Autismus-Spektrumstörungen bei Erwachsenen spezialisiert war. Ich ließ mir einen Termin geben und fand mich bereits drei Monate später in seiner Praxis wieder.

Anders als in den „großen“ Autismus-Diagnostikstellen füllte ich nur einen kleineren Fragebogen aus, um eine etwaige Richtung erkennen zu können. Im ersten Gespräch lernten der Psychiater und ich uns kennen. Er stellte Fragen zu meiner Person allgemein und tastete sich zu meinem „Problem“ vor.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich zitternd vor Nervosität vor ihm saß. Bei jedem Satz klapperten meine Zähne aufeinander, und ich musste mich extrem konzentrieren, um überhaupt seine Fragen aufnehmen zu können. Es war wirklich anstrengend für mich. Zudem war sein Büro äußerst interessant für mich. Noch nie habe ich bei einem Arzt ein solches Zimmer gesehen. Bücher über Bücher, persönliche Dekorationen und ein warmes Chaos herrschten dort. Ich gestehe, ich musste mehrfach nachfragen weil ich mich immer wieder neu ablenken ließ, sobald ich etwas entdeckte, was mich neugierig machte.

Es gab bis Ende Januar im Jahr 2014 sieben Termine von jeweils anderthalb Stunden Dauer. Bei allen dieser Termine saß ich zitternd vor ihm, wobei dieses Zittern etwas weniger geworden war.

Der Psychiater ging die typischen, in der Diagnostik angewendeten Fragebögen sprechend mit mir durch. Das bedeutet, er stellte mir zwar die aufgeführten Fragen, jedoch anders als dort formuliert und immer in Zusammenhang mit meinem Alltag und entsprechenden Situationen. Es waren also tiefgehende Gespräche zwischen ihm und mir.

Nach jedem dieser Termine fuhr ich erschöpft nach Hause und konnte an diesen Tagen auch kaum mehr Energie aufbringen für meine Tätigkeiten als Hausfrau, Ehefrau und Mutter.

Anfang Februar hatte ich meinen letzten Termin bei ihm und erhielt meine Diagnose:

Asperger-Autismus, zusammen mit ADHS.

Als ich nach Hause, fuhr weinte ich auf der gesamten Heimfahrt.

Die ganze Anspannung fiel von mir ab, und ich war erleichtert.

Nun hatte mein SEIN endlich einen Namen.

Ich war nicht bekloppt, dumm oder zu blöd für diese Welt. Ich bekam die Bestätigung für mein immerwährendes Wissen, dass ich einfach anders bin als die anderen Menschen da draußen, und dass dies völlig in Ordnung ist.

Das Outing

Ich habe über diesen Schritt etwas länger nachgedacht. Sollte ich mein Umfeld davon in Kenntnis setzen oder eher nicht? Was würde mir das eventuell bringen? Was würde ich mir erhoffen?

Als erstes sagte ich es natürlich meinem Mann.

Für ihn war die Diagnose kein Wunder. Seiner Meinung nach wussten wir beide es doch sowieso schon länger. Und ändern würde es genau gar nichts zwischen uns. Direkt danach informierte ich meine Schwester.

Doch auch sie fand es nicht merkwürdig oder diskussionswürdig.

Denn auch sie wusste von meinen Terminen und kannte mich nie anders. Schwieriger wurde es bei meinen Eltern. Ich erinnerte mich noch sehr gut an die säuerliche Aussage meines Vaters nach Bekanntgabe des Autismus seiner ältesten Enkelin, meiner Tochter:

„Sie ist doch nicht behindert! Nur weil ich auch immer nach oben (in sein Studio/Atelier) gehe wenn fremde Leute hierher kommen, bin ich doch kein Autist.“

Diese Aussage und noch zwei, drei weitere Sätze zeigten mir ganz klar, dass er sich damit überhaupt nicht konfrontiert sehen wollte.

Für ihn galt, ebenso wie für die meisten Menschen seiner Generation, dass das „anders sein“ eine Behinderung darstellte.

Er wusste, dass meine Mutter während ihrer Arbeit in der Psychiatrie neben den geistig behinderten Menschen auch autistische Kinder und Jugendliche betreut hatte. Dass es Menschen mit Autismus gibt, die wie ich auch selbständig und normal leben können, das war ihm völlig fremd. Dennoch nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und brachte es meinen Eltern an einem Nachmittag relativ schonend bei. Fragen stellten sie mir keine. Es wurde angenommen, hingenommen, und man wechselte danach zu anderen innerfamiliären Themen über. Manchmal kommt meine Mutter heute auf dieses Thema zurück, und dann erkläre ich ihr manche Dinge genauer. Mein Vater hat diese Tatsache angenommen, sieht jedoch keine Notwendigkeit für sich, darüber mit mir ins Gespräch zu kommen.

Allerdings gibt es Momente, in denen wir uns unterhalten, ich ein paar kleinere Punkte kurz anreiße und er diese bestätigt. Auch für sich selber.

Ich meine damit die Rituale und Stereotypen, die auch er hat.

Und wie für mich bieten sie ihm Sicherheiten, um mit dem „Chaos“ da draußen, das sich Leben nennt, zurecht zu kommen. Er braucht seine vielen Rückzugsmöglichkeiten und seine Ruhe sowie seine Gewohnheiten. Sonst wird er unleidlich und nervös.

Viele Eigenheiten von ihm sind für mich heute erklärbar, und ich weiß, von wem ich meinen Autismus geerbt haben muss.

Meine Freundinnen klärte ich direkt im Anschluss auf.

Dabei gab es unterschiedliche Reaktionen.

Zwei Freundinnen nahmen es sofort an und hatten es auch bereits schon länger geahnt. Eine enge Freundin war zuerst etwas verhalten, da sie sich das irgendwie nicht vorstellen konnte. Sie sagte jedoch auch, dass sie sich nie mit dem Thema auseinander gesetzt hatte und war offen für meine Erklärungen.

Nach einem längeren Gespräch erhielt sie Erklärungen für sich selber, warum ich in bestimmten Situationen so und nicht anders reagiert hatte in der Vergangenheit.

Damit setzte sie sich auseinander und konnte die Diagnose annehmen. Geändert hat sich nichts an ihrer Zuneigung zu mir. Und umgekehrt sowieso nicht. Ihr vertraue ich am meisten, da ich sie am längsten von meinen Freundinnen kenne.

Eine andere Freundin dagegen hatte sehr große Probleme damit, meine Diagnose und auch die unserer jüngeren Tochter, wiederum zwei Jahre später, anzunehmen. Das verstand ich nicht, denn sie selber hat einen ebenfalls autistischen Sohn.

Ich erkläre es mir heute damit, dass sie ebenso wenig Ahnung vom Autismus bei Mädchen und Frauen hat wie der Großteil der Gesellschaft. Das ist auch an sich überhaupt nicht schlimm.

Aber ihre erste Reaktion hat mich schon etwas traurig gestimmt, und ich nahm ein wenig Abstand aus Unsicherheit.

Ein aufklärendes Gespräch kam später zustande, und ich informierte sie dahingehend, wie sehr sich viele autistische Mädchen und Frauen an die nicht autistische Welt anpassen und kaum auffallen mögen. Dass dieses Anpassen jedoch irgendwann seinen Preis haben wird in Form von Zusammenbrüchen, Depressionen oder anderen Nebenprodukten psychischer Erkrankungen.

Heute kann sie es so annehmen wie es ist.

Das Outen auf der Arbeit bereitete mir richtig große Bauchschmerzen. Es hatte im Vorfeld ein paar Situationen gegeben, die für mich nicht gut gewesen waren. Zusammenstöße mit Kollegen, Unverständnis für meine Meinungen oder Aussagen bis...

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