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E-Book

Vitamine, Spurenelemente und Minerale

Indikation, Diagnostik, Therapie

AutorHans Konrad Biesalski
VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783132427372
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis65,99 EUR
Eine unzureichende Versorgung mit Mikronährstoffen kann sich im Krankheitsfall negativ auf die Genesung des Patienten auswirken. Doch wann besteht tatsächlich ein Defizit und wer braucht wirklich zusätzliche Mikronährstoffe? Die Unsicherheit in diesem Bereich ist groß. Dieses Buch liefert Ihnen kurz und prägnant die wichtigsten Kenntnisse zum Einsatz von Mikronährstoffen in Klinik und Praxis. Erfahren Sie, wie Sie Vitamine, Minerale und Spurenelemente sicher und gezielt einsetzen können. Anschaulich wird der wechselnde Bedarf je nach Krankheitsbild und jeweiligem Lebensabschnitt dargestellt. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf bestimmte Risiko- und Patientengruppen gelegt, um eine gezielte Behandlung zu ermöglichen. Ein eigenes Kapitel beschreibt Ihnen die wichtigsten Mikronährstoffe und ermöglicht ein rasches Nachschlagen. Der Autor ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin und gibt Ihnen mit diesem führenden Werk für Ärzte, Pharmazeuten und Ernährungsberater einen idealen Ratgeber für Klinik- und Praxisalltag an die Hand. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Leseprobe

1 Mikronährstoffe – was wir wissen, was wir nicht wissen, was wir wissen sollten


1.1 Einführung


Die Beobachtung, dass es da etwas in den Lebensmitteln gibt, das oft auftretende Krankheiten heilen konnte, gibt es seit Tausenden von Jahren. Allerdings wusste man nicht genau, worum es sich eigentlich handelt – eine einzelne Substanz oder das Zusammenspiel von Natur und Nahrung einschließlich mystischer Elemente? Also begann man nach den geheimnisvollen Faktoren zu suchen. Das folgende Kapitel soll sich auf Vitamine beschränken und an einigen Beispielen zeigen, dass der Glaube an Vitamine und der Umgang mit diesen Mikronährstoffen oft in die Irre führen und dass das, was wir wissen, die Spitze des bekannten Eisbergs darstellt. Was wir nicht wissen, liegt dann unter der Wasseroberfläche und entzieht sich scheinbar unserer Erkenntnis.

Wenn wir das Wissen über Mikronährstoffe zurückverfolgen, so wurde die Entdeckung der Ursachen vieler weitverbreiteter Erkrankungen als Mikronährstoffdefizit meist aus Tierexperimenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeleitet. Parallel dazu liefen Versuche, die infrage kommenden Mikronährstoffe synthetisch herzustellen oder aber aus verschiedenen pflanzlichen und tierischen Quellen zu extrahieren. Bis in die Mitte der 1950er Jahre waren dann alle Mikronährstoffe – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in synthetischer Form bzw. als Tabletten verfügbar. Damit schien das Zeitalter der Vitamine und anderer Mikronährstoffe im Wesentlichen beendet, und weiterer Forschungsbedarf wurde als nicht dringlich erachtet. Mit der Weiterentwicklung der analytischen Chemie sowie der Zell- und Molekularbiologie öffneten sich neue Forschungsgebiete, die zu einer Renaissance der Vitamine in den späten 1980er Jahren führte. Eine Renaissance, die sich für einzelne Vitamine als Welle durch die Medien ausbreitete, um dann – als sich die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllten – wieder rasch abzuebben. Zu Beginn dieses Jahrhunderts galt der Satz: „Wir brauchen keine Vitamine, wir haben genügend Obst und Gemüse.“ Oder man zitiert das Ergebnis der Nationalen Verzehrstudie: „In Deutschland gibt es keinen Mangel.“ Beide Aussagen sind nur bedingt richtig, da einerseits Obst und Gemüse kaum ausreichen, um den Vitaminbedarf zu decken, und andererseits fehlende klinische Zeichen eines Mangels nicht in jedem Fall eine ausreichende Versorgung signalisieren.

Was wissen wir also über Mikronährstoffe – über Vitamine im Besonderen –, was wissen wir nicht und was sollten wir wissen?

An einigen wenigen Beispielen soll dies im Folgenden erörtert werden, um deutlich zu machen, dass gerade die Vitaminforschung die Chance bietet bisher Unbekanntes bzw. empirisch Vermutetes sichtbar zu machen und so Vitamine und andere Mikronährstoffe für die Prävention ebenso wie für Behandlung von Erkrankungen einzusetzen.

1.2 Vitamine – was wissen wir über sie?


1.2.1 Vitamin D


Das grundlegende Wissen um die Existenz von Vitaminen und deren Bezug zu typischen Krankheitsbildern, d.h. Mangelerscheinungen, beruht im Wesentlichen auf empirischer Beobachtung und zunächst weit weniger auf gezielter Forschung. Am Beispiel des Vitamin D lässt sich dies besonders gut belegen, da die Mangelerkrankung Rachitis seit mehreren 100 Jahren beschrieben wird.

1.2.1.1 Rachitis, die Krankheit der Armen

Dazu ein Zitat aus den damals einschlägigen Lehrbüchern: So beschreibt der Kinderarzt Dr. Gottfried Ritter von Rittershain in seinem 1863 erschienenen Buch die Pathologie und Therapie der Rachitis, die Ursachen dieser bei Kindern damals sehr häufigen Erkrankung wie folgt: die an Rachitis Erkrankten sind mit mehr als 31% unter den übrigen kranken Kindern vertreten. Von anderen äußeren Ursachen wurden am häufigsten und selbst schon von den frühesten Beobachtern der Krankheit die klimatischen und Ortsverhältnisse nebst dem Mangel atembarer Luft mit Recht als die Hauptbeförderer einer größeren Verbreitung der Rachitis bezeichnet. Schon die ersten Schriftsteller über Rachitis wie Glisson (1650) haben beschrieben ▶ [444], dass die Krankheit in nördlichen Regionen häufiger als in südlichen auftritt, in feuchten Gegenden mehr als im Trockenen. Auch, so schreibt Glisson, hat die Art der Wohnung (Neubauten) viel zu ihrer Entstehung beitragen. Was aber genau die Ursache war, blieb damals im Dunklen.

Damit ist aber alles bereits beschrieben was wir heute über die Entstehung der Rachitis wissen: fehlendes Sonnenlicht durch Aufenthalt in geschlossenen Räumen oder aber bei unzureichender Sonnenbestrahlung der Haut, wie sie bei starker Bewölkung, geschlossener Kleidung bzw. aber in den späten Herbst- und Wintermonaten gegeben ist. Vitamin D wird in der Haut unter der Einwirkung von UV-Licht und Wärme aus einer Cholesterinverbindung gebildet. Vitamin D wird zusammen mit Kalzium für einen gesunden Knochenaufbau benötigt. Fehlt die Sonne so führt dies zu Vitamin-D-Mangel und besonders bei Kleinkindern, deren Skelett noch rasch wächst, zu Verformungen der Knochen.

Die Folge ist das typische Bild der Rachitis. Die Kinder sind kleinwüchsig, die Knochen der Beine sind verkürzt und verbogen und auch die Wirbelsäule zeigt Veränderungen bis hin zu schwerer Buckelbildung. Die Muskulatur ist schwach (Froschbauch) und die Kinder erkranken häufig an schweren Infekten. Nun hatten diese Kinder ein weiteres Problem: Sie erkrankten auch häufig an Tuberkulose. Die Kombination Tuberkulose und Rachitis war bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts immer noch die wesentliche Todesursache bei Kindern.

In London, das eigentlich als Geburtsort der Rachitis und deren Bezeichnung englische Krankheit gilt, war Rachitis unter Kindern nicht nur sehr weit verbreitet, sondern auch Tuberkulose. Man geht heute davon aus das 50% der britischen Bevölkerung an Tuberkulose erkrankt waren, die Mehrzahl der Betroffenen Kinder.

Die Kombination Rachitis und Tuberkulose wird in einer Figur von Charles Dickens, dem Tiny Tim, der in der berühmten Weihnachtsgeschichte A Christmas Carol auftaucht, eindrucksvoll beschrieben: er ist schmächtig kleinwüchsig, hat Krücken und eiserne Schienen an den Beinen.

Charles Dickens hat seine Figuren nach lebenden Vorbildern beschrieben und oft hatten sie sichtbare Krankheitszeichen. Tiny Tims Lebensraum um 1820 waren die dunklen engen Straßen Londons, durchzogen von Rauchschwaden der Kohleöfen durch die wachsende Industrialisierung und selten der Sonne ausgesetzt.

Eiserne Schienen an den Beinen und dem Brustkorb waren keine Seltenheit. Damals hat es um Tiny Tim eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, die nah an der Lösung des Problems waren. So beschreibt Dickens bereits die Verwendung von Lebertran als Mittel gegen Krankheiten wie Rachitis, als eine erfolgreiche Therapie. Allerdings wurde Lebertran um 1880 nur bei jungen Löwen mit Rachitis im Londoner Zoo erfolgreich eingesetzt.

In einem umfangreichen Autopsiebericht von Kindern, die 1909 in Dresden verstorben waren, es liegt auf demselben Längengrad wie London, finden sich bei 92–98% der Kinder zwischen 4 und 18 Monaten Zeichen einer mehr oder weniger ausgeprägten Rachitis. Auch zu diesem Zeitpunkt war die eigentliche Ursache unbekannt, obwohl empirische Forschung und Beobachtung erste Hinweise auf die Bedeutung des Sonnenlichtes gaben. Doch wurde auch beobachtet, das Sonnenlicht bei Rachitis die weitere Entwicklung von Knochenveränderungen stoppte und zugleich einen günstigen Einfluss auf die Tuberkulose hatte. ( ▶ Abb. 1.1) Für mich viel später eine spannende Geschichte, da mein Großvater der eine große orthopädische Klinik in Berlin, das Oskar-Helene-Heim gegründet hatte, genau diesen Effekt 1915 erstmals beschrieb:

„Ist keine natürliche Sonne vorhanden, so sucht man sie durch künstliche Höhensonne (Quecksilberquarzlampe) zu ersetzen. Man kann schon jetzt sagen, daß unsere Erfolge in der Freiluft- und Sonnenbehandlung der Tuberkulose und englischen Krankheit nicht hinter den Erfolgen im Hochgebirge (Leysin, St. Moritz) zurückstehen werden.“

1928 wurde dann der Zusammenhang zwischen Sonne und Rachitis entdeckt, die Vitamin-D-Synthese in der Haut. Die Folge war die Einführung einer Rachitisprophylaxe bei Kleinkindern mit Vitamin-D-Tabletten oder auch der unbeliebte Lebertran, der ja bereits 50 Jahre vorher erfolgreich bei den Löwenjungen des Londoner Zoos eingesetzt worden war. Die Kindersterblichkeit nahm deutlich ab, das Bild rachitischer Kinder verschwand aus den Straßen und auch die Zahl der Tuberkulose kranken Kinder verringerte sich zunehmend. Aber erst 1994 wurde der Grund für die positive Wirkung des Sonnenlichtes auf die Heilung der Tuberkulose bekannt. Vitamin D ist für die Bildung eines körpereigenen Antituberkulose-Stoffes in der Lunge verantwortlich. Ein lange übersehener Effekt, da man sicher war, dass Vitamin D eben nur für die Knochen gebraucht wird! Und dies ist nur ein Effekt, der scheinbar neu ist. Die Bedeutung von Vitamin D für die unterschiedliche Serotoninsynthese in Darm und Gehirn oder das Zusammenspiel zwischen Vitamin D, Vitamin A und Mikrobiota sind nur ein Aspekt der gerade intensiv untersucht wird, der uns aber zeigt, wie wenig wir eigentlich über Vitamine wissen (siehe auch Kap. ▶ 3.3).

Auf dem Weg zum UV-Lichtbad, ca. 1920.

Abb. 1.1 

(Quelle: Stiftung...

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