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Völkerrecht kompakt

Eine komplexe und für die Schweiz bedeutsame Materie kurz und verständlich erklärt

VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783038102274
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,90 EUR
Presse und Politik konfrontieren uns täglich mit Begriffen wie «bewaffneter Konflikt», «internationale Verhandlung» oder «Menschenrechte». Alle haben sie mit Völkerrecht zu tun. Gerade für den Kleinstaat Schweiz ist das Völkerrecht unentbehrlich zur Bewältigung der zahlreichen, oft auch grenzüberschreitenden Herausforderungen unserer Welt, wie etwa der Klimawandel, die Flüchtlingskrise und die globale Wirtschaftsordnung. Das Völkerrecht ist also viel mehr als ein abstrakter Begriff. Aber was ist es genau? Woher kommt es? Was regelt es, und wie wird es durchgesetzt? Wer kann völkerrechtlich handeln? Diesem Buch gelingt es, diese und weitere Fragen zum Völkerrecht fachkundig zu beantworten und diese komplexe, uns alle betreffende Materie einfach und verständlich darzustellen.

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Leseprobe

3   Was versteht man unter Völkerrecht?


Nachdem im vorhergehenden Kapitel ein erster Einblick in die wesentlichen Elemente des Rechts gegeben wurde, soll nun das Völkerrecht betrachtet und dabei insbesondere die Eigenheiten dieses Rechtsgebiets erklärt werden.

3.1   Begriff


Eine allgemein anerkannte Definition des Völkerrechts existiert nicht. Seit es jedoch souveräne Staaten gibt, existieren Regeln, die das Neben- und Miteinander von Staaten ordnen. Das Völkerrecht beschäftigt sich mit den Regeln, die zwischen den Staaten gelten. Herkömmliche Regelungsbereiche des Völkerrechts sind etwa die Staatshoheit (Grenzziehung, Erwerb/Verlust von Gebieten usw.), die Gepflogenheiten des diplomatischen Verkehrs, der Kriegszustand oder das Recht internationaler Gewässer (Hochseerecht). Im Laufe der Zeit hat sich das Völkerrecht stark ausgedehnt und regelt mittlerweile auch Bereiche, die nicht mehr nur Staaten allein betreffen, sondern auch internationale Organisationen oder Private. So sind über die Jahre im modernen Völkerrecht Gebiete wie der universelle Menschenrechtsschutz, der Umweltschutz oder das Völkerstrafrecht hinzugekommen (zu den verschiedenen Anwendungsgebieten des Völkerrechts siehe Kapitel 7).

«Was aber die natürliche Vernunft zwischen allen Menschen eingerichtet hat und von allen Völkern gleichmässig beachtet wird, heisst Völkerrecht.»

Justinian (483–565), römischer Kaiser

Der deutsche Begriff «Völkerrecht» ist etwas unglücklich gewählt: Das Völkerrecht ist nämlich nicht, wie man intuitiv meinen könnte, das Recht der «Völker», sondern entspricht viel eher dem englischen Begriff «public international law» (wörtlich übersetzt: internationales öffentliches Recht). Das Völkerrecht ist daher sozusagen der internationale Arm des öffentlichen Rechts (zum Unterschied öffentliches und privates Recht siehe Kapitel 2).

3.2   Besonderheiten des Völkerrechts


Wie wir im Kapitel «Was ist Recht?» gesehen haben, nimmt das Recht eine Ordnungsfunktion wahr. Es ordnet Freiheiten und Interessen verschiedener Akteure. Dasselbe gilt auch für das Völkerrecht, mit dem markanten Unterschied, dass es beim Völkerrecht überwiegend um die Freiheiten und Interessen von Staaten geht.

Wie jedes nationale Recht basiert auch das Völkerrecht auf Wertvorstellungen. Werte sind jedoch global gesehen sehr verschieden. Dies zeigt sich anschaulich bei der unterschiedlichen Gewichtung von Menschenrechten in den verschiedenen Kulturkreisen. Sozialistische Staaten oder Staaten mit einem derartigen Hintergrund legen traditionellerweise ihren Schwerpunkt eher auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte – zum Beispiel das Recht auf Nahrung und Bildung. Hingegen rücken bei den Industrienationen westlicher Prägung vor allem die Freiheitsrechte des Individuums in den Vordergrund – zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäusserung. Die Werte, die dem Völkerrecht zugrunde liegen, können aber als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen den Staaten angesehen werden.

Eine wesentliche Besonderheit des Völkerrechts ist dessen schwache Organisation. Zwar gibt es gerade in Europa zunehmend Kontrollinstanzen, welche die Einhaltung internationaler Vorschriften überwachen. Und Individuen können sich unter Umständen sogar im nationalen Kontext direkt auf internationale Normen berufen (siehe dazu Unterkapitel 10.3 zu «self-executing»/«non-self-executing» Normen). Jedoch fehlt es einerseits an einem einheitlichen Gesetzgebungsorgan und andererseits an einer weltweiten, zentralen Durchsetzungsmacht. In einem Nationalstaat gibt es in der Regel ein Parlament, eine Regierung, Gerichte und die Polizei. Auf völkerrechtlicher Ebene sind entsprechende Organe entweder nur schwach ausgeprägt oder gar nicht vorhanden. Historisch wurde deswegen behauptet, dass Völkerrecht kein Recht sei, da die Erzwingbarkeit und damit das entscheidende Element des Rechts fehle. Diese Ansicht ist heute überholt. Es ist weitaus bedeutender, dass die Bürger eines Staats generell die rechtlichen Normen ihrer Gesellschaft verinnerlichen und als solche akzeptieren. Zwang ist nicht der einzige Grund, weshalb sich Staaten an das Völkerrecht halten. Ausschlaggebend ist zum einen der Wille, gemeinsam Verantwortung für die Zukunft zu tragen, und zum anderen der bedeutende Vorteil einer weitgehend befriedeten Welt, die aus der Respektierung der gemeinsam aufgestellten Regeln resultiert. Zudem spielt für die Einhaltung des Völkerrechts zuweilen auch das Bedürfnis eines Staats nach einem «guten Ruf» eine Rolle; also das Begehren von Staaten, als verantwortungsbewusste und vertrauensvolle Akteure wahrgenommen zu werden. Diese externe Wahrnehmung sowie die Reputation eines Staats können gerade in internationalen Vertragsverhandlungen von erheblicher Bedeutung sein.

«Internationales Recht ist das, was Übeltäter missachten, während Rechtschaffene ablehnen, es mit Gewalt durchzusetzen.»

Leon Uris (1924–2003), US-amerikanischer Schriftsteller

Speziell im Völkerrecht ist auch die Stellung des Individuums. Früher richtete sich das Völkerrecht ausschliesslich an Staaten. Das heisst, es brauchte stets einen Staat, der die Interessen einzelner Menschen auf völkerrechtlicher Ebene wahrnahm. Trotz gewisser Aufweichungstendenzen sind auch im modernen Völkerrecht überwiegend Staaten die Träger von Rechten und Pflichten geblieben (zu Völkerrechtssubjekten siehe Kapitel 6). In den Bereichen der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts fand aber nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ein Umdenken statt, sodass in diesen Bereichen mittlerweile auch Individuen direkt Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten sind (zu Individuen als Völkerrechtssubjekte siehe Unterkapitel 6.4).

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich das Völkerrecht stark entwickelt und regelt heute auch Gebiete wie zum Beispiel die Menschenrechte, das Umweltrecht oder das internationale Strafrecht (zu den verschiedenen Anwendungsbereichen des Völkerrechts siehe Kapitel 7). Als Folge dieses Wachstums hat auch die Menge der Institutionen, die das neu geschaffene Recht überwachen, zugenommen. Die Regelungsbereiche dehnen sich heute weiter aus und überschneiden sich zum Teil. Dies hat zur Folge, dass es zunehmend zu Kollisionen von Regeln kommt und die Institutionen Gefahr laufen, sich mit ihren Entscheiden gegenseitig in die Quere zu kommen. Diese Rechtszersplitterung – oft auch Fragmentierung genannt – kann die Einheit des Völkerrechts als Rechtssystem gefährden und stellt mitunter eine erhebliche Herausforderung dar.

Die Quellen des Völkerrechts sind hauptsächlich bi- oder multilaterale Verträge zwischen Staaten, das Gewohnheitsrecht und auch sogenannte allgemeine Rechtsgrundsätze. Hinzu kommen noch weitere Rechtsquellen, wie einseitige Erklärungen von Staaten, Akte von internationalen Organisationen, Gerichtsurteile und «soft law» (zu den Quellen des Völkerrechts siehe Kapitel 5).

3.3   Völkerrecht und Ethik


Obwohl ähnliche Konzepte wie Normen, Prinzipien und Werte mobilisiert werden, sind Recht und Ethik/Moral nicht immer deckungsgleich. Das gilt auch im Völkerrecht. Ähnlich wie das Recht befasst sich auch die Ethik mit der Frage, wie wir uns verhalten sollen. Der Unterschied liegt darin, dass eine ethische Betrachtung mit anderen Modalitäten arbeitet, zum Beispiel wenn sie weiter geht als eine rein juristische Analyse, die nur nach den anwendbaren Regeln fragt. Die Ethik hinterfragt die Regeln selbst, ob sie gut, gerecht oder moralisch vertretbar seien. Zugleich ist Ethik nicht statisch, sondern immer eine Reflektion der zeitgenössischen Werte- und Moralansichten einer Gesellschaft und verändert sich entsprechend. Für sogenannte Rechtspositivisten hängt die Verbindlichkeit einer völkerrechtlichen Regel vom Durchlaufen eines bestimmten Verfahrens ab: zum Beispiel Ratifizierungsprozess eines völkerrechtlichen Vertrags oder Verabschiedung einer Resolution des UNO-Sicherheitsrats. Im Gegensatz dazu hängt die Gültigkeit einer ethischen Regel im Wesentlichen von moralischen Wertvorstellungen wie etwa Würde, Gleichheit oder Freiheit ab.

Ethik im Völkerrecht

Ein gutes Beispiel einer ethischen Fragestellung an das Völkerrecht bietet sich im Umweltrecht. Die Frage «Wie könnte eine gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen aussehen?» enthält sowohl rechtliche als auch ethische Aspekte. Weitere Beispiele betreffen militärische Interventionen oder die Migration, wo die Frage «Welche ethischen Standards sollten im Umgang mit Migranten eine Rolle spielen?» zunehmend eine grosse Bedeutung hat.

Bekannt ist auch die Frage nach der ethischen Komponente von völkerrechtlichen Sanktionen, zum Beispiel des UNO-Sicherheitsrats, die ganze Nationen empfindlich treffen können.

Fragen wie «Soll die Schweiz den neuen Staat X anerkennen?» oder «Soll die Schweiz aktiv die Entwicklung der Welthandelsorganisation (WTO) vorantreiben?» lassen sich deshalb weder rein rechtlich noch rein politisch beantworten, sie haben stets auch eine ethische Komponente, die wir wenn möglich identifizieren und explizit darstellen sollten. Eine fruchtbare Beziehung zwischen Ethik und Völkerrecht kann als ein ständiges Hin und Her verstanden werden zwischen dem, was rechtlich gilt (was internationale Normen vorschreiben) und dem, was diese Normen vorschreiben sollten.

3.4   Völkerrecht und Macht


Völkerrecht hat auch einen wesentlichen Einfluss auf Macht und...

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