Der Markt für Bekleidung und Textilien in Deutschland erreichte im Jahr 2011 ein Umsatzvolumen von 60,82 Mrd. Euro (Statistisches Bundesamt 2013c, S. 13). Davon wurden etwa 9,59 Mrd. Euro (Bundesverband des Deutschen Versandhandels e.V. 12.02.2013), also etwa 15,7 Prozent, im Online-Handel umgesetzt. Eine genaue Analyse zeigt, dass die Umsätze im stationären Einzelhandel seit Jahren mehr oder minder stagnieren, während die Umsätze des Online-Handels im Bereich Bekleidung kontinuierlich wachsen. So stiegen die Umsätze des Einzelhandels mit Textilien, Bekleidung und Schuhen zwischen 2002 und 2012 nominal nur um 2,3 Prozent (Statistisches Bundesamt 2013a). Der Umsatz des Versand- und Internethandels mit Textilien, Bekleidung und Schuhen wuchs im gleichen Zeitraum dagegen um 23,7 Prozent (Statistisches Bundesamt 2013a). In den letzten Jahren ist dabei sogar eher noch eine Verschärfung dieser Entwicklung zu beobachten. So stieg der Einzelhandelsumsatz des Versand- und Internethandels für Textilien, Bekleidung und Schuhe allein zwischen 2011 bis 2012 um 11,9 Prozent, während der Gesamtumsatz des Einzelhandels für Textilien, Bekleidung und Schuhe nur um 0,5 Prozent zulegte (Statistisches Bundesamt 2013a). Die stationären Modehändler scheinen bislang vor allem Zukäufe und die Verdrängung von Wettbewerbern als sinnvolle Strategie gegen stagnierende Umsätze zu betrachten. So konnten große Modekonzerne und Ketten mit einem Jahresumsatz ab 100 Mio. Euro ihre Marktanteile in den letzten Jahren deutlich ausbauen und erreichen derzeit etwa einen Anteil von 48 Prozent. (Der Handel 2013)
Wie das vorangegangene Kapitel 2 verdeutlicht hat, ist es im Online-Handel verhältnismäßig leicht möglich, Inhalte zu personalisieren und so die Konversionsrate zu erhöhen. Big Data ermöglicht es zudem Angebote automatisiert in Echtzeit an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen und die Personalisierung damit noch wirksamer zu machen. Gleichzeitig stagnieren die Umsätze im stationären Modehandel seit Jahren, während sie im Versand- und Internet Handel für Bekleidung stark steigen.
Ein Grund könnte darin liegen, dass die Möglichkeiten zur Personalisierung im stationären Modehandel bisher nur sehr eingeschränkt umsetzbar waren. So fehlen im wesentlich Information über das Kundenverhalten und Kaufmotive während des Einkaufsvorgangs in Echtzeit. So lässt sich zwar über automatische Kundenzählsysteme am Eingang, Kameras zur Laufwegeermittlung und European Article Number (EAN) gestützte Kassensysteme eine einfache Konversionsrate bestimmen. Alle Schritte und Handlungen der Kunden, die zwischen Betreten des Geschäftes und einer möglichen Transaktion liegen, bleiben allerdings im Verborgenen. Im Vergleich zu Online-Shops stellen Geschäfte des stationären Modehandels eine Art „Blackbox“ dar, in der es keine Möglichkeit gibt einzelne Konversionsschritte (Micro-Konversionen) - wie beispielsweise den Anteil der Kunden, die etwas in der Umkleidekabine anprobieren - zu messen und zu optimieren. Um zumindest eine Kundenhistorie aufbauen und damit Stammkunden im Geschäft und beispielsweise per Direkt Mailing gezielt ansprechen zu können, setzen (stationäre) Modehändler häufig Kundenkartensysteme ein. Diese ermöglichen jedoch nur nachgelagerten Analysen der Kundentransaktionen, teilweise auch in Verbindung mit soziodemographischen Registrierungsdaten. Lediglich das Verkaufspersonal, war bisher dazu in der Lage, Kunden in Echtzeit anhand ihres Verhaltens in ihrer Kaufentscheidung zu beeinflussen. Eine Anpassung des Angebots an die Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden in Echtzeit, wie dies im E-Commerce erfolgreich praktiziert wird, war im stationären Modehandel bislang nur bedingt möglich, da weder eine automatische Erfassung des Kundenverhaltens, noch eine automatisierte Ansprache möglich war.
So ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche Unternehmen, wie z. B. die Metro Gruppe, Swarm Mobile, Shopkick oder SAP mit der Precision Retailing Lösung, daran arbeiten, die Techniken zur Erfassung des Kundenverhaltens und zur Personalisierung von Angeboten und Inhalten auf den stationären Modehandel zu übertragen. Elementarer Bestandteil all dieser Lösungsansätze sind im Wesentlichen drei Technologien, die in den letzten Jahren eine starke Verbreitung erfahren haben und zunehmend leistungsfähiger werden. Einerseits sind die in Abschnitt 2.3.4 beschriebenen Möglichkeiten der Echtzeit-Personalisierung durch Big Data und Data-Mining in den letzten Jahren stark gestiegen. Andererseits ermöglichen die wachsende Verbreitung und Verbesserung der RFID-Technologie sowie die Weiterentwicklung der Mobiltelefone hin zu Smartphones, das Erfassen des Kundenverhaltens, das Erkennen von Kundenbedürfnissen und die individuelle Ansprache von Kunden. Im folgenden Abschnitt werden daher RFID und Smartphone im Hinblick auf ihre Möglichkeiten und Potenziale näher beleuchtet.
RFID Systeme (Radio Frequency Identification) zählen zu den automatischen Identifikationssystemen (Auto-ID-Systeme), welche die kabellose Erkennung und Lokalisierung von Objekten mittels elektromagnetischer Wellen zwischen einem Sender (Transponder oder Tag) und einem Lesegerät (Reader), sowie einem über eine Schnittstelle angebundenen System zur Datenverarbeitung ermöglichen. (Finkenzeller 2008, S. 7) (Wiedmann et al. 2005, S. 20) (Shepard 2005, S. 55) Die Transponder, oft auch als Tags bezeichnet, können dabei aktiver oder passiver Natur sein. Aktive Transponder verfügen über eine eigene Energieversorgung. Passive Transponder beziehen ihre Energie wiederum mittels Induktion aus dem elektromagnetischen Feld des Lesegeräts. (Finkenzeller 2008, S. 23) (Finkenzeller 2008, S. 44) (Shepard 2005, S. 57) Die Tags, die direkt am zu identifizierenden Objekt (z. B. Waren, Verpackungen oder Transportbehälter) angebracht werden, verfügen über einen integrierten Microchip. Auf dem Chip können Daten, wie z. B. eine eindeutige Produktidentifikationsnummer, Produktionsdatum oder Größe, Form und Farbe gespeichert und durch Lesegeräte ausgelesen und erfasst werden (Franke und Dangelmaier 2006, S. 8). Bei den Transpondern und Lesesystemen kommen verschiedene Modelle zum Einsatz, die sich in Größe, Frequenz und Sendereichweite unterscheiden.
Im Modehandel haben sich, wohl vor allem aufgrund des niedrigen Preises und ihrer geringen Größe, in den letzten Jahren passive EPC UHF GEN2 Tags[3] mit einer Reichweite von ein bis zwei Metern durchgesetzt. Die Preise für RFID-Tags liegen laut Tröger von GS1 Germany in rund 90 Prozent der Fälle bei Preisen zwischen sechs und 14 Euro Cent. (Rösch 2012, S. 2)
Bewährte Anwendungsgebiete der RFID-Technologie sind „Zugangskontrollen zu Gebäuden oder die Nachverfolgung von Waren in der Lieferkette“ (Wiedmann et al. 2005, S. 20).
So lässt sich RFID beispielsweise für das automatische Erheben von Maut-Gebühren (Ticketing), die elektronische Diebstahlsicherung, Ausleihsysteme (z. B. in Büchereien) oder zum Überwachen von Produktionsprozessen nutzen (Franke und Dangelmaier 2006, S. 9).
Immer häufiger wird RFID auch im Textil- und Bekleidungshandel eingesetzt. Laut Lothar Struckmeier, Deutschlandchef des RFID-Technologiedienstleisters Nordic ID, komme langsam Bewegung in die Branche. So stünden 2013 einige „Roll-outs“ an. (Rösch 2012, S. o.A.). Das EHI Retail Institute (EHI Retail Institute 2013, S. 11)[4] ermittelte in einer Untersuchung, dass etwa 15 Prozent aller Einzelhändler in Deutschland RFID flächendeckend bzw. teilweise im Echtbetrieb einsetzen. So ist RFID zwar momentan noch nicht sehr stark verbreitet, allerdings ist davon auszugehen, dass es sich kurz- bis mittelfristig im Modehandel durchsetzen wird. So geht aus einer aktuellen Untersuchung von Tailorit (Tailorit GmbH 2013, S. 61)[5] hervor, dass sich derzeit über die Hälfte aller Bekleidungshändler mit RFID befassen. Das heißt, dass der Einsatz von RFID entweder in Planung ist, gerade umgesetzt wird oder bereits umgesetzt wurde.
Laut EHI Retail Institute, konzentrieren sich Projekte im Wesentlichen auf die Modebranche. Wird berücksichtigt, dass zu den befragten Unternehmen neben den Textil-, Schuh- und Bekleidungshändlern, deren Teilnehmer 28 Prozent aller Befragten ausmachte, u. a. auch Lebensmittel-, Elektroartikel- und Möbelhändler zählten, so lässt sich schlussfolgern, dass RFID im Modehandel wesentlich stärker verbreitet ist, als hier für den gesamten Einzelhandel angegeben. Laut Nordic ID, einer der führenden Anbieter für RFID-Technologie für den Einzelhandel, haben derzeit u. a. die Unternehmen Gerry Weber, Charles Vögele, s.Oliver, Modehaus Jost, Galeria Kaufhof, Adidas und Schneider Moden RFID eingeführt (Nordic ID 2013). Ein wesentlicher Grund für die Vorreiterrolle des Modehandels könnte in den hohen absoluten Margen und den dazu verhältnismäßig niedrigen Kosten der...