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E-Book

Vom Flüchtling zum Direktor

Erinnerung an ein bewegtes Leben

AutorRobert Huber
Verlagnovum pro Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783990484852
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Flüchtlinge sind kein neues Phänomen: Die letzten großen Flüchtlingswellen gab es im Zuge des Zweiten Weltkrieges. Auch die Familie von Robert Huber ist von diesem Schicksal betroffen und flieht von Ungarn über Österreich nach Deutschland. Später studiert er Betriebswirtschaftslehre, heiratet und zieht zusammen mit seiner Frau nach Hamburg, wo er bei der Firma Philips den Einstieg ins Berufsleben schafft. Es folgt eine internationale Karriere mit Stationen in den Niederlanden, Spanien und Österreich, gekrönt schließlich mit der Übertragung eines Geschäftsbereichs mit weltweiter Verantwortung im Rang eines Direktors. Eine solche Laufbahn ist nur möglich, wenn die Familie mitspielt. So ist sie für Robert Huber eine wesentliche Stütze in den ereignisreichen Jahren seines Berufslebens und spielt deshalb eine tragende Rolle in diesem Buch.

Robert Huber wurde 1938 in Páprád-Puszta (Ungarn) geboren. 1944 erfolgte die Flucht über mehrere Stationen in Österreich nach Deutschland. In Mannheim, München und Berlin absolvierte er ein Studium der Betriebswirtschaftslehre und trat anschließend bei der Firma Philips in Hamburg ins Berufsleben ein. Versetzungen innerhalb der Firma führten ihn nach Eindhoven/Holland, nach Madrid und Barcelona in Spanien und schließlich nach Wien. Zuletzt war er dort als Direktor für den Diktiergeräte-Bereich verantwortlich. 1998 verabschiedete er sich in den Ruhestand. Robert Huber ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Österreich. Zu seinen Interessen gehören das Lesen, das Kochen und die Politik.

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Leseprobe

Meine Kindheit

Zurück zum Anfang: Geboren wurde ich – wie bereits erwähnt – am 11. März 1938 auf dem Páprád-Puszta, Komitat Vajszló. Dies war und ist ein alleinstehender Bauernhof zwischen Fünfkirchen (auf Ungarisch: Pécs) und der kroatischen Grenze. Von Fünfkirchen zur kroatischen Grenze sind es ca. 60 km und bis zum Bauernhof ca. 30 km.

ICH im Alter von drei Jahren

Es gibt auch einen Ort Páprád, von dem sich der Name des Bauernhofes herleitet, den ich aber seinerzeit nicht weiter beachtet habe. An der Hauptstraße, die an dem Ort vorbeiführte, gab es ein Wirtshaus. Dazu gehörte eine ins Auge fallende Kegelbahn, die sich zwischen der Durchgangsstraße und dem Wirtsgebäude befand. Die Kegelbahn fiel deshalb auf, weil sie in einer hölzernen Schnecke endete, die dafür sorgte, dass die Holzkugel, mit der gekegelt wurde, vor den Kegeln wieder auf die Bahn fiel. Dort konnte sie aufgenommen werden, ohne dass die stehen gebliebenen Kegel umgestoßen wurden.

Vom Ort Páprád kommend zog sich ein Bächlein durch die Felder und näherte sich bis auf einige Hundert Meter dem Bauernhof. Das Bächlein wurde gesäumt von einer langen Reihe Spitzpappeln, die am Wasser des Baches bestens gediehen. Sie waren im Frühjahr ein beliebtes Kletterobjekt, in dem wir Kinder nach Vogelnestern suchten. Die Straße nach Vajszló war ein anderes beliebtes Ziel: Sie wurde nämlich von einer Allee aus Maulbeerbäumen gesäumt, die im Herbst nicht nur köstliche blaue und gelbliche Früchte feilboten, sondern auch genügend Löcher und Verstecke für Vogelnester bereithielten. Im Winter boten sie einen trostlosen Anblick, da sie von ihren Ästen befreit waren, die mit den Blättern für die Seidenraupenzucht gebraucht wurden.

Auch im Winter gab es viel zu tun: In einer Senke hinter den Wirtschaftsgebäuden versammelten sich die Saatkrähen. Es waren Zugvögel aus Sibirien, die die frostige Kälte ihrer Heimat verließen, um den Winter in einem wärmeren Klima weiter im Süden zu verbringen.

Mit einem kunstvollen Gebilde aus einem kräftigen Stock, auf dem ein Maiskolben angebracht war, sollten die Krähen angelockt werden. Unmittelbar unter dem Kolben brachte ich einen Kranz von Drahtschlingen an, in denen sich die Vögel verfangen sollten. Offensichtlich kannten die schlauen Vögel diesen Trick bereits. Jedenfalls gelang es mir nicht, auch nur einen einzigen Vogel zu fangen. Dafür rammte ich mir bei einem der Inspektionsbesuche einen riesigen Dorn in den Fuß, der von den dort stehenden Akazienbäumen stammte.

Zwei mächtige Spitzpappeln markierten den Eingang von der Hauptstraße zum Bauernhof, der etwa hundert Meter von der Straße entfernt lag. Auf der linken Seite befand sich eine Einfriedung mit Sträuchern für die Hühner. Sie erweiterte sich in einen offenen Hof, in dem sich der gesicherte Hühnerstall befand. Allerdings war er nicht gut genug gesichert, denn der Fuchs forderte ab und zu seinen Anteil.

Neben dem Stall gab es ein Gartentor, das nach draußen führte. Dort tauchten manchmal Zigeuner auf, die die Großmutter mit den Worten anbettelten: „Marjanbees, gib mir a Stickel Henglfleisch.“ Und Großmutter mit ihrem guten Herzen gab.

Wir hatten noch mit einer anderen Kategorie von Zigeunern zu tun: den Kesselflickern und jenen, die aus Baumstämmen mit großem Geschick Tröge anzufertigen wussten. Die Tröge wurden zur Fütterung und zur Tränke von Pferden, Kühen und Schweinen benötigt.

Die Zigeuner hatten nicht den besten Ruf, was sicherlich auch damit zusammenhing, dass sie nicht sesshaft waren. Vater erzählte von einem Projekt, mit dem man den „armen“ Zigeunern festen Wohnraum schaffen wollte. Es wurde eine kleine Siedlung von Häusern für eine Gruppe von Zigeunern errichtet. Eine Zeit lang ging es auch gut: Die Zigeuner bezogen die Häuser und wohnten dort zur allgemeinen Zufriedenheit. Eines Nachts aber waren alle ausgezogen und verschwunden.

In der Nähe des Durchgangs vom Haus in den besagten erweiterten Hof gab es einen eher niedrigen Zwetschgenbaum, der hervorragend zum Klettern geeignet war. Bei einer meiner Turnübungen bin ich mit dem Kopf voraus auf einer Scheibtruhe gelandet, die unter dem Baum stand. Das war übrigens nicht das einzige Loch, das mein armer Schädel im Laufe der Jahre zu ertragen hatte.

Im hinteren Teil dieses Hofes gab es ein Bauwerk, das von der Stirnseite gesehen einem „A“ glich, mit einem Dach, das mit Stroh gedeckt war und bis zum Boden reichte. Dieses seltsame Bauwerk diente im Sommer als Kühlschrank für Milch, Rahm und andere zu konservierende Lebensmittel. Im Winter wurden aus einem nahe gelegenen Weiher große Eisblöcke herausgeschnitten, in eine Vertiefung im Boden geschüttet und zur Isolierung mit reichlich Stroh bedeckt. In diesem standen dann die Kannen und Töpfe mit den zu kühlenden Lebensmitteln.

Am Ende der Einfahrt, mit dem Rücken zur Hauptstraße, befand sich das Wohngebäude. Davor stand einer dieser typischen ungarischen Ziehbrunnen. Dahinter erstreckten sich Gemüsegärten, die den Knechten und Mägden, die auf dem Hof arbeiteten, gehörten. Sie wohnten in einem länglichen Gebäude, das direkt an die Gemüsegärten angrenzte.

In der Verlängerung des Zufahrtsweges befanden sich Ställe für das Vieh und Schuppen für die Maschinen und Gerätschaften. Das Hauptgebäude – wiewohl eher klein – wurde von der ungarischen Familie Szomor bewohnt sowie von meinen Großeltern und natürlich von mir! Jede Familie bewirtschaftete ihren Teil des gepachteten Gutes selbstständig, wobei es zwischen den beiden Familien nie einen Konflikt gegeben hat. Im Gegenteil, beide Familien pflegten ein freundschaftliches Verhältnis.

Das Wohngebäude lag etwas zurück. Es war einstöckig und hatte an der Vorderseite zwei Eingänge für die beiden Familien. Die Tür führte direkt in die geräumige Wohnküche, in der sich links neben der Eingangstür ein Herd befand. Dieser wurde zum Heizen und zum Kochen verwendet. Meine Großmutter liebte es, in der Dämmerung, ohne Licht, in der Küche zu sitzen. Ich schloss mich ihr oft genug an und freute mich an dem zuckenden Lichtschein, der aus dem nicht ganz dicht schließenden Herdtürchen herausleuchtete.

Ich muss einen Großteil meiner Kindheit auf Páprád-Puszta verbracht haben, auch dann noch, als meine Eltern bereits in Fünfkirchen lebten. Meine Großmutter – in dieser Hinsicht keine Ausnahme – muss mich ordentlich verwöhnt haben. Sie hat mich zum Beispiel bis zu einem Alter von sechs Jahren immer noch an- und ausgezogen – sehr zum Missfallen meiner Mutter. Auf Vorhaltungen pflegte sie zu antworten: „Bis zum achtzehnten Lebensjahr ziehe ich ihn an und aus, dann kommt er zum Militär. Dort wird das sein ‚Putzer‘ (Offiziersdiener) erledigen, und wenn er nach der Militärzeit heiratet, wird es seine Frau tun.“

Zu Hause sprachen wir Deutsch. Wenn wir Kinder aber draußen im Hof oder auf der Straße mit anderen Kindern spielten, war die Umgangssprache selbstverständlich Ungarisch. Wir wuchsen also zweisprachig auf.

Mein Vater war ein begeisterter Jäger und nahm mich gelegentlich mit auf Treibjagden. Ich fand das langweilig, verabschiedete mich alsbald und ging nach Hause, nicht ohne mir enttäuschte Kommentare anhören zu müssen. Wir alle möchten halt zu gerne, dass unsere Kinder unsere Vorlieben teilen, und mein Vater war keine Ausnahme.

Eines schönen Nachmittags gingen mein Vater und ich hinter den Wirtschaftsgebäuden über die Felder. Er erzählte mir beiläufig etwas über Schonzeiten, in denen nicht gejagt werden durfte. Er hatte gerade darauf hingewiesen, dass Störche überhaupt unter Naturschutz stünden. Und schon kam einer vorbeigeflogen. Er, nicht faul, legte an und schoss ihn ab, nicht ohne sich zu vergewissern, dass uns niemand beobachtet hatte.

Eines Tages waren wir beide mit dem Pferdewagen in die Kreisstadt Vajszló gefahren, um etwas zu erledigen. Auf dem Heimweg kamen wir an einem Wirtshaus vorbei, das einsam an der Straße lag. Mein Vater hielt kurz entschlossen an und verschwand in der Eingangstür. Er ließ mich draußen allein auf dem Kutschbock zurück. Ich wartete und wartete, bis es mir zu lange wurde. Ich stieg vom Bock und machte mich zu Fuß auf den Heimweg. Auf halbem Wege holte mich mein Vater mit dem Pferdewagen ein und hielt mir eine Standpauke. Ich denke, dass er sich Sorgen gemacht hatte. Ich durfte wieder zusteigen, und so fuhren wir den Rest des Weges schweigsam nach Hause.

Ich habe natürlich auch die Eltern meiner Mutter kennengelernt und Zeit auf ihrem Bauernhof in Lakócsa verbracht. Ich bekam einen Spieß mit Wiederhaken und einem Holzgriff. Mit ihm konnte ich Heu aus einem geschichteten Heuhaufen rupfen, um damit die Tiere zu füttern. Dieser Haken gehörte mir allein und lag immer für mich bereit.

Sehr beeindruckt hat mich eine Schlittenfahrt in den Wald, wo Bäume gefällt werden sollten. Ich hatte weiter nichts zu tun, als nur den Männern bei der Arbeit zuzuschauen. Mir wurde kalt und kälter. Als wir nach Hause fuhren, war ich zum Eisklumpen erstarrt.

Daheim angekommen, wurde ich ausgezogen und in ein Bett mit vielen „Tuchenden“ gesteckt, damit ich wieder warm werden sollte. Es gab aber weder eine Heizung in dem Zimmer,...

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