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E-Book

Vom Glück auf zwei Rädern

Ein Buch für alle, die Fahrrad fahren

AutorRobert Penn
VerlagHaffmans Tolkemitt Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783942989336
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Das Fahrrad ist eine der größten Erfindungen der Menschheit - und das meistbenutzte Verkehrsmittel weltweit. Auch der Journalist Robert Penn fährt fast jeden Tag Rad, zur Arbeit, zu Freunden, zum Einkaufen oder um der Welt zu entkommen. Mit Ende 20 fuhr er auf dem Rad um die ganze Welt, 40.000 Kilometer. Allerdings kann das Fahrrad von der Stange, das er besitzt, diesem Enthusiasmus nicht annähernd gerecht werden. Robert braucht ein neues Rad, ein maßgeschneidertes Wunder der Handwerkskunst, das das Gefühl widerspiegelt, das er empfindet, wenn er fährt: dem Himmel ein Stückchen näher. Vom Glück auf zwei Rädern ist die Geschichte seiner Reise zum Traumfahrrad. Sie führt von Stoke-on-Trent, wo Robert sich einen genau auf ihn angepassten Stahlrahmen bauen lässt, bis nach Kalifornien, wo er die perfekten Räder findet; über Portland (Lenkkopf), Vicenza (Getriebe), Mailand (Lenker) und Korbach, wo die besten Reifen gemacht werden, bis zurück nach Smethwick, für den idealen Sattel. Es ist eine Liebeserklärung an das Fahrrad, eine Geschichte von perfekten Teilen, von der Historie des Fahrrads, vom Ausbruch des Vulkans Tambora im Jahr 1815 und seinen Folgen, vom Fahrrad als Demokratisierungsmaschine und von seinem Beitrag für die Befreiung der Frau, von den Irrtümern und Wundern im Rahmen seiner Weiterentwicklung und von den Qualen der Tour de France. Es ist die Geschichte davon, warum wir Rad fahren und warum diese einfache Maschine auch heute noch ein so zentraler Teil unseres Lebens ist.

Robert Penn ist Journalist und Autor und fährt täglich Rad, bei jedem Wetter. Er schreibt unter anderem für die Financial Times, Condé Nast Traveller und den Observer. Auf einem Fahrrad, das er nach der keltischen Sagengestalt 'Mannanan' benannte, reiste er um die ganze Welt. Penn ist der Autor des Buchs The Wrong Kind of Snow, das die Financial Times als 'endlos faszinierend' bezeichnete. Heute lebt Penn mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Wales.

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Leseprobe

VORWORT


Die kleine Königin


Who climbs with toil, whereso’er
Shall find wings waiting there.

[Wer unter Mühen strebt zu höher’m Ort,
Sei’s gleich wohin, wird Flügel finden dort.]

Henry Charles Beeching, »A Boy’s Song«

»Das Pferd der Zukunft«, verkündet Butch mit einem breiten Grinsen und lädt die schöne Etta ein, auf seinem Fahrradlenker Platz zu nehmen. Was folgt, ist eines der bekanntesten Intermezzi der Filmgeschichte: Zu den Klängen von »Raindrops Keep Fallin’ on My Head« radelt Paul Newman mit seiner Filmpartnerin auf dem Lenker einen Farmweg im Wilden Westen hinunter und entlockt ihr mit seinen Radkunststückchen bezaubernde Lachsalven.

Der Film Butch Cassidy und Sundance Kid heimste 1970 vier Oskars ein, darunter für den besten Song und das beste Drehbuch. Auch das Plakat zeigte das Wild-West-Pärchen auf dem Rad. Die Szene hat eine tiefere Bedeutung: Nicht nur das Gesetz ist den alternden Revolverhelden auf den Fersen, die Zukunft selbst – versinnbildlicht durch das Fahrrad – ist ihnen dicht auf die Pelle gerückt. Als sie ihr Versteck aufgeben, stößt Butch das neumodische Ding einen Hügel hinab. »Die Zukunft gehört dir, du Scheißdrahtesel!«, ruft er ihm hinterher. Als die Räder des Gefährts tickernd in einem Flussbett zum Stehen kommen, ist das die filmische Überleitung zum Finale: Butch und Sundance wissen, dass ihre Zeit im Westen abgelaufen ist, und reisen nach Lateinamerika, in der Hoffnung, dort ihre verlorene Vergangenheit wiederzufinden – wie die berüchtigten Zugräuber Robert LeRoy Parker und Harry Longabaugh, die 1901 aus Wyoming nach Argentinien geflohen waren und dem Drehbuch als Vorlage dienten.

Nicht nur Zugräubern fiel es damals schwer, sich noch zurechtzufinden. Ein rasanter Wandel hatte die Zeit erfasst, im Wilden Westen ebenso wie in der übrigen Welt. Viele Menschen in den 1890er Jahren fühlten sich von der Zukunft förmlich überrollt. Das Jahrzehnt erlebte die ersten internationalen Telefonverbindungen, die Aufteilung Afrikas unter die westlichen Kolonialmächte, die Gründung der britischen Labour Party, die Festlegung anerkannter Regeln für zahlreiche Sportarten, die bald weltweite Verbreitung fanden, und die erste Olympiade der Neuzeit. Die spätere Bayer AG erlangte ein Patent auf Heroin, Marie und Pierre Curie entdeckten das Radium, Henri Becquerel die Radioaktivität von Uran. In New York eröffnete das Waldorf-Astoria, in Paris das Ritz. Émile Durkheim begründete die Soziologie. Der soziale Gedanke – Arbeiterrechte, soziale Absicherung – breitete sich zunehmend aus. In den USA häuften die Rockefellers und Vanderbilts beispiellose Privatreichtümer an. Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte die nach ihm benannten Strahlen, William Dickson und die Brüder Lumière entwickelten die Kinematographie. Es kam zur Wiener und Berliner Sezession. Verdi, Puccini, Tschaikowski, Mahler, Cézanne, Gauguin, Monet, Liebermann, Corinth, Munch, Rodin, Tschechow, Ibsen, Henry James, Yeats, Gerhard Hauptmann, Kipling, Oscar Wilde, Joseph Conrad, Arthur Schnitzler und Émile Zola: Sie alle standen auf dem Gipfel ihrer Schaffenskraft. Es war ein bemerkenswertes Jahrzehnt – die Blüte der Wilhelminischen Zeit, der Schlussstein der Viktorianischen Epoche.

Und im Herzen all dessen stand das Fahrrad. 1890 gab es schätzungsweise 150 000 Radfahrer in den USA. Ein Rad kostete noch grob die Hälfte des Jahreslohns eines Fabrikarbeiters. Bis 1895 war der Preis auf ein paar Wochenlöhne gefallen, und jedes Jahr kam eine Million neue Radler hinzu.

Der Fahrradtyp, auf dem Butch seine Etta spazieren fuhr, wurde »Sicherheitsrad« genannt. Es war das erste moderne Fahrrad und der Kulminationspunkt einer langen, sprunghaften Suche nach einem von menschlicher Muskelkraft angetriebenen Fahrzeug. »Erfunden« wurde das Sicherheits- oder auch Niederrad 1885 in England. Als drei Jahre später der Luftreifen hinzukam, der das Gefährt bequemer machte, begann das erste goldene Zeitalter des Fahrrads. Der Invasion von Armeen kann man sich erwehren, so hat sich Victor Hugo einmal sinngemäß geäußert, nicht aber dem Ansturm von Ideen, deren Zeit gekommen ist. Die »Frohe Botschaft des Rads« verbreitete sich so rasch, dass man sich allenthalben an den Kopf fasste, warum etwas so Einfaches nicht schon viel früher erfunden worden war.

Die Fahrradproduktion entwuchs ihren bescheidenen Anfängen in Hinterhofschmieden und wurde zu einem richtig dicken Geschäft. Fahrräder wurden binnen kurzem in Massen am Fließband hergestellt, Entwicklung und Herstellung wurden getrennt, spezialisierte Zulieferer fertigten standardisierte Teile. Ein Drittel aller Patente, die in den 1890er Jahren im amerikanischen Patentamt in Washington, D.C., registriert wurden, betraf Neuerungen zur Verbesserung des Fahrrads. Das Amt unterhielt sogar ein eigenes Gebäude nur für Erfindungen, die sich auf das Fahrrad bezogen.

1895 stellten auf der jährlichen Industriemesse des Fahrrads, der Stanley Bicycle Show, bereits 200 Firmen 3000 Modelle aus. Die Zeitschrift The Cycle meldete, dass in jenem Jahr in Großbritannien 800 000 Fahrräder hergestellt wurden. Viele Schlosser, Büchsenmacher und Metallfacharbeiter gaben ihre Stellen auf und suchten sich Arbeit in den Fahrradfabriken. 1896 erreichte die Produktion in den USA ihren Gipfel: 300 Firmen produzierten 1,2 Millionen Fahrräder und machten die Fahrradherstellung zu einer der bedeutendsten Industrien des Landes. Das größte Unternehmen, Columbia, beschäftigte in seinen Werken in Hartford, Connecticut, 2000 Arbeiter und rühmte sich, ein Fahrrad pro Minute zu fertigen.

Bis zum Ende des Jahrzehnts war das Fahrrad für Millionen zu einem nützlichen Fortbewegungsmittel geworden – zum »Drahtesel« oder zum »Stahlross« des kleinen Mannes. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde die Arbeiterklasse mobil. Da die Arbeiter nun zur Arbeit pendeln konnten, leerten sich überfüllte Mietshäuser, die Vorstädte dehnten sich aus, das räumliche Gefüge der Städte veränderte sich. Auf dem Land sorgte das Fahrrad für eine weitläufigere Durchmischung der Gene: Britische Geburtsregister aus den 1890er Jahren belegen, dass Nachnamen nun immer öfter fern des Landstrichs auftauchten, in dem sie seit Jahrhunderten verwurzelt gewesen waren. Überall war das Fahrrad Anlass für Kampagnen zur Verbesserung der Straßen, die dem Automobil buchstäblich den Weg ebneten.

Der gesundheitliche Nutzen des Radfahrens passte gut zum aufstrebenden Geist der Selbstertüchtigung, der die Epoche beseelte. Dieselben Arbeiter, die zu den Fabriken und Zechen radelten, gründeten Gymnastikvereine und Chöre, Leihbüchereien und literarische Gesellschaften. An den Wochenenden unternahmen sie Radtouren im Verein. Die Zahl der Amateur- und Profirennen explodierte förmlich. Radrennen auf Bahnen und in Velodromen wurden zum beliebtesten amerikanischen Zuschauersport. Arthur A. Zimmerman, einer der ersten internationalen Sportstars, gewann über 1000 Rennen auf drei Kontinenten, erst als Amateur, später als Profi, darunter Goldmedaillen bei der ersten Bahnradweltmeisterschaft 1893 in Chicago. Auf dem europäischen Festland wurden Straßenrennen enorm populär. Langlebige Klassiker wie die Rennen Lüttich – Bastogne – Lüttich und Paris – Roubaix wurden zum ersten Mal 1892 respektive 1896 ausgetragen. 1903 fand die erste Tour de France statt.

Besonders die Amerikaner begeisterten sich in den »fröhlichen Neunzigern« für die Idee der Geschwindigkeit: Durch die Fortschritte im Verkehrs- und Fernmeldewesen wurde Geschwindigkeit zum Inbegriff von Zivilisation und verhieß die Vereinigung ihres riesigen Landes. Auf einem Fahrrad konnten die Amerikaner daran teilhaben. Ende 1893 erreichten Bahnrennfahrer Geschwindigkeiten von über 60 Stundenkilometern. Das Fahrrad überflügelte das Pferd als schnellstes Verkehrsmittel der Straße. Technische Innovationen machten das Rad im Laufe der Dekade noch leichter und schneller. 1891 stellte Monty Holbein im Londoner Herne-Hill-Velodrome einen 24-Stunden-Bahnweltrekord von 577 Kilometern auf. Sechs Jahre später sattelte der zigarrenrauchende Niederländer Mathieu Cordang noch 400 Kilometer drauf.

Ein typisches Fahrrad hatte einen starren Gang (nur einen einzigen Gang ohne Freilauf), einen Stahlrahmen, einen leicht abgesenkten Lenker und einen Ledersattel. Es kam gewöhnlich ohne Bremsen aus (gebremst wurde durch Treten in die Gegenrichtung). Tourenräder wogen meist um die 15, Rennräder unter zehn Kilo – was in etwa dem Gewicht der besten heute im Handel angebotenen Straßenrennräder entspricht. Am 30. Juni 1899 erlangte...

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