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Vom Naturzustand zur Begründung des Staates bei Thomas Hobbes

AutorCelal Yesilcayir
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl70 Seiten
ISBN9783638047661
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Philosophie - Praktische (Ethik, Ästhetik, Kultur, Natur, Recht, ...), Note: 1, Universität Kassel, 37 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit besteht in erster Linie darin mit dem Begriff des Naturzustandes von Hobbes sowohl inhaltlich als auch theoretisch auseinanderzusetzen und deutlich zu machen, welche wichtige Funktion auf diesem Zustandstheorem innerhalb der Staatsphilosophie Hobbes zukommt. Der Übergang vom Naturzustand zum Gesellschaftszustand und die Konstruktion des absolutistischen Staates zusammen mit der Ableitung des Souveräns aus der Vertragstheorie bilden weitere Schwerpunkte dieser Untersuchung. Schließlich soll anhand des Verhältnisses von Bürger und Staat, von Pflicht und Recht des Souveräns sowie Gehorsam und Freiheit des Bürgers, Aufbau und Funktion des Hobbesschen Staates analysiert und bewertet werden.

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Leseprobe

I.  Die menschliche Natur und der Naturzustand

 

„bellum omnium in omnes“

 

Thomas Hobbes gründet seine politische Philosophie auf eine Lehre von der Entstehung der menschlichen Gesellschafts- und Staatsordnung und vom Wesen der Menschen. Für seine Lehre vom (natürlichen) Menschen spielt jedoch das Theorem des Naturzustandes eine zentrale Rolle. In allen drei Werken[2] seiner politischen Philosophie führt Thomas Hobbes das Theorem des Naturzustandes auf, und zwar als einen Nachweis für die Notwendigkeit des starken Staates und „eines über jedes Individuum gebietendes Herrschers“[3].

 

Doch die wohl eindringlichste Schilderung des Naturzustandes findet sich im Leviathan,  Hobbes’ großen staatstheoretischen Schrift und eines der bedeutendsten Werke der politischen Philosophie überhaupt. Das 13. Kapitel des Leviathan trägt die bezeichnende Überschrift „Von der natürlichen Bedingung der Menschheit im Hinblick auf ihr Glück und Unglück“. In ihm wird Hobbes Naturzustandstheorie entwickelt.

 

Doch bevor der Begriff des Naturzustandes an dieser Stelle näher definiert wird, muss nun zunächst das Hobbessche Menschenbild erläutert werden, das sich klar von der traditionellen politischen Philosophie der Antike unterscheidet.

 

I.1 Hobbes’ Bruch mit der klassischen politischen Philosophie

 

I.1.1 Der Mensch als zoon politikon oder ein asoziales Individuum?

 

Die traditionelle Philosophie und dessen Vertreter, zu denen Hobbes Sokrates, Platon, Aristoteles, Cicero, Seneca, Tacitus und Plutarch zählte[4], nahmen an, dass der Mensch von Natur aus politisch sei. „Anthropos zoon politikon physei estin“ – der Mensch ist von Natur aus ein politisches Lebewesen. Dieser Grundsatz, von Aristoteles im antiken Griechenland des vierten Jahrhunderts vor Christus entwickelt (deshalb spricht man heute von einem politischen Aristotelismus), hatte in der gesamten antiken und mittelalterlichen Welt seine Geltung[5]. So widmen sich die Anfangssätze in Aristoteles’ Schrift Politik der Erkenntnis, dass der Mensch mit Notwendigkeit den Mitmenschen suche:

 

[…] Als Erstes ist es notwendig, daß sich jene Wesen verbinden, die ohne einander nicht bestehen können, einerseits das Weibliche und das Männliche der Fortpflanzung wegen […], andererseits das Naturgemäß Regierende und Regierte um der Lebenserhaltung willen[6]. […]

 

Hierbei ist der Mensch aber „nicht nur in dem Sinne ein animal sociale, dass er nicht außerhalb der Gemeinschaft anderer Menschen leben kann, sondern er ist von Natur her auf das Leben in einer bestimmten Art von Gemeinschaft, der guten Gesellschaft der geordneten Polis als einer von Freien und Gleichen angelegt, in der sich das Leben nach den Tugenden der Seele aktualisieren kann“[7]. Deshalb wirft Aristoteles als nächstes die Frage nach der guten Gesellschaft, der Polis, als der wohlgeordneten Gemeinschaft auf, in der die richtigen Ziele des menschlichen Handelns erreicht werden können[8]:

 

[…] Da wir sehen, dass jeder Staat eine Gemeinschaft ist und jede Gemeinschaft um eines Gutes willen besteht (denn alle Wesen tun alles um dessentwillen, was sie für gut halten), so ist es klar, dass zwar alle Gemeinschaften auf irgendein Gut zielen, am meisten aber und auf das unter allen bedeutendste Gut jene, die von allen Gemeinschaften die bedeutendste ist und alle übrigen in sich umschließt. Diese ist der so genannte Staat und die staatliche Gemeinschaft[9]. […]

 

Aristoteles’ Ideal des Staates ist der Stadtstaat, die so genannte Polis. Sie ist die bedeutendste und umfassendste Form einer menschlichen Gemeinschaft und ihr Ziel ist es, das höchste Gut, die Glückseligkeit, die so genannte eudaimonia der Bewohner zu erreichen. Nach der politischen Lehre von Aristoteles ist das Zusammenleben der Freien und Gleichen, das er als Politik bezeichnet, nach der Philosophie die höchste und am meisten befriedigende Beschäftigung, die ein Mensch finden kann[10].

 

Damit erscheint das Leben des Bürgers mit seinesgleichen in der politischen Gemeinschaft, der koinonia politike, als einzig naturangemessene Lebensweise des Menschen, denn nur in der Politik sei die Verwirklichung der menschlichen Natur möglich[11]. In diesem Sinne wird der Mensch von Aristoteles in der Politik aufgrund seiner Natur als ein politisches Wesen begriffen und findet nur in der Polis, die nach Aristoteles gleichfalls von Natur aus gegeben ist, seine sinnvolle Verwirklichung[12]:

 

[…] Darum existiert auch jeder Staat von Natur, da es ja schon die ersten Gemeinschaften tun. Er ist das Ziel von jenen, und das Ziel ist eben der Naturzustand. […] Daraus ergibt sich, daß der Staat zu den naturgemäßen Gebilden gehört und daß der Mensch von Natur ein staatenbildendes Lebewesen ist[13] […]

 

Demnach sei der Mensch zur Ausschöpfung seiner Möglichkeiten auf die Gemeinschaft seiner Mitmenschen angewiesen und um das Wohlergehen seiner Familie, seiner Freunde und seiner Mitbürger besorgt, die in der Nikomachischen Ethik von Aristoteles wie folgt dargelegt wird:  

 

[…] Wir verstehen […] Selbstgenügsamkeit nicht einfach für den Einzelnen, der für sich allein lebt, sondern auch für seine Eltern, Kinder, Frau und überhaupt seine Freunde und Mitbürger, da ja der Mensch seiner Natur nach in der Gemeinschaft lebt[14]. […]

 

Der Mensch will nicht nur (über-)leben, sondern gut leben. Dieses „gut leben“ ist sein höchstes Ziel bzw. Gut und nur in der höchsten Gemeinschaft, der Polis, zu erreichen. Sofern er dies nicht tut, wird er von Aristoteles in der Politik als ein Tier oder ein Gott (Mensch als Mitte) beschrieben:

 

[…] Wer aber nicht in Gemeinschaft leben kann oder in seiner Autarkie ihrer nicht bedarf, der ist kein Teil des Staates, sondern ein wildes Tier oder Gott.[15] […]

 

Der Mensch wird nach Aristoteles aber nicht nur als politisches bzw. staatenbildendes, sondern zugleich auch als sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen begriffen, was ihn von anderen Herdentieren wie den Bienen abhebt. Durch die Sprache kann der Mensch zwischen gerecht und ungerecht unterscheiden und sich darüber austauschen. Über diesen Austausch entsteht dann auch wieder die Polis[16].

 

[…] Dass ferner der Mensch in höherem Grade ein staatenbildendes Lebewesen ist als jede Biene oder irgendein Herdentier, ist klar. Denn die Natur macht, wie wir behaupten, nichts vergebens. Der Mensch ist aber das einzige Lebewesen, das Sprache besitzt. Die Stimme zeigt Schmerz und Lust an und ist darum auch den andern Lebewesen eigen (denn bis zu diesem Punkte ist ihre Natur gelangt, dass sie Schmerz und Lust wahrnehmen und dies einander anzeigen können); die Sprache dagegen dient dazu, das Nützliche und Schädliche mitzuteilen und so auch das Gerechte und Ungerechte. Dies ist nämlich im Gegensatz zu den andern Lebewesen dem Menschen eigentümlich, dass er allein die Wahrnehmung des Guten und Schlechten, des Gerechten und Ungerechten und so weiter besitzt. Die Gemeinschaft in diesen Dingen schafft das Haus und den Staat[17]. […]

 

Thomas Hobbes spricht sich gegen dieses klassische Menschenbild aus und folgt in seiner Anthropologie der epikureischen[18] Tradition und vertritt deren Anschauung, wonach der Mensch von Natur aus ein unpolitisches und sogar ein asoziales Wesen sei[19]. Hobbes ist der Meinung, dass die Menschen sich überhaupt nicht aus einem spontanen Impuls, um der Gemeinschaft selbst willen, zusammenschließen. Die Beobachtung lehre vielmehr, dass andere Motive stärker seien, wenn die Menschen sich zusammenschlössen. Stärker etwa als gegenseitiges Wohlwollen seien das Streben nach Anerkennung und Beachtung durch die anderen:

 

[…] Die meisten, welche über den Staat geschrieben haben, setzen voraus oder erbitten oder fordern von uns den Glauben, dass der Mensch von Natur ein zur Gesellschaft geeignetes Wesen sei, also das, was die Griechen nennen. […] Dieses Axiom ist jedoch trotz seiner weit verbreiteten Geltung falsch; es ist ein Irrtum, der aus einer allzu oberflächlichen Betrachtung der menschlichen Natur herrührt. Denn untersucht man genauer die Gründe, warum die Menschen zusammenkommen und sich gegenseitig an ihrer Gesellschaft erfreuen, so findet man leicht, dass dies nicht naturnotwendig, sondern nur zufälligerweise geschieht. Denn wenn die Menschen einander von Natur, d.h. bloß weil sie Menschen sind, liebten, wäre es unerklärlich, weshalb nicht jeder einen jeden in gleichem Masse liebte, da sie ja alle in gleichem Masse Menschen sind; oder weshalb der Mensch lieber die Gesellschaft derer aufsucht, die mehr als den übrigen Ehre und Vorteil erweisen. Der Mensch sucht also von Natur keine Gesellschaft um der Gesellschaft willen, sondern um von ihr Ehre und Vorteil zu erlangen; dies begehrt er zuerst, das andere nur an zweiter Stelle. Die Absicht, weshalb die Menschen sich zusammenschließen,...

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