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E-Book

Vom Schreiben auf dem Bitterfelder Weg

Die Bewegung schreibender Arbeiter - Betrachtungen und Erfahrungen

AutorRüdiger Bernhardt
VerlagNeue Impulse Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl331 Seiten
ISBN9783946845249
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die Geschichte der Bewegung schreibender Arbeiter/innen der DDR ist nur in Ansätzen geschrieben. Dieses Buch betrachten wir als Grundbaustein dazu. Vom Literaturbetrieb der Alt-BRD als Produktionsstätten von »Ideologiekitsch« verschrien, inspirierte die Bewegung den »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«. Hier wie dort ermöglichten die Zirkel bei arbeitenden Menschen emanzipatorische, kulturpolitische Bildungsprozesse, die dem Bürgertum suspekt waren. Und sie brachten beachtliche Werke hervor. Unser Autor Prof. em Rüdiger Bernhardt begleitete die Bewegung schreibender Arbeiter/innen wissenschaftlich und ganz praktisch.

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Leseprobe
Aus dem Vorwort Es war vor fünfzig Jahren zu Beginn des Studienjahres 1965/66, als mich der Dozent am Germanistischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Dr. phil. habil. Wolfgang Friedrich (1926-1967) fragte, ob ich den Zirkel schreibender Arbeiter der Leuna-Werke leiten würde. Die Frage kam nicht unerwartet, denn bei meiner Einstellung als Assistent ein Jahr zuvor wurde ich in die Besonderheit des Institutes eingeführt, sich seit der I.Bitterfelder Konferenz 1959 für schreibende Arbeiter einzusetzen und dabei auch Zirkel zu betreuen. Dazu bedurfte es keines Auftrags und keiner Weisung, sondern die Hallenser Germanisten fühlten sich von den in Bitterfeld entwickelten Vorstellungen so angeregt, dass sie unabhängig von ihren Lehr- und Forschungsverpflichtungen sich in die neue Problematik einarbeiteten und auch in der späteren sehr viel größeren Sektion Germanistik und Kunstwissenschaften entsprechenden Tätigkeiten nachgingen. Sie hatten sich 1960 auf einer ersten Konferenz über die Grundzüge einer solchen Tätigkeit verständigt, wurden Zirkelleiter, erarbeiteten methodische Materialien, gaben Anthologien und andere Texte heraus und übernahmen leitende und anleitende Aufgaben, so Wolfgang Friedrich als Vorsitzender der Bezirksarbeitsgemeinschaft schreibender Arbeiter beim Bezirkskabinett für Kulturarbeit, seine Frau Cäcilia Friedrich als Zirkelleiterin wie auch viele andere. Bezirksarbeitsgemeinschaften (BAG) gab es für alle Volkskunstgruppen und Genres in jedem der fünfzehn Bezirke der DDR. Als ehrenamtliche Gremien berieten die Bezirksarbeitsgemeinschaften die Bezirkskabinette für Kulturarbeit und als Zentrale Arbeitsgemeinschaften (ZAG) das Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig. 1963/64 war eine Blütezeit der Bewegung schreibender Arbeiter, die sich stabilisiert hatte und auf diesem Niveau bis zum Ende der DDR, in mehreren Zirkeln auch darüber hinaus bestehen blieb. Auch von den massiven kulturpolitischen Eingriffe wie dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 blieb sie weitgehend verschont; nur einige Zirkelleiter, die Schriftsteller waren wie Hasso Grabner, gerieten in die Schusslinie. Bei der Stabilisierung der Bewegung sind nicht alle Vorstellungen der Politiker und Initiatoren in Erfüllung gegangen - sofern es solche genauen Vorstellungen gegeben hat und es nicht um einen allgemeinen, für notwendig erachteten Bildungsprozess ging, der eingeleitet werden sollte -, aber das Ergebnis der Bewegung schreibender Arbeiter war insgesamt und von »unten« her betrachtet beeindruckend, wie 25Jahre nach der I.Bitterfelder Konferenz auf einer Konferenz in der Maxhütte Unterwellenborn 1984 eingeschätzt wurde. Für 1964, das Jahr der II.Bitterfelder Konferenz, wurden die schreibenden Arbeiter von bürgerlichen Literaturwissenschaftlern jedoch totgesagt, bestenfalls belächelt: »Eine heute exotisch anmutende massenkulturelle Initiative versandete wieder.« Sie reagierten so auf einen Bildungsvorgang, der ihnen suspekt war, weil er sich auf einen ihnen fremden sozialen Teil der Gesellschaft bezog, dessen Besonderheit sie zwar ahnten, aber nicht wahrhaben wollten und den sie deshalb auch nicht zur Kenntnis nahmen. Deshalb gaben sie gravierende Fehlurteile ohne jede Kenntnis der Entwicklung und Fakten ab. Das Verfahren blieb aktuell; die Beispiele sind zahlreich und einige finden sich in diesem Band dokumentiert. Nur eines wird hier noch vorgestellt: Spiegel online veröffentlichte am 28.März 2013 einen Beitrag mit der seriös erscheinenden, wenn auch nicht ganz korrekten Überschrift »Greif zur Feder, Kumpel!« Aber schon der Vorspann zeigte den aller Seriosität Hohn sprechenden Ansatz, denn »weil der SED viele Autoren des Landes verdächtig waren, sollte in ?Zirkeln schreibender Arbeiter? das Volk fabulieren«. Weder das Ziel noch der Vorgang waren richtig. Zwar benutzte die Verfasserin das Archiv Schreibende ArbeiterInnen in Berlin, aber bereits die Eröffnung machte den Tenor des Artikels deutlich: Das Archiv sei »staubig und grau«, der Schriftsteller Jürgen Kögel, der zwanzig Jahre im Zirkel am Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft war und sich ehrenamtlich um das Archiv bemüht, wurde als »Rentner« vorgestellt, der die Texte des Archivs »innig« liebe. Hohn und Geringschätzung, mit der Josefine Janert an ihr Thema ging, sind kaum zu überbieten. Ihr Verfahren entspricht dem der üblichen Herabsetzungen: Im Archiv lagere »die versammelte proletarische Dichtkunst des Arbeiter- und Bauernstaates«, Schriftsteller wie Erik Neutsch und Christa Wolf seien »brav« aufgebrochen, »um das Leben der Werktätigen kennenzulernen«, bei den »sich zuspitzenden Widersprüchen des Sozialismus« hätten sich die Autoren ins Private »geflüchtet«. Zu solchen Verdrehungen und Herabwürdigungen werden jene Bemerkungen aus Zirkeln gestellt, die kritischer Art sind, besonders bemerkenswert bei Brigitte Reimann, deren kritische Einschätzungen aus dem Zusammenhang gerissen verwendet werden, deren bedeutende Rolle als Zirkelleitern mit keinem Wort erwähnt wird, auch nicht der Einfluss der Zirkelarbeit auf ihren Roman Franziska Linkerhand. Da ist das Ergebnis eines solchen »seriösen« Artikels natürlich klar. »Große Schriftsteller gingen aus den Zirkeln zwar nicht hervor, wohl aber Autoren, deren Werke sich verkauften.« Dafür habe der »Bitterfelder Weg« »Ideologiekitsch« produziert Voller Häme und Geringschätzung, ohne genaue Kenntnis und vor allem ohne nur ansatzweise begriffen zu haben, dass es beim Bitterfelder Weg zuerst um einen Bildungsvorgang ging, wird von solchen Journalisten drauflos schwadroniert was das Zeug hält. Janert setzte damit fort, was andere ihr vorgemacht hatten: 1998 schrieb Gero Hirschelmann über eine objektive Behandlung des Themas auf einer Konferenz in Vockerode, vorbereitet von Manfred Jendryschik, einem Schriftsteller, der selbst aus einem Zirkel gekommen war: »Sah Schütrumpf doch im ?Bitterfelder Weg? vor allem den Versuch, ?alte Eliten durch neue zu ersetzen?. Ein Rekrutierungsprogramm sei damals angelaufen, das mit stalinistischen Methoden versucht haben soll, unbotmäßige Intellektuelle auszuschalten.« Mit »Schütrumpf« meinte er den Berliner Historiker Jörn Schütrumpf, der eine Darstellung »Stürmt die Höhen der Kultur!« Der Bitterfelder Weg während einer Führung der Tagungsteilnehmer durch die Ausstellung gegeben hatte, die den Bitterfelder Weg entschieden ablehnte und wofür er entschiedenen Widerspruch erntete. Schütrumpfs Darstellung ging zurück auf ein Diskussionsangebot aus dem Jahre 1997, in dem nichts aus der DDR anerkannt wurde. Der Fehler des Verfassers lag darin, dass er die Gesamtentwicklung ausschließlich aus den offiziellen Dokumenten der Partei, nicht aber aus den Leistungen der Menschen ableitete. Dabei entging ihm der Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Journalisten und Historiker setzten nur fort, was Schriftsteller wie Erich Loest und Werner Heiduczek auf der sogenannten 3. Bitterfelder Konferenz, an anderer Stelle Wolfgang Hilbig ihnen vorgesprochen hatten, die den Bitterfelder Weg als »Feldweg, Irrweg und Holzweg« (Loest) sahen. Sie waren jedoch unter den Schriftstellern Ausnahmen. Und die 3. Bitterfelder Konferenz brachte erwartungsgemäß, da auch sie die entstandenen literarischen Dokumente und substanzielle persönliche Erfahrungen und Erlebnisse nicht einbezogen hatte, für eine objektive Geschichtsschreibung nichts. Natürlich fragt man sich, warum Wissenschaftler und Journalisten derart hemmungslos Falsches oder Herabwürdigendes verkünden, ohne exakt recherchiert zu haben, Material zu studieren und ordentliche Studien zu treiben, was sie sonst - ich unterstelle es - tun. Die Erklärung ist, dass ihre Voreingenommenheit und ihre Vorurteile jede Sorgfalt hinfällig werden ließen, weil sie sich in arroganter Überheblichkeit diesen Prozessen, die sie nicht kannten, überlegen fühlten. Daraus entstand auch das gewollte Missverstehen: Die Bitterfelder Konferenz wurde gleichgesetzt mit den schreibenden Arbeitern, dabei ging es um alle Künste und der Akzent, bis in die Leitbegriffe und die Konferenzlosung, lag auf »Kultur« bzw. »Nationalkultur«, nicht auf Literatur. Deshalb erinnerte Harald Bühl, der das Präsidium des Bundesvorstandes des FDGB auf der Konferenz 1984 in Unterwellenborn vertrat, nachdrücklich daran, dass es um »ein hohes Kultur- und Bildungsniveau der Arbeiterklasse und ein reiches geistig-kulturelles Leben seiner Mitglieder (des FDGB, R.B.)« gegangen sei und gehe. Es waren jedoch auch namhafte Schriftsteller, die sich geradezu über die schreibenden Arbeiter entrüsteten. Als Arno Schmidt 1973 mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt a.M. geehrt wurde, polemisierte er in seiner Dankesrede nicht nur gegen den Bitterfelder Weg im Allgemeinen (»anmaßend geführter Arbeiter= und Bauernkrieg gegen die Phantasie«), sondern auch gegen die schreibenden Arbeiter im Besonderen: »... die marxistisch beliebte Formulierung vom ?schreibenden Arbeiter? (bedeute) imgrunde eine Diffamierung des Berufsschriftstellers - gleichsam wie wenn man derlei auch ohne lebenslange mühsame Ausbildung, so nach Feierabend nebenbei mit=ausüben könne«. Schmidt, der sonst großen Wert auf Genauigkeit und wissenschaftliche Gründlichkeit legte, war hier von größter Oberflächlichkeit und kaum zu übertreffender Unkenntnis, die jedoch unwidersprochen blieb: Schmidt polemisierte gegen etwas, was die bundesdeutsche Öffentlichkeit nicht dulden wollte. Unter diesen Umständen fehlt bis heute eine zuverlässige Darstellung der Geschichte der schreibenden Arbeiter und ihres Wirkens. Auch lexikalische Darstellung müssen eingeschlossen werden: Das Metzler Lexikon DDR-Literatur gibt weder unter dem Stichwort Bitterfelder Weg (S.41-43) noch unter Zirkel schreibender Arbeiter (S.377-378) zuverlässige Informationen. ...
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