«Die Welt der Farben scheint eng verbunden mit der Welt der Töne und der Musik. Worauf jedoch diese Verbindung eigentlich beruht, darüber zerbrechen sich Philosophen, Naturwissenschaftler und Künstler seit Jahrhunderten die Köpfe. Heute wissen wir: Rein physikalischer Natur ist die Verbindung nicht – es sind allein der Mensch und seine Wahrnehmung, die beide Welten immer wieder aufs Neue zusammenführt.»[28]
Im Verlauf der Geschichte haben sich verschiedenste Theorien über das Zusammenspiel von Farbe und Ton entwickelt. Schon Pythagoras und Aristoteles erkannten eine Analogie und ordneten jedem Ton eine Farbe zu.[29] Auch Leonardo da Vinci experimentierte bereits im 15. Jahrhundert mit farbigen Lichtprojektionen.
«Die Musik kann nicht anders genannt werden als die Schwester der Malerei, denn sie ist dem Gehör zugeordnet, einem Sinn, der nach dem Sehvermögen kommt, und erzeugt Harmonie durch die Verbindungen ihrer wohlproportionierten und gleichzeitig auftretenden Teile, die aber gezwungen sind, in einem einzigen oder mehreren Zeitmaßen zu entstehen und zu vergehen. […] Die Malerei überragt und beherrscht die Musik, weil sie nicht sofort nach ihrer Erschaffung wieder vergeht […] ».[30]
Im 17. Jahrhundert beschäftigte sich Isaac Newton mit der Verbindung von Farbe und Tönen. Er teilte die von ihm entdeckten Spektralfarben in Anlehnung an die siebenstufige Tonleiter in sieben Farben ein.[31] Dennoch waren darstellende Kunst und Musik für lange Zeit getrennt. Erst ab dem 19. Jahrhundert übten sich Maler in der Synästhesie mit Musik und Musiker versuchten ihre Lieder mit Bildern zu verknüpfen. Ihr Ziel war es aus zwei Kunstrichtungen eine neue Einheit zu schaffen, die auch von Außenstehenden so wahrgenommen wird.[32]
Die ersten synästhetischen Ansätze sind die sogenannten Farborgeln. Die verschiedenen Einflüsse für die Visuals werden in den folgenden Kapiteln genauer beleuchtet. Dieser Abschnitt soll nur einen kleinen Überblick geben.
Einen großen Schritt vorwärts in Richtung der heutigen Visuals schaffte die Entstehung des Films. Es waren viele verschiedene Entwickler, die den Film und so die Möglichkeit, Momentaufnahmen von bewegten Szenen aufnehmen und wiedergeben zu können, erfunden haben. Dazu gehören Edisons Kinetoskope von 1891 sowie die öffentlichen Filmvorführungen der Brüder Skladanowsky und der Brüder Lumière um 1895, um nur einige der wichtigen Eckpfeiler der Filmgeschichte zu nennen.[33] Die Geräte für die Aufnahme und Wiedergabe von bewegten Bildern wurden seitdem kontinuierlich verbessert und an die Ansprüche der Filmschaffenden angepasst. Die Impression von bewegten Bildern entstand durch die schnelle Abfolge von Einzelbildern, die durch ein Objektiv mithilfe einer Lichtquelle auf lichtempfindliches Material projiziert wurden. Anfangs wurden 16 Bilder in der Sekunde aufgenommen. So lässt sich für das menschliche Auge die Illusion kontinuierlicher Bewegungen erzeugen.[34]
Nach dem 2. Weltkrieg hatten die Künstler durch die technischen Neuerungen unterschiedlichste Möglichkeiten, die Wahrnehmung der Rezipienten zu verändern und zu beeinflussen. Es entstanden mehrere neue Kunstformen, die sich auf andere bezogen und daraus eine neue Bedeutung schufen. Die wichtigste Entwicklung in Richtung Visuals ist die Veränderung des Film hin zum absoluten Film. Die Kunstschaffenden versuchten sich von dem narrativen Erzählstil des Kino- und Fernsehfilms zu lösen, um ihre abstrakten Botschaften zu vermitteln. Etwa zur gleichen Zeit etablierte sich der Begriff der «Visuellen Musik». Der Begriff steht in Verbindung mit einer langen Reihe verschiedener Künstler, die über Jahrhunderte hinweg von der Möglichkeit der gleichzeitigen Erzeugung musikalischer und visueller Information fasziniert waren.[35] Aus der Visuellen Musik entwickelten sich unterschiedlichste Kunstformen. Auf alle einzugehen wäre an dieser Stelle zu umfangreich. Deshalb soll nur auf die für das Buch relevanten Aspekte eingegangen werden. Musikvideos beispielsweise versuchten vorhandene musikalische Stücke visuell zu untermalen und die Botschaft der Interpreten mit Bildern zu veranschaulichen. Andere Künstler wollten dagegen aus den klassischen Genres ausbrechen und erweiterten die Präsentationsformen des Kinos. Das sogenannte «Expanded Cinema» beschäftigte sich mit der Frage der Raumprojektion und ließ den Protagonisten Raum für Experimente mit Mehrfachprojektionen oder dem Vorführen von Videos an zu diesem Zeitpunkt untypischen Orten. Mit dem Aufkommen digitaler Technologien und in dessen Folge des Computers etablierte sich die Animations- und Computerkunst und vereinfachte die Umsetzung der Synästhesie. Je leistungsstärker die Rechner wurden, desto bessere Bildmanipulationen und -effekte waren möglich. Bald war auch eine Echtzeitbildgenerierung möglich. Auf Konzerten und Partys experimentierten Lichtkünstler ab 1970 mit Lichtern, Lasern und ähnlichen visuellen Technologien.
Diese kurz erwähnten Formen sind die wichtigsten Einflüsse für die Visuelle Musik wie wir sie heute kennen. Um besser verstehen zu können, was sich hinter den Visuals verbirgt, sollen in den nächsten Kapiteln die verschiedenen Kunstgenres genauer erläutert werden.
Im 18. Jahrhundert begannen die ersten Experimente Instrumente zu entwickeln, die Töne und Farben miteinander verbinden sollten, um eine synästhetische Wahrnehmung hervorzurufen. Einer der Ersten, der sich mit der theoretischen und praktischen Umsetzung auseinander gesetzt hat, war der Mathematiker Louis Bertrand Castel (1688-1757). 1725 entwarf er ein Farbenklavier namens «Clavecin oculaire», ein Cembalo, das farbige Fenster auf Tastendruck mit Kerzen sichtbar werden ließ. [36]
Abbildung 3: «Clavecin oculaire»
Quelle: http://pyramidbeach.com/tag/clavecin-oculaire/
«Das Farbenklavier sollte den Farben den Vorteil bieten, Beweglichkeit und Leichtigkeit zu erlangen, die ihnen auf einer leblosen Leinwand nie zu eigen sein könnte, mit dem Nachteil, nun vergänglich zu sein wie die Musik.»[37]
Doch die Konstruktion war zu komplex und zu teuer für eine Massenproduktion und geriet nach Castels Tod schnell in Vergessenheit. Auch andere Entwickler versuchten sich an ähnlichen Konstruktionen, die aber ebenfalls wenig erfolgreich und eher Randerscheinungen waren. 1893 revolutionierte Wallace Rimington die Entwicklung, indem er sich als Erster seine Farborgel patentieren ließ.[38] Zusätzlich stellte er noch eine Farb-Ton-Theorie auf, in der die Farbskala einer bestimmten Oktave zugeordnet werden kann. Unterschiedliche Sättigungen der Farben bezogen sich auf verschiedene Oktaven.
Neben der Entstehung synästhetischer Instrumente, formulierten auch einige Theoretiker Schriften, wie sich Farben und Töne zueinander verhalten, wie z.B. das Werk «Über die Empfindungen» des Philosophen Moses Mendelssohn aus dem Jahr 1755.[39] Auch einige Komponisten verschrieben sich der Kombination von Farbe und Musik. Der Russe Alexander Skrjabin komponierte 1915 «Le poème du feu Promethée», eine Symphonie für Orchester und Farborgel.[40] Er beschränkte sich nicht länger auf Töne, sondern experimentierte mit unterschiedlichen Klängen und Akkorden und wies diesen dann bestimmte Farben zu. Seine Experimente blieben jedoch erfolglos und seine Aufführungen wurden von Kritikern als «nette, poppige Show» bezeichnet.[41] Auch andere Farborgeln waren meist an ihre Erfinder gekoppelt und starben deshalb auch mit ihnen.
Zu dieser Zeit sind zwei verschiedene Bewegungen zu beobachten: Zum einen gibt es Musiker, die versuchen Malerei in ihre Musik zu integrieren. Auf der anderen Seite stehen die Maler, die Musik zum Zweck der Synästesie mit ihren Bildern verknüpfen. Die beiden Gruppen sind nicht klar voneinander abzutrennen, da auch Musiker und Maler zusammenarbeiten, um eine möglichst perfekte Synästesie zu erreichen. Malerei und Musik beeinflussen sich hierbei gegenseitig.
Anfang des 20. Jahrhunderts erlebten Farborgeln und Farbklaviere einen Boom. Durch die technischen Entwicklungen wie die Elektrizität vereinfachte sich die Konstruktion der Instrumente enorm. Jetzt konnten Glühlampen eingesetzt werden und auch die Koppelung der Klaviertasten an die Lichterzeuger war nicht mehr so kompliziert wie zuvor. Mit der Entdeckung der Tonaufzeichnung und der Elektroakustik zwischen dem frühen 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts gelingt nun auch die Entkoppelung von Klang und Klangkörper. [42] Töne können ohne Instrument erzeugt, wiedergegeben und auch aufgenommen werden. Die Medien konnten ab jetzt leichter miteinander verbunden werden und ermöglichten somit das Erreichen der Synästhesie.
Doch das einfache An- und Ausschalten der Lichtquellen reichte den Künstlern nach einiger Zeit nicht mehr aus. Sie wollten nicht nur die Intensität und Größe des Lichts beeinflussen können, sondern auch die Möglichkeit einer...