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E-Book

Vom Zarenpalast zu Coco Chanel

Das Leben der Großfürstin Maria Pawlowna Romanowa

AutorGunna Wendt
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl191 Seiten
ISBN9783458789604
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Großfürstin Maria Pawlowna Romanowa (1890-1958) war eine ungewöhnlich kluge und eigensinnige Frau. Ihr rastloses Leben führte sie aus dem Zarenpalast quer durch Europa bis nach New York - ihre Ruhestätte fand sie auf der Insel Mainau, die ihr Sohn Graf Lennart von Bernadotte in ein Blumenparadies verwandelt hatte. In jungen Jahren wurde die junge russische Aristokratin mit dem schwedischen Prinzen Wilhelm verheiratet. Nach fünf Jahren verließ sie ihn wieder - und löste einen Skandal aus. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Krankenschwester an der deutsch-russischen Front; durch die Oktoberrevolution ins Exil gezwungen, gelangte sie nach Paris, wo sie für ihre Freundin Coco Chanel als Designerin arbeitete. Sie war Modeberaterin, Reisefotografin und Autorin von Memoiren, die in den USA zum Bestseller avancierten. Die Biografie einer vielseitigen Frau, die ihrer Zeit voraus war - von der Erfolgsautorin Gunna Wendt.

<p>Gunna Wendt, geboren 1953 in Jeinsen, studierte Soziologie und Psychologie in Hannover und lebt seit 1981 als freie Schriftstellerin und Ausstellungsmacherin in M&uuml;nchen. Neben ihren Arbeiten f&uuml;r Theater und Rundfunk ver&ouml;ffentlichte sie Kurzgeschichten, Essays und Biographien, u.a. &uuml;ber Liesl Karlstadt, Helmut Qualtinger, Maria Callas, Clara Rilke-Westhoff, Paula Modersohn-Becker, Franziska zu Reventlow und Lena Christ. Zuletzt erschienen ihre B&uuml;cher &uuml;ber die Dynastien Bernadotte und Romanoff sowie die Furtw&auml;ngler-Frauen.</p>

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Leseprobe

Kapitel 2


Ein Zar als Großvater


Im Mainauer Schlossarchiv befindet sich eine Reihe von großformatigen Gemälden aus Russland, darunter ein Porträt des jungen Alexander II. Es zeigt einen kleinen Buben mit einem riesigen Gewehr. Die Waffe, die er in seinen Händen hält, scheint viel zu schwer für ihn zu sein, und – was noch auffälliger ist – er hält sie ohne Leidenschaft und Begeisterung. Er wirkt auf sonderbare Weise uninteressiert an der Waffe, die beinahe so groß ist wie er. Es scheint, als wäre sie ihm anvertraut mit der Anweisung, gut darauf aufzupassen und sie nicht fallen zu lassen. Von frühester Kindheit an war der Auftrag größer als der Mensch, dem er erteilt worden war. Und vor allem, es war ein Auftrag, der dem Wesen des Kindes so gar nicht entsprach und dennoch schicksalhaft wurde.

Alexander II. wurde 1818 als ältester Sohn Nikolaus' I. geboren. Er war damit Thronfolger. Seine Erziehung diente ausschließlich der Vorbereitung auf dieses Amt. Bereits im Dezember 1825 war dem Siebenjährigen mitgeteilt worden, dass er von nun an der Zarewitsch sei. Der kleine Junge, der gerade seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Malen, nachging, wurde plötzlich durch Schüsse aus seiner kindlichen Versunkenheit herausgerissen und von einem Offizier in den Winterpalast gebracht, wo seine Mutter Alexandra Fjodorowna (Charlotte von Preußen) ihn erwartete. Der Kleine wusste nicht, wie ihm geschah, als ihm der Andreasorden umgehängt und er mit dem Zeichen des Kreuzes gesegnet wurde. Schließlich erschien sein Vater, ein großer grimmiger Mann, dessen Erscheinung schon Furcht einflößte, und berichtete, dass der Dekabristenaufstand nach kurzem Gefecht auf dem Platz des Senats niedergeschlagen worden sei. Dem Zarewitsch wurde eine Husarenuniform angezogen, dann präsentierte man ihn dem Gardebataillon als neuen Thronerben.

Der kleine Alexander fürchtete seinen Vater und liebte seine Mutter. Die beiden waren in ihrem Wesen grundverschieden: Der Vater war autoritär, hartherzig und arrogant, die Mutter schwärmerisch, großzügig und lebenslustig. Zunächst hatte sie auf die Erziehung des Sohnes wenig Einfluss. Als er sechs Jahre alt war, wurde diese Hauptmann Merder übertragen, der den Jungen auf seine spätere Aufgabe vorbereiten sollte. Mut, Disziplin, Kampfgeist bildeten die Pfeiler der Ausbildung. Von nun an waren die Geschenke, die Alexander zu Geburtstagen und anderen Festlichkeiten erhielt, Waffen: Gewehre, Säbel, Pistolentaschen. Doch Alexander war ein empfindsames, zur Nervosität und Träumerei neigendes Kind, das sehr oft in Tränen ausbrach. So auch damals, als ihm sein Vater mitteilte, dass er nun der Thronfolger sei, und er schwören musste, dieses geheim zu halten und niemandem davon zu erzählen. Allein die ernsten Gesichter der anderen Familienmitglieder hatten ihn zum Weinen gebracht. Er war überfordert und ließ seinen Emotionen freien Lauf – ein Verhalten, das er als Erwachsener beibehalten sollte.

Seine Mutter setzte sich schließlich mit ihrer Auffassung durch, dass eine rein militärische Ausbildung nicht ausreichte, um sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Sie beeinflusste ihren Mann dahingehend, Wassili Schukowskij, den berühmten Dichter und Übersetzer, zur Erziehung ihres Sohnes hinzuzuziehen. Der damals dreiundvierzigjährige Schukowskij war der Sohn einer Sklavin und eines Gutsbesitzers. Sein Patenonkel, ein benachbarter Gutsbesitzer, adoptierte ihn und ließ ihm in Moskau eine hervorragende Ausbildung zukommen. Er gilt als Begründer der russischen Romantik, von dem sich Puschkin anregen ließ.

Noch vor Alexanders Geburt hat Schukowskij dem Kind eine Ode gewidmet, in der es hieß »Stets wisse, dass bei deiner hohen Sendung / des Menschen Würde ist das höchste Gut … / das eigene Wohl vergiss für das der andern.« Daran knüpften die Gedanken an, die er später seinem Schüler mit auf den Weg gab: »Sei überzeugt, dass die Macht des Zaren von Gott stammt, aber dein Glaube daran soll so sein wie der von Marc Aurel. Auch Iwan der Schreckliche war dieser Überzeugung, aber er machte eine mörderische Verhöhnung Gottes und der Menschen daraus. Achte das Gesetz und bring den anderen durch dein Vorbild bei, es ebenfalls zu achten. Lerne die Bildung schätzen und trage zu ihrer Verbreitung bei. Achte auf die öffentliche Meinung. Wenn der Zar die Freiheit liebt, werden seine Untertanen den Gehorsam lieben. Die wahre Macht eines Herrschers beruht nicht auf der Menge seiner Soldaten, sondern auf dem Wohlergehen seines Volkes.« Schukowskij erarbeitete für seinen Zögling einen Lehrplan, wählte die Fächer und suchte die besten Lehrer aus. Alexander erhielt eine so umfangreiche und vielseitige Ausbildung, wie sie selbst in Herrscherkreisen unüblich war.

Sein Vater bestand allerdings darauf, dass Alexander mit elf Jahren in die Kadettenschule eintrat, wo er zunächst zum einfachen Soldaten, dann zum Unteroffizier ausgebildet wurde. Alexander beugte sich zwar dem Drill, genoss sogar die Begleiterscheinungen, die Orden, Tressen, kleidsamen Uniformen, doch die eigentliche militärische Ausbildung interessierte ihn überhaupt nicht. Er blieb sensibel, weichherzig, träumerisch.

Im Alter von achtzehn Jahren wurde er, zusammen mit seinem Lehrer, auf eine ausgedehnte Reise durch Russland geschickt. Er sollte das Land kennenlernen, das er einmal regieren würde: dreißig Provinzen innerhalb von sechs Monaten. Dass es sehr anstrengend werden würde, war vom Vater beabsichtigt. Er hoffte, den Sohn dadurch aus seinem Phlegma herauszureißen, das er mit Sorge konstatierte. Alexander bestand die Prüfung und war damit der erste Romanow, der Sibirien bereiste. Zurück in Sankt Petersburg zeigten sich Spuren der Strapazen. Er war erschöpft und litt an Hustenanfällen. Eine Kur in Bad Ems sollte nicht nur Heilung bringen: Ein längerer Aufenthalt in Deutschland bot zugleich die Chance, nach einer standesgemäßen Braut zu suchen, denn in den dortigen Fürstenhäusern gab es einige heiratsfähige junge Frauen. Alexander führte eine Liste potentieller Kandidatinnen mit sich, die die Sankt Petersburger Hofkanzlei für ihn zusammengestellt hatte. Bei einer Theatereinladung Großherzog Ludwigs II. von Hessen-Darmstadt lernte er dessen Tochter Marie kennen. Sie war fünfzehn Jahre alt, zart und blass. Obwohl sie gar nicht auf der Liste stand, entschied er sich sofort für sie. Am 4. April 1840 fand die Verlobung, ein Jahr später, am 16. April 1841, die Hochzeit statt. Aus Prinzessin Marie von Hessen-Darmstadt wurde Zarin Maria Alexandrowna. Schon im ersten Ehejahr wurde sie schwanger. Sie würde in den kommenden Jahren acht Kinder zur Welt bringen. Maria Pawlownas Vater Paul Alexandrowitsch war das jüngste und wurde 1860 geboren.

Nach seiner Heirat wurde Alexander zunehmend in Regierungsangelegenheiten einbezogen, wobei sich schnell herausstellte, dass er oftmals anderer Auffassung war als sein Vater. Nikolaus regierte mit eiserner Hand. Einschüchterung durch Machtdemonstration und präventive harte Strafen gehörten zu seinen bevorzugten Praktiken. Als Alexander II. schließlich seine Nachfolge antrat, bedeutete das ein schwieriges Erbe für den Siebenunddreißigjährigen: Russland befand sich im Krieg mit der Türkei und hatte eine starke europäische Koalition gegen sich. Gleichzeitig spitzte sich die innenpolitische Lage zu, das Zarentum war in einer Krise. Doch nach dem Tod seines Vaters blieb Alexander zunächst nichts anderes übrig, als das Versprechen zu erfüllen, das ihm der Vater abgefordert hatte, »alles zusammenzuhalten« und den Krieg gegen die Türkei weiterzuführen. Die russische Armee war schlecht ausgerüstet, hatte die Donau-Fürstentümer aufgeben müssen, die Krim stand unter Beschuss der Koalition aus Franzosen und Engländern. Erst nachdem Sewastopol gefallen war, ließ sich Alexander auf Friedensverhandlungen ein. Der Friedensvertrag, der am 30. März 1856 in Paris geschlossen wurde, bedeutete für Russland die militärische Niederlage.

Innenpolitisch hatte sich Alexander von Anfang an neue Ziele gesetzt: Er wollte das Vertrauen der Intellektuellen gewinnen. Die Zahl der Studenten an den Universitäten sollte nicht länger beschränkt sein, außerdem sollten sie wieder ins Ausland reisen dürfen, um sich weiterzubilden. Er lockerte die Zensur. Nun durften unter anderem auch die Werke Nikolaj Gogols, die unter Nikolaus verboten waren, wieder gedruckt werden.

Die umfassendste Reform jedoch, die Alexander umsetzen wollte, war die Abschaffung der Leibeigenschaft, die er als nicht mehr zeitgemäß und vor allem als unmenschlich empfand. Russland hatte damals 61 Millionen Einwohner, 50 Millionen waren leibeigene Bauern, etwas über die Hälfte davon gehörten der Krone, die anderen kleineren und größeren Grundbesitzern. Bereits in den ersten Wochen seiner Regierungszeit hatte Alexander in Moskau russischen Adeligen erklärt, dass das Problem der Leibeigenschaft nur von oben und sofort zu lösen sei. Er forderte die Adeligen zur Kooperation auf. Doch nur wenige erklärten sich bereit, auf ihre Privilegien zu verzichten. Dennoch ließ er sich nicht entmutigen, und am 19. Februar 1861 war es endlich so weit: Alexander II. unterschrieb das Statut, das die Leibeigenschaft aufhob. Das Volk feierte ihn mit Kundgebungen und Straßenfesten als Befreierzar. Die Freude hielt nicht lange an. Sie endete, als die Leibeigenen erfuhren, dass es eine zweijährige Übergangszeit geben würde. Um die Befreiung zu realisieren, waren neue Organisationsformen notwendig: Friedensrichter wurden zur Vermittlung zwischen Großgrundbesitzern und Leibeigenen eingesetzt. In...

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