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E-Book

Wald der toten Jäger

AutorWerner Schmitz
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783440153970
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Reporter Hannes Schreiber hatte sich auf ein Sabbatjahr in seiner Jagdhütte an der Mosel gefreut. Doch bei der Drückjagd im Nachbarrevier kommt der Chef einer einflussreichen Unternehmerfamilie ums Leben. Die tödliche Kugel soll aus Schreibers Waffe stammen, meint die Polizei. Um der Kripo - und sich selbst - seine Unschuld zu beweisen, ermittelt der Reporter in eigener Sache und bringt Erstaunliches ans Licht.

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Leseprobe

Kapitel 1


Als Erstes kam ein Rudel Rotwild. Hochgemacht von den Hunden im Feindlichen, rauschte es durch das Buchenlaub heran und kreuzte den Grenzweg. In der Schlehenhecke teilte sich das Rudel wie ein Bach in felsigem Bett, wand sich durch das Gebüsch und strömte dann wieder zusammen. 50 Stücke, vielleicht auch mehr. Alttiere mit ihren Kälbern, Schmaltiere, hier und da die Spieße eines Junghirsches. Hannes Schreiber hatte noch nie so viel Rotwild in freier Wildbahn gesehen. Was für ein Anblick!

Ein Pulk rotbrauner Leiber, Träger, Häupter, dicht gedrängt wie das Hauptfeld der Tour auf einer Flachetappe. Nicht zu schießen, wenn man nicht mitten in den Pulk halten wollte. Was kein anständiger Jäger machte.

Schreiber konzentrierte sich auf das Ende des Rudels, hoffte auf einen Bummelanten oder ein Kalb, das den Anschluss verloren hatte. Niemand tat ihm den Gefallen. Angetrieben vom Tempo, das das Leittier vorgab, hasteten alle vorbei. Kein Wasserträger am Ende des Feldes, kein mit Defekt zurückgefallenes Tier. So schnell, wie es aufgetaucht war, verschwand das Rudel hinter einer Kuppe im Altholz.

Keine Minute hatte der Spuk gedauert. Jetzt war er vorbei. Stille. Sogar der Wind gab Ruhe. Hannes kraulte seinen Hund, der neben ihm auf der Hochsitzbank stand und vibrierte wie ein stummgeschaltetes Handy.

„Ist ja gut, Smokie. Vielleicht kommt noch was. Dann schieß’ ich auch. Versprochen.“

Der Terrier hielt den Kopf mit den Kippohren schief und dachte nach. Jedenfalls sah er so aus. Früher hätte sich Schreiber jetzt eine angesteckt. Aber er hatte das Rauchen eingestellt, als sein Sabbatjahr begann. Also kramte er die Bonbonschachtel aus dem Rucksack und steckte sich eins in den Mund. Limette-Ingwer. Musste auch gehen. Smokie stellte das Zittern ein und legte sich wieder hin.

Der Rehbock, der als Nächster kam, floh auf seine Art aus dem Treiben. Er überflog den Grenzweg, verhoffte kurz in den Schlehen und zog dann, immer wieder nach hinten sichernd, spitz auf Schreiber zu. Keine 50 Meter vor der Kanzel wuchs ein Horst junger Buchen. Sie standen hüfthoch in zimtfarbenem Laub. Der Bock verschwand darin. Für einen Augenblick lugten die weißen Gehörnspitzen noch aus dem Blattwerk. Dann tat sich der Bock nieder.

Schreiber sah ihn nie wieder. Er hatte anderes zu tun. Aus den Augenwinkeln bekam er eine Rotte Sauen mit, die im Gänsemarsch auf Mattes Frühaufs Sitz zuzog. Zwei Bachen, ein paar Überläufer, ein Dutzend Frischlinge. Er verlor die Schweine schnell aus dem Blick; kurz darauf ballerte eine Büchse. Kugelschlag hörte Schreiber keinen. Das tat er nie.

„Geht hier zu wie in Brehms Thierleben“, dachte er. Mattes hatte nicht zu viel versprochen. „Wenn bei Schulte-Appelhoff Drückjagd is, lohnt et sisch, an der Grenz zu sitzen, Hannes. Da siehst du Millionen Stück Wild.“

Schreiber wusste, dass der Moselaner es mit den Zahlen nicht so genau nahm. Er stöhnte über „Millionen Leit“, wenn drei Kunden vor ihm an der Supermarktkasse standen. „En Million Leit“ konnten aber auch 100 000 Pilger auf Wallfahrt zum Heiligen Rock in Trier sein.

Die nächste halbe Stunde passierte nichts – diesseits der Reviergrenze. Bei Schulte-Appelhoffs knallte es wie im Schießkino am Samstagmorgen. Einzelschüsse, Dubletten, schnelle Schussfolgen aus Halbautomaten. „Hunnert Stück Schalenwild wollen die abends uff der Streck liegen sehn“, meinte Mattes. „Minimum. Sonst kann der Leyendecker seinen Hut holen.“

Als das Geballer Schreiber auf die Nerven zu gehen begann, tauchten die beiden Hirsche auf. Ein kapitaler Bursche mit mehr Enden auf dem Kopf, als man bei seiner Geschwindigkeit zählen konnte, und sein Adjutant, ein junger Achter. Sie nahmen denselben Wechsel wie das Kahlwildrudel, nur viel schneller. Hochflüchtig überfielen sie den Grenzweg, ließen sich vom Schlehenstreifen nicht bremsen und schossen in gestrecktem Galopp an Schreibers Kanzel vorbei. Der Adjutant vorweg, dahinter der Kapitale. Er hatte den Kopf in den Nacken geworfen. Sein Geweih reichte bis an die Keulen.

Smokie war aufgesprungen, Schreiber auch, aber er ging nicht in Anschlag. Auf tieffliegendes Rotwild schoss er nicht. Er staunte noch eine Weile der Erscheinung hinterher und setzte sich dann wieder. Sein Hund sah ihn fragend an.

Hannes strich ihm über den Kopf. „Versprechen kann man sich schon mal, kleiner Hund.“

Das erste Treiben bei Appelhoffs sollte um zwölf Uhr enden, hatte Mattes herausgefunden. Schreiber sah auf die Uhr. Nur noch eine Stunde bis zum Abblasen. Kurzweiliger Ansitz. Aber irgendwie frustrierend. Langsam könnte mal was kommen, das sich auch schießen ließ.

Wie aufs Stichwort tauchten die beiden Hirsche wieder auf. Als ob sie etwas Wichtiges vergessen hätten, hetzten sie den Weg zurück, auf dem sie vor ein paar Minuten gekommen waren. Wieder hochflüchtig, wieder der junge vorweg. Doch etwas war diesmal anders. Als beim Nachbarn ein Schuss brach und kurz darauf ein zweiter, ziemlich nahe bei der Grenze, wurden die Hirsche langsamer, fielen in Trab.

Schreiber stand schon. Er backte an, nahm den Adjutanten ins Visier, schwang vors Blatt und drückte ab. Nichts. Der Hirsch lief einfach weiter. Hannes repetierte. Vor den Schlehen hatte er den Achter wieder im Glas. Der Hirsch verhoffte. Stand breit. Als das Fadenkreuz knapp hinterm Blatt lag, schoss Schreiber noch einmal. Der Hirsch ruckte, aber er fiel nicht. Steifbeinig stakste er in die Schlehen und verschwand. Ein paar Schritte weiter rechts brach der Kapitale durch die Hecke. Die Bühne war leer.

Hannes nahm die Waffe runter und sicherte. Er stellte sie in die Ecke, schnaufte. Sein Hund winselte. „Smokie, den kriegen wir. Den kriegen wir bestimmt. Der geht nicht mehr weit. Der geht bestimmt nicht mehr weit.“

Das durfte der Hirsch auch nicht. Keine 20 Meter hinter den Schlehen lag der Forstweg, die Reviergrenze. Falls der Hirsch es hinüber schaffte, war er verloren. Für Schreiber jedenfalls. Dann läge er abends als einer unter vielen bei Schulte-Appelhoffs auf der Strecke. Vor deren Jagdschlösschen. Auf einem Bett aus Fichtenzweigen. Im Schein der Fackeln. Beim Klang der Hörner. Hirsch tot. Jagd vorbei und Halali. Ganz großes Kino. Dass niemand sich seinetwegen einen Bruch an den Hut steckte, fiele bei der Menge an Wild nicht weiter auf.

Hannes seufzte. „Diana, lass ihn auf unserer Seite liegen.“

Ein Blick auf die Uhr: noch 50 Minuten. Er streckte die Beine aus, bog den Rücken durch. Dann fiel ihm das Pirschglas ein. Für die Drückjagd brauchte Schreiber es eigentlich nicht. Er hatte es trotzdem immer im Rucksack. Nun fischte er es heraus und leuchtete den Schlehenstreifen ab. Zu sehen war nichts. Wenn, dann lag der Hirsch, sein Hirsch, tief im Gestrüpp oder dahinter.

Schreiber versuchte, sich an das Geweih zu erinnern. Waren es wirklich nur acht Enden? Oder hatte der Bursche neben seinem kapitalen Kumpel nur so klein gewirkt? Und war er wirklich jung genug? Älter als vom dritten Kopf durfte der Hirsch nicht sein. An der Grenze der Appelhoffs endete nicht nur ihr Revier, sondern auch der Rotwildbewirtschaftungsbezirk. Scheußliches Wort. Von Forstbürokraten erfunden. Auf Deutsch hieß es nichts anderes, als dass Cervus elaphus nur drinnen geduldet wurde. Draußen sollte alles Rotwild geschossen werden – bis auf Hirsche ab dem vierten Kopf. Für die brauchte man eine Genehmigung der Jagdbehörde. Falls man sie bekam, war der Hirsch längst weg.

Auf dem Hochsitz schlich die Zeit. In immer kürzeren Abständen schob Hannes den Jackenärmel zurück und sah auf die Uhr. Um zehn vor zwölf entlud er die Büchse und begann mit dem Einpacken. Die letzten Minuten stand er, Rucksack auf dem Rücken, Waffe über der Schulter, Hund unterm Arm. Um Punkt zwölf turnte er vom Hochsitz und eilte zum Anschuss.

Er fand keinen Schweiß. Guckte sich die Augen aus dem Kopf und fand keinen Schweiß. Nur etwas Schnitthaar verriet, dass der Hirsch die Kugel hatte. Von welchem Körperteil das Haar stammte, hätte ein Nachsuchenführer vielleicht sagen können. Schreiber nicht. Er war klug genug, nicht weiter auf dem Anschuss herumzutrampeln, ging stattdessen zu seinem Hund, den er ein paar Meter entfernt abgelegt hatte, und streifte ihm die Schweißhalsung über.

Smokie bewindete die Stelle, die sein Chef für den Anschuss hielt, und zog los. Direkt in die Schlehen. Schreibers Kappe blieb irgendwo hängen, Dornen zerkratzen seine Glatze. Er stolperte durchs Gestrüpp. Smokie zog ihn aus den Schlehen, durch das Geküsel dahinter. Auf den Weg zu. Plötzlich wurde die Leine schlaff. Der Hund war beim Hirsch. Er lag in der Böschung, auf der richtigen Seite der Grenze, und war tot.

Der kleine Hund packte den Hirsch bei der Drossel und beutelte ihn. Das sah ein bisschen albern aus. Hannes fand es toll.

„Ja, Smokie! Feiner Hund. Gut gemacht.“

Er hatte früher einen Weimaraner geführt. Aber für Vorstehhunde gab es kaum noch Arbeit. Deshalb war er umgestiegen. Ein Parson-Russel-Terrier tat es auch. Für die Jagd und fürs Herz. Fand Schreiber.

Als Smokie sein Mütchen gekühlt hatte, legte Hannes ihn ab und sah sich seinen Hirsch genauer an. Er hatte richtig gezählt. Acht Enden an unterarmlangen, graubraunen Stangen. Hannes hatte nicht viel Erfahrung mit Rotwild, aber um zu erkennen, dass dieser Hirsch ein Jüngling war, musste man kein Rotwildpapst aus der „Wild und Hund“ sein. Dünner Träger, schmales, junges Gesicht. Alles wie aus dem Lehrbuch. Der Hirsch war richtig.

...

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