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E-Book

Walter Hallstein

Ein Wegbereiter Europas

AutorMatthias Schönwald
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl165 Seiten
ISBN9783170331662
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Der Jurist Walter Hallstein (1901-1982) ist ein 'Gründungsvater' Europas, der zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten ist. Schon als Staatssekretär und 'Gehilfe' Bundeskanzler Adenauers und Verhandlungsleiter der Bundesrepublik bei den drei Gemeinschaftsgründungen der 1950er Jahre zimmerte er am Haus Europa kräftig mit. Noch mehr hat er dann als erster - und bisher einziger deutscher - Präsident der EWG-Kommission von 1958-1967 die Integrationsgeschichte maßgeblich mitbestimmt. Zentral war ihm dabei die Bedeutung des Rechts, um dauerhaft den Frieden in Europa zu sichern. Das Buch beschreibt auf breiter Quellengrundlage sein Leben in europäischer Perspektive, ordnet seine Politik in den Kontext der Zeit ein und diskutiert, wie aktuell die von Hallstein entwickelten Ideen zur Zukunft Europas bis heute sind.

Dr. Matthias Schönwald ist Historiker und lebt in Oberschwaben. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Geschichte der Europäischen Einigung.

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Leseprobe

Einleitung


Es war der 10. Mai 1958, als sich im Kurfürstlichen Schloss in Mainz eine Festgemeinde versammelte, um des 80. Geburtstages des deutschen Kanzlers und Außenministers Gustav Stresemann zu gedenken. Der damalige Hauptredner begann seine Gedenkrede folgendermaßen: „Es ist ein Urbedürfnis, das die Menschen veranlasst, sich zu versammeln, um das Gedächtnis eines Mannes gemeinsam zu begehen, den man ehrt.“ Bei den Überlegungen, welche Verdienste denn eine solche Ehrung rechtfertigten, wies der Laudator auf das Gemeinschaftsgefühl derer hin, die sich an einen bedeutenden Mann erinnern, „den man zu sich rechnet“, vor allem aber auf das Empfinden, dass die geschichtliche Leistung des Geehrten „in unsere Gegenwart hineinragt“. Denn, so meinte er,

„das Kriterium für die historische Bedeutung eines Menschen ist nun einmal die Dauerhaftigkeit der Wirkung, die er ausgeübt hat: die Tiefe der Veränderung, die er in der Welt, in der er gelebt hat, herbeigeführt hat“.1

Der Festredner im Mai 1958 war Walter Hallstein, der zu dieser Zeit bereits einige Monate erster Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war und dies bis 1967 bleiben sollte. Zuvor war er acht Jahre lang, von 1950 bis 1957, Staatssekretär im Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt gewesen. Ist Hallstein seinen eigenen Kriterien gemäß eine Person mit historischer Größe, dessen Wirken die Welt dauerhaft verändert hat? Erinnert sich heute, rund 115 Jahre nach seiner Geburt, überhaupt noch jemand an Walter Hallstein?

Einschätzungen der Zeitgenossen


Werfen wir einen Blick auf die Einschätzungen der Zeitgenossen. Dabei fällt eine merkwürdige Diskrepanz zwischen den Bewertungen der 1950er und frühen 1960er Jahre auf. Rolf Lahr, der ab 1954 eng mit Hallstein zusammenarbeitete, beschrieb drei Jahre zuvor das Gerede, das über ihn im Umlauf war:

„Sein [Adenauers] Staatssekretär ist Hallstein. Da ich ihn nicht kenne, kann ich nur Gerüchte erzählen: Er soll ein sehr juristischer Jurist sein, eine Kreuzung von Arbeitstier und Intelligenzbestie, ein Adenauer-Knecht, en somme, ein ungemütlicher Herr.“2

Sicherlich kommen hier auch generell Vorbehalte der etablierten Beamtenschaft gegenüber Quereinsteigern wie Hallstein zum Ausdruck, aber eine solch negative Beurteilung ist schon bemerkenswert. In dieselbe Kerbe wie das Gerücht, das Lahr aufgegriffen hatte, schlägt ein Zitat aus dem Jahr 1961, als im Vorfeld der anstehenden Koalitionsverhandlungen wieder einmal das Personalkarussell rotierte: Die FDP lehnte den von Adenauer als Außenminister ins Gespräch gebrachten Hallstein ab, in erster Linie deshalb, weil die mit seinem Namen verbundene deutschlandpolitische Doktrin schon damals „als Hemmschuh für eine bewegliche, moderne Außenpolitik“ empfunden wurde. Aber es war auch ganz konkret die Person Hallstein, die den Liberalen nicht genehm war. Am drastischsten drückte es Thomas Dehler, der „Großmeister der rhetorischen Keule“, aus: Schon Bismarck habe gesagt, ein Staatsmann müsse „über die drei großen H verfügen – Hirn, Herz und Hoden“, Hallstein aber verfüge ausschließlich über Hirn.3 War Hallstein also ein langweiliger, nüchterner, gestrenger Zeitgenosse, der der Lebenswirklichkeit der Menschen entrückt war, das Gegenteil also von dem, was wir heute in unserer „Fernsehdemokratie“ von Politikern erwarten?

Aus der Zeit, als Hallstein sich bereits als Europapolitiker einen Namen gemacht hatte, klingen die Einschätzungen seiner Person bereits deutlich freundlicher. Der Parlamentarier Kurt Birrenbach, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, schrieb im Juli 1967 an Hallstein nach dessen Ausscheiden aus der Kommission:

„Sie sind der Verwirklicher der Idee Monnets und Schumans geworden. Darum ist Ihr Name aus der Geschichte Europas nicht mehr wegdenkbar. Ist aber diese europäische Entwicklung ohne Sie möglich? Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich mich sorgenvoll frage, ob sich die neue Kommission die Stellung sichern wird, die sie unter Ihrem Vorsitz gehabt hat. Nur dann kann sie der Motor der europäischen Entwicklung werden.“4

Die Voten, die über Hallstein abgegeben werden, gerieten umso positiver, je näher sie an die Gegenwart heranreichen. Beim Staatsakt nach Hallsteins Tod im April 1982 würdigte der damalige Bundespräsident Karl Carstens ihn als einen „der Schöpfer des sich einigenden Europas“. Er habe „an der Schaffung der Grundlagen mitgewirkt, die bis heute für den politischen Standort unseres Landes bestimmend sind“. Zum selben Anlass fand Bundeskanzler Helmut Schmidt folgende Worte:

„Für alle Deutschen bleibt er auf das engste verbunden mit den ersten zehn Jahren der Entfaltung unseres Staates. Für viele über unsere Grenzen hinaus […] bleibt er auf das engste verbunden mit den ersten zehn Jahren der Entfaltung der Europäischen Gemeinschaft.“5

Die englische Zeitung Times bezeichnete Hallstein in ihrem Nachruf gar als „Mister Europe“. Im Jahr 1994 betonte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, dass Hallstein „zu den Schöpfern der Europäischen Union“ gehöre, er „einer der herausragenden Baumeister der Europäischen Gemeinschaft“ sei und ihr „Prinzipien mit auf den Weg gegeben“ habe. Es gelte, „die einzigartigen Chancen zu nutzen, die dieses Programm enthält“.6 Drei Jahre später wurde an der Humboldt-Universität Berlin ein Institut für Europäisches Verfassungsrecht feierlich eröffnet, das den Namen Hallsteins trägt, und seit über zehn Jahren fördert die Baden-Württemberg-Stiftung mit dem Walter-Hallstein-Programm europabezogene Studienaufenthalte und Praktika sowie den europaweiten Austausch von Verwaltungspersonal.

Hallstein als „Mister Europa“?


Allen diesen Beispielen ist gemeinsam, dass Hallstein ausschließlich in europäischer Perspektive gewürdigt wird. Ist die Fokussierung auf diesen Aspekt gerechtfertigt? Ist es das europapolitische Engagement Hallsteins, das die „historische Bedeutung und die Dauerhaftigkeit der Wirkung“ ausmacht, um seine eigenen Worte noch einmal aufzunehmen? Wird diese Einschätzung der Person und ihrem Leben gerecht? Oder wird hier ein Mensch auf einen, wenn auch bedeutenden Ausschnitt seiner Biographie, und darin wiederum auf sein berufliches Wirken reduziert? Wird hier am Ende im Ehrenkleid der Nachrufe und Würdigungen nicht gerade das zementiert, was Lahr als erstes Gerücht über den ihm noch unbekannten Staatssekretär aufgeschnappt hatte? Hallstein, ein ausgezeichneter Jurist, gewissenhaft, pflichtbewusst, nervtötend genau, ein farbloser Workaholic ohne Privatleben?

Dem Menschen Hallstein, dem ganzen Menschen mit allen Facetten, kann keine Biographie gerecht werden. Abgesehen davon, dass es kaum möglich ist, selbst einer Person, die einem bekannt ist, vertraut ist, ja mit der man möglicherweise sogar zusammenlebt, ganz gerecht zu werden. Abgesehen auch davon, dass keine Quelle wirklich Einblick in Hallsteins Privatleben gibt – sollte er eines gehabt haben –, abgesehen auch davon, dass eine seriöse historische Arbeit nicht über das nötige Maß hinaus spekulieren sollte, wird hier eine politische Biographie Hallsteins versucht, die dem ganzen Menschen eben nicht nur nicht gerecht werden kann, sondern es auch gar nicht will. Das Risiko, die Person Hallstein zu verkürzen und auf ihre politischen, speziell ihre europapolitischen Leistungen festzulegen und besonderes Augenmerk auf diejenigen Abschnitte von Hallsteins Biographie zu legen, die für sein späteres Wirken wichtig waren, wird bewusst eingegangen und ist methodisch unvermeidbar.

Chronologisch folgt die Darstellung nur insofern dem Lebensweg Hallsteins, als versucht wird, bereits frühe Prägungen aufzuspüren, die für seinen späteren Werdegang und sein Wirken eine Bewandtnis haben können. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit, als Hallstein seine Lebensmitte schon erreicht hatte und 1950 Politiker wurde. Die Achtung und den Respekt der Zeitgenossen hat er sich als Europapolitiker erworben. Und als Europapolitiker ist Hallstein zu verorten zwischen anderen wichtigen Europäern der damaligen Zeit, um vor dieser Folie die Unverwechselbarkeit seiner Gestalt deutlich zu machen. So wird es auch darum gehen, Hallstein mit seinen Zeitgenossen Ludwig Erhard, Jean Monnet und Charles de Gaulle zu vergleichen, weil gerade im Kontrast zu deren höchst unterschiedlichen Europavorstellungen seine Konzeption und seine dauerhafte Leistung herausgestellt werden kann. Denn trotz seiner glänzenden Karriere, trotz der bereits in den Zitaten zum...

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