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Wandel der Lehrerrolle und Möglichkeiten der Schulsozialarbeit

Ein Beitrag zur Kooperation in der pädagogischen Arbeit

AutorSandra Kretschmer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl109 Seiten
ISBN9783638497268
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Der Lehrer / Pädagoge, Note: 1,0, Evangelische Hochschule Berlin, 74 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Diplomarbeit gibt einen Überblick über die Veränderungen, denen der Beruf des Lehrers in der Geschichte bis ins 21. Jahrhundert unterlag und zeigt Handlungsmöglichkeiten von Seiten der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik in der Schule auf. Ausgehend vom gesellschaftlichen Wandel werden die vielfältigen Aufgaben der heutigen Lehrerschaft erörtert und einzelne Rollenkonflikte sowie deren Auswirkungen auf die Lehrer dargestellt und anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht. Aus diesem ersten Teil der Arbeit ergibt sich die Schlussfolgerung, dass Lehrer mit allen ihnen heute zugedachten Aufgaben stark überfordert sind. Im zweiten Teil wird deshalb die Rolle der Schulsozialarbeit als zusätzliche Ressource in der Schule erläutert und in Bezug auf ihre Funktion zur Bewältigung der Rollenkonflikte der Lehrer kritisch hinterfragt. Schließlich werden die wichtigsten Kooperationsschwierigkeiten sowie Bedingungen für eine gelingende Kooperation zwischen Lehrern und Schulsozialarbeitern dargelegt. Dabei zeigt sich, dass bisher nur unzureichende Kenntnis beider Berufsgruppen über die Arbeitsbedingungen, Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen der anderen Gruppe besteht. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, einen Blick über den 'Tellerrand' des eigenen Fachgebiets zu wagen und den Leser für die Notwendigkeit einer ressourcenorientierten Zusammenarbeit in der pädagogischen Arbeit zu sensibilisieren.

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Leseprobe

3           Sozialer Wandel


 

Der Wandel der Lehrerrolle lässt sich nicht ausreichend bestimmen, ohne auf den gesellschaftlichen Zusammenhang und den Wandel der Kindheit sowie auf die Veränderungen im Erziehungsverhalten der Erwachsenen allgemein und den Wandel der Werte einzugehen. Erst im Gefüge dieser vielschichtigen sozialen Umgestaltungen lassen sich die Auswirkungen auf die heutigen Anforderungen des Lehrerberufs erkennen.

 

3.1               Sozioökonomischer Wandel


 

Seit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Trennung von Wohnen und Arbeit sind Familien darauf angewiesen, ihre Kinder einer zweiten Erziehungsinstitution, der Schule, zu überlassen, die im Zuge des Bildungsfortschritts immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Familie als Ort der „sinnstiftenden Orientierung“ (Schilling 1997, S. 119) verliert dadurch an „Erziehungs-Einfluss“ und es kommt zur verstärkten Individualisierung[7] von Lebensläufen.

 

Nach den beiden Weltkriegen und ihren zahlreichen gefallenen Soldaten und Kriegsgefangenen gilt Deutschland als „vaterlose Gesellschaft“. Mütter leben mit ihren Kindern am Existenzminimum. Gastarbeiter helfen beim Aufbau des Landes und tragen mit ihren Familien und anderen Migranten bis heute zur kulturellen, ethischen und religiösen Pluralisierung Deutschlands bei.

 

Schließlich bringt das Wirtschaftswunder in den 50er und 60er Jahren vielfache Veränderungen der sozioökonomischen Lebensbedingungen: Höheres Einkommen, verstärkte Ausrichtung auf den Konsum (vorangetrieben auch durch das neue Medium Fernsehen), die Technisierung der Haushalte, die Weiterentwicklung des Automobils und die damit verbundene Mobilität, der Ausbau des Sozialstaats sowie die geringere Wochenarbeitszeit und vermehrte Freizeit, die immer häufiger in Auslands-Urlaube und Flugreisen investiert wird, sind Zeichen des Wohlstands (vgl. Baltes/Eckert 1999, S. 17f.).

 

Eine erneute Bildungsexpansion setzt in den 70er Jahren ein, als der tertiäre Beschäftigungssektor zunehmend an Bedeutung gewinnt. Damit steigt der Bedarf der Dienstleistungsgesellschaft an höher qualifiziertem Humankapital. Gleichzeitig wird in der Schuldiskussion die Frage nach der Chancengleichheit laut. Denn der Modernisierungsprozess vermochte es nicht, die sozialen Ungleichheiten zu lösen. Das „Bildungsexpansions-Paradox“[8] verringert sogar noch die Chancen der geringer qualifizierten Personen auf einen Arbeitsplatz.

 

1973 stürzt die Weltwirtschaftskrise die Wohlstandsgesellschaft in eine tiefe Depression. Steigende Arbeitslosigkeit und Zukunftsängste sind die Folgen. Der Kalte Krieg, Terroranschläge und das zunehmende Bewusstsein über die Umweltzerstörung lässt die Bevölkerung in einem latenten Katastrophenalarmzustand leben.

 

Schließlich kommt es im Jahr 1990 zur Wiedervereinigung und zur Entspannung des Ost-West-Konfliktes. Die steigenden Arbeitslosenzahlen machen nun jedoch auch vor den neuen Bundesländern nicht halt. Besonders kinderreiche Familien und Alleinerziehende sind bis heute von dieser „neuen Armut“, die auch als „Infantilisierung der Armut“ (Dienel 2002, S.185) bezeichnet wird, betroffen. Tatsächlich bezogen im Jahr 2003 fast doppelt so viele Kinder unter 18 Jahren laufende Hilfe zum Lebensunterhalt wie im Bevölkerungsdurchschnitt (vgl. Lebenslagen in Deutschland 2004, S. 59f.). Insgesamt zeigt die Entwicklung der Sozialhilfeempfänger einen stetigen Anstieg von ca. 1 Mio. im Jahr 1983 auf 2,828 Mio. im Jahr 2003 (a. a. O. S. 58f.).

 

Die Arbeitslosenquote stieg von 7,7 % im Jahr 1993 auf 9,5 % im Jahr 2004 (OECD Employment Outlook 2005, S. 237). Das Thema Arbeitslosigkeit ist somit zu einem sozialen Hauptproblem in der Gesellschaft geworden, welches heute selbst vor Universitätsabgängern nicht halt macht.

 

Doch je höher der Schulabschluss, desto besser sind nach wie vor die Chancen auf den Eintritt in den Arbeitsmarkt. In den alten Bundesländern lag die Arbeitslosenquote bei Personen ohne Berufsabschluss im letzten Jahr bei 51,2 % und damit 31,3 % über dem Durchschnitt, die der Hoch- und Fachhochschulabsolventen dagegen um 13, 9 % unter dem Durchschnitt, nämlich bei 6 % (s. Abb.1).

 

Abb. 1 Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten bis 2004

 

(aus: IAB Kurzbericht 9/2005)

 

 

Die Arbeitslosenquote der 15 bis 24 jährigen Jugendlichen liegt in Deutschland zwar unter dem europäischen Durchschnitt; besorgniserregend ist allerdings ihr im Verhältnis zu anderen Ländern sehr rascher Anstieg seit 1990 von 4,5 % auf 11,7 % im Jahr 2004 (vgl. OECD Employment Outlook 2005, S. 241).

 

Lehrer stehen demnach heute mehr denn je unter dem Druck, ihren Schülern zu einem möglichst guten Schulabschluss zu verhelfen, um ihren Auftrag der Eingliederung junger Menschen in die Gesellschaft und damit auch in das Berufsleben zu erfüllen[9].

 

3.2               Sozioökologischer Wandel


 

Die Verlagerung von der landwirtschaftlichen zur industriellen Produktion im 19. Jh. geht mit einer Landflucht und Verstädterung der Gesellschaft einher, in der viele Menschen aus dem natürlichen ländlichen Raum in eine städtische Umgebung ziehen.  Nach dem Zweiten Weltkrieg und der großflächigen Zerstörung vieler deutscher Städte gehört die Wiederherstellung des Wohnraums zu den wichtigsten Aufbauarbeiten des Landes. Neben zahlreichen Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand entstehen in den 60er und 70er Jahren vermehrt Hochhäuser und Trabantenstädte. In den Innenstädten kommt es zu einer Verdichtung der Bebauung verbunden mit einer Zunahme von vielbefahrenen Verkehrsflächen. Kleine Läden weichen großen Supermärkten und bald darauf entstehen in den 90er Jahren riesige Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild.

 

In den Innen- und Außenräumen kommt es zu „Funktionsentmischungen und Spezialisierungen“ (Zeiher 1983, S. 179). Es gibt getrennte Wohn-, Schlaf-, Kinder-, Bade- und Küchenzimmer. Auch die Außenräume der städtischen Struktur werden in spezielle Wohn-, Arbeits-, Schul-, Einkaufs- und Freizeitflächen gegliedert, sodass ein ständiges Pendeln zwischen den Funktionsbereichen zum Lebensalltag wird.

 

Dieses von Zeiher als „verinselten Lebensraum“ (a. a. O., S. 187) bezeichnete Phänomen führe auch zur „Stückelung der sozialen Beziehungen.“ (a. a. O., S. 189) Denn „Im verinselten Lebensraum gehört der Einzelne nirgends mit seiner ganzen Person hin, sondern immer nur mit Teilbereichen davon.“ (ebd.)

 

Die in der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik seit den 90er Jahren an Bedeutung gewinnende Gemeinwesen- und Netzwerkarbeit zeigt, dass man sich inzwischen der negativen Auswirkungen dieser Spezialisierung und „Verinselung“ der Lebensräume annimmt und positive Bewältigungsstrategien zur Wiederherstellung von ganzheitlichen Lebenszusammenhängen und Beziehungen entwickelt.

 

3.3               Wertewandel


 

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts herrschten in der Gesellschaft  vor allem religiöse Werte vor, die das Verhältnis des Menschen zu sich selbst wie auch zu seiner Umwelt definierten und ihm in diesem festen Bezug Lebenssinn boten. Zugleich konnte durch den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und durch die Akzeptanz der eigenen Lebensbedingungen das Bestehen der Ständegesellschaft gesichert werden. Im Zuge des Modernisierungsprozesses kam es zu einer Bedeutungsabnahme dieser Pflicht- und Akzeptanzwerte[10] bei gleichzeitig erhöhtem Streben nach Selbstentfaltungswerten, welche nach Klages in drei Kategorien unterteilt werden können:

 

1.  „idealistische Gesellschaftskritik (Emanzipation, Gleichbehandlung, Gleichheit, Demokratie, Partizipation, Autonomie)“

2.  „Hedonismus (Genuß, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse)“

3.  „Individualismus (Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit, Eigenständigkeit)“ (Klages 1984 S. 18)

 

Während zur Zeit der Industrialisierung bei den meisten Menschen noch ein deutlicher Widerspruch zwischen den angestrebten Selbstentfaltungswerten und ihrer Erfüllung lag, leistet die demokratische Wohlstandsgesellschaft der Nachkriegszeit und der Ausbau des Sozialstaats ihren Beitrag zur Expansion dieser Werte.

 

Die Folgen des Wertewandels werden unterschiedlich beurteilt. Nach Klages (a. a. O., S. 15) gibt es Meinungen, die die „neuen Werte“ als fortschrittliche Entwicklung der Gesellschaft heraus aus den Zwängen der alten bürgerlichen Moralvorstellungen begrüßen. Andere Meinungen sähen hinter den neuen Freiheiten auch Gefahren für die weitere Entwicklung und gäben zu...

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