Versuche Wandel konzeptionell zu erfassen wurden seit Grundsteinlegung durch das Drei- Phasen-Modells Kurt Lewins vielfach unternommen. Besonders auffällig ist dabei (insbesondere in der Management-Literatur) die Verwendung verschiedenster Dichotomien wie bspw. „geplant/ungeplant“, „inkrementell/transformational“, „radikal/revolutionär“.[105] Dabei sind die unzähligen Konzepte, Modelle und Ansätze der Wissenschaft nicht selten verwirrend bis widersprüchlich oder gar empirisch unbelegt, sodass die Praxis häufig eigene Wege sucht, um Veränderungsprozesse zu begehen.[106] Die beiden wohl bekanntesten Ansätze, denen sich viele der hier vorzustellenden Konzepte zuordnen lassen, sind der sogenannte „planned approach“ und der „emergent approach“[107].[108] Im Folgenden wird es darum gehen die bekanntesten klassischen Denkschulen des Change Managements sowie deren prominentesten Ansätze vorzustellen und kritisch zu hinterfragen. In diesem Zuge werden Überschneidungen sichtbar gemacht und versucht begriffliche Einheitlichkeit herzustellen.
Die in Kapitel 2.1 im Zusammenhang mit der Charakterisierung des Begriffs „Organisationsentwicklung“ erwähnte Eigenschaft des „Planens“, ist Ausdruck eines bis in die 80er Jahre andauernden Paradigmas im Change Management - des sogenannten „planned approach“.[109] Der Ansatz bewusster Steuerung von Veränderungsprozessen geht zurück auf Kurt Lewin und sein berühmtes Drei-Phasen-Modell, welches maßgeblich auf drei komplexen Elementen basiert:[110]
a) Die Kraftfeld-Theorie (field theory, force field analysis) ist ein Ansatz zur Erklärung von Gruppenverhalten und steht in engem Zusammenhang mit einer unterstellten natürlichen Gleichgewichtsvorstellung in Veränderungsprozessen.
b) Gruppendynamik - aus der Ansicht Lewins heraus, dass die Veränderung des Verhaltens von Gruppen nur erfolgreich bewirkt werden kann, wenn die Interaktionen zwischen ihren Mitgliedern verstanden sind.
c) Aktionsforschung als zweigeteilter Prozess. Dieser betont erstens, dass zum Wandel Aktionen notwendig sind und eine Ausrichtung auf dieses (Aktions-)Ziel vorhanden sein muss. Zweitens sind erfolgreiche Handlungen Ergebnis korrekter, umfassender Analyse der aktuellen Situation, die Identifizierung aller möglichen Handlungsalternativen sowie die Auswahl der am angemessensten.
Nach Lewin sind bei Veränderungsprozessen stets Kräfte wirksam, die Wandel begünstigen und solche, die diesen hemmen. Ein Gleichgewichtszustand entsteht folglich, wenn fördernde und hemmende Kräfte jeweils gleich groß sind[111], eine Veränderung hingegen kommt durch ihr Ungleichgewicht zustande.[112] Es wird aus dieser Perspektive deutlich, dass organisationaler Wandel einer Verschiebung von Machtverhältnissen gleich kommt und somit auch als politischer Prozess begriffen werden kann.[113]
Um nun von einem Gleichgewichtszustand zu einem neuen, veränderten Gleichgewicht zu gelangen, der den aktuellen Herausforderungen der betreffenden Organisation (wieder) gerecht wird, bedarf es nach Ansicht Lewins dreier Phasen: „Auftauphase“ („unfreezing“), „(Ver- )Änderungsphase“ („moving“), „Wiedereinfrierphase“ („refreezing“).[114]
Die „Auftauphase“ kann als eine „Zustandsveränderung“ beschrieben werden, bei der ein fester, gefrorener Körper in den flüssigen Aggregatzustand überführt wird. Angelehnt an physikalische Gesetzmäßigkeiten ist dafür insofern Energie notwendig, als dass das System seinen gleichgewichtigen Zustand aufgeben und Änderungsbereitschaft an den Tag legen muss.[115] Es handelt sich hierbei also um eine Phase, deren Aufgabe darin besteht, den organisationalen Wandel vorzu bereiten, indem meist massive Überzeugungsarbeit geleistet werden muss.[116] Ein „Verlernen alter Verhaltensmuster“ sowie die „Mobilisierung interner Kräfte“ sind dabei integraler Bestandteil dieser ersten Phase.[117] In Hinblick auf das zu erreichende Ziel des Herbeiführens von Änderungsbereitschaft führt die Literatur einige Strategien an, die sanfter aber auch direktiv-aggressiver Natur sein können.[118] Konkret finden nach Schein hauptsächlich drei Strategien Anwendung:[119]
Verunsicherung bzw. fehlende Bestätigung: Ziel dieser Strategie ist es die psychische „Einbettung“ von Organisationsmitgliedern (in Form einer Person oder Gruppe) in ihre bisherige Situation „[...] zu lockern oder aufzulösen.“[120] Beispielhaft kann der „aufzutauenden“ Person vermittelt werden, dass - angesichts bestimmter Fakten - ihre Einschätzung nicht zutreffend ist.
Induzierung von Schuldangst: Bei Individuen, von denen mehr Änderungsbereitschaft gefordert wird, kann das (aus moralischer und rechtlicher Sichtweise fragliche) Mittel angewendet werden, betreffende Personen in Schuld- und Angstgefühle zu versetzen. Konkret kann dies durch gezielte Denunziation (z.B. als „konservativ“, „verkalkt“, „reaktionär“) geschehen.
Sicherheit trotz Wandel: Eine transparente Informationspolitik, z.B. derart gestaltet, dass dem betroffenen Individuum eine Arbeitsplatzgarantie ausgesprochen wird, kann sich durchaus positiv auf die Änderungsbereitschaft auswirken (vgl. Kapitel 5.2). Zu beachten sind allerdings situative Unterschiede, die Einfluss auf die individuelle Reaktion des Betroffenen haben können. Wird etwa der Status quo bereits vor Bekanntwerden des Veränderungsvorhabens als störend empfunden, kann die Bekanntgabe von Änderungen besonders positiv aufgenommen werden. Denkbar ist jedoch auch der genau umgekehrte Fall, bei dem es zu erhöhtem Änderungswiderstand kommt. Bezeichnet wird dies als sogenannter „Bumerang-Effekt“.[121]
Die Veränderungsphase ist charakterisiert durch Maßnahmen, welche die zu verändernde Organisation in Richtung eines neuen Gleichgewichtszustands bewegen. Dabei gilt es „[a]uf der Grundlage neuer Informationen neue Reaktionsweisen aus[zu]bilden“[122], geeignete Organisationskonzepte zu entwickeln und diese im Anschluss zu implementieren.[123] Im Zuge der Veränderungsphase wird man auf ein breites Verhaltensspektrum der Organisationsmitglieder stoßen, das von passiver Anpassung bis aktiver Teilnahme reicht (vgl. Kapitel 2.4). Um den Veränderungsprozess im Sinne des OE-Gedanken zu gestalten, empfiehlt es sich (aus normativer Sicht) die vom Wandel Betroffenen Einfluss nehmen zu lassen, d.h. partizipativ vorzugehen.[124] Kritische Stimmen bemerken diesbezüglich, dass sich keine verifizierenden Studien zum herausragenden Erfolg einer Partizipationsstrategie finden lassen[125] oder gar eine Top-Down-Herangehensweise vielversprechender sei.[126] Im Sinne moderner Führungs- und Arbeitsphilosophien erscheint es jedoch durchaus sinnvoll den Versuch zu unternehmen „[...] Betroffene zu Beteiligten zu machen“ und um deren Zustimmung zu werben.[127] Als mögliche Instrumente können in dieser Phase u.a. Sensitivitätstrainings, Coachings, Transaktionsanalyse und Prozessberatung durch Change-Agents zum Einsatz kommen.[128]
Neben dem Erlernen von Neuerungen ist es besonders wichtig Altes entsprechend zu „verlernen“. Es ist somit für den Erfolg eines Erneuerungsprojektes essenziell notwendig, diese menschliche Eigenheit, nämlich der langwierige Prozess der Einstellungsänderung, mit zu berücksichtigen.[129] Andernfalls ist die Stabilisierung des neuen Gleichgewichtszustandes elementar gefährdet.
Die Wiedereinfrierphase hat die Aufgabe den neu erreichten Gleichgewichtszustand so zu stabilisieren, dass ein Rückfall in alte Verhaltensweisen vermieden wird. Es gilt also, dem „Management of Innovations“ ein „Management of Acceptance“ folgen zu lassen und damit eine Konsolidierung der Veränderungen herbeizuführen.[130] Getreu einer alten VarieteWeisheit „nichts ist so erfolgreich wie Erfolg“, ist es wichtig den betroffenen Organisationsmitgliedern die Verbesserungen durch den Wandel begreifbar und spürbar zu machen. Denkbar wären bspw. verbesserte Arbeitsbedingungen oder ein vorteilhaftes Gratifikationsprogramm, das Leistung besser honoriert.[131] Es zeigt sich, dass der Belohnungsgedanke in dieser Phase einen wichtigen Stellenwert einnimmt, um Veränderungen abschließend zu fixieren.[132]
Zuletzt ist im Zusammenhang mit dem Modell punktueller Gleichgewichte zu erwähnen, dass es bei den Gleichgewichten nicht um präfixierte, sondern vielmehr um temporale Zustände handelt. Das organisationale System pendelt sich also nicht immer wieder auf denselben Zustand ein, sondern erreicht stets ein neues Gleichgewicht (bestenfalls) höherer Produktivität[133] (Abbildung 4).
Abbildung 4: Geplanter Wandel als Veränderung von Gleichgewichtszuständen
(in Anlehnung an Lewin 1963, S. 236 ff., Staehle, W. H. 1998, S. 592, Vahs 2009, S. 374)
Auf Basis des von Lewin entwickelten Drei-Phasen-Modells entstanden eine Vielzahl weiterer „multistage“ Veränderungskonzepte[134] wie bspw. das von Bullock/Batten aus dem Jahr 1985, das den geplanten Wandel anhand der Phasen „exploration“, „planning“, „action“ und „integration“...