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War das die Wende, die wir wollten?

Gespräche mit Zeitgenossen

AutorBurga Kalinowski
VerlagNeues Leben
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783355500203
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
War das die Wende, die wir wollten? Diese Frage bewegt bis heute die Menschen im Osten. Aus den Anworten darauf ist ein ungewöhnliches Buch entstanden - kritisch, nachdenklich, zornig. Ehrlich. Mit dabei Jutta Wachowiak (Schauspielerin), Ronald Paris (Maler und Grafiker), Rainer Kirsch (Schriftsteller), Hans-Eckardt Wenzel (Musiker und Regisseur), Peter Bause (Schauspieler), Daniel Rapoport (Wissenschaftler), Victor Grossman (Journalist), Gisela Oechel­haeuser (Kabarettistin), Peter-Michael Diestel (Anwalt), Walfriede Schmitt (Schauspielerin), Gerd Fehres (1989/1990 Botschafter in Ungarn), Manfred Stolpe (Ministerpräsident a. D.), Nico Hollmann (Musiker), Willibald Nebel (Kalikumpel Bischofferode), Alicia Garate (chilenische Emigrantin)

Burga Kalinowski, in Österreich geboren und in der DDR aufgewachsen. Sie lernte Bibliothekarin, ging ans Theater und entschied sich schließlich für den Journalismus. Nach der Wende war sie frei tätig für Fernsehen und Printmedien. Sie führte u. a. Interviews mit Stephane Hessel, Walter Momper, Friedrich Schorlemmer, Hans Modrow, Florian Havemann. Kalinowski lebt in Berlin.

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Leseprobe

Sie können die Dreigroschenoper heut so spielen, als wär 1928

Peter Bause

Berlin | Schauspieler | Jahrgang 1941

1989 – was war das für eine Zeit?

Es war eine Zeit, von der Werner Finck gesagt hätte: Es gibt Zeiten, da braucht man bloß ein kleines Hämmerchen, haut an die Glocke – und es entsteht ein großer Ton. So war die Zeit 1989 in der DDR.

Künstlerisch hochbefriedigend, Theater oder Kabarett zu machen: Jede aktuelle Anspielung wurde sofort mit großem Spaß und Verständnis vom Publikum aufgenommen. Natürlich begriffen die Leute den Unterschied zwischen »ND« und Wirklichkeit und waren dankbar, dass es, wenn schon nicht im Fernsehen, aber auf der Bühne gesagt wurde. Und das war ein Stück Erfüllung, weswegen man ja auf der Bühne steht.

Sie gehörten damals dem Berliner Ensemble an. Erinnern Sie sich an konkrete Situationen?

Ja. Beispiel: Ein Kollege brachte es fertig, als gerade der »Sputnik« verboten wurde, in der »Dreigroschenoper« aufzuspringen, loszulaufen und zu rufen: Die Polizei kommt. Das war noch Originaltext. Dann sagte er aber weiter: Die Polizei kommt, die denken, hier wird der »Sputnik« gedruckt. Und was sich dann abspielte, war natürlich höchstes Vergnügen.

Diese Auseinandersetzung mit der Zeit fand auch hinter der Bühne statt?

Selbstverständlich diskutierten wir die Ereignisse, die draußen passierten. So wie überall. Und ich muss noch mal betonen, dass wir im Berliner Ensemble sowieso nie ein Blatt vorn Mund genommen und uns immer frank und frei geäußert haben. Dafür sorgte schon Manfred Wekwerth, unser Intendant. Er hat Fragen und Diskussionen immer sehr befördert. Andere mögen andere Eindrücke haben, ich kann mich nicht beschweren. Mir ging es sehr gut am Berliner Ensemble mit meinen Rollen, mit den Erfolgen – und mit meiner Meinung habe ich auch nicht hinterm Berg gehalten, muss ich schon so sagen. Eine andere Sache ist die Frage nach der Realität. Die wurde immer beklemmender, je mehr Leute das Land verlassen haben. Vor allem junge Leute, wie mein ältester Sohn. Erschreckend, wie die DDR-Führung damit umgegangen ist. Dieser unsägliche Tränen-Satz von Erich Honecker! Er hatte es im Faschismus doch selber erlebt, wie das ist, wenn Familien getrennt werden oder Gewalt herrscht. Und dass die alten Männer das so vergessen konnten und für ihren Machterhalt so strampelten, das war das Erschreckendste. Aber dass es dann so kommt, wie es gekommen ist, das wusste man natürlich nicht.

Hatten Sie das Gefühl, es muss sich was ändern?

Ja.

Hatten Sie eine Vorstellung, was und wie?

Nein. Es war nur dieses Gefühl, dass die Sache nicht mehr stimmte, keine Balance mehr. Deswegen standen auch viele Künstler auf der Barrikade, und die Unterhaltungskünstler waren uns sogar ein bisschen mit der Initiative voraus. Ich glaube, die Gesellschaftsordnung stand nicht infrage, der Sozialismus sollte ein anderer werden, ein demokratischer und ein offener Sozialismus. Diese Vorstellung hatten wahrscheinlich die meisten DDR-Bürger. Alles andere war irgendwie unvorstellbar. Andererseits war es auch unvorstellbar gewesen, dass Menschen auf die Idee kommen, ein Land zu teilen und eine Stadt abzuriegeln. Wenn ich nicht mehr argumentieren kann, schließe ich die Leute ein.

Haben Sie den Mauerbau in Berlin erlebt?

Nein, ich war Student. Wir hatten Ferien. Ich war in Magdeburg und hab erlebt, wie Mutter und Großmutter vor dem Radio saßen und dachten, jetzt gibt es Krieg.

Dann war der 9. November 89

… eine große Erleichterung. Wir waren mit dem Theater noch im Mai 1989 in Israel gewesen. Als wir uns Jerusalem ansahen, sagte der Reiseleiter im Bus: Und hier nach dem Sechs-Tage-Krieg hat Teddy Kollek, der Bürgermeister, sofort die Mauer geöffnet. Darauf sagte ein Kollege: Das wird Herr Krack – das war der damalige Oberbürgermeister von Ost-Berlin – nie machen. So war die Situation. Es war unvorstellbar und der Mauerfall dann natürlich ein ungeheures Ereignis. Und zunächst dachten wir alle auch, wir könnten weiterarbeiten im DDR-Stil: Für Kultur ist immer Geld da.

Ein Irrtum.

Gewissermaßen. Das hat sich dann leider erledigt, und es bestätigte sich, was wir früher im langweiligen ML-Unterricht an der Hochschule nie hören wollten: wie schlecht der Kapitalismus ist. Da hörte man nicht hin, erst recht nicht, wenn man sich am Vortage die Hacken abgelaufen hatte – nach einem Eimer Farbe zum Beispiel. Hätte man besser hingehört, wäre man nicht überrascht gewesen darüber, wie die Dinge dann gelaufen sind. Da es keine Alternative gibt, herrscht der Kapitalismus jetzt wirklich ungeniert. Angefangen mit den Entlassungen bis hin zu den vielen Kriegen, zurzeit ist die Welt außer Rand und Band. Alles ganz ungeniert. Wie man es kannte aus dem Kalten Krieg.

Das BE war oft auf Auslansdgastspielen. Wurden Sie da nach der Grundsituation in der DDR gefragt?

Ja, vor allem natürlich von den Künstlerkollegen, mit denen wir zusammen waren und die sich für die sozialen Bedingungen von uns DDR-Künstlern interessierten. Wenn wir denen von lebenslangen Verträgen erzählten, dass man nicht einfach rausfliegen konnte, nicht monatsweise von einem Engagement zum anderen hupfen musste, sondern in einem beständigen Ensemble künstlerisch wachsen konnte, dann war das für sie entscheidend. Das wollten die wissen. Die DDR stand als Symbol dafür: Wie sicher lebst du. Wie sicher arbeitest du. Und wenn man dann sagte so und so, dann waren die fassungslos. In Westdeutschland haben wir uns aber unter Wert verkauft. Wir haben kaum über die sozialen Errungenschaften gesprochen, die heute so mühsam erkämpft werden wie Ganztagsschule oder Kita. Wir haben überhaupt wenig Partei bezogen für diesen Staat.

Nun ist er weg und die soziale Realität ebenfalls.

Ja, jetzt haben wir die kapitalistische Realität am Hals, Ost wie West. Na gut. Nun muss man für Kultur Sponsoren suchen. Eine kleine Geschichte aus Kanada: Das Berliner Ensemble war von der Universität eingeladen, irgendwann in den achtziger Jahren. Die konnte das aber gar nicht bezahlen und suchte sich also einen Sponsor, den Besitzer einer großen Kaufhauskette. Alles gut. Beim Mittagessen fragte der dann ernsthaft, ob Herr Brecht auch käme. Keine Ahnung, aber Geld. Für uns war neu, dass man selbst Geld besorgen muss, um Kunst zu ermöglichen. Das war ja hier gar nicht die Frage. Die Entwicklung von Projekten, solange sie nicht staatsfeindlich waren, lief eben. Viele Programme hätten wir nicht erarbeiten können, wenn nicht die Mittel geflossen wären.

Wie schnell kam man in den Geruch der Staatsfeindlichkeit?

Kann ich Ihnen nicht erklären.

Waren Sie in einer Partei?

Nein, in keiner.

Hatten Sie dadurch Nachteile?

Nein, ich kann das nicht bestätigen. Ich hatte gute Arbeit und konnte normal arbeiten. Im Nachhinein stellte man aber doch fest, dass vor allem in den Stadttheatern manchmal Familien engagiert wurden, bei denen beide in der Partei waren. Das waren Ungerechtigkeiten, die uns begegneten, denn um in ein Ensemble zu kommen, egal welcher Art, gab es doch große Rangeleien auf dem freien Markt.

Freier Markt in der DDR?

Ja, meine Frau beispielsweise war freischaffend. Es gab eine Menge freischaffender Kollegen: im Fernsehen oder Synchron oder Rundfunk, bei Bühne und Film. Zum Schluss gab es sogar Überlegungen, für freie Schauspieler, die in keinem Betrieb waren und keinen bezahlten Urlaub hatten, also für diese Kollegen Urlaub gesetzlich zu regeln. Das wollte oder sollte dann die Gewerkschaft bezahlen. Ebenfalls am Ende der DDR gab es noch Pläne, dass die weiterhin arbeitenden Rentner vom Kulturministerium übernommen werden sollten. Dadurch wären an den Theatern Stellen frei geworden für junge Leute, ohne dass man älteren Kollegen hätte kündigen müssen.

Eine sehr soziale Idee.

Kam nie zur Ausführung. Aber die Überlegung gab’s.

Wie ging es nach der Wende weiter?

Wir wurden rausgeschmissen. Ruckzuck. Zunächst wurden die Verträge erst mal umgewandelt, d. h. sie wurden aufgelöst und gingen in andere Verträge über, solo hieß das wohl, fragen Sie mich jetzt nicht genau. Jedenfalls unterschrieben wir das alles ohne Arg. Wir wussten ja nicht, was damit beabsichtigt wurde.

Sie waren naiv.

Ja, das wäre der freundliche Ausdruck, etwas naiv. Was uns auch ein bisschen verblendete hat, war die Erhöhung der Gagen. Dadurch war die Handhabe gegeben, Kollegen, die unter fünfzehn Jahre am Theater waren, gleich zu entlassen. Die anderen wurden dann ausbezahlt. Mit Speck fängt man Mäuse – Geld spielte keine Rolle.

Hauptsache weg.

Darum ging es. Warum die sich gerade am Berliner Ensemble so vergriffen haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich habe Wekwerth gefragt vor ein paar Jahren: Na ja, sagte er, es war eine politische Entscheidung. Neulich meinte ein Kollege, die müssen alle darauf gelauert haben, das berühmte Berliner Ensemble zu übernehmen und gnadenlos fertigzumachen.

Was passierte mit Ihnen – nun ein Schauspieler ohne Bühne?

So traurig, wie es klingt: Für mich kam die Wende passend. Ich war im blendenden Mannesalter, Ende vierzig, und musste, konnte neu anfangen. Nun kamen auch die Rollen, mit denen ich am BE nicht besetzt worden wäre: Lear, Wallenstein, Hauptmann von Köpenick. Für mich...

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