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Von Waren und Werten

Die Macht der Märkte und warum manche Dinge nicht zum Verkauf stehen sollten

AutorDebra Satz
VerlagHamburger Edition HIS
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl318 Seiten
ISBN9783868545968
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der alles käuflich ist? In demokratischen Gesellschaften sind Märkte die beherrschende Form gesellschaftlicher Organisation. Idealerweise sollen sie sich durch höchstmögliche Effizienz bei gleichzeitig größtmöglicher Verteilungsgerechtigkeit auszeichnen, aber auch individuelle Freiheit garantieren. Wenn Organhandel, Sexarbeit, Kinderarbeit, Handel mit Wählerstimmen, Waffen oder mit weiblichen Reproduktionskräften, um nur einige Beispiele zu nennen, den Bedingungen der kapitalistischen Verwertungsgesetzmäßigkeit unterworfen werden - was längst der Fall ist -, hat das Auswirkungen auf die Bedingungen und Wertvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft. Welche Güter müssen den Marktgesetzen entzogen werden, weil ihre Vermarktlichung den Bedingungen und Wertvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft widerspricht? Debra Satz erläutert nicht nur die ideengeschichtlichen Grundlagen der Märkte und der Gleichheit von Adam Smith bis Ronald Dworkin, sie stellt ebenso die Marktmechanismen auf den Prüfstand, die in die Gesundheitsfürsorge, die Bildung, die Arbeit und die politische Einflussnahme Einzug gehalten haben. Sie beschreibt und analysiert die signifikanten Konsequenzen einer allumfassenden Marktorientierung für die Gesellschaft, sowohl in sozialer, kultureller als auch politischer Hinsicht.

Debra Satz ist Professorin für Philosophie sowie Dekanin der Fakultät Humanities and Arts an der Stanford University. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politische Philosophie, Sozial- und Wirtschaftsphilosophie, Feministische Philosophie.

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Leseprobe

Einleitung


Märkte sind wichtige Formen der Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie erlauben es einer Vielzahl einander ansonsten völlig unbekannter Menschen, in einem System des freiwilligen Tausches miteinander zu kooperieren. Durch Märkte können sich Menschen signalisieren, was sie wollen, sie können Informationen verbreiten und Innovationen belohnen. Märkte ermöglichen es Menschen, ihre Aktivitäten wechselseitig aufeinander einzustellen, ohne dafür eine zentrale Planungsbehörde zu benötigen. Darüber hinaus gelten Märkte weithin als die effizienteste Methode, um in einer komplexen Wirtschaft die Produktion und den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen zu organisieren.

Es überrascht daher nicht, dass Märkte und die politischen Theorien, die für eine Ausdehnung des Marktprinzips eintreten, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus großen Auftrieb erhielten. Märkte sind inzwischen nicht nur auf dem gesamten Planeten verbreitet, sie erobern sich auch immer neue Bereiche, wie etwa den der Umweltverschmutzung.1 Viele sehen in den Institutionen des Marktes ein Allheilmittel gegen die Mängel der schwerfälligen Staatsbürokratien der westlichen Welt, die Armut des Südens und die staatliche Zwangskontrolle der Planwirtschaften. Selbst die jüngste Wirtschaftskrise hat an dieser Einschätzung nichts geändert.

Während der Markt also in neue Bereiche vorgedrungen ist, kam es zugleich zu neuen Kontroversen über die Moral von Märkten, an denen menschliche Organe, fortpflanzungsmedizinische Dienstleistungen, sogenannte Blutdiamanten, Sex, Waffen, lebensrettende Medikamente, Rauschgift und inzwischen auch Kreditderivate gehandelt werden. Märkte für diese Güter unterscheiden sich in den Augen vieler Menschen grundsätzlich von Märkten für Autos oder Sojabohnen und lösen auch ganz andere Reaktionen aus. Man könnte sagen, dass solche Märkte vielen Beobachtern toxisch erscheinen, als Gift für grundlegende menschliche Werte. Und so rufen sie weithin Unbehagen, ja bisweilen sogar Abscheu hervor.

Nehmen wir zum Beispiel die Kinderarbeit, mit der ich mich im siebten Kapitel dieses Buches befasse. Kinderarbeit ist in vielen Entwicklungsländern verbreitet und war einst auch in der »Ersten Welt« gang und gäbe. Einige Ökonomen und Politikberater sprechen sich gegen ein Verbot von Kinderarbeit aus, mit dem Hinweis, dass für manche Familien die Arbeit ihrer Kinder überlebensnotwendig sei. Gleichzeitig aber glauben viele Menschen, dass jede anständige Gesellschaft moralisch verpflichtet ist, Kleinkinder vor Arbeit zu schützen.

Oder denken wir an ein zweites Beispiel: menschliche Nieren. In allen Industrienationen ist es gegenwärtig gesetzwidrig, eine Niere zu verkaufen, obwohl es in diesen Gesellschaften einen chronischen Mangel an Spenderorganen gibt. Aus der Perspektive eines Ökonomen ist das Verkaufsverbot ineffizient, weil finanzielle Anreize das Angebot wahrscheinlich vergrößern und damit Menschenleben retten würden. Manche Menschen aber wollen den Verkauf von Organen unter keinen Umständen akzeptieren. Diesen Fall werde ich im neunten Kapitel erörtern.

Welche Erwägungen sollten die Debatten über solche Märkte leiten? Gibt es gewisse Dinge, die nicht gekauft oder verkauft werden sollten? Allgemeiner gefragt: Was ist es, das uns am Wesen bestimmter Tauschvorgänge als zerstörerisch und unheilvoll, als toxisch erscheint? Wie sollten wir gesellschaftspolitisch auf diese toxischen Märkte reagieren? Mit diesen Fragen habe ich mich über zehn Jahre lang beschäftigt, und das vorliegende Buch präsentiert und begründet die Antworten, die ich dabei gefunden habe.

Meine Antworten sind in hohem Maß durch die Auseinandersetzung mit den herrschenden Theorien geprägt, die man heute hinsichtlich der Märkte und ihrer Grenzen in der Ökonomie und der politischen Philosophie findet. Obwohl auch im Rahmen dieser Perspektiven wichtige Erkenntnisse gewonnen wurden, scheinen mir ihre theoretischen Kategorien nur von begrenztem Nutzen für die Beantwortung der genannten Fragen zu sein. Und zwar deshalb, weil beide Wissenschaften Märkte grundsätzlich als eine homogene Institution betrachten, die auf unterschiedlichen Feldern vergleichbare Fragen aufwirft. Doch diese Annahme ist meines Erachtens falsch. Nicht nur weisen Märkte Ressourcen unterschiedlichen Nutzen zu und verteilen Einkommen unter verschiedenen Menschen, bestimmte Märkte prägen auch unsere Politik und Kultur, ja selbst unsere Identitäten. Manche Märkte konterkarieren wünschenswerte menschliche Fähigkeiten; manche beeinflussen unsere Präferenzen auf fragwürdige Weise; und manche fördern hierarchische Verhältnisse zwischen Menschen. Effizienz ist eindeutig nicht der einzig maßgebliche Wert zur Beurteilung von Märkten: Wir müssen die Auswirkungen prüfen, die Märkte auf die soziale Gerechtigkeit haben sowie darauf, wer wir sind, wie wir uns zueinander verhalten und welche Art von Gesellschaft wir gestalten können. Selbst wenn Märkte für Güter wie Kinderarbeit effizient wären, so gäbe es immer noch gute Gründe, sie abzulehnen, insofern sie Kindern schaden oder eine Gefahr für die demokratische Regierungsform darstellen.2 In diesem Buch stelle ich die eindimensionale Sichtweise von Märkten infrage, die man in vielen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern findet, und versuche, Märkte als Institutionen zu beschreiben, die genauso viele politische und moralische Fragen aufwerfen wie ökonomische.

Ich lehne aber auch die allzu holzschnittartige Auffassung von Märkten ab, der man immer noch in einem Gutteil der zeitgenössischen liberalen Philosophie begegnet. Die meisten liberal-egalitären Theoretiker analysieren fragwürdige Märkte unter dem Gesichtspunkt der Verteilung und nicht (oder nicht nur) unter dem ökonomischen Aspekt der Effizienz. Aus egalitaristischer Perspektive liegt toxischen Märkten – Märkten, in denen mit Sex, Organen, Kinderarbeit, Nieren oder der Leibeigenschaft gehandelt wird – eine vorgängig ungerechte Ressourcenverteilung zugrunde, womit insbesondere Einkommen und Wohlstand gemeint sind. Die Geißel von Hunger und Armut, die Eltern zwingt, ihre Kinder arbeiten zu schicken, ist dieser Auffassung zufolge das eigentliche Problem, nicht der Markt für Kinderarbeit als solcher.

Diese Sichtweise hat einiges für sich. Wie diese Egalitaristen glaube auch ich, dass die Fairness der gegebenen Wohlstands- und Einkommensverteilung von größter Bedeutung für unsere Bewertung von Märkten ist, so auch für jene, an denen Kinderarbeit gehandelt wird. Gewiss erscheinen uns einige Märkte als toxisch, weil sie ihren Ursprung in Not und Verzweiflung haben. Dennoch möchte ich im vorliegenden Buch zeigen, dass es Gründe gibt, bestimmten Märkten einen Riegel vorzuschieben, das heißt, die Menge von Dingen zu begrenzen, die für Geld zu haben sind, selbst wenn sich diese Begrenzung nicht mit dem Argument wirtschaftlicher Not oder einer ursprünglich ungerechten Verteilung von Einkommen und Wohlstand rechtfertigen lässt. Die Art von Gleichheit, die ich verfechte, hat nichtökonomische Dimensionen und hängt vom Zugang zu spezifischen Gütern wie Bildung, Gesundheitsversorgung und Beschäftigung ab.

Über meine Kritik an den derzeit herrschenden Sichtweisen auf die Grenzen von Märkten hinaus versuche ich, an ältere Traditionen der politischen Ökonomie und der egalitaristischen politischen Philosophie anzuknüpfen. Diese Traditionen erkannten die unterschiedliche Natur diverser Markttypen an. Frühe Theoretiker des Marktes, wie Adam Smith und David Ricardo, hatten ein besonders feines Gespür dafür, wie bestimmte Märkte Verhältnisse von Freiheit und Gleichheit zwischen den Angehörigen einer Gesellschaft zu befördern, aber auch zu untergraben vermochten. So stellten etwa die klassischen politischen Ökonomen fest, dass Arbeitsmärkte die Beteiligten gegebenenfalls in servile Untertanen und eine herrschsüchtige, auf die Ausübung ihrer willkürlichen Macht versessene Obrigkeit verwandeln konnten. Diese Denker registrierten auch, dass sich bestimmte Märkte von Haus aus durch ein Informationsgefälle und eine ungenügende Rechtsdurchsetzung auszeichneten, was es manchen Marktakteuren erlaubte, andere auszubeuten. Zugleich glaubten sie aber, dass angemessen strukturierte und begrenzte Märkte eine überaus wichtige Rolle für die Zersetzung der hierarchischen Struktur der Feudalgesellschaft und die Förderung egalitärer sozialer Beziehungen spielten.

Sozialliberalen, vom Geist des 19. Jahrhunderts geprägten Denkern wie T. H. Marshall galten bestimmte Güter wie Bildung, der Zugang zu Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wahlen als unverzichtbar dafür, dass Bürger sich als Gleiche verstehen konnten. Sie forderten eine rechtliche Garantie dieser Güter, womit sie – als Rechte – der Verfügungsgewalt des Marktes zumindest in gewissem Maß entzogen sind. Versteht man etwa die Gesundheitsversorgung als ein Recht, dann bringt man damit zum...

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