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E-Book

Warum?

Vom Leid dieser Welt und der Frage, die bleibt

AutorPhilip Yancey
VerlagSCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783417228649
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
'Ich bin mir bewusst, dass kein Buch das Problem des Leids 'lösen' kann. Doch wenn Christen eine gute Nachricht zu verbreiten haben, eine Botschaft der Hoffnung oder des Trostes für eine verletzte Welt, dann muss sie hier ansetzen.' Bestsellerautor Philip Yancey lässt das Thema Leid nicht los, und so wagt er es anhand vieler Geschichten, sich der große Frage nach dem 'Warum?' zu stellen. Dabei warten seine differenzierten Einsichten und Beobachtungen weder mit billigen Antworten auf noch reden sie irgendetwas schön, um keine Zweifel an Gott aufkommen zu lassen. Und doch machen sie tatsächlich die größte Stärke des christlichen Glaubens plausibel: die Hoffnung auf Erlösung - weil dem Gott, der selbst gelitten hat, unser Leid nicht egal ist.

Philip Yancey war lange Jahre als Herausgeber der Zeitschriften Christianity Today und Campus Life tätig. Er ist Autor zahlreicher Bücher, für die er zum Teil in den USA auch ausgezeichnet wurde, und lebt in Evergreen (Colorado). www.philipyancey.com

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Leseprobe

 

Kurz vor meinem ersten Geburtstag erkrankte mein Vater an Kinderlähmung. Vom Hals abwärts gelähmt, hing er bewegungslos an einer Herz-Lungen-Maschine, die ihn beim Atmen unterstützte. Meine Mutter nahm meinen dreijährigen Bruder und mich mehrere Male mit ins Krankenhaus und hielt uns vor dem Fenster zur Isolierstation hoch. Wenn mein Vater dann in den Spiegel schaute, konnte er einen Blick auf seine Söhne erhaschen, die er nicht mehr in den Arm nehmen, ja nicht einmal mehr berühren konnte.

Mein Vater hatte sich darauf vorbereitet, als Missionar nach Afrika zu gehen. Als er krank wurde, beteten mehrere Tausend Menschen um seine Heilung. Sie konnten nicht glauben, dass Gott einen so jungen und lebendigen Menschen mit einer wunderbaren Zukunft in der Missionsarbeit zu sich nehmen würde. Diejenigen, die ihm am nächsten standen, waren so überzeugt davon, dass Gott ihn heilen würde, dass sie – mit seiner Einwilligung – übereinkamen, einen Glaubensschritt zu wagen und ihn von der Herz-Lungen-Maschine zu nehmen. Innerhalb von zwei Wochen starb er. Ich wuchs ohne Vater auf, unter dieser dunklen Wolke eines nicht erhörten Gebets.

Als junger Journalist, etwa in dem Alter wie mein Vater zum Zeitpunkt seines Todes, begann ich Artikel für die Serie »Drama im Alltag« zu schreiben, die in den Reader’s Digest-Monatsheften erschien. Hier wurden Menschen vorgestellt, die eine Katastrophe oder einen Unfall überlebt hatten. Immer wieder hörte ich in Interviews mit den Betroffenen, dass »die Christen alles nur noch schlimmer gemacht« hatten, weil sie widersprüchliche und verwirrende Kommentare dazu abgaben. Gott will dich damit bestrafen. Nein, Satan ist schuld! Weder noch: Gott schickt dir das Leid, weil er dich liebt, nicht weil er dich bestrafen will, denn er hat dich auserwählt, deinen Glauben aller Welt zu zeigen. Nein, Gott will, dass du geheilt wirst!

Ich hatte keine Ahnung, was ich diesen Menschen sagen sollte, denn ich selbst war noch auf der Suche nach Antworten. Wenn ich vor so einer schwierigen Frage stehe, schreibe ich gern ein Buch darüber, weil der Schreibprozess mir die Gelegenheit bietet, Experten zu befragen, in Bibliotheken zu stöbern und in der Bibel nach Antworten zu suchen. So schrieb ich mit siebenundzwanzig mein erstes Buch: Schmerz. Hat Gott denn kein Mitleid?1

Obwohl ich seitdem über viele andere Themen geschrieben habe, ist diese Frage, die meine Kindheit überschattete und mein Schaffen als junger Schriftsteller beherrschte, niemals völlig aus meinem Leben verschwunden. Immer noch bekomme ich Zuschriften von Menschen, die vor Leid und Kummer am Boden zerstört sind. Vor einiger Zeit suchte ich alle Briefe von Menschen heraus, die sich mit dieser Frage beschäftigen – und das waren über eintausend. Als ich sie wieder durchlas, erinnerte mich das daran, dass der Schmerz das Leben vieler Menschen wie ein Hintergrundrauschen stört. Manch einer muss mit Krankheit oder chronischen Schmerzen leben oder allein gegen die Depression kämpfen. Andere leiden, weil es ihnen nahestehenden Menschen schlecht geht: Ein Ehepartner kämpft mit der Sucht, Kinder gehen einen Weg, der in die Selbstzerstörung führt, ein Elternteil leidet an Alzheimer. In manchen Teilen unserer Welt, in denen Armut und Ungerechtigkeit herrschen, müssen sich die Menschen jeden Tag unaussprechlichem Leid stellen.

Ein sechzehnjähriges Mädchen, das sich in der Schule mit kriminalistischer Fallanalyse beschäftigt hatte, formulierte eine der drängendsten Fragen:

Ich habe mich mit Mordfällen beschäftigt. Ich habe von den Opfern erfahren, ihren Familien und den unvorstellbaren Qualen, die sie durchgestanden haben. Ich spreche nicht von Märtyrern oder Missionaren, die wegen ihres Glaubens ihr Leben freiwillig aufs Spiel setzen, sondern von den nichts ahnenden Opfern wahnsinniger Verbrechen. Ich glaube an einen himmlischen Vater, der seine Kinder liebt und das Beste für uns im Sinn hat. Zwar glaube ich nicht, dass Gott es veranlasst, wenn Menschen Böses widerfährt, aber für mich ist es ein großes Problem, warum Gott hätte helfen können, aber nicht eingegriffen hat. Meine Frage lautet also: Wenn Gott diese Menschen und unschuldige Kinder nicht bewahrt hat, obwohl sie so sehr gequält wurden (und manche schrien zu Gott, dass er sie erretten möge), wie kann ich dann daran glauben, dass Gott mich beschützt? Ich möchte das glauben, aber ich fühle mich wie der Mann in der Bibel, der zu Jesus sagte: »Ich glaube … hilf meinem Unglauben.«

Die Frage, die immer wieder auftaucht


Ich kenne Schmerz und Leid aus persönlicher Erfahrung – Knochenbrüche, kleinere Operationen, einen lebensbedrohlichen Autounfall –, doch am meisten habe ich in dieser Hinsicht dadurch gelernt, dass ich anderen zuhöre. Als meine Frau als Krankenhausseelsorgerin arbeitete, erzählte sie beim Essen von Gesprächen mit Familien, die einen Todesfall verarbeiten mussten. Oft kamen uns die Tränen. Und als Journalist habe ich herzzerreißende Geschichten von vielen anderen gehört: Eltern, die um ihren homosexuellen Sohn trauern, der sich das Leben genommen hat, ein Pastor, der seine amyotrophe Lateralsklerose, eine ständige fortschreitende Krankheit, geduldig erträgt, chinesische Christen, die wieder verfolgt werden wie zu Zeiten der Kulturrevolution.

Weil ich mich immer wieder mit dem Thema Leid beschäftige, werde ich manchmal gebeten, Vorträge zu der Frage zu halten, die meinem ersten Buch den Titel gab: Schmerz. Hat Gott denn kein Mitleid? Wo ist Gott, wenn ich leide? Niemals werde ich den Tag vergessen, als ich mir die improvisierten Erinnerungsstätten ansah, die überall wie Wildblumen auf dem Campus der Virginia Tech emporschossen, und dann vor eintausend Studenten sprach, denen man die Trauer darüber ansah, dass sie dreiunddreißig Kommilitonen und Fakultätsangehörige verloren hatten. Oder eine auf unheimliche Art ähnliche Szene im darauffolgenden Jahr, als ich im indischen Mumbai einen Vortrag halten wollte, der thematisch nichts mit Leid zu tun hatte. Der Terrorangriff auf das Tadsch-Mahal-Hotel zwang uns, den Veranstaltungsort und das Thema zu wechseln – hin zu der Frage, die uns niemals aus dem Kopf geht.

2012 sprach ich vor drei verschiedenen Gruppen, die sich in einer schrecklichen Situation befanden. Einen Vortrag hielt ich nach einer Naturkatastrophe, den zweiten in einer vom Krieg verwüsteten Stadt, den dritten nicht weit von meinem Heimatort entfernt, und für mich war das der ergreifendste Termin.

Im März stand ich mehrmals vor Zuhörern aus der japanischen Region Tohoku, am ersten Jahrestag des Tsunamis, der das Land mit der Geschwindigkeit eines Passagierjets überrollt, Eisenbahngleise wie Streichhölzer zerknickt und Schiffe, Busse, Häuser und sogar Flugzeuge überall in der verwüsteten Landschaft umhergewirbelt hatte. Neunzehntausend Menschen waren ums Leben gekommen, ganze Dörfer ins Meer gespült, und nun dachten die säkular eingestellten, viel beschäftigten Menschen, die normalerweise keine Zeit hatten, um sich mit theologischen Fragen auseinanderzusetzen, über nichts anderes nach.

Im Oktober hielt ich in Sarajevo darüber einen Vortrag. Vier Jahre war sie belagert worden, länger als jede andere Stadt in der Geschichte des modernen Kriegs. In dieser Zeit gab es weder Heizmaterial noch Treibstoff noch Strom und kaum Wasser und Nahrung. Zehntausend Einwohner fielen den Scharfschützen und den Geschossen zum Opfer, die jeden Tag wie Hagel vom Himmel fielen. Ein Überlebender sagte mir: »Das Schlimmste ist, dass man sich an das Böse gewöhnt. Wenn wir vorher gewusst hätten, wie lange das dauern würde, hätten wir uns wahrscheinlich umgebracht. Mit der Zeit wird das einem egal. Man versucht einfach weiterzuleben.«

Als sich das Jahr 2012 seinem Ende zuneigte, sagte ich für die vielleicht schwerste Veranstaltung zu. Schwer nicht im Hinblick auf das Ausmaß des Leidens – denn wie könnte man Leid jemals messen? –, sondern weil Entsetzen und Trauer so intensiv waren. Am Wochenende nach Weihnachten stand ich vor den Einwohnern von Newtown im US-Bundesstaat Connecticut, einer Stadt, die immer noch ganz benommen wirkte, nachdem zwanzig Erstklässler sowie sechs Lehrkräfte und andere Mitarbeiter in einem sinnlosen Gemetzel ums Leben gekommen waren.

Ein Rettungswagenfahrer fing die Stimmung ein. »Im Rettungsdienst und bei der Feuerwehr arbeiten nur Ehrenamtliche«, erklärte er. »Ich habe schon viel Schreckliches gesehen, aber auf so etwas waren wir nicht vorbereitet – niemand ist das. Meine Frau unterrichtet an der Sandy Hook Elementary School. Sie kannte alle zwanzig Kinder mit Namen, und die Lehrkräfte natürlich auch. Sie stand drei Schritte hinter der Direktorin Dawn Hochsprung, als Dawn plötzlich schrie: ›Zurück, das ist ein Amokläufer!‹ Während der Schießerei versteckte sie sich und musste danach an den Leichen ihrer Kollegen vorbeigehen – und auch an den Leichen der Kinder …«

Er hielt einen Augenblick inne, weil ihm die Stimme versagte. Dann sprach er weiter. »Für jeden von uns kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem er um einen Menschen trauert – im schlimmsten Fall, wenn er ein Kind verloren hat. In meiner Rolle als Notfallhelfer sehe ich die Auswirkungen, vor allen Dingen nach einem Selbstmord. Man lebt mit der Trauer und dem Kummer, als ob man in einer Seifenblase wäre, und nur ganz allmählich kehrt man wieder in den Alltag zurück. Man geht wieder einkaufen. Man geht wieder arbeiten. Schließlich lasse ich mich...

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