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E-Book

Warum Altgriechisch genial ist

Eine Liebeserklärung an die Sprache, mit der alles begann

AutorAndrea Marcolongo
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783492990646
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Altgriechisch ist ebenso außergewöhnlich wie erstaunlich und nicht die tote Sprache, für die wir sie halten - das hat Andrea Marcolongo erkannt. Ihr kluges und überraschendes Buch über die Sprache der antiken Griechen ist kein Lehrbuch und keine Grammatik, sondern eine Liebeserklärung an die Fähigkeit des Altgriechischen, unsere Wahrnehmung zu verändern. Es ist eine Entdeckungsreise zu den faszinierenden Besonderheiten dieser Sprache, die das damalige Weltbild maßgeblich beeinflusst haben. So kannten die antiken Griechen zum Beispiel keinen Zeitdruck, da Wörter wie früh, spät, gestern oder morgen keine Rolle spielten. Oder sie hatten die Möglichkeit, der Zweisamkeit mit dem Dual eine ganz eigene Bedeutung zu geben. Andrea Marcolongo bringt uns die Magie des Altgriechischen nahe und zeigt uns, was wir von den antiken Griechen lernen können, selbst wenn wir ihre Sprache nicht sprechen.

Andrea Marcolongo, geboren 1987, hat Alte Sprachen an der Universität Mailand studiert und bereits in zehn verschiedenen Städten gelebt, darunter Paris, Dakar, Sarajevo und Livorno. Sie hat unter anderem als Kommunikationsberaterin und Ghostwriterin für die italienische Regierung gearbeitet, bevor sie sich wieder der Liebe ihres Lebens gewidmet hat: dem Altgriechischen. Dies ist ihr erstes Buch.

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Leseprobe

Einführung


Das Meer verbrennt die Masken,

Von salzenen Feuern entflammt.

Menschen voller Masken

Lodern am Strand.

Widerstehen wirst Du allein

Den Bränden des Karnevals.

Ohne Masken Du allein

Verbirgst die Kunst des Seins.

Giorgio Caproni,

aus Cronistoria

»Um so merkwürdiger ist es dann, dass wir wünschen, Griechisch zu lernen, versuchen, Griechisch zu lernen, ewig uns hingezogen fühlen zum Griechischen und ewig uns irgendeine Vorstellung vom Sinn des Griechischen zurechtmachen, aus welch abstrusen Fetzen und Resten allerdings, von wie entfernter Ähnlichkeit mit dem wirklichen Sinn des Griechischen, wer vermag das zu sagen«, schreibt Virginia Woolf.2 »Da wir in unserer Unwissenheit in jeder Klasse von Schuljungen auf der hintersten Bank säßen, da wir ja nicht wissen, wie die Worte klangen oder wo genau wir zu lachen hätten«.3

Auch ich bin merkwürdig – sehr merkwürdig.

Und ich bin ihr dankbar, meiner Merkwürdigkeit, denn sie hat mich dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben, ohne dass es einen konkreten Anlass dafür gegeben hätte. Wie alle schönen Dinge des Lebens ist es einfach so passiert. Es ist ein Buch über das Altgriechische, um das ich mich stetig bemüht habe und von dem ich nun erzählen möchte.

Und zwar euch. Denn auch wenn ich noch immer eine Hinterbänklerin bin, weiß ich inzwischen immerhin, wo wir lachen müssen.

Tote Sprache und lebende Sprache.

Qual des Gymnasiums und Abenteuer des Odysseus.

Übersetzung oder Hieroglyphen.

Tragödie oder Komödie.

Verstehen oder Missverstehen.

Liebe oder Abneigung, vor allem.

Aufstand mithin.

Griechisch zu begreifen ist keine Frage der Begabung, sondern der Streitbarkeit – genauso wie das Leben.

Ich schrieb diese Zeilen, weil ich mich als junges Mädchen ins Altgriechische verliebt habe. Alles in allem ist es die längste Liebe meines Lebens.

Inzwischen bin ich eine erwachsene Frau und möchte versuchen, denjenigen etwas von dieser Liebe zu geben (oder zurückzugeben), die dem Altgriechischen gleichgültig gegenüberstehen. So gut wie allen also, die sich während ihrer Schulzeit damit abmühen mussten. Und ich möchte erreichen, dass sich diejenigen, die diese Sprache im Grunde gar nicht kennen, ebenfalls in sie verlieben.

Ja, in diesem Buch geht es in erster Linie um Liebe. Um die Liebe zu einer Sprache und zu jenen, die sie sprechen. Oder, da niemand mehr sie spricht, zu all jenen, die sie studieren – ganz egal, ob nun gezwungenermaßen oder weil sie schlicht von ihr fasziniert sind.

Ob ihr Altgriechisch könnt, ist dabei nicht von Bedeutung. Es wird nämlich weder Prüfungen noch Hausaufgaben geben – nur Überraschungen. Und zwar viele. Es ist auch nicht wichtig, ob ihr ein altsprachliches Gymnasium besucht habt. Wenn nicht, umso besser. Wenn es mir gelingt, euch mit meiner Fantasie durch das Labyrinth des Griechischen zu führen, werdet ihr die Welt und euer Leben am Ende dieses Weges auf eine neue Weise betrachten. Ganz unabhängig davon, welche Sprache ihr sprecht.

Wenn ihr doch eines besucht habt, dann noch besser. Wenn es mir nämlich gelingt, Fragen zu beantworten, die ihr euch niemals gestellt habt oder die immer unbeantwortet geblieben sind, dann werdet ihr am Ende der Lektüre vielleicht Teile von euch selbst wiedergefunden haben. Teile, die ihr in eurer Jugend beim Griechischlernen verloren habt, ohne jemals wirklich das Warum zu verstehen. Teile, die euch heute nützlich sein könnten. Sehr nützlich.

In beiden Fällen stellen diese Seiten sowohl für euch als auch für mich eine Möglichkeit dar, um in Altgriechisch denken zu spielen.

Jeder von euch musste sich im Laufe seines Lebens schon auf die eine oder andere Weise mit den alten Griechen und ihrer Sprache auseinandersetzen – sei es nun mit den Füßen unter der Schulbank, bei einer Tragödie oder Komödie im Theater oder auf den Korridoren der zahllosen archäologischen Museen. Und doch fühlt sich das Griechentum bei diesen Gelegenheiten in etwa so lebendig an wie eine Marmorstatue.

Alle – wirklich alle – wissen es. Es ist noch nicht einmal nötig, eigens darauf hinzuweisen. Man hat es in den letzten zweitausend Jahren so oft gehört, dass es mittlerweile jedem Europäer in Fleisch und Blut übergegangen ist: Alles Schöne und Unübertreffliche, das jemals auf der Welt gesagt oder getan worden ist, wurde zum ersten Mal von den alten Griechen getan oder gesagt. Und zwar auf Altgriechisch.

Die wenigsten kennen diese Sprache aus eigener Anschauung. Die meisten wissen darüber nur, dass es keinen einzigen alten Griechen mehr gibt, der noch Altgriechisch spräche. Sie haben lediglich »davon gehört« – oder noch nicht einmal das. Sie nehmen es einfach als gegeben hin: Es ist eben so und fertig. Seit Jahrhunderten.

Unser kulturelles Erbe ist uns demnach von einem antiken Volk hinterlassen worden, das wir nicht wirklich kennen, und noch dazu in einer alten Sprache, die wir nicht verstehen.

Furchtbar.

Denn es ist schrecklich, etwas nicht zu verstehen. Vor allem, wenn einem gesagt wird, man müsse es dennoch lieben. Kein Wunder, dass man es zu hassen beginnt.

Zugleich lassen uns die Parthenonskulpturen oder das Theater von Syrakus mit Stolz auf die Griechen blicken, so, als wären es die Werke unserer Ahnen, unserer weit entfernten Urgroßväter. Es gefällt uns, sie uns auf irgendeiner sonnenbeschienenen Insel vorzustellen, wie sie gerade die Philosophie oder die Geschichtsschreibung erfinden. Oder wie sie in einem Theater sitzen, das sich in den Hang irgendeines Hügels schmiegt, um einer Tragödie oder Komödie zu lauschen. Oder wir sehen sie vor uns, wie sie bei Nacht den Sternenhimmel betrachten und dabei Wissenschaft und Astronomie entdecken.

In Wahrheit jedoch sind wir zutiefst verunsichert. Es ist so, als befragte man uns über eine Geschichte, die letztlich eben doch nicht die unsere ist, und wir haben das Gefühl, etwas Wichtiges über das antike Griechenland vergessen zu haben. Und dieses Etwas ist die altgriechische Sprache.

Das Griechische: »Dieser absurde, tragische Moment des Menschlichen«, um Nikos Dimou in all seinem Unglück zu zitieren.

Nicht nur, dass wir uns dem kulturellen Erbe des Altgriechischen (gewissermaßen) als Enterbte und Untaugliche nähern. Auch wenn wir versuchen, die Krümel aufzulesen, die uns das Griechentum als Mitgift überlassen hat, bleiben wir Opfer eines der rückständigsten und stumpfsinnigsten Schulsysteme der Welt (zumindest nach meinem, dem Empfinden einer Hinterbänklerin, die nach diesem Buch wohl endgültig als ausgestoßen und durchgefallen gelten wird).

So, wie das altsprachliche Gymnasium in Italien strukturiert ist, scheint es keinem anderen Zweck zu dienen, als die Griechen und das Altgriechische so unerreichbar wie nur möglich zu belassen – stumm und herrlich auf dem Olymp, von einer Ehrfurcht umhüllt, die sich nur allzu oft in göttliche Schrecken und ausgesprochen irdische Verzweiflung verwandelt.

Mit wenigen, dem Engagement einiger aufgeklärter Lehrer zu verdankenden, Ausnahmen sind die gebräuchlichen Lehrmethoden geradezu dafür prädestiniert, um bei denjenigen, die es wagen, sich der griechischen Sprache anzunähern, Hass anstelle von Liebe zu erzeugen. Die Folge davon ist die Verweigerung eines Erbes, das wir nicht mehr wollen, weil wir es nicht verstehen, das uns einschüchtert und vor dem wir fliehen, kaum dass wir es auch nur streifen. Die meisten verbrennen daher die Schiffe des Griechischen hinter sich, sobald sie von den schulischen Zwängen befreit sind.

Nicht wenige Leser dieses Buches werden in meinen Ängsten ihre eigenen wiedererkennen, ihre Anstrengungen, ihre Frustrationen und ihre Wut auf das Altgriechische. Und doch sind diese Seiten aus der tiefen Überzeugung entstanden, dass es keinen Sinn ergibt, sich etwas vorzumachen. Es ist schlicht unmöglich, etwas zu vergessen, womit man sich fünf Jahre oder länger im Schweiße seines Angesichts herumgeplagt hat.

Doch keine Sorge, dieses Buch ist keine altgriechische Grammatik. Und es hat auch keinen akademischen Anspruch (von dieser Sorte gibt es bereits viel zu viele).

Sicher, es hat den Anspruch, leidenschaftlich zu sein und sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Es ist eine literarische Erzählung (wenn auch nicht im wörtlichen Sinne) – eine Erzählung über die Besonderheiten einer wundervollen eleganten Sprache.

Was auch immer man euch über das Altgriechische erzählt und vor allem nicht erzählt hat, es ist in erster Linie eine Sprache.

Jede Sprache dient dazu, mit ihren Worten eine Welt zu malen. Und diese Welt ist eure Welt. Nur dank der Sprache seid ihr dazu in der Lage, Ideen zu formulieren, Emotionen eine Stimme zu verleihen, mitzuteilen, wie es euch geht, Wünsche auszudrücken, ein Lied zu hören oder Gedichte zu schreiben.

Wir leben in einer Zeit, in der wir zwar ständig mit etwas, aber nur noch selten mit jemandem verbunden sind. Es ist eine Zeit, in der Worte außer Gebrauch geraten und durch Emojis oder andere Piktogramme ersetzt worden sind. Das Ergebnis ist eine immer schnelllebigere Welt mit einer virtuellen Realität, in der wir zeitversetzt von uns selbst existieren und einander – buchstäblich – nicht mehr verstehen.

Die Sprache – oder was davon bleibt – wird immer banaler. Wie viele von...

Blick ins Buch

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