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Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche

AutorReni Eddo-Lodge
VerlagTropen
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783608115345
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Viel zu lange wurde Rassismus als reines Problem rechter Extremisten definiert. Doch die subtileren, nicht weniger gefährlichen Vorurteile finden sich dort, wo man am wenigsten mit ihnen rechnen würde - im Herzen der achtbaren Gesellschaft. Was bedeutet es, in einer Welt, in der Weißsein als die selbstverständliche Norm gilt, nicht weiß zu sein? Reni Eddo-Lodge spürt den historischen Wurzeln der Vorurteile nach, und zeigt unmissverständlich, dass die Ungleichbehandlung Weißer und Nicht-Weißer unseren Systemen seit Generationen eingeschrieben ist. Ob in Politik oder Popkultur - nicht nur in der europaweiten Angst vor Immigration, sondern auch in aufwogenden Protestwellen gegen eine schwarze Hermine oder einen dunkelhäutigen Stormtrooper wird klar: Diskriminierende Tendenzen werden nicht nur von offenen Rassisten, sondern auch von vermeintlich toleranten Menschen praktiziert. Um die Ungerechtigkeiten des strukturellen Rassismus herauszustellen und zu bekämpfen, müssen darum People of Color und Weiße gleichermaßen aktiv werden - 'Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur uns.'

Reni Eddo-Lodge, geboren 1989 in London, ist preisgekrönte Journalistin und Bloggerin. Sie schreibt unter anderem für 'The Guardian', 'The New York Times' sowie 'The Independent' und spricht regelmäßig öffentlich über gesellschaftliche Themen wie systeminhärenten Rassismus oder schwarzen Feminismus. 'Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche' ist ihr erstes Buch, das jüngst mit dem British Book Award ausgezeichnet wurde.

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Leseprobe

Vorwort


Am 22. Februar 2014 veröffentlichte ich einen Post auf meinem Blog. Ich gab ihm den Titel »Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche«. Er lautete:

Ich spreche nicht länger mit Weißen über das Thema Hautfarbe. Das betrifft nicht alle Weißen, sondern nur die große Mehrheit, die sich weigert, die Existenz von strukturellem Rassismus und seinen Symptomen anzuerkennen. Ich kann mich nicht mehr mit der emotionalen Distanz auseinandersetzen, die Weiße an den Tag legen, wenn eine Person of Colour von ihren Erfahrungen berichtet. Man sieht, wie sich ihr Blick verschließt und hart wird. Es ist, als würde ihnen Sirup in die Ohren gegossen, der ihre Gehörgänge verstopft. Es ist, als könnten sie uns nicht mehr hören.

Die emotionale Distanz ist die Folge eines Lebens, in dem sich jemand vollkommen unbewusst darüber ist, dass seine Hautfarbe die Norm darstellt und alle anderen davon abweichen. Bestenfalls wurde Weißen beigebracht, nicht zu erwähnen, dass People of Colour »anders« sind, falls es uns beleidigt. Sie glauben wirklich, dass die Erfahrungen, die sie aufgrund ihrer Hautfarbe gemacht haben, universell sein können und sollten. Ich kann mich nicht mehr mit ihrer Verwirrung und Abwehrhaltung auseinandersetzen, wenn sie versuchen mit der Tatsache klarzukommen, dass nicht alle die Welt so erleben wie sie. Sie mussten nie darüber nachdenken, was es – in Bezug auf Macht – bedeutet, weiß zu sein, und jedes Mal, wenn sie auch nur vorsichtig daran erinnert werden, interpretieren sie es als Affront. Ihr Blick verschleiert sich vor Langeweile oder funkelt vor Empörung. Ihre Lippen beginnen zu zucken, während sie in den Defensivmodus schalten. Sie räuspern sich, weil sie dich unterbrechen wollen, können es kaum erwarten, das Wort zu ergreifen, hören aber nicht wirklich zu, weil du unbedingt wissen sollst, dass du sie falsch verstanden hast.

Der Weg zum Verständnis von strukturellem Rassismus fordert von People of Colour immer noch, weißen Gefühlen Priorität einzuräumen. Auch wenn sie dich hören können, hören sie nicht zu. Es ist, als würde etwas mit den Worten passieren, kaum haben sie unseren Mund verlassen und ihre Ohren erreicht. Die Worte stoßen auf eine Barrikade des Leugnens und können sie nicht überwinden.

Es besteht keine emotionale Verbindung. Das ist nicht wirklich überraschend, weil sie nicht wissen, was es bedeutet, eine Person of Colour als wahrhaft ebenbürtig anzunehmen, als Person mit Gedanken und Gefühlen, die genauso berechtigt sind wie ihre. In dem Film The Color of Fear 1 von Lee Mun Wah sah ich People of Colour in dem Bemühen, einen starrköpfigen weißen Mann davon zu überzeugen, dass seine Worte ihnen einen weißen rassistischen Standard auferlegten und fortführten, in Tränen ausbrechen. Die ganze Zeit starrte er verständnislos und vollkommen verstört von ihrem Schmerz vor sich hin, bestenfalls trivialisierte er ihn, schlimmstenfalls zog er ihn ins Lächerliche.

Ich habe früher schon darüber geschrieben, dass diese weiße Verweigerung der allgegenwärtigen Politik der Hautfarbe entspricht, die mit der ihr eigenen Unsichtbarkeit arbeitet. Ich kann nicht länger mit Weißen über Hautfarbe sprechen – wegen der konsequenten Verleugnung, der ungeschickten Räder, die sie schlagen, und der geistigen Akrobatik, die sie vollführen, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden. Wer will schon auf eine Systemstruktur hingewiesen werden, die ihm auf Kosten anderer Vorteile bringt?

Ich kann dieses Gespräch nicht mehr führen, weil wir es oft von völlig unterschiedlichen Orten aus angehen. Ich kann mit ihnen nicht über die Einzelheiten eines Problems reden, wenn sie nicht einmal die Existenz des Problems anerkennen. Schlimmer noch ist die weiße Person, die willens ist, die Möglichkeit von besagtem Rassismus einzugestehen, aber glaubt, dass wir dieses Gespräch als Ebenbürtige führen. Das tun wir nicht.

Ganz zu schweigen davon, dass es für mich eine durchaus gefährliche Sache ist, ein Gespräch mit starrköpfigen Weißen zu führen. Während die Aufregung und die Sturheit zunehmen, muss ich unglaublich vorsichtig auftreten, denn wenn ich angesichts ihrer Weigerung mich zu verstehen, meine Frustration, Wut oder Verzweiflung zum Ausdruck bringe, fallen sie auf das althergebrachte, aber immer noch gängige Stereotyp von den zornigen Schwarzen zurück, die sie und ihre Sicherheit bedrohen. Höchstwahrscheinlich bezeichnen sie mich dann als fies und schikanös. Wahrscheinlich werden sich auch ihre weißen Freunde um sie scharen, die Geschichte umschreiben und die Lügen als Wahrheit ausgeben. Das ist den Versuch, sich mit ihnen und ihrem Rassismus auseinanderzusetzen, nicht wert.

In jedem Gespräch mit Netten Weißen Leuten, die sich, sobald es um das Thema Hautfarbe geht, ausgegrenzt fühlen und verstummen, gibt es eine Art ironischen und auffälligen Mangel an Verständnis oder Empathie für diejenigen von uns, die unser ganzes Leben lang unübersehbar als anders kenntlich sind und mit den Folgen leben müssen. People of Colour üben zwangsweise lebenslange Selbstzensur. Die Optionen sind: Sag die Wahrheit und rechne mit Repressalien, oder beiß’ dir auf die Zunge und schau zu, dass du im Leben vorankommst. Es muss ein merkwürdiges Leben sein, wenn man immer die Erlaubnis hat, zu sprechen, sich aber empört, wenn man einmal gebeten wird, zuzuhören. Die Empörung geht vermutlich auf das nie infrage gestellte Anspruchsdenken der Weißen zurück.

Ich kann mich nicht mehr emotional bis zur Erschöpfung verausgaben, um diese Botschaft rüberzubringen, während ich gleichzeitig auf Zehenspitzen auf einem sehr schmalen Grat balanciere, um nur keiner individuellen weißen Person vorzuwerfen, sie würde strukturellen Rassismus perpetuieren, denn sonst werde ich als Charakterschwein gemeuchelt.

Deswegen spreche ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe. Ich habe nicht die Macht, die Funktionsweise der Welt zu ändern, aber ich kann Grenzen setzen. Ich kann die Ansprüche abwehren, die sie mir gegenüber zu haben glauben, und ich fange damit an, indem ich keine Gespräche mehr führe. Das Pendel hat zu weit zu ihren Gunsten ausgeschlagen. Ihre Absicht ist es oft nicht, zuzuhören oder etwas zu lernen, sondern Macht auszuüben, mir nachzuweisen, dass ich mich täusche, mich emotional zu erschöpfen und den Status quo zu stärken. Ich spreche mit Weißen nicht mehr über Hautfarbe, außer es lässt sich absolut nicht vermeiden. Wenn sich in den Medien oder bei einer Konferenz die Möglichkeit bietet, dass jemand hört, was ich sage, und sich weniger allein fühlt, dann nehme ich teil. Aber ich will nichts mehr mit Leuten zu tun haben, die das nicht hören wollen, es ins Lächerliche ziehen und es offen gesagt nicht verdienen.

Kaum war er publiziert, nahm der Blogpost ein Eigenleben an. Jahre später treffe ich noch immer neue Leute in verschiedenen Ländern und Situationen, die mir erzählen, dass sie ihn gelesen haben. 2014, als der Post überall im Internet verlinkt wurde, wappnete ich mich gegen die übliche Menge rassistischer Kommentare. Doch die Reaktionen waren merklich anders, und zwar so sehr, dass es mich überraschte.

Es gab deutliche Unterschiede in den Reaktionen, und diese Unterschiede machten sich an der Hautfarbe fest. Ich bekam eine Fülle an Nachrichten von dunkelhäutigen Menschen. Viele »Dankeschöns« und viele »du hast Worte für meine Erfahrungen gefunden«. Es gab Berichte über Tränen und eine kleine Diskussion, wie man das Problem angehen sollte, wobei Bildung als Lösung für die Überbrückung dieser Distanz hoch eingeschätzt wurde. Diese Nachrichten zu lesen war eine Erleichterung. Ich wusste, wie schwierig es war, das Gefühl der Frustration in Worte zu fassen, und als Leute mich kontaktierten und mir dafür dankten, dass ich erklären konnte, was ihnen immer schwer gefallen war, freute ich mich, dass ich ihnen hatte helfen können. Ich merkte, dass wenn ich mich weniger allein fühlte, auch sie sich weniger allein fühlten.

Womit ich nicht gerechnet hatte, war eine Welle an Emotionen von Weißen, die meinten, dass ich der Welt etwas vorenthielt, wenn ich nicht mehr mit Weißen über Hautfarbe sprach, und dass das eine absolute Tragödie wäre. »Herzzerreißend« schien das Wort zu sein, das dieses Gefühl am besten...

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