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Warum Liebe endet

Eine Soziologie negativer Beziehungen

AutorEva Illouz
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl447 Seiten
ISBN9783518759233
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR

Unsere Kultur ist unendlich reich an Darstellungen und Geschichten, die vom Erscheinen der Liebe im Leben der Menschen handeln - von jenem magischen Augenblick, in dem wir wissen, dass jemand für uns bestimmt ist. Erstaunlicherweise ist sie aber eher wortkarg, wenn es um den nicht weniger mysteriösen Moment geht, in dem die Liebe endet (oder erst gar nicht beginnt).

Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Eva Illouz mit der Frage, wie der Konsumkapitalismus und die Kultur der Moderne unser Gefühls- und Liebesleben transformiert haben. Warum Liebe endet bildet den Abschluss dieses grandiosen Forschungsprojekts und zeigt, warum mit Blick auf unsere sexuellen und romantischen Beziehungen vor allem eines selbstverständlich geworden ist: sich von ihnen zu verabschieden.

Anhand einer großen Vielfalt an literarischen und geistesgeschichtlichen Quellen sowie im Rückgriff auf zahlreiche Gespräche, die sie mit Frauen und Männern aus verschiedenen Ländern geführt hat, arbeitet Illouz souverän heraus, wie es um Beziehungen in Zeiten von Speed-Dating und Tinder, von Gelegenheitssex und Körperkult bestellt ist - und warum insbesondere Frauen die Leidtragenden dieser gleichermaßen sexualisierten wie sexuell befreiten Kultur sind. Zeitgemäßer geht es nicht. Ein großer Wurf.



Eva Illouz, geboren 1961, ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique, CSE-EHESS in Paris. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Anneliese-Meier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung und den EMET-Preis für Sozialwissenschaften. Ihre Bücher werden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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Leseprobe

1.

11
Einleitung: Von der Wahl zur Nichtwahl


Ich bin nur ein Chronist, meine Arbeit soll davon handeln, was es heißt, heute zu leben.

‒ Marc Quinn

Verstehen, dass man, um subversiv zu sein, vom Individuellen zum Kollektiven übergehen muss.

‒ Abd Al Malik

Ich frage [die Menschen] nicht nach dem Sozialismus, ich frage nach Liebe, Eifersucht, Kindheit und Alter. […] Das ist die einzige Möglichkeit, die Katastrophe in den Rahmen des Gewohnten zu zwingen und etwas darüber zu erzählen.

‒ Swetlana Alexijewitsch

Zu sehen, was sich vor der eigenen Nase befindet, bedarf ständiger Anstrengung.

‒ George Orwell1

Die westliche Kultur ist unendlich reich an Darstellungen und Geschichten, die vom wundersamen Erscheinen der Liebe im Leben der Menschen handeln ‒ von jenem magischen Augenblick, in dem wir wissen, dass jemand für uns bestimmt ist; vom fieberhaften Warten auf einen Anruf oder eine E-Mail; vom wohligen Schauer der Erregung, der uns beim bloßen Gedanken an ihn oder sie durchströmt. Verliebt sein heißt, zur Platonikerin zu werden: durch eine Person hindurchzusehen auf eine Idee, auf etwas im umfassenden Sinne Makelloses.2 Unzählige Romane, Gedichte und Filme lehren uns, in dieser Hinsicht Platons Schülerinnen und Schüler zu werden, unterweisen uns also in der Kunst, die Vollkommenheit zu lieben, die sich in der geliebten Person manifestiert. Erstaunlicherweise ist diese Kultur, die doch so viel über die Liebe zu sagen hat, aber eher wortkarg, wenn es um den nicht weniger 12mysteriösen Moment geht, in dem wir es vermeiden, uns zu verlieben, oder uns entlieben; in dem uns die Person, die uns schlaflose Nächte bereitete, auf einmal gleichgültig ist oder wir auf Abstand gehen zu denjenigen, die uns noch vor wenigen Monaten oder gar Stunden in helle Begeisterung versetzt haben. Dieses Schweigen ist umso verwunderlicher, als die Zahl der Beziehungen, die schon bald nach ihrem Beginn wieder enden oder irgendwann im Laufe ihrer emotionalen Entwicklung zerbrechen, schwindelerregend hoch ist. Vielleicht weiß unsere Kultur nicht, wie sie dieses Phänomen darstellen oder darüber nachdenken soll, weil wir in und durch Geschichten und Dramen leben, sich zu »entlieben« aber kein Plot mit einer klaren Struktur ist: Meistens beginnt dieser Prozess nicht mit einer Eröffnung, einer Offenbarung, sondern im Gegenteil: Manche Beziehungen schlafen ein oder lösen sich auf, noch bevor oder bald nachdem sie richtig angefangen haben, während andere einen langsamen und rätselhaften Tod sterben.

Und doch bedeutet der Vorgang, in dem Liebe endet (oder gar nicht erst richtig beginnt), aus soziologischer Perspektive sehr viel, da es hier um die Auflösung sozialer Bindungen geht, die wir seit Emile Durkheims bahnbrechender Studie Der Selbstmord womöglich als das zentrale Thema der soziologischen Forschung verstehen müssen.3 In der vernetzten Welt der Moderne aber tritt eine Anomie ‒ der Zusammenbruch der sozialen Beziehungen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts ‒ nicht in erster Linie in Gestalt von Entfremdung oder Einsamkeit auf. Vielmehr scheint die Auflösung (potentiell oder realiter) enger und intimer Bindungen stark mit dem Wachstum (realer oder virtueller) sozialer Netzwerke, mit Technologie und einer beeindruckenden ökonomischen Beratungs- und Lebenshilfemaschinerie zusammenzuhängen: Psychologen aller Art, Talkshow-Moderatoren, die Porno- und die Sexspielzeugindustrie, die Selbsthilfebranche, Einkaufspaläste und Konsumtempel ‒ sie alle 13sorgen für den permanenten Prozess des Knüpfens und Lösens sozialer Bindungen. Begriff die Soziologie Anomie traditionell als eine Folge von Isolation und mangelnder Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Religion,4 muss sie nunmehr einer schwerer fassbaren Eigenschaft sozialer Bindungen in der hyperkonnektiven Moderne Rechnung tragen: ihrer Flüchtigkeit trotz ‒ und wegen ‒ der Allgegenwart von sozialen Netzwerken, Technologie und Konsum. Das vorliegende Buch fragt nach den kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen, die uns ein inzwischen vertraut gewordenes Merkmal von Sex- und Liebesbeziehungen erklären: dass wir uns von ihnen verabschieden. Wenn wir uns fragen, warum Liebe endet, begeben wir uns auf ein Terrain, in dem sich besonders gut nachvollziehen lässt, wie die wechselseitige Durchdringung von Kapitalismus, Sexualität, Geschlechterverhältnissen und Technologie eine neue Form von (Nicht-)Sozialität hervorbringt.

*

Die Aufgabe, unser Sexual- und Liebesleben zu retten, zu gestalten und anzuleiten, haben wir den Psychologen anvertraut. Die Vertreter dieser Zunft konnten uns zwar mit durchaus bemerkenswertem Erfolg davon überzeugen, dass uns ihre sprachlichen und emotionalen Techniken womöglich zu einem besseren Leben verhelfen. Für das aber, was unser Liebesleben kollektiv plagt, haben sie wenig bis gar kein Verständnis gezeigt. Sicherlich weisen die unzähligen Geschichten, die im geschützten Raum der psychologischen Beratung zu hören sind, eine wiederkehrende Struktur und gemeinsame Themen auf, die über die Besonderheit der Personen, die sie erzählen, hinausweisen. Es ist ziemlich leicht, das Leitmotiv der in diesem Rahmen vorgebrachten Klagen zu erraten: Warum fällt es mir so schwer, intime Liebesbeziehungen einzugehen oder aufrechtzuerhalten? Ist diese Beziehung gut oder 14schlecht für mich? Soll ich in dieser Ehe bleiben? ‒ Diesen Fragen und ihrem nie verklingenden Echo in den allgegenwärtigen Lebenshilfeforen, Workshops und Selbsthilfebüchern ist eines gemeinsam: eine tiefe, bohrende Ungewissheit über das Gefühlsleben. Wir haben Probleme damit, unsere eigenen und die Gefühle anderer zu verstehen, und nur mit Mühe, wenn überhaupt, können wir herausfinden, wann und wo man Kompromisse machen muss oder was wir anderen beziehungsweise was diese uns schuldig sind. Wie die Psychotherapeutin Leslie Bell schrieb: »[I]n Interviews und in meiner psychotherapeutischen Praxis mit jungen Frauen habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie nicht nur stärker als je zuvor darüber verunsichert sind, wie sie das bekommen, was sie wollen, sondern auch darüber, was sie überhaupt wollen.«5 Eine solche Desorientiertheit, die in den Sprechzimmern von Psychologinnen so weit verbreitet ist wie außerhalb, wird oft als Folge der Ambivalenzen der menschlichen Seele verstanden, als Auswirkung eines verspäteten Eintritts ins Erwachsenenleben oder einer psychischen Konfusion, die von widersprüchlichen kulturellen Botschaften über Weiblichkeit hervorgerufen wird. Wie ich jedoch in diesem Buch zeigen möchte, ist emotionale Ungewissheit im Bereich von Liebe, Romantik und Sexualität die direkte soziologische Folge einer Ideologie der individuellen Wahl, die den Konsummarkt, die therapeutische Industrie und die Internettechnologie zu einem einzigen Komplex verschmolzen hat ‒ und selbst zum wichtigsten kulturellen Rahmen der Organisation von persönlicher Freiheit geworden ist. Die Art von Ungewissheit, die die zeitgenössischen Beziehungen plagt, ist ein soziologisches Phänomen: Es gab sie nicht schon immer, jedenfalls nicht in diesem Umfang; sie war nicht so weit verbreitet, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß; sie hatte nicht den Inhalt, den sie heute für Männer und Frauen hat; und zweifellos zog sie nicht die systematische Aufmerksamkeit von Experten und Wissenssystemen aller Art auf sich. Die Flüchtigkeit, die Rätsel und die Schwierigkei15ten, die so charakteristisch für viele Beziehungen sind und zugleich zu ihrer endlosen psychologischen Kommentierung Anlass bieten, sind eindeutig der Ausdruck einer allgemeinen »Ungewissheit« in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Dass so viele Menschen heutzutage unter derselben Ungewissheit leiden, ist kein Zeichen der Universalität eines selbstwidersprüchlichen Unbewussten, sondern vielmehr eines der Globalisierung der Lebensbedingungen.

Diese Studie ist ein weiterer Teil eines vor zwanzig Jahren begonnenen Forschungsprojekts zur Transformation unseres Gefühls- und Liebeslebens durch den Kapitalismus und die Kultur der Moderne. Wenn es einen Grundsatz gibt, der meine Arbeit während der vergangenen zwei Dekaden geleitet hat, dann den, dass die Analyse der Desorganisation des Privat- und Intimlebens nicht allein der Psychologie...

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