Sie sind hier
E-Book

Was Atheisten glauben

AutorFranz M. Wuketits
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl191 Seiten
ISBN9783641123895
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Lebenshaltung Atheismus - Menschsein in einer »gottlosen Welt«
Was glauben Atheisten? Wie lebt es sich in einer »gottlosen Welt«?

Franz M. Wuketits gibt in seinem neuen Buch eine umfassende Antwort: Er zeigt, wie Atheisten das Leben sehen, wie sie dem Tod begegnen und wie sie in einer objektiv sinnlosen Welt doch einen Sinn in ihrem Leben finden. Atheismus ist ein Lebensentwurf, »Gottlosigkeit« führt keineswegs zu Nihilismus und Amoralismus. Atheisten sind eben auch Humanisten, die durchaus auf moralische Prinzipien bauen - allerdings bedürfen sie dabei keiner höheren, gottgegebenen Werte. Das Buch versteht sich als Einladung, eine andere Weltsicht zu bedenken.

  • Wie Atheisten das Leben sehen und einen Sinn finden
  • Vom Nutzen des Unglaubens: Eine Einladung, sich auf die Gedankenwelt der Atheisten einzulassen


Franz M. Wuketits, geb. 1955, lehrt Philosophie mit dem Schwerpunkt Biowissenschaften an der Universität Wien. Dort studierte er Zoologie, Paläontologie, Philosophie und Wissenschaftstheorie. Er ist Autor zahlreicher Bücher zu verschiedenen Themen der Biologie, Evolution und Ethik. Im Gütersloher Verlagshaus erschien zuletzt »Die Boten der Nemesis. Katastrophen und die Lust auf Weltuntergänge«.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

1 Eine (bessere?) Welt ohne Gott


Die Früchte vom Baum der Erkenntnis

sind es wert, darüber das Paradies zu verlieren.

ERNST HAECKEL

Die Götterwelt, die sich der Mensch im Laufe vieler Jahrtausende zusammengezimmert hat, ist gewaltig, man möchte sagen erschlagend. Dies durchaus auch im wörtlichen Sinn: Ungezählt bleiben die Menschen, die Göttern geopfert und/oder im Namen des einen oder anderen Gottes gefoltert und getötet worden sind (von Tieropfern ganz zu schweigen). Dieses Abschlachten zieht sich als blutig roter Faden durch die Geschichte und quer durch verschiedene Kulturen. Immer und immer wieder bildete eine auf Unterdrückung und Gewalt gegründete Politik eine »heilige« Allianz mit Religionen. Doch eine Religion – ganz gleich, welche – die Menschenleben fordert und mit ihren Dogmen verbrecherische »weltliche« Ideologien unterstützt, kann von einem kritisch denkenden Menschen nicht hingenommen werden. Sie ist strikt abzulehnen. Es kann freilich nicht in Abrede gestellt werden, dass religiöser Glaube nicht immer martialische Formen annimmt, sondern auch auf moderate, friedliche Art und Weise praktiziert wird. Heutzutage sind zumindest in unseren Breitengraden (und unter den Christen) religiöse Fanatiker eher die Ausnahme. Viele Menschen glauben einfach an die Existenz irgendeines »höheren Wesens«, ohne andere damit zu behelligen oder gar zu den Schwertern zu rufen. Manche von ihnen wollen nicht einmal darüber reden. Ihr religiöser Glaube ist ihre Privatangelegenheit, und es ist ihnen zu wünschen, dass er ihnen hilft. Man mag es daher als Übertreibung ansehen, dass Dawkins (2006) religiösen Glauben als Wahn bezeichnet, vor allem, wenn man diesen im streng psychologischen Sinn als Krankheitszustand definiert, der Wahnideen erzeugt, welche als pathologisch verzerrte Bewusstseinszustände zu klassifizieren sind. Dass sich religiöser Glaube auch regelrecht als Wahnzustand manifestieren kann, ist klar, aber ich würde das doch nicht verallgemeinern. Die natürliche Auslese hätte »reinen Wahnsinn«, der den Großteil menschlicher Populationen erfasst, wohl längst eliminiert.

Es gibt jedoch eine Reihe von Problemen, die jedem gläubigen Menschen Kopfzerbrechen bereiten müssen, sich aber einem Atheisten erst gar nicht stellen. Hier ist natürlich vor allem das Problem gemeint, warum ein allmächtiger, allwissender, ewiger – und obendrein noch gütiger – Gott all die offensichtlichen Übel in der Welt zulassen kann. Sind seine Augen blind und seine Ohren taub für das schier unbeschreibliche Leid, das sich über so viele Menschen ergießt? Oder ist es Gott selbst, der dieses Leid gar will? Diesen Fragen schenke ich im vorliegenden Kapitel besondere Aufmerksamkeit und gebe Antworten aus atheistischer Perspektive. Zwar fürchte ich, dass ich dazu nicht viel Neues zu sagen habe, aber ich werde es jedenfalls klar sagen.

Wer nicht glaubt, wird selig


So mächtig sich schon mit den ersten Hochkulturen religiöser Glaube, äußerlich sichtbar, entfaltete, so gab es in praktisch allen Epochen der überlieferten Geschichte den einen oder anderen Zweifler. Was, wenn es keinen Gott, keine Götter gibt? Vielleicht ist Gott, sind Götter nur Erfindungen furchtsamer Menschen? Demokrit schrieb: »Als die Menschen der Vorzeit die Vorgänge in der Höhe sahen, wie Donner und Wetterleuchten, Blitzschlag ... und die Verfinsterungen von Sonne und Mond, gerieten sie in Furcht, weil sie glaubten, Urheber dieser Erscheinungen seien göttliche Wesen« (zit. in Jürß et al. 1991, S. 38). Das ist ein eigentlich erstaunlicher Satz eines Gelehrten, der von der »Vorzeit« noch kaum etwas wissen konnte. Die griechischen Atomisten (Demokrit und andere) vertraten die Ansicht, dass alle Dinge als (zufällige) Kombination kleiner Elemente (»Atome«) anzusehen seien (vgl. z. B. Guthrie 1967, Jürß et al. 1991). »Nichts existiert«, meinte Demokrit, »als die Atome und der leere Raum, alles andere ist Meinung« (zit. in Lange 1873 [1905, S. 41]). Die Atomisten wollten, was bereits im Prolog bemerkt wurde, den Menschen die Angst vor den Göttern nehmen. Sie waren, wie die Vertreter einiger anderer antiker »Philosophenschulen« (Epikureer, Kyniker und Skeptiker), allenfalls gemäßigte Atheisten. Vielleicht kann für sie auch der Ausdruck »Antitheisten« gebraucht werden, wenn man Antitheismus nicht als Negation Gottes, sondern als Revolte gegen Gott aufgrund des (menschlichen) Strebens nach Selbstbestimmung definiert. Jedenfalls wagte es erst zweitausend Jahre später Pierre Bayle (1647 – 1706), am Vorabend der französischen Aufklärung, eine »atheistische Gesellschaft« zu verkünden, womit er, wie man sich vorstellen kann, viel Unruhe stiftete und für heftige Kontroversen sorgte (vgl. Ley 1983). Für den Verfasser eines umfangreichen historischen und kritischen »Wörterbuchs« waren Glauben und Wissen unvereinbar und die Behandlung moralischer Probleme eine bloße Angelegenheit der Vernunft.

Bild 1  Demokrit (geb. 460/459 v. Chr.)

Aber wenden wir uns zunächst kurz einer grundsätzlichen Frage zu: Woran glaubt, wer an Gott glaubt? Ich kann beispielsweise glauben, dass es morgen regnen oder mich in der kommenden Woche ein Freund zum Essen einladen wird; ich kann etwa auch glauben, dass ich zum nächsten Geburtstag ein wertvolles, seit langem ersehntes Geschenk erhalten werde; ebenso kann ich glauben, dass mir demnächst zwei herrenlose Hunde zulaufen werden – die Liste der Beispiele ließe sich praktisch beliebig fortsetzen. In jedem Fall kann ich mir, teils aufgrund bereits gemachter Erfahrung, vorstellen, was das Eintreten dieses oder jenes Ereignisses für mich bedeuten würde. Es würde sich um konkret fassbare Ereignisse handeln, angenehme oder vielleicht auch unangenehme. Selbst jemand, der glaubt, demnächst in der Lotterie den Haupttreffer zu erzielen, glaubt an etwas Konkretes, wenn auch Unwahrscheinliches. Er kann sich wohl zumindest vorstellen, was ein großer Lotteriegewinn für ihn bedeuten würde und kann für den Fall, dass das Unwahrscheinliche eintritt, Pläne zu schmieden beginnen. Beim Glauben an Gott verhält es sich völlig anders. Es ist ein tradierter Glaube, man übernimmt ihn im Allgemeinen zunächst auf der Basis der Konvention jener Gesellschaft, in die man hineingeboren wird. Man kann ihn später wieder ablegen (im Islam ist das aber bekanntlich nicht so einfach), sich einem anderen Glaubenssystem anschließen oder Atheist werden. Solang man an Gott glaubt, glaubt man an kein konkret fassbares Phänomen. Dem Alten Testament zufolge soll man sich auch kein Bild von Gott machen. Wer an Gott glaubt, glaubt also immer an etwas Ungewisses und Unbestimmtes, allenfalls kann er sich »Gewissheit« konstruieren. Die menschliche Psyche ist sehr vertrackt, für Vieles offen – auch für Selbsttäuschungen. »Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst: er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber« (Feuerbach 1904, S. 94). Der Philosoph Max Stirner (1806 – 1856), der für seinen extremen Individualismus geradezu berüchtigt wurde und jede Tradition ablehnte, sah das Nonplusultra im Menschen selbst, in jedem einzelnen Menschen: »Man sagt von Gott ›Namen nennen Dich nicht‘. Das gilt von Mir: kein Begriff drückt Mich aus ... Gleichfalls sagt man von Gott, er sei vollkommen und habe keinen Beruf, nach Vollkommenheit zu streben. Auch das gilt allein von Mir« (Stirner 1892, S. 429). Das will heißen: ICH bin mir selbst genug, ich bin gleichsam mein eigener Gott. In der Tat: Wenn der Mensch Gott sich erschaffen kann, warum sollte er sich dann nicht selbst »göttlich« denken dürfen ...?!

Aus der Sicht der heutigen Naturwissenschaften und einer darauf gegründeten Naturphilosophie ist eine solche Selbsterhöhung des Menschen freilich nicht angebracht. Der Mensch ist eine Organismen-Art unter Millionen anderer Arten und genau wie diese ein Resultat der Evolution durch natürliche Auslese oder Selektion (siehe Kapitel 2). Er braucht deswegen keine Minderwertigkeitsgefühle zu entwickeln. Es mag ihm ein schönes, wenn nicht gar erhabenes Gefühl bereiten zu sehen, dass er imstande ist, kraft seines – wiederum in der Evolution entstandenen – Bewusstseins sich selbst in der Natur zu erkennen, als einziges wahrhaft schöpferisches und Werte schaffendes Lebewesen auf diesem Planeten (vgl. Rensch 1970). Er kann »selig« werden, wenn er nicht an eine übernatürliche, sondern bloß natürliche Ordnung glaubt und sich in diese eingebettet sieht. Er braucht »Seligkeit« nicht in ein imaginäres Jenseits zu verlagern, sondern kann sein »Heil« mit und in sich selbst finden, hier und jetzt.

Damit ist auch bereits die Sinnfrage angesprochen, die uns aber in Kapitel 4 noch ausführlicher beschäftigen wird.

Unheilige Allianzen


Gotteszweifler und Gottesleugner waren die längste Zeit eine sehr gefährdete »Spezies«. Das Wagnis, das sie im 17. und 18. Jahrhundert eingegangen sind, wird man abzuschätzen wissen, wenn man sich daran erinnert, dass sich noch Darwin wesentlich später im Hinblick auf die »religiöse Frage« in Zurückhaltung übte, obwohl er, wie bereits gesagt wurde, die Entstehung des religiösen Glaubens evolutionstheoretisch zu deuten wusste und obendrein seine Theorie der Evolution durch natürliche Auslese die Annahme eines Schöpfers vollends als entbehrlich erscheinen ließ (vgl. z. B. Brooke 1985, Farrington 1982, Greene 1963, Mayr 1994, Wuketits 2010b). Aber Darwin artikulierte auch seine Schwierigkeiten mit der Religion, mit dem Christentum. »Ich kann«, bemerkte er in seiner Autobiographie, »nun wirklich...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

AUTOCAD & Inventor Magazin

AUTOCAD & Inventor Magazin

FÜHREND - Das AUTOCAD & Inventor Magazin berichtet seinen Lesern seit 30 Jahren ausführlich über die Lösungsvielfalt der SoftwareLösungen des Herstellers Autodesk. Die Produkte gehören zu ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

Deutsche Tennis Zeitung

Deutsche Tennis Zeitung

Die DTZ – Deutsche Tennis Zeitung bietet Informationen aus allen Bereichen der deutschen Tennisszene –sie präsentiert sportliche Highlights, analysiert Entwicklungen und erläutert ...

dima

dima

Bau und Einsatz von Werkzeugmaschinen für spangebende und spanlose sowie abtragende und umformende Fertigungsverfahren. dima - die maschine - bietet als Fachzeitschrift die Kommunikationsplattform ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...

filmdienst#de

filmdienst#de

filmdienst.de führt die Tradition der 1947 gegründeten Zeitschrift FILMDIENST im digitalen Zeitalter fort. Wir begleiten seit 1947 Filme in allen ihren Ausprägungen und Erscheinungsformen.  ...