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Was blubbert da im Wasserglas?

Kinder entdecken Naturphänomene

AutorProf. Gisela Lück
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783451804304
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Experimente im Kindergarten erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. So positiv diese Entwicklung ist,, gilt es folgende Fragen zu klären: Wann und wie können Kinder behutsam und kindgerecht an Naturphänomene herangeführt werden? Welche Materialien und welche räumlichen Gegebenheiten sollten bereit gestellt werden? Wie sind die Vorgaben der neuen Bildungspläne zu verstehen, wie können sie in die Praxis umgesetzt werden? Fundierte Antworten und praxisnahe Ratschläge finden sich in diesem Buch.

Gisela Lück ist Professorin für Didaktik der Chemie an der Universität Bielefeld, sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Naturwissenschaftsvermittlung im Vorschulalter. Die Autorin hält regelmäßig Fachvorträge in In- und Ausland.

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Leseprobe

3. Kinder als Naturforscher – Ein paar theoretische Überlegungen vorweg


Allein die Tatsache, dass Naturwissenschaften in der heutigen Zeit ein wichtiges Bildungsgut darstellen, reicht nicht aus, diese Themen bereits im Kindergarten einzuführen – entscheidend ist das Interesse der Kinder und deren kognitive Fähigkeit, Deutungen des Beobachteten und Hinterfragten überhaupt zu verstehen.

Über lange Zeit hinweg wurde das naturwissenschaftliche Interesse von Kindern im Kindergartenalter nicht wissenschaftlich untersucht, ging man doch davon aus, dass die bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegenden empirischen Untersuchungsergebnisse Jean Piagets (1896  1980) auch heute noch Gültigkeit hätten. Demnach könnten Kinder im Elementarbereich noch nicht logisch denken und wären daher für naturwissenschaftliche Deutungen noch nicht offen. Dabei wurde offensichtlich die große Resonanz naturwissenschaftlicher Kindersendungen gerade bei den 5- und 6-Jährigen völlig übersehen. Studien zeigen, dass Wissenschaftssendungen bei Kindern in der Beliebtheit nach Zeichentrickfilmen bereits Platz zwei einnehmen (Frey-Vor, Schumacher 2004, S. 433). Wie ist das möglich, wenn ihnen das Verständnis für die naturwissenschaftlichen Erklärungen fehlen sollte?

3.1 Was Kindergartenkinder wissen wollen und verstehen können


Mitte der 90er Jahre wurden in Kindergärten Untersuchungen zum Interesse der Kinder an naturwissenschaftlichem Experimentieren und zur Erinnerungsfähigkeit an die Deutung der Experimente durchgeführt.

Kinder sind Naturforscher

Es zeigte sich, dass ca. 70 % der Kinder – trotz konkurrierender Angebote – freiwillig über ca. 10 Wochen an Experimentierangeboten (einmal pro Woche, 20 Minuten) teilnahmen, ein Ergebnis, das mit den Vorlieben der Kinder an Naturwissenschaftssendungen in Einklang steht!

Kinder haben ein Elefantengedächtnis

Wie aber ist die kognitive Leistung der Kinder in Bezug auf die Deutung der Naturphänomene? Sind sie – wie Piaget folgerte – tatsächlich noch zu jung für kausale Begründungen? Warum stellen sie dann aber die für dieses Alter so charakteristischen Warum-Fragen? Macht es Sinn, dass Kinder diese Fragen stellen, wenn sie eigentlich noch nicht in der Lage sind, die Antworten zu verstehen oder ist es eine Annahme der Erwachsenen, dass Kinder noch zu klein für naturwissenschaftliche Deutungen sind, um sich der Antwort entziehen zu können?

Im Rahmen der Studie wurden die kognitiven Fähigkeiten der Kinder über ihre Erinnerungsfähigkeit an die Experimente und ihre Deutungen per Einzelinterview ermittelt. Dazu wurde mit ca. drei bis sechs Monaten ein bewusst langer Zeitraum zwischen Experiment und Befragung gewählt, um auszuschließen, dass die naturwissenschaftlichen Erklärungen von den Kindern lediglich rekapituliert wurden. Auch hier waren die Ergebnisse verblüffend gut: Rund die Hälfte der Experimente und ihre Deutung konnten die Kinder – z. T. mit ein wenig Hilfestellung – erinnern! Dieses überraschend gute Ergebnis zeigte sich über alle sozialen Schichten hinweg: Auch Kinder aus einem weniger privilegierten Umfeld zeigten vergleichbar gute Ergebnisse wie Kinder, die aus einem bildungsnahen Umfeld stammen. Liegt nicht gerade in diesem Ergebnis auch eine bildungspolitische Brisanz? Bietet sich hier nicht die Möglichkeit zu einer Chancengleichheit auch für diejenigen, die sonst nicht so leicht an Bildung teilhaben können? Gerade die Ergebnisse der PISA-Studie 2001 bescheinigen Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf, was die Förderung von Lernenden mit bildungsfernem familiären Hintergrund betrifft!

Was Hänschen lernt …

Die Frage, wie lange sich eine frühe Heranführung an Naturphänomene auf das spätere Leben auswirkt oder ob sogar die Berufswahl dadurch beeinflusst wird, lässt sich nur schwer wissenschaftlich untersuchen. Eine entsprechende Langzeituntersuchung müsste über mindestens zehn Jahre durchgeführt werden und wäre damit enorm kostenintensiv.

Bislang liegen nur indirekte Untersuchungen zur Langzeitwirkung vor: Dazu wurde ein großer Teil der Chemie-Studienanfänger des Jahres 2000 befragt. Von diesen gaben 22 % an, dass sie sich für Chemie entschieden hätten, weil sie als kleines Kind schon an die Phänomene herangeführt worden seien. Diese Tatsache ist den Studienanfängern noch 15 Jahre später gut in Erinnerung!

Abbildung 2: Ergebnis der Auswertung von 1345 persönlichen Begründungen für die Wahl des Chemiestudiums; Gesamtübersicht nach Schulstufen sowie außerschulischen und schulischen Einflüssen.

3.2 Warum? – Darum! Das kausale Denken und der Wissensdrang der Fünf- und Sechsjährigen!


Um der Deutung eines Experiments auf den Grund zu gehen ist es hilfreich, wenn das kausale Denken bei den Kindern in Form von ,immer wenn, dann‘ bereits ausgeprägt ist. Erst dieses kausale Denken ermöglicht es, von einem Phänomen und seiner Deutung auf andere Phänomene zu schließen: Ein Beispiel: Eine Kerze benötigt zum Brennen Luft. Sie erlischt immer dann, wenn ihr keine Luft mehr zur Verfügung steht. Deshalb erlischt eine Kerze allmählich, wenn man ein großes, leeres, d. h. mit Luft gefülltes Glas über sie stülpt, sie erlischt schnell, wenn man ein kleines Glas über sie stülpt und sie erlischt, wenn man ein Gas über ihr ausgießt – wie z. B. Kohlenstoffdioxid, das schwerer ist als Luft und sich um die Flamme legt, so dass weitere Luftzufuhr verhindert wird (vgl. dazu die Experimente 8.1 bis 8.5 im Praxisteil S. 54 ff.). Diese Schlussfolgerungen können nur dann nachvollzogen werden, wenn das Kind kausal denken kann. Gelingt das aber schon im Kindergartenalter? Die Warum-Fragen sind ein erstes Indiz dafür, denn ein ,Warum‘, das sich überrascht auf ein wahrgenommenes Phänomen richtet, klagt geradezu eine kausale Begründung ein (wobei es darüber hinaus auch eine Reihe von kindlichen Warum-Fragen gibt, mit denen andere Ziele, wie etwa das Aufrechterhalten einer Kommunikation, verfolgt werden).

Weshalb bleib trotz der energischen Warum-Fragen der Kinder bislang eine kausale Begründung – insbesondere in Bezug auf naturwissenschaftliche Phänomene – im Elementarbereich so oft unberücksichtigt?

Über lange Jahre hinweg beriefen sich die Bildungsplaner wie bereits erwähnt fast ausschließlich auf die Forschungsergebnisse eines der Pioniere der Kognitionspsychologie der frühen Kindheit – auf Jean Piaget. Dieser hatte – ausgehend von biologischen und philosophischen Interessen – im Wesentlichen folgende Frage im Blick: Wie entwickelt sich im Laufe eines Lebens die Fähigkeit zur Erkenntnis? Entsprechend untersuchte er die kognitiven Fähigkeiten von Kindern bis zu einem Alter von ca. 14 Jahren. Er kam – um es kurz zu machen – zu dem Ergebnis, dass Vorschulkinder noch nicht in der Lage sind, logisch zu denken, und erst ab etwa 12 oder 13 Jahren die Fähigkeit zur Abstraktion ausgebildet ist. Was liegt näher, als ein Fach wie Chemie, bei dem sich viele Erklärungsmodelle auf den nicht sichtbaren Bereich beziehen, erst ab dem Alter einzuführen, ab dem abstraktes Denken möglich wird – eben ab Klasse 7 oder 8. Da Kinder im Vorschulalter ohnehin nicht logisch denken können, macht es – so die Konsequenz der Bildungsplaner – auch keinen Sinn, Naturphänomene einzuführen und zu erklären, da die Kinder nach Auffassung von Piaget ja ohnehin noch nicht in der Lage sind, ,Wenn-dann-Beziehungen‘ herzustellen und kausale Begründungen zu verstehen. Wurden daher im Elementarbereich Naturphänomene eingeführt, beließ man es in der Regel bei dem Staunen der Kinder über das Phänomen und trotz intensiver Fragen der Kinder nach dem Warum blieben die Antworten häufig aus. Viele Kindersachbücher sind noch heute nur auf das Phänomen, nicht aber auf die Deutung ausgerichtet!

Inzwischen haben neue Studien zeigen können, dass Piagets Erkenntnisse zur Entwicklung des kausalen Denkens nicht haltbar sind: Obwohl erste Kritik schon in den 80er Jahren geäußert wurde (vgl. etwa Donaldson 1982, S. 9; Novak 1990, S. 941; Collins 1984, S. 73 f.), sickerte diese Tatsache erst in der letzten Zeit in die Bildungspläne für den Elementarbereich durch.

Auch eine weitere Erkenntnis stimmt nachdenklich: Nicht alle 12- bis 13-Jährigen können schon abstrakt denken; eine so späte Einführung der Fächer Chemie und Physik ist daher gar nicht gerechtfertigt, wenn ohnehin nur rund 60 Prozent der Heranwachsenden die kognitiven Fähigkeiten für formale Naturwissenschaftsinhalte mitbringen (Gräber 1984, S. 257 f.)! Ist es daher nicht viel besser, früher zu beginnen und sich weniger auf abstrakte Inhalte zu konzentrieren und stattdessen das Phänomen und seine Deutung in den Vordergrund zu rücken? Und noch ein dritter Aspekt ist von Bedeutung: Piaget hat sich in seinen Untersuchungen vor allem auf die geistige Entwicklung der Kinder konzentriert, nicht aber affektive Aspekte berücksichtigt, wie etwa die Freude am Experimentieren und Beobachten oder den Wissensdurst der Kleinen, der gerade im Vor- und Grundschulalter...

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