Sie sind hier
E-Book

Was dem Lektorat auffällt

AutorHans Peter Roentgen
VerlagSieben Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783864438776
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Niemand wirkt so im Geheimen wie Lektoren. Sie arbeiten im Dunkeln wie Maulwürfe, die unter den Buchseiten leben und von denen man nur die Produkte sieht: die lektorierten Bücher. Doch erfolgreiche Autoren schwören auf ihre Lektoren. Sie wissen, wie man Texte poliert, verbessert, ihr Potenzial nutzt. Egal, ob es um Füllwörter, Spannungsbogen, Absätze oder Leerzeilen, Plot und Exposés geht. Hans Peter Roentgen hat in seinen Artikeln zusammengefasst, was Lektoren auffällt. Wie man die Fallen vermeidet und das Potenzial seiner Geschichte optimal nutzt. Er zeigt Ihnen, wie Sie diesen Erfahrungsschatz für Ihr Manuskript nutzen können.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Stil ist keine Geschmacksfrage


Egal, ob es um Füllwörter, um Adjektive und Adverbien, um während oder als geht, es gibt Erfahrungen von vielen Erzählern. Und die sollte man kennen.

Richtig würzen mit Adjektiven und Adverbien


Adjektive (Eigenschaftswörter) und Adverbien (Umstandswörter) haben einen schlechten Ruf. »Wenn Sie ein Adjektiv treffen, bringen Sie es um«, riet Mark Twain AutorInnen. Auch heute wissen Lektoren: Adjektive sind beliebt und werden vor allem von Anfängern zu häufig benutzt.

Sollten Autoren also lieber gar keine Adjektive verwenden? Nein, aber sie sollten es damit halten wie mit Gewürzen. Ohne sie schmeckt jedes Essen fad, aber überreichlich eingesetzt, machen sie es ungenießbar.

Das Gefühl für Adjektive schärfen

Wie entscheidet der geplagte Autor, welches Gewürz nötig ist? Die Fantasy-Autorin Ursula K. LeGuin hat in ihrem Buch Kleiner Autorenworkshop eine gute Übung vorgestellt. Nehmen Sie eine Seite aus Ihrem Text. Drucken Sie sie aus. Dann streichen Sie sämtliche Adjektive auf der Seite. Drucken Sie diese neue Seite ebenfalls aus. Legen Sie beide Seiten nebeneinander und lesen Sie beide.

Meist entdecken Sie schnell, welche Adjektive Sie wirklich brauchen und welche Sie besser streichen. Diese Übung können Sie immer wieder machen, sie schärft den Sinn und gibt Ihnen im Laufe der Zeit ein sicheres Gefühl dafür, welches Adjektiv passt und welches nicht. Diese Übung können Sie ebenfalls auf Adverbien anwenden.

Es gibt aber noch weitere Möglichkeiten, die richtige Dosis und die richtigen Adjektive zu wählen. Denn nicht alle Adjektive sind gleich. Einige sollten mit großer Vorsicht verwendet werden. Die wertenden Adjektive etwa.

Wertende Adjektive weglassen

Wertende Adjektive sind bei Anfängern beliebt. »Stefan war ein böser Mensch.« Würden Sie einen Roman weiterlesen wollen, der mit diesem Satz anfängt? Ich nicht.

Warum ist das so?

Erstens, weil das eine Behauptung des Autors ist, die der Leser glauben kann oder nicht. Denn dass Stefan böse ist, wird ihm nicht gezeigt.

Zweitens nehmen solche Behauptungen den Lesern das Vergnügen, Stefan selbst einzuschätzen. Geschichten sind immer auch Rätsel, die Leser möchten eigene Schlüsse ziehen, selbst die Geschichte interpretieren. Wer seinen Lesern alles vorkaut, verliert sie schnell.

Drittens ist dieser Satz statisch. Es passiert nichts. Einen Beitrag für ein Lexikon darf man statisch schreiben, Geschichten aber müssen sich bewegen. Handlung und Dialog treiben sie voran, Behauptungen des Autors bremsen sie.

Was tun? Das Adjektiv böse einfach zu streichen, würde wenig helfen.

Anschauliche Substantive wählen

Dass Adjektive so beliebt sind, liegt auch daran, dass sie das Leben erleichtern. Schreiben AutorInnen ein böser Mensch, müssen sie nicht nach der treffenden Bezeichnung suchen. Doch was bedeutet böser Mensch? Schließlich gibt es mehrere Milliarden von Menschen – und auch in Romanen sind sie nicht gerade selten. Das Substantiv sagt wenig aus und das Adjektiv nicht mehr.

Suchen Sie also lieber nach einem treffenderen Substantiv. Ist Stefan ein Mörder, Filou, Betrüger, Sadist, Nazi, Verräter, Blender, Mafioso? Dann bräuchten Sie gar kein Adjektiv mehr. Nehmen Sie das genau passende Wort, nicht seinen Cousin – auch dieser Rat stammt von Mark Twain. Sprechen Sie von einem Pitbull oder Kampfhund und nicht von einem gefährlichen Tier.

Sätze in Bewegung bringen

Noch besser ist oft: Bringen Sie Sätze in Bewegung. Verwenden Sie Verben, nicht wertende Adjektive.

Stefan hätte sofort seine Großmutter verkauft, hätte man ihm nur genug Geld geboten.

Das wird keinen Literaturpreis erringen, ist aber deutlich besser geeignet, Leser zu fesseln. Dass Stefan böse ist, dürfen wir aus diesem Satz schlussfolgern. Gleichzeitig bietet er genug Raum für Vermutungen. Wird Stefan sich ändern? Gibt es etwas, das er auch für Geld nicht hergeben würde? Leser lieben offene Fragen, Leser lieben es, eigene Schlüsse zu ziehen.

Doppelungen vermeiden

Schon in der Schule wurden wir vor weißen Schimmeln und schwarzen Rappen gewarnt. Zu Recht. Viele Adjektive sind überflüssig, weil sie noch einmal sagen, was man dem Substantiv schon entnehmen kann. Doch nicht immer sind diese Tautologien sofort ersichtlich. Ein scharfes Messer oder ein schneller Sportwagen wären solche Beispiele. Dabei benötigen weder Messer noch Sportwagen das Adjektiv, denn die Leser erwarten, dass das Messer scharf ist und der Sportwagen schnell. Anders ist es, wenn das Messer stumpf und der Sportwagen langsam ist, weil ein sehr altes Modell. Dann dürfen Sie zum Adjektiv greifen, denn nun hat es eine Funktion.

Doppelt, fast schon dreifach gemoppelt ist auch folgender Text:

»Du Idiot!«, schrie er wütend.

Da haben wir jetzt ein Adverb, das überflüssig ist. Erstens sagt »Du Idiot« bereits, dass der Sprecher nicht gerade in freundlicher Stimmung ist. Das schrie betont das nochmals. Und wütend fügt nun wirklich keine weitere Information hinzu. Anders sieht es mit folgendem Satz aus:

»Du Idiot!«, sagte er lachend.

Hier hat das Adjektiv eine Funktion, weil es den Lesern mitteilt, dass der Sprecher den Ausruf keineswegs böse meint.

Merke: Adjektive und Adverbien, die ungewöhnliche Eigenschaften bezeichnen, würzen einen Text. Adjektive, die das Übliche betonen, lassen ihn fade schmecken.

Informative, beschreibende Adjektive nutzen

Der Kommissar entdeckt, dass zur Tatzeit ein schwarzer Geländewagen am Tatort stand. Kurz darauf bemerkt er einen schwarzen Geländewagen mit dem Mann am Steuer, der angeblich gar nicht am Tatort war. Könnten Sie das Adjektiv schwarz streichen?

Natürlich nicht. Schwarz wertet nicht, es sagt uns auch nichts, was bereits im Substantiv steht (denn es gibt auch rote, weiße und manch andere Geländewagen). Beschreibende Adjektive, die zusätzliche Informationen geben, sind unverzichtbar. Jedenfalls dann, wenn sie für die Handlung wichtig sind. Oder wenn sie ein konkretes Bild im Kopf entstehen lassen sollen. Was heißt, dass Sie zwar die Farbe des Geländewagens benennen sollten, aber nicht die Farbe jedes Gegenstandes im Büro des Kommissars. Ob die Tastatur seines Computers schwarz, weiß oder beige ist, müssen Sie den LeserInnen nicht mitteilen.

Sparsam dosieren

Zu viele Adjektive sind der Geschichte Tod. Eine große, dunkel gekleidete, unheimliche Frau wirkt leider blass und eben nicht unheimlich, weil die LeserInnen nicht erleben durften, was an ihr unheimlich ist.

Mehr als ein Adjektiv pro Substantiv sollten Sie nicht verwenden, sonst schwächen die Adjektive sich gegenseitig ab. Entscheiden Sie sich. Was ist die wichtigste Eigenschaft, die Sie hervorheben wollen? Nur dieses Adjektiv oder Adverb übernehmen Sie.

Generell gilt bei Beschreibungen: Weniger ist mehr. Beschreiben Sie nicht die gesamte Wohnung, sondern die Dinge, die bezeichnend für diesen Ort sind und Bilder in der Fantasie wecken. Könnte man im Schlafzimmer vom Fußboden essen oder liegt dort noch die Unterhose von vorgestern herum?

Nach persönlichem Geschmack würzen

Viele Menschen lieben Kümmel auf dem Schweinebraten. Ich nicht. So verhält es sich auch mit manchen Adjektiven. Wie man ihren Einsatz beurteilt, ist Geschmackssache.

Müssen Sie die Haarfarbe Ihres Helden erwähnen? Manche AutorInnen tun es, manche nennen die Haarfarbe jeder auftretenden Person. Andere beschreiben ihre Figuren gar nicht, sondern überlassen es den LeserInnen, sich deren Aussehen selbst zu entwerfen. Auch LeserInnen unterscheiden sich in diesem Punkt. Der eine möchte eine ausführliche Beschreibung des Helden, der nächste reagiert darauf genervt.

Wie ausführlich Beschreibungen sein müssen, ist aber nicht nur Geschmackssache, sondern hängt auch vom Genre ab. Der hardboiled Detective darf sich mit wenigen Beschreibungen und Adjektiven durch die Geschichte kämpfen, die Helden im Liebesroman erfordern genauere Beschreibungen und damit mehr Adjektive. Ein rheinischer Sauerbraten verlangt auch nach anderen Gewürzen als ein indisches Currygericht.

Den eigenen Geschmack schulen

Sprachpuristen möchten möglichst alle Adjektive streichen. »Die Grünen ziehen sich einige liberale...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Literatur - Sprache - Literaturwissenschaft

Der Gral

E-Book Der Gral
Mythos und Literatur (Reclam Literaturstudium) Format: PDF

Der Gral ist der faszinierendste, fruchtbarste der aus dem Mittelalter überkommenen Mythen. Sein Ursprung verliert sich im Dunkel der keltischen Vorzeit, was folgte, war eine jahrhundertlange…

Der Gral

E-Book Der Gral
Mythos und Literatur (Reclam Literaturstudium) Format: PDF

Der Gral ist der faszinierendste, fruchtbarste der aus dem Mittelalter überkommenen Mythen. Sein Ursprung verliert sich im Dunkel der keltischen Vorzeit, was folgte, war eine jahrhundertlange…

Instrumente in Kunst und Wissenschaft

E-Book Instrumente in Kunst und Wissenschaft
Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert Format: PDF

This volume presents a collection of original papers at the intersection of philosophy, the history of science, cultural and theatrical studies. Based on a series of case studies on the 17th…

Instrumente in Kunst und Wissenschaft

E-Book Instrumente in Kunst und Wissenschaft
Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert Format: PDF

This volume presents a collection of original papers at the intersection of philosophy, the history of science, cultural and theatrical studies. Based on a series of case studies on the 17th…

Instrumente in Kunst und Wissenschaft

E-Book Instrumente in Kunst und Wissenschaft
Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert Format: PDF

This volume presents a collection of original papers at the intersection of philosophy, the history of science, cultural and theatrical studies. Based on a series of case studies on the 17th…

Weitere Zeitschriften

Bibel für heute

Bibel für heute

BIBEL FÜR HEUTE ist die Bibellese für alle, die die tägliche Routine durchbrechen wollen: Um sich intensiver mit einem Bibeltext zu beschäftigen. Um beim Bibel lesen Einblicke in Gottes ...

caritas

caritas

mitteilungen für die Erzdiözese FreiburgUm Kindern aus armen Familien gute Perspektiven für eine eigenständige Lebensführung zu ermöglichen, muss die Kinderarmut in Deutschland nachhaltig ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...

EineWelt

EineWelt

Lebendige Reportagen, spannende Interviews, interessante Meldungen, informative Hintergrundberichte. Lesen Sie in der Zeitschrift „EineWelt“, was Menschen in Mission und Kirche bewegt Man kann ...