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E-Book

Was ich noch sagen wollte

AutorHelmut Schmidt
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl239 Seiten
ISBN9783406676130
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR

Sieben Jahre nach Außer Dienst legte Helmut Schmidt ein neues eigenes Buch vor. Seine Ausgangsfrage lautet: Brauchen wir heute noch Vorbilder, und wenn ja, zu welchen Zielen sollen sie uns anleiten? Schmidt erzählt von Menschen, die ihn prägten und an deren Beispiel er sich orientierte.
Politik ist pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken, hat Helmut Schmidt einmal gesagt. Weil er stets pragmatisch handelte, hat man ihm früh das Etikett des "Machers" angeheftet. Dass seiner Politik aber immer ein strenges sittliches Koordinatensystem zugrunde lag, ahnten die wenigsten. Und die Bezugsgrößen in Schmidts ethischer Grundorientierung sind unverrückbar geblieben. Die frühe Lektüre von Mark Aurel und Cicero, die Beschäftigung mit Kant und Weber, die Vertiefung in die Philosophie Karl Poppers sind entscheidende Wegmarken in der Entwicklung eines Politikers, der den Wählern nie nach dem Mund redete. Ob Schmidt berichtet, wie sich ihm in Gesprächen mit dem ägyptischen Präsidenten Sadat die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam erschlossen oder wie in den Begegnungen mit Deng Xiaoping das System des Konfuzianismus bestätigt wurde: Im Mittelpunkt steht stets die persönliche Faszination. Im einleitenden Kapitel "Frühe Prägungen" schreibt Schmidt über seine Schulzeit, über acht Jahre als Soldat – und über seine Frau Loki.



<p>Helmut Schmidt, Bundeskanzler a. D., geboren 1918 in Hamburg, war seit 1983 Mitherausgeber der ZEIT. Er war einer der bekanntesten und beliebtesten Politiker und Publizisten in Deutschland, seine B&uuml;cher wurden allesamt zu Bestsellern.&nbsp;Bei C.H.Beck hat er gemeinsam mit Fritz Stern ver&ouml;ffentlicht: Unser Jahrhundert. Ein Gespr&auml;ch. Zusammen mit Richard von Weizs&auml;cker hat er Die Deutschen und ihre Nachbarn (12 B&auml;nde, 2009 &ndash; 2011) herausgegeben. Er starb im November 2015 im Alter von 96 Jahren.</p>

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Leseprobe

Vorrede


Anfang 2014 erreichte mich eine Anfrage des Verlags C.H.Beck, ob ich mir vorstellen könnte, für einen geplanten Sammelband zum Thema «Vorbilder» als Herausgeber zu fungieren. Ich sollte ein Vorwort verfassen und wohl auch einen eigenen Aufsatz über eine für mich wichtige Persönlichkeit beisteuern. Der Brief des Verlags, dem eine vorläufige Liste mit denkbaren «Vorbildern» beilag, hat mich auf die Idee gebracht, selbst ein kleines Buch zu dem Thema zu schreiben.

Denn zum einen fehlten auf der Liste des Verlags Namen, die für mich von großer Bedeutung sind, zum anderen stieß ich auf Namen, die ich dort nicht vermutet hätte. Einige Namen waren mir gänzlich unbekannt; so hatte ich bis dahin zum Beispiel nie von Olympe de Gouges oder Igor Savitsky gehört. Beim Nachdenken darüber, wie diese Verlagsliste wohl zustande gekommen ist, wurde mir klar, dass es schwer, ja unmöglich ist, eine für alle Menschen verbindliche Auswahl festzulegen. Jeder hat seine eigenen, persönlichen Vorbilder. Eine Bestenliste mit den zehn wichtigsten Vorbildern ist noch weniger denkbar als eine Liste mit den zehn großartigsten Bauwerken oder den zehn schönsten Gemälden. Jede Auswahl ist subjektiv. Es kann keinen allgemein gültigen Kanon der Vorbilder geben.

Je länger ich mich mit der Idee eines eigenen Buches zum Thema «Vorbilder» beschäftigte, desto mehr Zweifel überkamen mich, was wir überhaupt unter einem «Vorbild» verstehen. Wer gilt in unseren Augen eigentlich als Vorbild? In entsprechenden Umfragen der letzten Jahre stößt man immer wieder auf dieselben Namen: Mahatma Gandhi und Nelson Mandela, Albert Schweitzer und Mutter Teresa, Martin Luther King oder den Dalai Lama. Dass sie in den entsprechenden Rankings weit oben stehen, hat weniger mit ihrer Leistung zu tun oder mit dem, was wir als ihre Leistung ansehen. Von Mahatma Gandhi verstehen wir Deutschen noch weniger, als wir von Mandela verstehen. Ich habe Mandela 1996 einmal in Berlin, den Dalai Lama einmal in Prag getroffen, aber ich würde mir kein Urteil über sie erlauben.

Wer die genannten Personen als aktuelle politische und moralische Vorbilder nennt, ist sich möglicherweise nicht der enormen Veränderungen bewusst, denen die Welt in den letzten Jahrzehnten des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts unterworfen war – und nach wie vor unterworfen ist. Ich will mich an dieser Stelle darauf beschränken, drei grundlegende Veränderungen kurz zu skizzieren.

Die wichtigste Veränderung ist die Vervierfachung der Weltbevölkerung innerhalb des letzten Jahrhunderts – von gut anderthalb auf sechs Milliarden; inzwischen haben wir sieben Milliarden überschritten. Dieser Bevölkerungszuwachs hat fast ausschließlich in den so genannten Entwicklungsländern stattgefunden – in Asien, in Afrika und in Südamerika. Die Bevölkerung Europas hingegen blieb statistisch einigermaßen konstant, sie wird aber immer älter; das führt zu gewaltigen Problemen – nicht nur bei der Finanzierung des Sozialstaats. Die Einwohnerzahl Chinas hat sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre verdoppelt, von etwa 700 Millionen auf heute 1350 Millionen. Ähnlich ist die Entwicklung in Indien, stärker noch in Bangladesch, in Pakistan oder Indonesien. In den meisten muslimischen Gesellschaften bringen die Frauen nach wie vor vier Kinder und mehr zur Welt.

Die zweite grundlegende Veränderung der Welt kam durch die Globalisierung. Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt es zum ersten Mal so etwas wie Weltwirtschaft. In dieser Weltwirtschaft spielen die Chinesen und seit Beginn der neunziger Jahre die Russen ebenso eine Rolle wie Indien oder Brasilien oder zahlreiche muslimische Staaten – etwa Saudi-Arabien oder Indonesien. Die USA werden in der Mitte dieses Jahrhunderts ein zweisprachiges Land sein, dessen eine Hälfte Spanisch spricht – in Kalifornien ist das heute schon so. Die Masse der künftigen Wähler in den USA werden Hispanoamerikaner und Afroamerikaner sein, die wenig Interesse daran haben, Konflikte mit Chinesen oder Japanern auszutragen. Ihr Interesse wird sich darauf konzentrieren, dass ihre Kinder gute Schulen und erstklassige Universitäten besuchen können und dass es eine zuverlässige Sozialversicherung gibt, insbesondere eine Altersversicherung.

Die dritte wesentliche Veränderung der Welt lässt sich mit dem Stichwort Internet umschreiben. Die vollständige Vernetzung aller mit allen führt zu Konsequenzen, die wir einstweilen noch nicht erahnen. Was das für die Zivilisation bedeutet, weiß ich nicht, wohl aber sehe ich deutlich, dass wir durch die neuen Kommunikationsmittel in eine Krise der Demokratie hineinlaufen können. Das hängt auch mit der zunehmenden Verstädterung zusammen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte die Mehrheit der Menschen in Dörfern, jeder hatte seine Hütte oder sein Häuschen. Heute lebt die Mehrheit in Städten und in Ballungsräumen von zehn oder zwanzig Millionen Menschen. Hier wächst, potenziert durch die sozialen Netzwerke, die Gefahr der Verführbarkeit. Je mehr Menschen auf einem Fleck zusammenwohnen, desto leichter sind sie massenpsychologisch zu beeinflussen – auch und gerade durch falsche Vorbilder.

Berufung auf Vorbilder bleibt wichtig. Deshalb kommt es darauf an, insbesondere jungen Menschen beispielgebende Vorbilder zu vermitteln. Allerdings bezweifle ich, dass Vorbilder wirklich dazu beitragen können, die hier skizzierten weltweiten Probleme zu lösen. Vielleicht wäre das auch zu viel verlangt. Es genügt ja, wenn Vorbilder uns durch ihr Beispiel Hoffnung geben und eine Richtung weisen. Wenn sie uns ermutigen, auf unserem Weg voranzugehen.

Als ich 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, war ich weitgehend orientierungslos. Damals habe ich das erste Mal von Mahatma Gandhi gehört und war fasziniert von seinem Ideal des passiven Widerstands. Das Spinnrad, mit dem die Inder ihre Baumwolle selber spannen, um sich von britischen Importen unabhängig zu machen, wurde zum Freiheitssymbol für viele Inder. Auch wenn ich den ethischen Grundsätzen Gandhis damals zustimmen konnte, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, sein Prinzip der Gewaltlosigkeit auf die Verhältnisse in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu übertragen. Gandhi imponierte mir, aber es wäre mir nicht eingefallen, ihn ein Vorbild zu nennen.

Nicht nur Gandhi, auch die meisten anderen der bei uns in aktuellen Umfragen am häufigsten genannten «Vorbilder» verkörpern das Ideal der Gewaltlosigkeit. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Nachkriegsdeutschen Krieg und Gewalt abgeschworen haben. Sie nehmen sich gern Persönlichkeiten zum Vorbild, die durch Selbstlosigkeit hervorstechen und für ihre Ideen lieber ins Gefängnis gehen wollen, als zu den Waffen zu rufen. Ob dieser tiefgreifende pazifistische Zug, der viele Deutsche nach 1945 ergriffen hat, auch in Zukunft erhalten bleibt, ist ungewiss. Man darf gespannt sein, welche Vorbilder in der nächsten oder übernächsten Generation genannt werden.

Die Verschiedenartigkeit von Vorbildern und die Tatsache, dass im Grunde jeder Mensch jeden anderen zu seinem Vorbild erklären kann, verstärkten meine Zweifel an dem Buchvorhaben. Ist «Vorbild» überhaupt der umfassende und richtige Begriff für das, worum es mir geht? Jedenfalls gibt es über die Bedeutung des Wortes und seine Verwendung stark voneinander abweichende, unterschiedliche Auffassungen. Die einen sprechen von Idolen oder Idealen, andere nennen ihre Vorbilder Wegweiser oder gar Lebenslotsen. Das alles klingt mir sehr pathetisch.

Bezeichnenderweise gibt es im Englischen und Französischen kein wirkliches Äquivalent für das deutsche Wort «Vorbild». Vergleichbare Begriffe erscheinen deutlich weniger moralisch aufgeladen. Dem Sprachgebrauch des deutschen Wortes «Vorbild» am nächsten kommt das lateinische Exemplum. Der römische Geschichtsschreiber Livius beschrieb beispielhafte Taten guter Römer aus alten aristokratischen Familien, so genannte Exempla, denen seine Zeitgenossen nacheifern sollten. Ein solches Exempel im Sinne eines beispielgebenden Musters ist mir deutlich sympathischer als unser deutsches «Vorbild», auch weil es weniger wichtigtuerisch daherkommt.

Mein kürzlich verstorbener Freund Siegfried Lenz hat den schönen Satz geschrieben: «Vorbilder sind doch nur eine Art pädagogischer Lebertran.» Vorbilder würden einen jungen Menschen schnell erdrücken, ihn unsicher und reizbar machen. Da ist einiges dran. Mir jedenfalls hat kein Mensch ein Vorbild vor die Nase gehalten. Mein Vater hat mir das Schachspiel beigebracht, da war ich acht oder neun Jahre alt. Aber mein erstes ernsthaftes Gespräch mit meinem Vater habe ich 1942 geführt – da war ich inzwischen 23. Trotzdem gaben mir die Eltern durch Beispiel vor, was für mich gut und schlecht war. Zunächst durch praktische Hilfestellung. Wie jedes Kind habe ich meine ersten Prägungen durch das Elternhaus erfahren. In der Schulzeit traten neben die Eltern dann Lehrer als diejenigen, die Orientierung boten. Aber auch die schulische Erziehung beruhte vor allem auf Autorität. Sie wirkte durch Lob und Tadel und, nicht zu vergessen, durch Strafe. Die Erziehung hatte zum...

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