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Was jetzt auf dem Spiel steht

Mein Aufruf für Frieden und Freiheit

AutorMichail Gorbatschow
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641252618
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Michail Gorbatschow über die gefährliche Unordnung der Welt
Dreißig Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist der Frieden in der Welt wieder in Gefahr. Der US-Präsident kündigt das Abrüstungsabkommen mit Russland, Europa zerfällt, China drängt nach vorn und eine Welle von Nationalisierung und Ideologisierung gefährdet die Freiheit und die Selbstbestimmung der Völker.

Michail Gorbatschow, der letzte große Staatsmann der Revolution von 1989, warnt angesichts der gefährlichen Weltlage vor einem Krieg aller gegen alle. Er beschreibt die Unfähigkeit und den Unwillen der aktuellen politischen Führer, an internationalen Lösungen zu arbeiten. Er widmet sich den großen Herausforderungen unserer Zeit, etwa der Krise der Demokratien und dem Vormarsch von Populisten und Ideologen, und setzt auf Dialog und Verständigung. Nicht zuletzt widmet er sich Deutschland, dem er, dreißig Jahre nach dem Mauerfall, noch heute besonders verbunden ist.

Michail Gorbatschow (1931-2022) war von 1985 bis 1991 Generalsekretär des ZK der KPdSU und 1990/91 Staatspräsident der Sowjetunion. In Abrüstungsverhandlungen mit den USA und durch die Politik von Glasnost und Perestroika leitete er das Ende des Kalten Krieges ein. Im Februar 1990 stimmte Gorbatschow bei einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl im Kaukasus der deutschen Einheit zu. Im gleichen Jahr erhielt er den Friedensnobelpreis.

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Leseprobe

Die Militarisierung der Weltpolitik

Die Weltpolitik entwickelt sich in eine äußerst gefährliche Richtung. Militaristische und destruktive Tendenzen nehmen zu. Der Abbau des Systems zur atomaren Rüstungsbegrenzung schreitet voran. Und die größte Bedrohung für unsere Sicherheit ist die Entscheidung der USA, den INF-Vertrag zur Vernichtung von Kurz- und Mittelstreckenraketen zu kündigen.

Der INF-Vertrag, der START-1-Vertrag zur Reduzierung nuklearer Trägersysteme, aber auch die Initiativen der Präsidenten der UdSSR und der USA zur Beseitigung taktischer Atomwaffen – sie haben es möglich gemacht, dass die Welt von Tausenden Atomwaffen befreit wurde, die sich im Kalten Krieg angesammelt hatten. Wir haben es geschafft, die Politik und das Denken zu entmilitarisieren.

Diese Abkommen wurden zu einem Symbol für das Ende des Kalten Krieges. Bei unserem ersten Treffen in Genf 1985 haben Ronald Reagan und ich jene Idee in Worte gefasst, die später zum INF-Vertrag führen sollte: »Niemals darf ein Atomkrieg entfesselt werden, denn es kann dabei keinen Sieger geben.« Zugleich revidierten unsere beiden Staaten ihre Militärdoktrinen, um die Abhängigkeit von Atomwaffen zu verringern.

Im Vergleich zum Höhepunkt des Kalten Krieges ist die Zahl der Atomwaffen in Russland und den USA bis heute um mehr als 80 Prozent geschrumpft – eine historische Errungenschaft.

Sie betraf nicht nur Atomwaffen. Dazu kam eine Konvention zur Beseitigung chemischer Waffen, und die Länder Ost- und Westeuropas einigten sich auf die radikale Reduzierung ihrer Streitkräfte und ihrer Rüstungsausgaben. Dies war die »Friedensdividende«, die vor allem die Europäer nach dem Ende des Kalten Krieges eingefahren haben.

Seit Mitte der neunziger Jahre setzte dann aber eine gegenläufige Tendenz ein: die schrittweise Remilitarisierung des Denkens und Handels, eine kontinuierliche Steigerung der Militärausgaben und ein Abbau der Rüstungsbeschränkungen.

Heute ist von den drei Hauptpfeilern der globalen strategischen Stabilität – dem ABM-Vertrag, dem INF-Vertrag und dem START-Vertrag – allein das Schicksal des Letzteren, von den Präsidenten Medwedew und Obama 2010 unterzeichnet, noch ungewiss. Nach Aussagen amerikanischer Regierungsvertreter könnte auch er bald Geschichte sein.

Die heutigen militärischen Aktivitäten ähneln zunehmend den Vorbereitungen für einen echten Krieg. Laut Dokumenten, die von der Trump-Administration veröffentlicht wurden, orientiert sich die US-Außenpolitik immer mehr an politischer, wirtschaftlicher und militärischer Rivalität überall auf der Welt. Das Ziel besteht darin, neue Atomwaffen für einen flexibleren Einsatz zu entwickeln. Was nichts anderes bedeutet, als die Schwelle für den Atomwaffeneinsatz stetig zu senken.

Vor diesem Hintergrund verkündete der russische Präsident Wladimir Putin vor der Föderalversammlung die Anschaffung mehrerer neuartiger Waffensysteme. Gleichzeitig erklärte er, Russland strebe kein neues Wettrüsten an, was ohne Zweifel die Stimmung in der Bevölkerung widerspiegelt. Schon oft in der Geschichte war unser Land gezwungen, in einem Rüstungswettlauf gegenüber der anderen Seite aufzuholen. Heute steht nicht nur Russland, sondern die ganze Welt vor einer neuen militärischen Herausforderung.

Die Vereinigten Staaten wollen die Weltpolitik dominieren, indem sie sich auf ihre militärische Überlegenheit stützen – dies ist der Eindruck, wenn man die aktuellen Ereignisse betrachtet.

Die USA wollen dabei die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat an den Rand drängen und durch eine militärische Allianz ersetzen, die nicht nur ihr eigenes Territorium erweitert, sondern auch zunehmend danach strebt, ihren »Verantwortungsbereich« auszudehnen – überall auf der Welt.

In den frühen neunziger Jahren hatten wir uns darauf geeinigt, dass das Gebiet der ehemaligen DDR einen militärpolitischen Sonderstatus erhalten sollte. Deutschland verpflichtete sich, dort keine zusätzliche militärische Infrastruktur, ausländische Truppen und Massenvernichtungswaffen zu stationieren. Darüber hinaus mussten die Deutschen die Zahl ihrer Streitkräfte fast halbieren. Deutschland hat diese wie auch andere Bestimmungen des Vertrages bis heute eingehalten.

Zugleich wurden im Rahmen der NATO und des damals noch bestehenden Warschauer Pakts die jeweiligen Militärdoktrinen überarbeitet. Es war geplant, jeweils die politische zulasten der militärischen Komponente zu stärken. Mitgliedsländer der NATO sowie des Warschauer Pakts einigten sich vertraglich auf den Abbau ihrer Truppenstärke.

Manche meiner Kritiker halten mir bis heute vor, ich hätte damals nicht darauf bestanden, vertraglich festzuhalten, dass die NATO sich zukünftig nicht nach Osteuropa ausdehnen dürfe. Eine solche Forderung wäre absurd, ja geradezu lächerlich gewesen, denn der Warschauer Pakt existierte ja noch. Man hätte uns sofort beschuldigt, ihn preisgegeben zu haben.

Vielmehr haben wir unter den damaligen Bedingungen das Maximum erreicht. Russland hatte das volle Recht zu verlangen, dass die Gegenseite nicht nur getreu den Buchstaben, sondern im Geiste der damaligen Vereinbarungen und Verpflichtungen handelt.

Doch das gegenseitige Vertrauen, das mit dem Ende des Kalten Krieges gewachsen war, wurde dann einige Jahre später schwer erschüttert – durch die Entscheidung der NATO, sich nach Osten auszudehnen. Und Russland konnte darauf keine Antwort finden.

Was auf dem Spiel steht

Der INF-Vertrag, der eine historische Bedeutung für den Frieden hatte, ist nun Geschichte – sein Scheitern geht auf das Konto der USA. Ebenso wie die Weigerung, den Vertrag über das Verbot von Nuklearversuchen zu ratifizieren, und der Rücktritt vom ABM-Vertrag über die Beschränkung von Raketenabwehrsystemen.

Die Kündigung des INF-Vertrags durch einen der beiden Partner bedarf einer Erklärung über außerordentliche Ereignisse, die dessen höchste Interessen gefährden. Wer eine so gravierende Entscheidung trifft, muss der Weltgemeinschaft erklären, was ihn dazu treibt, all das zu zerstören, was bisher aufgebaut wurde.

Was ist passiert, welche Bedrohung treibt die Vereinigten Staaten zu diesem Schritt – deren Militärausgaben um ein Vielfaches höher sind als jene der konkurrierenden Mächte?

Haben die USA den UN-Sicherheitsrat informiert, der dazu geschaffen wurde, um Konflikte zu lösen, die den Frieden bedrohen? Offenbar nicht. Stattdessen werden Russland angebliche Vertragsverstöße vorgeworfen, die selbst für Experten schwer nachzuvollziehen sind. Und all dies im Ton eines Ultimatums.

Als Argument verweisen die USA darauf, dass auch andere Länder, vor allem China, der Iran und Nordkorea, über Mittelstreckenraketen verfügen. Das ist nicht überzeugend. Tatsächlich kontrollieren die Vereinigten Staaten und Russland gemeinsam noch immer mehr als 90 Prozent der weltweit existierenden Atomwaffen. In diesem Sinne bleiben unsere beiden Länder Supermächte, das Atomwaffenarsenal anderer Länder ist zehn- bis fünfzehnmal kleiner.

Wenn der Prozess der Reduzierung von Atomwaffen fortgesetzt würde, müssten sich irgendwann zwangsläufig auch andere Länder anschließen, darunter Großbritannien, Frankreich und China. Diese drei Staaten haben wiederholt ihre jeweilige Bereitschaft bekräftigt. Aber wie kann man von ihnen Zurückhaltung verlangen, wenn eine der Supermächte die bestehenden Beschränkungen aufheben und ihr atomares Arsenal ausbauen will?

Es drängt sich der Eindruck auf, dass hinter der Entscheidung, vom Vertrag zurückzutreten, nicht die von den USA angeführten Gründe stehen, sondern etwas ganz anderes: das Streben nach militärischer Überlegenheit, ein dringender Wunsch, jegliche Beschränkungen bei der Aufrüstung abzuschütteln. »Wir haben viel mehr Geld als jedes andere Land«, erklärt Präsident Trump, »und wir werden unser Rüstungsarsenal erweitern, bis sie zur Besinnung kommen.« Erweitern – warum, wofür? Um der Welt seinen Willen aufzuzwingen?

Das ist eine Illusion. In der heutigen Welt kann kein einzelnes Land Hegemonie erlangen. In letzter Zeit wurde dies deutlich: Selbst die treuesten Verbündeten Washingtons sind nicht mehr bereit, vor dem großen Bruder strammzustehen.

Die Folge der gegenwärtigen destruktiven Wende können nur eine Destabilisierung und ein neues Wettrüsten sein. Die Weltlage wird immer chaotischer und unkontrollierbarer. Dies wiederum gefährdet die Sicherheit aller Staaten, auch die der USA.

Ihr Präsident erklärte, sein Land habe gehofft, einen neuen, »guten« Vertrag abzuschließen. Man sollte sich nicht täuschen lassen, auch nicht durch die Erklärung von Außenminister Mike Pompeo, man habe »keine Pläne, sofort neue Raketenwaffen einzusetzen«. Es bedeutet doch nur, dass die USA diese Raketen noch nicht besitzen.

Diese Beteuerungen haben auch die Europäer nicht überzeugt. Sie sind alarmiert, und das ist...

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